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Weisheit und Wissenstransfer. Beiträge zur Bildungsgeschichte der Pfalz.

von Lehsten, Lupold
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 86 (2022), S. 437-440
Online review

Weisheit und Wissenstransfer. Beiträge zur Bildungsgeschichte der Pfalz  ULRICH A. WIEN, ANGELO VAN GORP (Hg.): Weisheit und Wissenstransfer. Beiträge zur Bildungsgeschichte der Pfalz (Forschungen zur Pfälzischen Landesgeschichte 1), Upstadt-Weiher: verlag regionalkultur 2018, XXII + 314 S. ISBN: 978-3-95505-111-2.

Mit dem vorgelegten Band 1 der Reihe �€�Forschungen zur Pfälzischen Landesgeschichte' bekundet der Historische Verein der Pfalz seine Absicht, die jährlichen Forschungstagungen zu dokumentie ren. Ein Arbeitskreis berät die Desiderata und die Konzeption der Tagungen, und für den Auftakt der Reihe ist die zehnte Fachtagung �€�Bildungsgeschichte der Pfalz', die am 24./25. November 2017 (in der Einleitung des Bandes wird versehentlich der 25./26. November als Tagungszeit genannt) auf dem Universitäts-Campus in Landau stattfand, durchaus geeignet. Historische Bildungsforschung tut in Anbetracht einer immer radikaler voranschreitenden Reduktion der kulturellen Bildung durchaus not. Und die in dem Band gesammelten Beiträge zum Tagungsthema �€�Bildungsgeschichte der Pfalz' zeigen ein weites Spektrum dessen, was es zu erforschen und zu bewahren gibt: Von den mittelalterlichen Kontakten zwischen Judentum und Christenheit im pfälzisch-rheinischen Raum über die Bildungsinstitutionen Universitäten, Akademien, Gesellschaften, Schulen zu speziellen Milieus der konfessionellen Bildung und der Arbeiterbildung bis hin zu aktuellen medialen Bildungsformaten des örtlichen Rundfunks und Fernsehens. Die Pfalz war dabei keine Insel, sondern eher im Schnittpunkt von Einfl üssen kultureller Schwerpunktregionen, u.a. Frankreichs. Daher gehen alle Beiträge von einem die regionalen Grenzen überschreitenden Horizont aus und bieten großenteils durchaus für ihr Thema auf die Regionalgeschichte bezogene exemplarische, für die Forschung gehaltvolle Darstellungen.

Allerdings hätte man sich in Anbetracht des Themas eine konsequentere Redaktion gewünscht. Diese hätte insbesondere in dem einleitenden Beitrag von Angelo VAN GORP (S. XIII -- XXI), der die �€�Bildungsgeschichtsschreibung' insgesamt und in der Pfalz im Besonderen auffächert, noch manches glätten können. Van Gorp bettet die Forschungen in den Interdisziplinarität fordernden Prozess �€�Internationalization and Education' der ISCHE (�€�International Standing Conference for the History of Education') in Genf ein, verengt damit allerdings de facto die Erforschung der Bildung auf die Erforschung der Pädagogisierung. Für die Frage der Pädagogisierung bietet der Band deutlich mehr Beiträge als zur Frage, welche Inhalte die Bildung in den verschiedenen Jahrhunderten eigentlich ausgemacht haben. Und der Band schließt mit einem Beitrag von Sylvia SEMMET zur �€�Geschichtsdidaktik in und aus der Region' (S. 293-297), in dem sie u.a. Hans Heumanns Einfl uss auf die Inhalte des Geschichtsunterrichts herausstreicht: Erziehung zum �€�mündigen Bürger', im Geschichtsunterricht speziell "weg von der Stoffvermittlung hin zur Problemorientierung".

Die hoch- und spätmittelalterliche Bildung wird in dem Band entsprechend der Quellen- und Forschungslage �€�nur' durch zwei Beiträge zu bemerkenswerten Themen angerissen: Johannes HEIL gibt einen souveränen Überblick über die kulturellen Kontakte zwischen Juden und Christen im Mittelalter (S. 1-12) und Jan-Dirk MÜLLER führt in die Zeit der frühen Blüte der Gelehrsamkeit und des Humanismus in der Pfalz am Beispiel der �€�Sodalitas litteraria Rhenana' des Konrad Celtis ein (S. 13-27). Johannes Heil stellt Felder des Austauschs jenseits des bisher relativ gut untersuchten akademischen Disputs vor: in der Architektur, im Recht und Sakralrecht, in der religiösen Dichtung und in der Literatur. Konrad Celtis steht für Jan-Dirk Müller als Repräsentant für die gelehrte Elite vor 1500. Die als ,Protoakademie' geltende ,Sodalitas' war allerdings keine fest umrissene Institution, sondern -- wie man heute sagt -- ein Netzwerk, eine frühe Blüte des Humanismus. Müller hebt allerdings selbst resümierend hervor, dass die Entwicklung des Schulwesens im Zuge der Reformation für die Pfalz weit mehr Einfl uss hatte als die kurzfristige Gelehrtengesellschaft.

