Keywords: Lehre; Bewertung; Zahlen; Vergleich; Digitalisierung
Anne-K. Krüger, Soziologie des Wertens und Bewertens. Bielefeld : Transcript 2022. 200 S., kt., 20,00 €
Anne K. Krüger, Forschungsgruppenleiterin am Weizenbaum Institut in Berlin und in den letzten Jahren eine der prägendsten Repräsentant:innen einer neuen Generation der deutschsprachigen Wissenschafts- und Technikforschung, hat sich mit dem vorliegenden Lehrbuch der verdienstvollen und gleichermaßen herausfordernden Aufgabe angenommen, das noch vergleichsweise junge und überaus dynamische Forschungsfeld der „Soziologie des Wertens und Bewertens" zu kartieren und für ein Lehrbuch aufzubereiten. Die Schwierigkeit eines solchen Überblicks liegt speziell auch darin begründet, wie die Autorin schon im Vorwort deutlich macht, dass die Soziologie des Wertens und Bewertens als transdisziplinäres Unterfangen zu verstehen ist, das sich verschiedenen Bezugsfächern bedient, wie z. B. der Anthropologie, der Geschichtswissenschaft oder auch der Philosophie (S. 7). Und auch wenn man nur soziologische Arbeiten berücksichtigt, sind einschlägig relevante Texte breit verstreut und vielen verschiedenen Schulen sowie Fachdiskursen zuordenbar (S. 13–14). Daher bietet sich ein Lehrbuch zum Thema Soziologe des Wertens und der Bewertung mindestens in dreifacher Hinsicht an: Einerseits, da relevante Texte durch ihre Verstreuung (insb. für Neulinge) schwer zu finden sind; andererseits, da das Feld dynamisch ist und kontinuierlich neue Texte veröffentlicht werden; und ferner, da es sich um ein gesellschaftlich zunehmend relevantes Forschungsfeld handelt, nicht zuletzt, weil Praktiken des Wertens und Bewertens, wie die Autorin im fünften Kapitel des Buchs sehr schön aufzeigt, mit der zunehmenden digitalen Durchdringung der Gesellschaft stetig wichtiger werden.
Die Autorin verfolgt mit dem Buch das Ziel, „überblicksartig, aber dennoch mit theoretischer Tiefenschärfe Ansatzpunkte herauszuarbeiten, aus welchen Perspektiven man sich Prozessen und Praktiken des Wertens und Bewertens sowohl empirisch als auch theoretisch nähern kann" (S. 8). Dieses Anliegen setzt sie mit Hilfe von acht Kapiteln (inkl. Einleitung und Schluss) um, in denen sie sich den Phänomenen und Praktiken der Kategorisierung und Klassifizierung (Kap. II), des Quantifizierens und Vergleichens (Kap. III), der Ratings und Rankings (Kap. IV), der Digitalisierung und (Be-)Wertung (Kap. V), des Valuierens und Inwertsetzens (Kap. VI) sowie der Wertordnungen und Heterarchien (Kap. VII) widmet.
In der Einleitung beschreibt Krüger gut nachvollziehbar die (kurze) Geschichte des Forschungsfeldes von der Soziologie des Wertens und der Bewertung, die mit dem Aufsatz „Toward a Comparative Sociology of Valuation and Evaluation" von Michèle [
Gerade die Auswahl der Themen der Kapitel II bis Kapitel V sind nicht nur inhaltlich überaus angebracht, rekurrieren sie doch auf die elementaren Konstituenten von Praktiken des (Be-)Wertens, da ohne Kategorisierungen, Quantifizierungen und (hierarchisierende) Vergleiche eine (Be-)Wertung schlicht nicht zu haben ist. Diese Auswahl repräsentiert zudem den wissenschafts- und techniksoziologischen bzw. Science and Technology Studies (STS)-Hintergrund von Anne K. Krüger. Und da die genannten basalen Elemente von (Be-)Wertungspraktiken aus meiner Sicht zwingend zu einer (einführenden) Vorstellung einer Soziologe des Wertens und Bewertens gehören und im vorliegenden Buch richtigerweise prominent behandelt werden, hätte der Verlag wohl kaum eine bessere Kandidatin finden können, dieses Buch zu schreiben. Ihr fachlicher Hintergrund zeigt sich auch deshalb als vorteilhaft, da im Buch immer wieder die wichtige Rolle von (technischen) Infrastrukturen und materialen Artefakten im Sinne von Co-Produzenten von (Be-)Wertungspraktiken expliziert wird. Dies