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R. Ward Holder (Ed.), John Calvin in Context. Cambridge, Cambridge University Press 2019.

Krumenacker, Yves
In: Historische Zeitschrift, Jg. 316 (2023-06-01), Heft 3, S. 747-749
Online review

R. Ward Holder (Ed.), John Calvin in Context. Cambridge, Cambridge University Press 2019 

R. Ward Holder, John Calvin in Context. 2019 Cambridge University Press Cambridge, 9781108482400, £ 84,99

In der reichhaltigen Literatur über Johannes Calvin ist dieses Buch insofern einzigartig, als es nicht dessen Charakter oder Denken untersucht, sondern ihn in seinen historischen, geistigen und theologischen Bedingtheiten kontextualisiert. Ziel dieser Historisierung Calvins ist es, ihn besser zu verstehen und zu erkennen, was er seiner Zeit verdankte und wie er sich von ihr absetzte, aber auch wie er sie prägte und freilich wie sein Denken bis heute rezipiert wurde. Zu diesem Zweck hat der Herausgeber des Bandes 50 Historiker und Theologen um Beiträge gebeten, in denen diese sich auf jeweils sieben bis acht Seiten auf einen bestimmten Aspekt einlassen.

Nach einer kurzen Zusammenfassung von Calvins Leben folgen sechs Teile von ungleicher Länge. Die ersten drei stellen Frankreich vor, dann die Schweiz, Süddeutschland und Genf und schließlich das Reich und gehen auf einige relevante soziale Aspekte (Judentum, Frauen) zur Zeit Calvins ein. Der vierte und längste Teil ist den religiösen Fragen gewidmet. Ein fünfter Abschnitt befasst sich mit Calvins Einfluss auf seine Zeitgenossen wie auch mit der frühen lutherischen und katholischen Kritik. Der letzte schließlich beschäftigt sich mit der allgemeinen Rezeption Calvins von der Neuzeit bis ins 21. Jahrhundert.

Die Autoren des Bandes gehen in ihren Beiträgen dabei unterschiedlich vor. Einige beschränken sich darauf, die Zusammenhänge darzustellen, denen Calvin ausgesetzt war und in denen er agierte; andere widmen sich Calvins zu spezifischen Themen angestellten Überlegungen und kontextualisieren diese (etwa zur Taufe, zur Prädestination oder zum Götzendienst); dann gibt es Beiträge, die sich auf Calvin selbst konzentrieren, also etwa auf den von ihm verwendeten Stil der „Institutes" oder – latent apologetisch – auf seinen Umgang mit der Häresie. Trotz der durchweg qualitativ sehr gut gearbeiteten Aufsätze führen diese unterschiedlichen Zugänge aber dazu, dass im Ergebnis ein mehr oder weniger heterogenes Werk vorliegt.

Die ersten drei Abschnitte vermitteln uns ein scharfes Bild von jenen Teilen Europas, in denen die Reformation Fuß fassen konnte. Der hohe Stellenwert, den man hierbei Frankreich einräumt (ein ganzes Kapitel), deutet offensichtlich darauf hin, dass sich Calvins Denken in erster Linie durch seine Herkunft und Ausbildung verstehen lässt. Es überrascht auch nicht, dass mehrere Beiträge Genf gewidmet sind. Aber man fragt sich schon, warum England oder Polen ausgespart werden, obschon Calvin durch persönliche Beziehungen und Korrespondenzen durchaus über diese beiden Länder informiert war, und auch Italien findet keine Erwähnung, wo er doch einige Monate in Ferrara verbracht hatte. Drei Aspekte, die in den letzten Jahrzehnten in der Forschung immer wieder hervorgehoben worden sind, werden hier zwar behandelt, allerdings bedauerlicherweise recht flüchtig: Lediglich ein Beitrag befasst sich mit dem scheinbaren Widerspruch zwischen dem Verschwinden des Judentums in den meisten Teilen Europas und der (zunehmenden) Bedeutung der Hebräischstudien im 16. Jahrhundert; ein anderer widmet man sich darauffolgend der Bedeutung von Flüchtlingen im Europa des 16. Jahrhunderts; und schließlich folgt eine kurze Studie über Calvins Verhältnis zu Frauen: Während einige sich von seiner Theologie angezogen fühlten, lehnten andere sie vehement ab; er selbst aber hegte keine Absichten, die zeitgenössische Geschlechterhierarchie einzureißen. Zu diesen drei Aspekten hätte man sich eine breitere und eingehendere Beschäftigung gewünscht.

Der vierte, den religiösen Fragen gewidmete Teil schwankt zwischen einer Untersuchung von Calvins Denken und der Darstellung der von ihm behandelten Fragen vor dem Hintergrund der Epoche. Ähnlich erörtern im fünften Abschnitt („Calvin's Contexts") einige Beiträge, welchen Einfluss Calvin auf seine Zeitgenossen ausübte, andere Beiträge zeigen auf, was Calvin diesen wiederum verdankte, und wieder andere stellen vor allem Persönlichkeiten wie Melanchthon, Farel oder Viret vor; die Beiträge über Calvins lutherische und katholische Kritiker behandeln vorwiegend einen etwas späteren Zeitabschnitt. Auch wenn nun jede dieser Untersuchungen für sich genommen durchaus interessant und lesenswert ist, wird allerdings in der Gesamtschau nicht recht klar, worauf dieses Kapitel eigentlich abzielt.

Im letzten Teil geht es nicht mehr um Calvin selbst, sondern um sein Vermächtnis, den sogenannten Calvinismus. Hier wird ein detailliertes Bild der Reformierten Theologie in ihrer Entwicklung ausgebreitet, in dem die Vereinigten Staaten, Asien und etwas knapper auch Afrika berücksichtigt werden. Es ist freilich sehr bedauerlich, dass die Frage nicht diskutiert wird, ob man im Sinne von Ernst Troeltsch nicht von einem möglichen Bruch auszugehen hat, der die Reformation vom modernen Protestantismus trennt. Der Band erweckt vielmehr den Eindruck einer Kontinuität, obwohl doch wichtige Veränderungen angedeutet werden.

Trotz dieser kleineren Kritikpunkte wird dieser Band sowohl für Historiker als auch für Theologen, die Calvin, sein Denken und seine Zeit besser verstehen möchten, unverzichtbar sein.

(Aus dem Englischen übersetzt von Roland Cvetkovski)

By Yves Krumenacker

Reported by Author

Titel:
R. Ward Holder (Ed.), John Calvin in Context. Cambridge, Cambridge University Press 2019.
Autor/in / Beteiligte Person: Krumenacker, Yves
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 316 (2023-06-01), Heft 3, S. 747-749
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2023-1168
Schlagwort:
  • JOHN Calvin in Context (Book)
  • HOLDER, R. Ward
  • CALVIN, Jean, 1509-1564
  • THEOLOGIANS
  • NONFICTION
  • Subjects: JOHN Calvin in Context (Book) HOLDER, R. Ward CALVIN, Jean, 1509-1564 THEOLOGIANS NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Université Jean Moulin - Lyon 3, Lyon,, 69007, France.
  • Full Text Word Count: 766

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