Eike WOLGAST fasst einleitend seine umfassenden Forschungen und Beiträge zur Geschichte der Heidelberger Universität zusammen, um dann über den langen Zeitraum bis zum 18. Jahrhundert die Rolle als Landesuniversität der Pfälzer herauszustellen (S. 29-42). Dabei untersucht er vornehmlich anhand der Matrikeln die Frequenz der Universitätsbesuche. Ebenso souverän stellt Wilhelm KREUTZ die beiden akademischen Einrichtungen der Pfalz vor 1800 vor: Die �€�Kurpfälzische Akademie der Wissenschaften' in Mannheim [1763-1803] und die �€�Kameral-Hohe-Schule' in Kaiserslautern (S. 43-56). Das Verhältnis von historischer Klasse zu naturwissenschaftlicher Klasse stellt sich in der Rückschau durchaus als ausgewogener dar, als die Forschung bisher wahrgenommen hat. Gelehrte wie Collini, Schöpfl in, Stengel, Lamey, Häffelin, Günther, Crollius, Maillot, Vonck, Flad, Necker oder Friedrich Casimir Medicus bewirkten mit ihren Publikationen teils ein überregionales Ansehen der Akademie, konnten aber die Überführung in die Münchner Akademie 1803 nicht verhindern. Im Gegensatz zur Gründung der Mannheimer Akademie auf höchstem Niveau war die Keimzelle der �€�Kameral-Hohen-Schule' in Kaiserslautern die �€�Physikalisch-Ökonomische und Bienengesellschaft zu Lautern'. Ziel des Gründers Johann Riem war das Heben der Allgemeinbildung der gesamten Bevölkerung. Die Ausrichtung auf die Hebung des Lebensstandards und das Wohl des gemeinen Mannes war für die Bildungsgeschichte der Pfalz eher anzutreffen. Hier folgte auf Riem als Leiter und eigentlichen Gründer Friedrich Casimir Medicus (nicht Johann Casimir Medicus, wie es S. 52 versehentlich heißt). Bekannte Lehrer waren Succow, Jung-Stilling und Friedrich Carl Moser. Die Heidelberger Fortsetzung 1784 als �€�Staatswirtschaftliche Hohe Schule' behandelt Kreutz jedoch nicht mehr. Ähnlich wie die Lauterner Bienengesellschaft entstanden in den Städten der Pfalz ,Lesegesellschaften', von denen Jürgen VORDERSTEMANN diejenigen des 18. Jahrhunderts in Zweibrücken, Speyer, Grünstadt-Frankenthal, Landau und Neustadt näher vorstellt (S. 81-96). Im 19. Jahrhundert folgten noch weitere Gesellschaften (auch als Casino oder Lehrer-Lesegesellschaft), die aber noch einer Untersuchung harren. Der Beitrag von Reinhart SIEGERT über die �€�Volksaufklärung in der Pfalz und angrenzenden Gebieten' stellt diese wichtige bildungsgeschichtliche Strömung in den größeren Forschungszusammenhang und erläutert die Entwicklung anhand einer prägnanten Auswahl zeitgenössischer, einschlägiger Publikationen sowie biographischer Notizen ihrer Verfasser (S. 57-80). Allerdings konstatiert Siegert für die Pfalz, dass die Volksaufklärung hier erst mit der französischen Besetzung Ende des 18. Jahrhunderts einsetzt. Hier fehlten die anderswo bekannten Pfarrer, und auch ein nennenswerter Einfl uss der Mennoniten ist vor Ort nicht wirklich nachweisbar. Auch die Verwaltungsfachleute der Physikalisch-Ökonomischen Gesellschaft konnten die Bauern und Untertanen mit ihren halbherzigen Versuchen nicht überzeugen und für Reformen gewinnen.

