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TW exklusiv: Insolvenzreport von Falkensteg: So viele Modeunternehmen haben im ersten Halbjahr Insolvenz angemeldet.

Rösch, Bert
In: TextilWirtschaft Online, 2023-08-22, S. 1-4
Online serialPeriodical

Business TW exklusiv: Insolvenzreport von Falkensteg: So viele Modeunternehmen haben im ersten Halbjahr Insolvenz angemeldet 

Im deutschen Modesektor wurden im ersten Halbjahr doppelt so viele Insolvenzen angemeldet wie im Vorjahr. Bei den Großunternehmen hat sich die Zahl mehr als verachtfacht. Das hat die Unternehmens- und Insolvenzberatung Falkensteg für die TextilWirtschaft ermittelt. Trotz der Trendwende bei den Insolvenzzahlen können die Frankfurter der jüngsten Entwicklung etwas Positives abgewinnen. Die Flut an Insolvenzbekanntmachungen von Modeunternehmen seit Jahresbeginn hat es schon vermuten lassen. Jetzt hat es die Branche ganz konkret in Zahlen: Im ersten Halbjahr ist die Anzahl der Insolvenzmeldungen von Mode- und Textilanbietern mächtig nach oben geschossen.

Bei den Herstellern und Händlern von Mode hat sich das Volumen mehr als verdoppelt: Es stieg um 105% auf 82 Insolvenzanmeldungen. Das hat die Unternehmens- und Insolvenzberatung Falkensteg im Auftrag der TextilWirtschaft ermittelt. Damit hat sich die Negativentwicklung des ersten Quartals beschleunigt. Damals wurden im Modesektor 60% mehr Insolvenzanmeldungen eingereicht als im Vorjahr.

Bei den Textilunternehmen hat sich die Zahl im ersten Halbjahr exakt verdoppelt, und zwar von 33 auf 66. Im ersten Quartal hatte Falkensteg keine Zahlen für die Branche vorgelegt.

Die Frankfurter Sanierungsexperten verstehen unter Textilunternehmen vor allem diejenigen Firmen, die Textilien herstellen und vertreiben. Dazu gehören unter anderen Heimtextilien und technische Textilien für die Automobilindustrie. Hinzu kommen Unternehmen, die Rohstoffe, Werkstoffe oder Maschinen für die Textilproduktion bzw. den Textilhandel liefern. Firmen, die Stoffe für Modeunternehmen herstellen, zählen zur Modesparte.

Mit diesen Werten liegen die Mode- und Textilunternehmen deutlich über den Durchschnittswerten, die Falkensteg für den deutschen Einzelhandel und die gesamte hiesige Wirtschaft ermittelt hat: Im Einzelhandel kletterte die Zahl der Insolvenzanmeldungen um 26,2% auf 424. Die Anträge von Mode- und Textilhändlern inbegriffen. Über alle Branchen hinweg verzeichnete Falkensteg 6977 Insolvenzanmeldungen. Das entspricht einem Plus von 23,6% gegenüber dem ersten Halbjahr 2022. Sollte sich diese Entwicklung im zweiten Halbjahr im gleichen Maße fortsetzen, käme die Mode- und Textilbranche zum Jahresende auf 296 Insolvenzverfahren. Das entspräche einem Plus von über 68% gegenüber dem Jahr 2022, als 176 Mode- und Textilunternehmen den bitteren Gang zum zuständigen Amtsgericht antreten mussten.

Deutlich dramatischer war die Liquiditätslage offenbar bei den umsatzstarken Playern der Modebranche: In der Kategorie der Großunternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 10 Mio. Euro ist die Zahl der Insolvenzanträge im ersten Halbjahr regelrecht explodiert. Sie schoss von 2 auf 17 empor. Das entspricht einem satten Plus von 750%, also dem Faktor 8,5.

Bei den großen Textilunternehmen hat sich die Lage hingegen beruhigt: Im ersten Halbjahr 2022 hatte Falkensteg in der Branche vier Insolvenzanträge gezählt. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren es nur noch drei. Das entspricht auf einem niedrigen Niveau einem Minus von 25%.