ist aus meiner Sicht genau die richtige Herangehensweise, um theoretische wie empirische Anknüpfungspunkte von (Be-)Wertungspraktiken zu veranschaulichen. Gleichzeitig sind solche Praktiken nur dann tiefenscharf zu analysieren, wenn auch die dahinter stehenden technischen und wissenschaftlichen Prozesse reflektiert werden. Dies gilt aber freilich nur dann, wenn diese Prozesse auch als genuin gesellschaftliche Prozesse begriffen werden, an deren Ende nicht per se neutrale und objektive Bewertungen stehen, sondern politisch und gesellschaftlich bedingte Entscheidungs-, Selektions- und Aushandlungsprozesse als Beeinflussungsfaktoren für die Bewertungsergebnisse und deren Darstellungen analysiert werden. Es gelingt der Autorin außerordentlich gut, immer wieder auf diese soziale Gemachtheit von Bewertungsprozessen aufmerksam zu machen und insbesondere die Kontingenz der technischen und wissenschaftlichen Prozesse hinter den (Be-)Wertungen zu verdeutlichen. Dies halte ich gerade für Neulinge auf dem Gebiet für eine eminent wichtige Erkenntnis, die gar nicht oft genug betont werden kann.
Diese soziale Gemachtheit von (Be-)Wertungsprozessen wird auch an mehreren Stellen und unter Rückgriff auf empirischen Studien anderer Autor:innen plastisch und verständlich gemacht. So wird z. B. Bezug genommen auf die Studie von Raf [
Die Darstellung der fehlenden empirischen Details von Studien zu gesellschaftlichen Bewertungspraktiken hätte die Autorin beispielsweise treffend verbinden können mit einer (partiellen) Vorstellung der Studien, die in den zu Beginn erwähnten, einschlägigen Sammelwerken zur Soziologie des Wertens und Bewertens präsentiert werden. Diese Studien kommen in dem Buch allerdings leider nicht vor. Was ebenfalls fehlt, ist eine definitorische Annäherung an das Thema des Buchs. Zwar spricht sich Krüger explizit gegen die Vorstellung einer Definition von (Be-)Wertung aus und begründet dies mit der anhaltenden Diskussion, ob es leider eine Unterscheidung von Bewertung und Wertung braucht und das dies abschließend nicht entschieden werden kann (S. 15). Krüger entscheidet sich dann zwar selbst für eine Unterscheidung beider Begriffe, mit Rückgriff auf die Differenzierung „prizing" und „appraisal" von John Dewey (S. 15) – eine eigene, hinreichend offene und trennscharfe Definition von Praktiken des Wertens und Bewertens schlägt sie aber nicht vor, was ich indes für ein Lehrbuch als sehr sinnvoll erachtet hätte.
Nichtsdestotrotz ist das Buch von Krüger, für ein Lehrbuch freilich unverzichtbar, sehr gut und flüssig zu lesen. Auch sind, zumindest zum größten Teil, die Kapitelübergänge vorbildlich gestaltet, so dass der inhaltliche Zusammenhang zwischen den behandelten (Kapitel-)Themen stets präsent ist. Nur in den letzten beiden inhaltlichen Kapitel (Kap VI und VII) vermisst man am Ende der vorherigen Kapitel eine Überleitung zum Folgekapitel. Dies wiegt umso schwerer, als dass beide genannten Kapitel ohne Einleitung auskommen und jeweils recht spät das behandelte Thema explizit benannt wird (auf S. 141 für Kap. VI und auf S. 170 für Kap. VII). Dies überrascht vor allem deshalb, da die Themen in diesen Kapiteln von abstrakterer Natur als die vorab thematisierten Inhalte sind und der genuine Zusammenhang mit Praktiken des (Be-)Wertens und der bereits vorgestellten Literatur nicht unmittelbar ersichtlich ist.
Alles in allem ist Anne K. Krüger mit diesem Buch eine außerordentlich gute, überaus aktuelle und sehr gut zu lesende Einführung in die noch junge Bindestrichsoziologie vom Werten und Bewerten gelungen, die sich insbesondere für die Hochschullehre eignet, aber auch für erfahrenere Wissenschaftler:innen von Wert sein dürfte, da sich viele einschlägige Literaturtipps aus dem Buch entführen lassen.
By Simon Egbert
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