Diese ergaben sich erst Ende des 18. und vor allem im 19. Jahrhundert. Daher untersucht Karsten RUPPERT für den vorliegenden Band das ,Schulwesen in der wittelsbachischen Pfalz 1816-1918' (S. 97-124), Rainer SCHLUNDT die ,Realität der nordpfälzischen Volksschullehrer 1765-1936' (S. 139-148). Schlundt konnte dafür die Protokollbücher des Bezirkslehrervereins Obermoschel-Rockenhausen auswerten, die im Nordpfälzer Heimatmuseum Rockenhausen überliefert sind. Die Protokolle spiegeln auch das weitere gesellschaftliche Leben, insbesondere die jährlichen Familienkränzchen der Kollegen oder wenn einer der ihren einen Orden anlässlich des Dienstjubiläums erhielt. Ruppert hingegen beschreibt detailliert das sich auffächernde Bildungsangebot: die Volksschule im Besonderen, die Lateinschulen, Gymnasien, Pro- und Realgymnasien, die nun entstehenden Gewerbeschulen, Realschulen und Einrichtungen der Mädchenbildung. Diese speziell war konfessionell geprägt. Und in der Pfalz blieb die Bildung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein konfessionell geprägt und dominiert. Daher schildert Klaus BÜMLEIN die �€�Bildung im evangelischen Milieu des 19. Jahrhunderts' (S. 125-137) und Thomas FANDEL die �€�Bildung im katholischen Milieu der Pfalz des 20. Jahrhunderts' (S. 183-199). Georg Gottfried GERNER-WOLFHARD weist mit seinen beiden biographischen Skizzen der "Leitenden Geistlichen", Kirchenpräsident Theo Schaller und Landesbischof Hans-Wolfgang Heidland, ebenfalls den bedeutenden Einfl uss der Kirche und der Konfessionen auf den Entwicklungsgang der Bildung in der Pfalz nach (S. 201-217). Dieser Einfl uss wurde erst zum Ende des 20. Jahrhunderts tatsächlich von säkularen Strömungen abgelöst. Hierfür liefern direkt Andreas LINSEMANN mit der �€�französischen Bildungspolitik nach dem II. Weltkrieg' (S. 267-276) wie auch Wolfgang GUSHURST und Wilm HÜFFER mit den �€�Bildungskonzepten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (SWF/ SWR)' (S. 283-291) prägnante Hinweise sowie indirekt Joachim KREITER (†) mit seinem persönlichen Erfahrungsbericht über das ,Stipendium Bernardinum' in Utrecht, welches 1761 Daniel Bernard für pfälzische und ungarische Theologen eingesetzt hatte und welches bis zum Jahr 2005 an mehr als 1.250 pfälzische Theologiestudenten vergeben wurde (S. 277-282).

Die �€�Arbeiterbildung in der Pfalz' streift Klaus J. BECKER in seinem Beitrag lediglich mit wenigen Hinweisen vor dem Hintergrund einer allgemeinen Geschichte der Parteien der Arbeiterklasse (S. 149-156). Den Nachweis von Einzeluntersuchungen in Fußnoten ergänzt er um den Hinweis auf sein Depositum im Stadtarchiv Ludwigshafen. Stets an den pfälzischen Verhältnissen orientiert bietet Martin ARMGART eine Einführung in die �€�Lehrer- und Lehrerinnenbildung in der Pfalz 1919-1990' (S. 157-182). Die Satellitenposition der Pfalz zum Land Bayern hemmte zwar die Entwicklung in der Weimarer Republik, und auch die Lehrerinnenbildung durch die Frauenorden, etwa die Dominikanerinnen von St. Magdalena in Speyer, wurde bis Mitte der 1930er Jahre durch den Gauleiter der Pfalz (der katholische Volksschullehrer Josef Bürckel), den bayerischen Innenminister (der Volkschullehrer Hans Schemm) und den Gauleiter Moselland (der Handelsschullehrer Gustav Simon) unterbunden. Allerdings verhinderten die Kompetenzstreitigkeiten der NS-Funktionäre und staatlicher Stellen die Etablierung von neuen Ausbildungszentren im Sinne der nationalsozialistischen Schulpolitik, wie der Beitrag von Hannes ZIEGLER über die nationalsozialistische Schulpolitik im Gau Rheinpfalz eindrücklich unterstreicht (S. 219-233). Martin Armgart zeigt weiter auf, wie die konfessionelle Lehrerbildung in der Pfalz nach 1945 wieder zum Zuge kam. Volksentscheide entschieden knapp über die Verfassung und die erneute Konfessionalisierung der Lehrerbildungsanstalten und ihrer Internate. 1960 wurden die Pädagogischen Akademien zu Pädagogischen Hochschulen, aber auch der dislozierten �€�Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Rheinland-Pfalz' war seit 1970 kein Erfolg beschieden. Bis fast in die Gegenwart behandelt Armgart den Wandel der EWH in die Universität Koblenz-Landau, die gegenwärtig erneut einer gravierenden Transformation unterzogen wird.

