Zum Hauptinhalt springen

H+P-Manager Tobias Humpert über Anwendungsgebiete von KI: "Generative KI wird Content Creation und Produktentwicklung prägen".

Freutel, Aziza
In: TextilWirtschaft Online, 2023-08-16, S. 1-1
Online serialPeriodical

Business H+P-Manager Tobias Humpert über Anwendungsgebiete von KI: "Generative KI wird Content Creation und Produktentwicklung prägen" 

Wo wird der Einfluss von KI in der Modebranche essenziell? Tobias Humpert, geschäftsführender Gesellschafter bei Hachmeister+Partner, über Datenqualität und Emotionale Intelligenz.

TextilWirtschaft: Wie weit ist der Einsatz von KI in der Modebranche?

Tobias Humpert: Grob vereinfacht lassen sich die aktuellen KI-Anwendungen in drei Generationen unterteilen. In der ersten Generation geht es darum, vom Menschen definierte statistische Regeln und starre Algorithmen auf große Datenmengen anzuwenden, um den Anwender effizient bei Entscheidungen zu unterstützen oder diese zu optimieren. Viele Unternehmen setzen bereits heute Lösungen ein, die sich in diesem Stadium befinden und als KI beworben werden. Nun kann man darüber fachsimpeln, ob der Begriff der KI gerechtfertigt ist, aber solange auch diese Lösungen bereits einen Mehrwert bringen, ist das nachrangig. In den letzten Jahren kamen dann vor allem im Merchandise Management zunehmend Anwendungen der zweiten Stufe hinzu, die so programmiert sind, dass die zugrunde liegenden Entscheidungsmodelle sich bei einer ausreichenden Datengrundlage an die jeweiligen Situationen anpassen und sich somit selbst optimieren können. Die Entscheidungsmodelle lernen also dazu und das Ergebnis wird immer besser. Hier sind auch unsere Machine Learning basierten Tools einzuordnen. Diese selbstlernenden Lösungen werden in den nächsten Jahren die Lösungen der ersten Generation immer weiter abhängen. Auch wenn sie selbstlernend sind, ist ihr Output (z.B. ein Ordervorschlag) aber noch eine reine Replikation und noch nichts neu Erschaffenes.

Und das ändert sich in der dritten Generation?

In der dritten Generation, die oft auch als ,,generative KI" bezeichnet wird, schafft die Maschine hingegen gänzliche neue und einzigartige Inhalte, was wir alle nun von ChatGPT kennen. Dies kann z.B. ein komplett von der Maschine designtes Produkt sein, welches auf eigenen Abverkaufsdaten und externen Wettbewerbs- und Trendinformationen basiert. Abgesehen von relativ isolierten Anwendungen wie Service Chatbots oder Produktbeschreibungen ist die generative KI aber noch weitgehend im Pilotstadium. Zur Anwendung auf Kernprozesse im Unternehmen müssen diese Lösungen auch erstmal sinnvoll mit bestehenden Systemen interagieren. Bis dahin ist noch viel Potenzial über traditionelle KI Lösungen der zweiten Generation zu realisieren.

In welchen Bereichen spielt KI heute schon eine große Rolle in der Modebranche?

Viele Händler und Hersteller beschäftigen sich aktuell mit dem Einsatz von KI-Tools vor allem in warenbezogenen Prozessen. Dabei wird im In-Season-Management gestartet, um z.B. die Soll-Bestände von Nachorder-Artikeln automatisiert anzupassen oder die Preissetzung zu optimieren. Diese Prozesse sind bereits gut automatisierbar, weshalb wir dafür auch Standard-Lösungen anbieten. Um bei der Nachorder nicht nur auf NOS-Artikel angewiesen zu sein, ist unser nächster Schritt die innersaisonale Prognose von Bestsellern oder auch Artikelmerkmalen, die den zukünftigen Bestseller ausmachen werden. Wenn das früh in der Saison geschieht und die Zusammenarbeit von Industrie und Handel dieses vorsieht, besteht ein hohes Potenzial hier noch zu reagieren. Hierzu befinden wir uns aktuell in einem wichtigen Forschungsprojekt, das durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird.

