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H. C. Andersen som kulturelt ikon.

Felcht, Frederike
In: European Journal of Scandinavian Studies, Jg. 53 (2023-04-01), Heft 1, S. 160-162
Online academicJournal

H. C. Andersen som kulturelt ikon 

Anne Klara Bom H. C. Andersen som kulturelt ikon. Aarhus 2020.

Anne Klara Boms H. C. Andersen som kulturelt ikon setzt sich zum Ziel, H. C. Andersen als kulturelle Ikone zu untersuchen und dadurch einen neuen kulturanalytischen Zugang zu H. C. Andersen als „objekt, der selv genererer objekter" (21) zu erschließen. ,Ikone' begreift Bom dabei als ,travelling concept' im Sinne von Mieke Bal (vgl. [1]), weist aber darauf hin, dass die Inklusion des Künstlers und Verfassers in ihre Untersuchung sich von Bals Zugang unterscheidet (21).

Im Anschluss an die thematische Hinführung im ersten Kapitel nähert Bom sich im zweiten Kapitel dem Konzept Ikone über den Gebrauch des Begriffs in religiösen, semiotischen und digitalen Zusammenhängen an, geht auf Designikonen und ikonische brands ein. In der Ikone sieht Bom das Potential, Beziehungen zwischen Ausdruck und Inhalt sowie zwischen Objekten und deren Umwelt zu analysieren (47).

Im dritten Kapitel „H. C. Andersen som —" führt Bom zusätzlich ein auf Roland Barthes basierendes Mythenkonzept ein und stellt Urteile von Andersens Zeitgenossen vor, die sie mithilfe der von ihr eingeführten Ansätze kategorisiert. Dieses Kapitel schließt mit einer ausführlicheren Präsentation von Georg Brandes' 1869 in Illustreret Tidende veröffentlichtem Aufsatz „H. C. Andersen som Æventyrdigter" im gleichnamigen Unterkapitel (78–88).

Das Kapitel „H. C. Andersen som national identitetsmyte" diskutiert Mythen des 20. Jahrhunderts um H. C. Andersens Sexualität, um seine Rolle als „mønsterbryder" (in etwa: Aufsteiger, laut Den Danske Ordbog eine Person, die mit einem sozial belasteten Erbe bricht und einen anderen Weg als erwartet einschlägt) sowie als Märchen- und Kinderbuchautor und erläutert die reduktiven Funktionsweisen solcher Identitätsmythen.

Die zentralen Analysekapitel sind die beiden folgenden Kapitel, „H. C. Andersen som dansk kultur(arv)" und „H. C. Andersen som kanon". Im Kapitel „H. C. Andersen som kultur(arv)" widmet sich Bom dem in der Andersen-Forschung bereits bekannten Beispiel des Wettbewerbs um ein Andersen-Monument 1875–77, in dessen Rahmen Andersen sich gegen eine Darstellung als „Børnenes Digter" (136, zitiert nach einem online zugänglichen Brief von Andersen an Jonas Collin) verwahrte und betonte, ein Dichter für alle Altersstufen zu sein. Bom wendet sich weiteren Beispielen zu, zu denen bereits Aufsatzpublikationen von ihr vorliegen: dem Andersen-Jubiläum 2005, der ,ikon-by' Odense, der Ausstellung der Kopenhagener Statue der Kleinen Meerjungfrau auf der Expo in Shanghai 2009. Im Kapitel „H. C. Andersen som kanon" geht sie kritisch auf die nationalromantische Lesart von Andersen ein und erläutert, wie Andersen im 2004 erstmals eingeführten Kanon der dänischen Literatur zu einem verbindlichen Teil schulischen Unterrichts in Dänemark wurde und welche konkreten Formen diese Kanonisierung im Schulunterricht annehmen kann. Dabei wendet sie sich gegen reduktive, statische und nationalistische Tendenzen der institutionalisierten Andersen-Rezeption. Sie zeigt für den dänischen Kulturkanon von 2006, wie hier widersprüchliche, aber zugleich vereinfachende Andersen-Lesarten konfligieren, und legt dar, wie Andersen als Prüfungswissen in sogenannten Einwohnerrechts- oder Mitbürgerschaftsprüfungen einen exkludierenden nationalen Charakter annimmt und in Lehrmaterialien eingebettet wird, die ein essentialistisches Gesellschaftsbild vertreten. Demgegenüber zeigt sie am Beispiel von Den grimme Ælling und Grantræet, wie eine offenere Diskussion dieser Texte zu einer demokratischen Debatte beitragen könnte.

Abschließend äußert Bom sich kritisch gegenüber einer Forschungstradition, die Andersen ausschließlich in nationalen Kontexten untersucht, und weist auf neuere Forschungen hin, die dessen Aktualität und globale Bedeutung besser erklären können. Dabei berücksichtigt sie nur Aufsätze von [7], die – abgesehen von Thorsten Bøgh Thomsens Monographie Skyggepunkter – in einem von ihr mitherausgegebenen Sammelband erschienen sind. Insgesamt stützt sich die Studie auf relativ wenig Forschungsliteratur, das knapp dreizehnseitige Literaturverzeichnis umfasst zudem beinahe eine Seite mit eigenen Arbeiten.