Ein Beitrag des zweiten Teiles des Buches, der Darstellungen der Bildungsinstitutionen in der Pfalz im 19. und 20. Jahrhundert, schließt thematisch gewissermaßen noch an den ersten Teil, die Universitäten, Akademien, Lesegesellschaften der Frühen Neuzeit, an: Armin SCHLECHTER steuert eine vorzüglich aus den Quellen geschöpfte Geschichte der �€�Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften von ihrer Gründung [25.10.1925] bis zum Jahr 1955' bei, die umso wertvoller ist, als die Akten der Gesellschaft nach 1945 offenbar vernichtet wurden (S. 235-265). Gegründet wurde die Gesellschaft vor dem Hintergrund der französischen Besetzung der Pfalz. Nach einem bemerkenswerten Aufschwung in den ersten Jahren nach der Gründung folgten magerere Jahre und eine radikale Gleichschaltung und Integration in die Westmarkforschung nach 1933 unter Hermann Emrich und Gaukulturwart Kurt Kölsch. Der Volkskundler Ernst Christmann hatte ab 1925 sein ,Pfälzisches Wörterbuch' begonnen und brachte seine Arbeit mit hohem Engagement und ebensolchen Erwartungen in die NS-Kulturpolitik ein. Die historische Abteilung leitete kurzzeitig Kurt von Raumer. Wiederbegründet wurde die Gesellschaft von dem Staatsarchivar Albert Pfeiffer und weiteren pfälzischen Behördenleitern unter dem erneuten Vorsitz des 1933 aus dem Amt gedrängten Friedrich von Bassermann-Jordan. Armin Schlechter erarbeitet mit hohem Detailreichtum aus den Akten, wie die einzelnen Protagonisten erneut zusammenfanden, um die Gesellschaft mit ihrem identitätsstiftenden Wirken da fortzusetzen, wo sie 1933 satzungswidrig gleichgeschaltet worden war. Erst 1954 wurde allerdings der Leiter des Historischen Museums der Pfalz, Karl Schultz, Christmanns Nachfolger als Generalsekretär und Schriftleiter der �€�Pfälzischen Heimat'. Spätestens damit wurde unter die �€�völkische Zeit' ein Schlussstrich gezogen.

Schlechters Beitrag im Besonderen, jedoch der Band zur historischen Bildungsforschung insgesamt zeigt mit den meisten Beiträgen eindrucksvoll, dass diese immer zugleich Personengeschichte ist. Bildung wird durch Personen an Personen vermittelt. Neben der Herkunft bestimmt die Bildung, die der junge Mensch erfahren kann, in besonderer Weise die Möglichkeiten der Lebenswege. Ihr kommt auch heute eine Schlüsselfunktion in Leistungen und Angeboten der Öffentlichkeit zu. Dafür bietet der Band viele überzeugende Beispiele, die in einem vorzüglichen Ortsregister (S. 299-304) und einem Personenregister (S. 305-314) erschlossen werden.

By Lupold von Lehsten, Bensheim

Titel:
Weisheit und Wissenstransfer. Beiträge zur Bildungsgeschichte der Pfalz.
Autor/in / Beteiligte Person: von Lehsten, Lupold
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 86 (2022), S. 437-440
Veröffentlichung: 2022
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • WEISHEIT und Wissenstransfer. Beitrage zur Bildungsgeschichte der Pfalz (Book)
  • WIEN, Ulrich A.
  • VAN Gorp, Angelo
  • KNOWLEDGE transfer
  • NONFICTION
  • Subjects: WEISHEIT und Wissenstransfer. Beitrage zur Bildungsgeschichte der Pfalz (Book) WIEN, Ulrich A. VAN Gorp, Angelo KNOWLEDGE transfer NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: wisdom and knowledge transfer. Contributions to the educational history of the Palatinate.
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 1813

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