Diese Anwendungen setzen vor allem in der Saison an, wenn bereits der Großteil der Warenmengen disponiert ist. Kann die KI auch helfen, bereits früher bessere Entscheidungen zu treffen?

Absolut. Aufgrund des längeren Prognosehorizonts und der höheren Notwendigkeit externe Trends einzubeziehen, glauben wir dort mittelfristig zwar nicht an eine volle Automatisierung, sehen aber bereits jetzt spannende Möglichkeiten einer KI-basierten Unterstützung von Planung und Order. Hier geht es beispielsweise darum, aus langen Daten-Kohorten strukturelle Vorschläge in der Planung zu machen oder sub-optimale Größenkurven in der Order zu überschreiben. Letztlich werden aber die unternehmenseigenen Daten allein nicht ausreichend sein, denn die KI lernt dann nur aus dem, was gekauft werden konnte, nicht aber, was vielleicht im Angebot gefehlt hätte. Sie kann dann zwar Anteile besser gewichten, bleibt aber weit hinter dem zurück, was möglich ist, wenn auch Marktdaten und Trenddaten berücksichtigt würden.

Einige dieser Anwendungsfälle betreffen auch die die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel. Inwieweit sind dort Veränderungen notwendig?

Im mehrstufigen Geschäftsmodell wird das volle Potenzial erst entfacht, wenn Industrie und Handel ihre Zusammenarbeit entsprechend anpassen. Was nutzt dem Händler die beste KI-basierte Nachorderempfehlung, wenn auf Industrieseite keine dazu passenden Artikel verfügbar sind? Was nutzt dem Hersteller die beste Prognose eines zukünftigen Bestsellers, wenn er ihn nicht schnell genug auf die Fläche beim Handelspartner bekommt? Beide Seiten müssen also eine Einigung finden, wer eigentlich was prognostizieren oder automatisieren soll und wer welche Freiheitsgrade braucht, um Handlungsempfehlungen dann auch zu exekutieren. Wir beobachten gerade, dass dieser schon so lang diskutierte Veränderungsbedarf im Rahmen der Einführung von KI-Lösungen deutlich an Fahrt gewinnt.

Um die Prognosen und Empfehlungen auf das Niveau zu bringen, das wir tatsächlich brauchen, werden die Algorithmen große Daten-Kohorten von beiden Seiten benötigen, die in einem harmonisierten Datenpool zusammengefasst werden. Hierbei können und wollen wir bei H+P eine entscheidende Rolle spielen.

Mit welchem Investitionsvolumen muss ein mittelständisches Unternehmen rechnen?

Im Mittelstand beginnen die laufenden Kosten für entsprechende Anwendungen im niedrigen fünfstelligen Bereich. Bei komplexeren Anwendungsfällen und einem höheren Individualisierungsbedarf kann es aber auch ein Vielfaches davon werden. Weitere Kostentreiber sind die Schnittstellen-Aufwände, ggf. Kosten für die Aufbereitung und Bereinigung eigener Daten, zusätzliche externe Daten und i.d.R. auch Cloud Kosten, auf die nahezu alle im Markt befindlichen Lösungen angewiesen sind, um entsprechend skalierbar zu sein.

Wo sehen Sie weitere mögliche Anwendungsgebiete für KI im Modehandel?

Mittelfristig werden alle Prozesse von KI beeinflusst, die sich oft wiederholen, zu denen entsprechende Datenkohorten verfügbar sind und bei denen die Qualität des Outputs gut messbar gemacht werden kann. Neben den bereits genannten Merchandise Management Prozessen sind das beispielsweise Prozesse im Supply Chain Management, Customer Care, der Buchhaltung, der Personaleinsatzplanung und natürlich in der kundenindividuellen Automatisierung von CRM und sonstigen Marketingmaßnahmen. Darüber hinaus wird die generative KI die Content Creation und die Produktentwicklung prägen. Manche dieser Prozesse werden automatisiert, in vielen Fällen wird es aber ein Zusammenspiel von KI und Nutzer sein. Unternehmen müssen sich also damit auseinandersetzen, wie sie Vertrauen für dieses Thema aufbauen können.