Boms Monographie erschließt der Andersenforschung neue Untersuchungsfelder und überzeugt besonders in ihrer Kritik einer nationalistischen kulturpolitischen Vereinnahmung von Andersen, die seinem Werk keinesfalls gerecht wird. Ihre theoretischen Ansätze sind anregend. Doch sind neben diesen grundlegenden Stärken auch kritische Punkte festzuhalten. Gelegentlich wirkt der Umgang mit Begrifflichkeiten nachlässig. So bezeichnet die „tragedy of the commons" bei Garrett [3] nicht, dass alle Menschen gleichen Zugang zu gemeinschaftlichen Gütern haben sollten (19), sondern dass der freie Zugang zu Allmendegütern diese Güter aufgrund eines rücksichtslosen Gebrauchs ruiniert. Unreflektiert bleibt die theoretische Problematik, die sich damit verbindet, H. C. Andersens Intentionen untersuchen zu wollen (52f., 55). In den beiden zentralen Analysekapiteln sind Material und Methode sehr heterogen; eine klarere Begründung der Auswahl und Einordnung im Hinblick auf die Repräsentativität der Beispiele wäre wünschenswert gewesen. Stellenweise hätte mehr Forschungsliteratur berücksichtigt werden können, so benennt Bom zwar die positive frühe Rezeption von Andersen in Deutschland (75f.), belegt diese aber nicht. Boms Studie vergibt die Chance, neben der Kritik an bestimmten Lesarten (Bom kritisiert z. B. eine Lektüre von Johan de Mylius dafür, nur eine mögliche Interpretation zu präsentieren und somit eine „lukkende funktion" [227] zu haben, weil sie andere Lesarten ausschließe) auch eine Würdigung der Andersen-Forschung einzuschließen, die schon länger die Aktualität von Andersens Werk jenseits des Nationalen aufzeigt und seine Mehrdeutigkeit betont. Diese Studien setzen Andersen weniger in den von Bom angegriffenen romantischen Zusammenhang (206f.) als in Beziehung zu Modernismus und Moderne. Auch dass in Boms Studie Andersens Aktualität stellenweise nur unter Absehung von ihrem historischen Entstehungskontext zugänglich scheint (vgl. 216, 238), ist bedauerlich – denn wie Andersens Texte gerade innerhalb ihres historischen Zusammenhangs politisch (auch heute noch) Relevantes poetisch gestalten, gehört zu ihren spannendsten Eigenschaften. Aber das ist vielleicht nur ein weiteres Beispiel für die Vielfalt, die den anhaltenden Reiz von Andersens in Boms Studie zu Recht gewürdigtem Werk ausmacht.

Literatur 1 Bal, M. 2002. Travelling Concepts in the Humanities: A Rough Guide. Toronto: University of Toronto Press. 2 Felcht, F. 2013. Grenzüberschreitende Geschichten. H. C. Andersens Texte aus globaler Perspektive. Tübingen, Basel: A. Francke Verlag. 3 Hardin, G. 1968. "The Tragedy of the Commons." Science 162 (3859): 1243–8, https://doi.org/10.1126/science.162.3859.1243. 4 Jørgensen, A., und H. van der Liet, Hrsg. 2006. H. C. Andersen. Modernitet & Modernisme (= Amsterdam Contributions to Scandinavian Studies 1). Amsterdam: Scandinavisch Instituut. 5 Möller-Christensen, I. Y. 1992. Den gyldne trekant. H. C. Andersens gennembrud i Tyskland 1831-50. Odense: Odense Universitetsforlag. 6 Müller-Wille, K., Hg. 2009. Hans Christian Andersen und die Heterogenität der Moderne (= Beiträge zur Nordischen Philologie 46). Tübingen, Basel: A. Francke Verlag. 7 Thomsen, T. B. 2019. Skyggepunkter. Menneske, natur og materialitet i H. C. Andersens forfatterskab. Hellerup: Forlaget Spring. Footnotes https://ordnet.dk/ddo/ordbog?query=m%C3%B8nsterbryder (23.8.2022). https://andersen.sdu.dk/brevbase/brev.html?bid=16170 (23.8.2022). Einschlägig dazu z.B.[5]. Vgl. zur Ambivalenz und Modernität z.B.[4] und [6]. Auch zahlreiche Jahrbücher in der von Finn Barlby herausgegebenen Reihe Plys unterstreichen in ihren Andersen-Lektüren die Deutungsoffenheit der Texte. Das häufig kritische Verhältnis von Andersens Texten zu Nationalismus und Eurozentrismus arbeitet beispielsweise [2] heraus.

By Frederike Felcht

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Titel:
H. C. Andersen som kulturelt ikon.
Autor/in / Beteiligte Person: Felcht, Frederike
Link:
Zeitschrift: European Journal of Scandinavian Studies, Jg. 53 (2023-04-01), Heft 1, S. 160-162
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: academicJournal
ISSN: 2191-9399 (print)
DOI: 10.1515/ejss-2022-2028
Schlagwort:
  • CHILDREN'S literature writing
  • FAIRY tales
  • MYTH
  • NATIONALISTS
  • Subjects: CHILDREN'S literature writing FAIRY tales MYTH NATIONALISTS
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Author Affiliations: 1 = Institut für Skandinavistik, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt, Deutschland
  • Full Text Word Count: 1087

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