Jonathan Parry, Promised Lands. The British and the Ottoman Middle East. 2022 Princeton University Press Princeton, NJ, 978-0-691-18189-9, € 44,10
Jonathan Parry zeigt, wie britische Diplomaten, Militärs, Politiker, Reisende und Strategen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das, was wir heute als den „Nahen Osten" kennen, für sich als geopolitisch wichtige Region entdeckten und wie es Großbritannien innerhalb eines halben Jahrhunderts gelang, dort eine weitgehende geostrategische Dominanz zu erringen.
„Promised Lands" blickt auf die (zum Teil nominellen) arabischen Herrschaftsgebiete des Osmanischen Reiches. Im Vordergrund stehen Ägypten, Syrien unter ägyptischer Besatzung in den 1830er Jahren, das Libanongebirge, Jerusalem, die Gebiete des späteren Iraks sowie die Küstengebiete der arabischen Halbinsel entlang des Roten Meeres, des Indischen Ozeans und im Persischen Golf. Das Buch setzt ein mit der französischen Expedition nach Ägypten 1798 und der Antwort, die Großbritannien 1801 darauf fand – nämlich sowohl von Süden (aus Südasien) als auch von Europa Truppen nach Ägypten zu führen, um die Franzosen zu vertreiben. Die Funktion der östlichen arabischen Welt, ein Bindeglied zwischen dem Mutterland und Südasien, der wichtigsten britischen Kolonie ab dem späten 18. Jahrhundert, zu sein, war damit schon begründet. Parrys Darstellung endet im Jahr 1854, mit dem Beginn der internationalen Phase des Krimkriegs – zu einer Zeit, als Großbritannien über Ägypten und die Golfregion, die beiden zentralen Verbindungswege zwischen dem Mutterland und Indien, bereits eine unangefochtene Dominanz erlangt hatte.
Großbritannien war dann erfolgreich, wenn es sich auf die effiziente Kontrolle durch kleinere militärische Kontingente und die Kooptation lokaler Eliten beschränkte. So entstand zum Beispiel in den 1820er Jahren das bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts währende System einer britischen Zusammenarbeit mit Kleinstherrschaften auf der arabischen Seite des Golfs, den „Trucial States". In den 1850er Jahren war der Golf bereits ein „britischer See" (S. 374), der mit wenigen Schiffen kontrolliert werden konnte. Wenn britische Akteure aber mehr erreichen und eine humanitäre Schutzmacht sein wollten, wie zum Beispiel für die christlichen Nestorianer (im heutigen türkisch-irakischen Grenzgebiet), waren sie eher hilflos. Die Parallelen zu den späteren Erfolgen und Dilemmata der ebenfalls im Großen und Ganzen „benevolenten" US-amerikanischen imperialen Politik sind offensichtlich.
Parry will keine Geschichte des Nahen Ostens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schreiben, sondern eine „British story" (S. 12) der Region. Das Buch beruht auf einer beeindruckenden Fülle von britischem Archivmaterial und zeitgenössischen britischen Publikationen; zugleich aber prägt der auf britische Sichtweisen fokussierte Blick Grundanlage und Sichtweise des Buches. Man kann dem Autor zugutehalten, dass er – wie er bereits in der Einleitung ankündigt – nur britische Sichtweisen referiert, so etwa die unablässigen Hinweise in den britischen Quellen auf eine immerwährende russische Politik der „Aggression". Wiederholt übernimmt Parry dann doch britische Selbstrechtfertigungen. Nur ein Beispiel: Die Besetzung der Insel Perim in der Meerenge des Bab al-Mandab 1857 war neben der Inbesitznahme von Aden 1839 die Voraussetzung für eine vollständige britische Kontrolle des südlichen Zugangs zum Roten Meer und wird von Parry allen Ernstes mit der „simplen Tatsache, dass die letzten Menschen, die dort weilten, britische Soldaten in den Jahren 1799 und 1801 waren" (S. 322), gerechtfertigt.
Nicht ganz überzeugend ist die Anlage des Buchs. Parry wandert durch die einzelnen Schauplätze britischer Expansionspolitik, aber lässt sich dabei eher von den Ergebnissen seiner Lektüreerfahrungen als von einem klaren Erkenntnisziel leiten. Zu Beginn liest man mit einer gewissen Erleichterung, dass Parry sich von den Zwängen der seit Edward Said obligatorischen Orientalismus-Diskussion lossagt (S. 14). Ohne eine leitende theoretische Fragestellung aber bleibt die entscheidende Frage (und dies hätte die Beschränkung allein auf britische Materialien und Sichtweisen wirklich gerechtfertigt) offen, wie nun die Faktoren (1.) britisches geopolitisches Denken, (2.) das oft eigenmächtige und spontane Handeln lokaler britischer Akteure und (3.) ideologische Einstellungen in der britischen Gesellschaft, wie etwa die Deutung der Region als Geburtsstätte der ‚großen' alten Zivilisationen und Religionen, gegeneinander zu gewichten sind und ob man diese drei Faktoren auf irgendeine Weise systemisch zu fassen vermag.
Mit einem seiner letzten Sätze im Buch fasst Jonathan Parry den Erkenntnisgewinn des Buches selbst zusammen: „Die Beschäftigung mit der Region war von vielen Faktoren motiviert, von der Geopolitik über Geschichte hin zu Religion, und nahm unterschiedliche Formen an, die sich der Reduktion auf simple karikaturhafte Darstellungen und rückschauenden selbstgefälligen Attitüden widersetzen" (S. 403). Dagegen lässt sich nichts sagen, aber manches hätte man sich dann doch klarer gefasst gewünscht.
By Maurus Reinkowski
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