Größtes Problem gerade für den stationären Modehandel ist der Personalmangel, inwiefern kann KI da unterstützen?

Durchaus, hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. So kann z.B. in der Optimierung der Nachordermengen 90% der Zeit eingespart werden. Zum Start werden die maschinellen Vorschläge noch intensiv überprüft, aber nachdem man dann feststellt, dass die meisten Vorschläge sehr gut passen, kümmert man sich nur noch um Ausnahmen. In vielen anderen Prozessen des Merchandise Managements wird es aber stärker darum gehen, den Output zu verbessern. Darüber hinaus kann KI angewendet werden, um die Personaleinsatzplanung zu optimieren, um z.B. Teamkonstellationen zu finden, die effizienter zusammenarbeiten als andere.

Wird KI auch im direkten Kundenkontakt eine Rolle spielen?

Auch dort sehen wir echte Chancen, zumindest in den Unternehmen, die sich auch mit der Digitalisierung im direkten Kundenkontakt auseinandersetzen. Dort bekommt das Verkaufspersonal zunehmend die Aufgabe, kundenindividuelle Vorschläge vorzubereiten, die dann im persönlichen Gespräch oder auch auf digitalem Weg unterbreitet werden. Zwar wird es noch lange dauern, bis der Algorithmus treffsicher den besseren Styling Vorschlag macht, aber schon heute kann die KI diese Grundidee effizienter machen. Sie kann einen einmal zusammengestellten Styling-Vorschlag automatisch weiteren Kund*innen vorschlagen, zu denen der erstellte Vorschlag passt oder den Vorschlag anhand von verfügbaren Beständen adjustiert. Wenn es also darum geht, den viel diskutierten Wandel der Verkäuferrolle umzusetzen, wird der Effizienzvorteil intelligenter Algorithmen sogar zur Voraussetzung, um dieses Modell skalierbarer zu machen.

Inwiefern - also in Zahlen ausgedrückt - kann gerade auch der Modehandel von KI-Tools profitieren?

Eine entscheidende und eigentlich auch ganz einfach klingende Frage, deren seriöse Beantwortung gar nicht so trivial ist. In den letzten Jahren waren alle Pilotierungen entweder von Krisen überlagert oder mindestens die Trainingsdaten und Vorjahresvergleiche waren das. Daher hing viel davon ab, wann pilotiert wurde und ob bzw. wie ein Vergleichskreis gebildet wurde. So gibt es durchaus Beispiele aus der Anwendung auf warenbezogene Prozesse, in denen Umsatz und LUG des Pilotbereichs nahezu verdoppelt wurden, während Vergleichsbereiche etwa auf Vorjahresniveau lagen. Aber wenn dieser Warenbereich an vergleichbaren Standorten und mit vergleichbarem Warenmix eben auch im Markt deutlich stärker war, relativeren sich diese Entwicklungen. Daher ist eine saubere Messung für die Vielzahl der Unternehmen allein gar nicht möglich, da nur wenige überhaupt über eine ausreichende Anzahl vergleichbarer Filialen verfügen.

Wie kann man sich zumindest annähern?

