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Martina Heßler (Hrsg.), Technikemotionen. (Geschichte der technischen Kultur, Bd. 9.) Paderborn, Schöningh 2020.

Köster, Roman
In: Historische Zeitschrift, Jg. 316 (2023-06-01), Heft 3, S. 781-783
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Martina Heßler (Hrsg.), Technikemotionen. (Geschichte der technischen Kultur, Bd. 9.) Paderborn, Schöningh 2020 

Martina Heßler, Technikemotionen. Geschichte der technischen Kultur, Bd. 9. 2020 Ferdinand Schöningh Paderborn, 978-3-506-70345-3, € 89,–

Der hier zu besprechende Sammelband beschäftigt sich aus unterschiedlichsten Perspektiven mit den Emotionen, die Menschen im Umgang mit Technik hegen, die sich bei der Begegnung mit Technik entwickeln oder die beim Gebrauch zwischen Mensch und technischen Artefakten entstehen und den Umgang mit diesen prägen. Wie die Herausgeberin zu Beginn schreibt, geht es um die Ko-Konstruktion von Technik und Emotionen: Der Gebrauch von Technik ist durch Emotionen geprägt und bringt selbst neue Emotionen hervor. Zugleich wird Technik aber erst im Gebrauch „vollendet" und das Nutzerverhalten prägt die Technikentwicklung auf entscheidende Weise. Aus einer solchen Perspektive bekommen Technikemotionen dann tatsächlich eine ganz neue Bedeutung, die über das „Rezipieren" von Technik deutlich hinausgeht.

Solchen Fragen geht der vorliegende Band in fünf Abschnitten nach, welche die Beiträge eher ordnen, als dass sie trennscharfe Abgrenzungen markieren. Unter der Überschrift „Emotionen in Technikdiskursen" werden beispielsweise die Gefühle und Erwartungen der Befürworter der Atomkraft am Standort Stade (Christian Götter) behandelt. Christopher Neumaier vergleicht die Debatten um die schädliche Wirkung von Dieselabgasen während der 1980er Jahre in der BRD und den USA. Diese waren einerseits stark von Ungewissheit und Ängsten geprägt, während andererseits in hohem Maße mit Zahlen, Statistiken und Grenzwerten operiert wurde. Dauernd wurde versucht, eine ungewisse Lage zu „objektivieren", was aber nur dazu führte, scheinbar objektive „Fakten" auf beiden Seiten zur Begründung der eigenen Emotionen heranzuziehen.

Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit emotionalem Technikerleben, teilweise in der bloßen Ansicht von Technik (etwa im Museum) oder aber in ihrem konkreten Gebrauch. Dabei geht es beispielsweise um das Aufzugfahren in Wien (Peter Payer), das die Benutzer*innen gewissermaßen erst erlernen und emotional einhegen mussten. Alexander Gall beschreibt die kollektiven Emotionen angesichts des 1909 in München landenden Zeppelins, der als technisches Wunderwerk galt und zugleich Abenteuer und Wagemut verkörperte. Christiane Berth wiederum analysiert die Euphorie, Wut und Enttäuschung des Telefongebrauchs in Mexiko-Stadt seit den 1930er Jahren: eine technische Innovation, die Begeisterung weckte und Sicherheit – etwa bei Einbrüchen oder Notfällen – versprach. Zugleich kostete das Telefon aber viel Geld und funktionierte nur selten, was zunehmend kollektive Wut und Frustration erzeugte.

Anschließend geht es um das sehr lebensnahe Thema der „Anthropologisierung" von Technik, wenn etwa Kraftfahrzeuge als konkrete Personen behandelt werden, die schon einmal „ein Küsschen auf das Lenkrad" bekommen (Michael Geuenich). Es folgen zwei Aufsätze zum Thema „TechnikLiebe", also dem Einfluss von Technik und technischen Kommunikationswegen auf zwischenmenschliche Gefühle beispielsweise im Online-Dating (Julia Dombrowski). Schließlich behandeln die beiden abschließenden Aufsätze das Thema „Maschinenemotionen", etwa bei der Beziehungen von Menschen zu lebensechten Puppen (sogenannten RealDolls), die Martina Heßler und Jörg Sternagel analysieren.

Insgesamt handelt es sich um einen sehr spannenden Sammelband, der das Thema Emotionen und Technik aus vielfältigen Perspektiven angeht und dabei Forscher*innen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenbringt – von der Technikgeschichte über die Science and Technology Studies (STS) bis hin zur Literaturwissenschaft. Gerade diese Multidisziplinarität eröffnet immer wieder überraschende Einsichten in die emotionalen Verhältnisse zur Technik. Viele Leser*innen dürften sich hinsichtlich ihres eigenen Technikgebrauchs in den hier behandelten Beispielen wiederfinden.

Zugleich handelt es sich um ein junges Forschungsfeld, und für die Zukunft der Emotionsforschung in der Technikgeschichte bzw. den STS existiert noch ein gewisser methodischer Klärungsbedarf: So ist der Ansatz der User Concepts in der Technikgeschichte seit vielen Jahren wichtig, der Technik vor allem vom Gebrauch her denkt und ihr keine vom sie benutzenden Menschen unabhängige Funktionalität zuschreibt. Zugleich beruht dieser Technikgebrauch ganz wesentlich auf Tacit Knowledge, Routinen und Affekten. Diese haben aber immer auch eine emotionale Komponente, und es stellt sich die Frage, ab wann von genuinen Emotionen gesprochen werden kann – oder ob sich konsequenterweise nicht der gesamte Technikgebrauch als Emotionsgeschichte fassen lassen müsste.

Schließlich spricht die Herausgeberin in der Einleitung das Problem kollektiver und normierter Emotionen an: Unser Technikverhältnis ist mithin nichts Individuelles, sondern durch gesellschaftliche Verständigungsprozesse vorgeprägt. Doch bei dem „Wie" dieser Normierung bleiben noch viele Fragen offen. Technik lässt sich kaum über einen Kamm scheren, insbesondere wenn sie uns im Gebrauch zunehmend nahe kommt. Es ist etwas anderes, ob man in einer Menschenmasse ein Luftschiff am Münchener Abendhimmel betrachtet oder eine persönliche Beziehung zu seinem Smartphone entwickelt. Interessant wären insbesondere die verstärkte Behandlung solche Fälle, wo sich das individuelle Erleben von Technik gerade nicht mit gesellschaftlichen Normierungen deckt und zu Irritationen und Variationen führt.

By Roman Köster

Reported by Author

Titel:
Martina Heßler (Hrsg.), Technikemotionen. (Geschichte der technischen Kultur, Bd. 9.) Paderborn, Schöningh 2020.
Autor/in / Beteiligte Person: Köster, Roman
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 316 (2023-06-01), Heft 3, S. 781-783
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2023-1185
Schlagwort:
  • TECHNIKEMOTIONEN (Book)
  • HESSLER, Martina
  • TECHNOLOGY
  • EMOTIONS
  • NONFICTION
  • Subjects: TECHNIKEMOTIONEN (Book) HESSLER, Martina TECHNOLOGY EMOTIONS NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München,, 80539, Germany.
  • Full Text Word Count: 736

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