Über die Bildung von Vergleichskreisen in unserem Panel kommen wir der Frage dann schon sehr viel näher. Bei sauberem Aufbau der Vergleichskreise sehen wir durch den Einsatz unserer KI-Tools aktuell Umsatzsteigerungen, die i.d.R. mehr als 10 Prozentpunkte höher sind als im Vergleichskreis. Interessant ist dabei aber auch, dass diese Umsätze dann bei gleichzeitiger Bestandsreduktion von 10-20% erreicht werden und somit die LUG deutlich stärker steigt. In der aktuellen Situation, in der bei vielen Händlern und Marken der Fokus auf Working Capital Optimierung deutlich steigt, ist das ein sehr relevanter Zusatzeffekt. Wir sehen, dass die Effekte im Zeitverlauf immer größer werden, da sich natürlich die Algorithmen weiterentwickeln. Diejenigen, die also jetzt in das Thema investieren, werden in der Zukunft überproportional profitieren. Allerdings kann der Umsatz ja letztlich nicht bei allen steigen, da die Konsumentennachfrage dadurch kaum beeinflusst wird. Die intelligenteren Algorithmen und Prozesse werden die vielmehr weniger intelligenten verdrängen.

Wo bestehen aus Ihrer Sicht noch die größten Hürden?

Jede KI kann immer nur so gut sein, wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird. Bei vielen Unternehmen unserer Branche war die Datenqualität in der Vergangenheit aber nicht unbedingt Top-Priorität. Aktuell sehen wir, dass viele Unternehmen sich deutlich mehr um ihre Data Governance kümmern, aber dabei erst mal Versäumnisse der Vergangenheit aufholen müssen. Und viele Anwendungen werden ja die unternehmensinternen Daten noch mit Trend- und Marktdaten verbinden müssen, die meist gar nicht vorliegen. Neben der Datenqualität ist die zweite große Hürde sicherlich die Schaffung von Knowhow und Akzeptanz, um das Zusammenspiel von Mensch und Maschine zu optimieren.

Wird es künftig überhaupt noch Projekte im Modehandel geben, die ohne KI-Tools auskommen?

Jenseits der Anwendung in operativen Prozessen wird KI natürlich auch immer häufiger eine Rolle in Projekten spielen, mal eine zentrale und mal eine begleitende. Aber auch in Zukunft wird es noch viele strategische Fragestellungen geben, zu denen es keine für KI geeignete Datenbasis gibt oder in deren Beantwortung man bewusst Wege gehen will, die sich nicht aus Vergangenheitsdaten ableiten lassen. Die emotionale Intelligenz von Entscheidern wird in strategischen Fragen noch lange ausschlaggebend bleiben.

By Aziza Freutel

Titel:
H+P-Manager Tobias Humpert über Anwendungsgebiete von KI: "Generative KI wird Content Creation und Produktentwicklung prägen".
Autor/in / Beteiligte Person: Freutel, Aziza
Zeitschrift: TextilWirtschaft Online, 2023-08-16, S. 1-1
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: serialPeriodical
Schlagwort:
  • GENERATIVE artificial intelligence
  • HUMPERT, Tobias
  • ARTIFICIAL intelligence
  • SUPPLY chain management
  • MACHINE learning
  • EMOTIONAL intelligence
  • CUSTOMER relationship management software
  • MARKETING software
  • Subjects: GENERATIVE artificial intelligence HUMPERT, Tobias ARTIFICIAL intelligence SUPPLY chain management MACHINE learning EMOTIONAL intelligence CUSTOMER relationship management software MARKETING software
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: H+P manager Tobias Humpert on application areas of AI: "Generative AI will shape content creation and product development".
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Full Text Word Count: 1684

Klicken Sie ein Format an und speichern Sie dann die Daten oder geben Sie eine Empfänger-Adresse ein und lassen Sie sich per Email zusenden.

oder
oder

Wählen Sie das für Sie passende Zitationsformat und kopieren Sie es dann in die Zwischenablage, lassen es sich per Mail zusenden oder speichern es als PDF-Datei.

oder
oder

Bitte prüfen Sie, ob die Zitation formal korrekt ist, bevor Sie sie in einer Arbeit verwenden. Benutzen Sie gegebenenfalls den "Exportieren"-Dialog, wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden und die Zitat-Angaben selbst formatieren wollen.

xs 0 - 576
sm 576 - 768
md 768 - 992
lg 992 - 1200
xl 1200 - 1366
xxl 1366 -