Im gesamten Einzelhandel hat sich die Zahl der Großpleiten vervierfacht, und zwar von 4 auf 16. Somit haben sich die Modebranche und der Einzelhandel insolvenztechnisch völlig anders entwickelt als die gesamte deutsche Wirtschaft, in der die Zahl der Groß-Insolvenzen nur moderat gestiegen ist, und zwar um knapp 3% auf 108.

Falkensteg-Partner Jonas Eckhardt erklärt die Negativentwicklung in den Branchen Mode, Textil und Einzelhandel mit den Gründen, die sich in ähnlicher Form in fast jeder Pressemitteilung von Insolvenzanmeldern wiederfinden: "Die anhaltende Inflation, erschwerte Finanzierungen sowie die Auswirkungen der Polykrise haben die Textil- und Modeunternehmen sowie die Einzelhändler im ersten Halbjahr besonders hart getroffen."

Der Insolvenzexperte kann der "Trendumkehr" bei den Insolvenzzahlen dennoch etwas Positives abgewinnen: "Die starke Zunahme von Insolvenzen ist als Marktbereinigung zu sehen. Der erhebliche zusätzliche Liquiditätsbedarf durch Kostenerhöhungen und deutlich teurere Finanzierungen trifft nun Unternehmen, die schon vor Corona nur geringe oder keine Margen erwirtschaften konnten oder kein tragfähiges Geschäftsmodell entwickelt haben."

Insofern sei das eingetroffen, das viele Experten schon ab 2021 befürchtet hatten. Nämlich, dass viele Unternehmen schon viel früher pleite gegangen wären, wenn sie nicht während der Pandemie staatliche Corona-Kredite und Überbrückungshilfen erhalten hätten.

So war etwa Falkensteg-Partner Sebastian Wilde Anfang 2022 im TW-Interview davon ausgegangen, dass es damals "relativ viele Zombie-Unternehmen" im stationären Einzelhandel gegeben habe. Er begründete dies damit, dass diese Firmen "eigentlich kein funktionierendes Geschäftsmodell" hätten.

"Laufen die Corona-Hilfen aus, dann dürften diese Zombies recht schnell umfallen." Folglich ist Wildes Kollege Eckhardt der Ansicht, dass man bei der Interpretation der Halbjahreszahlen von einem "Nachholeffekt" sprechen könne.

Eine weitere treffende Bezeichnung wäre "Normalisierung". Schließlich hatten die Zahlen im Vorkrisen-Jahr 2019 noch deutlich höher gelegen: Damals stellten im ersten Halbjahr 106 Modeunternehmen einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Im Textilsektor waren es 57 gewesen, im Einzelhandel 441 und in der gesamten deutschen Wirtschaft 7350.

Im gesamten Jahr 2019 gab es 193 Mode-Insolvenzen. 2020 stieg die Zahl leicht auf 199 an, um dann kontinuierlich zu sinken. Im Textilsektor hat sich die Lage in den Corona-Jahren kontinuierlich verbessert.

Die größte Pleite legte nach Berechnungen der Insolvenzberatung P&C Düsseldorf im ersten Halbjahr hin: Der Modefilialist führt das Insolvenz-Ranking an, das Falkensteg für die Branchen Textil, Mode und Einzelhandel erstellt hat. Die Sanierungsexperten machen diese Spitzenstellung am aktuellsten öffentlich zugänglichen Jahresumsatz des Einzelhändlers fest. Dieser hatte laut Bundesanzeiger 2021 mit durchschnittlich 9244 Mitarbeitern knapp 1,06 Mrd. Euro in Deutschland, den Niederlanden, Belgien und der Schweiz erwirtschaftet.

Die in Düsseldorf ansässige Peek & Cloppenburg KG hat im März dieses Jahres die Eröffnung eines Schutzschirm-Verfahrens beantragt, das jetzt als Insolvenz in Eigenverwaltung weiter geführt wird. Anfang Juli hat die Gläubigerversammlung grünes Licht für den Sanierungskurs des Modehändlers gegeben. An diesem Donnerstag (24. August) sollen die Gläubiger über den Insolvenzplan abstimmen.

Auf dem zweiten Rang folgt die Klingel-Gruppe, über die das Amtsgericht Karlsruhe am 1. August ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet hat. Das Sanierungsteam der Pforzheimer Modeversand-Konzerns führt nach eigenen Angaben derzeit Gespräche mit potenziellen Investoren.

Rang drei der unrühmlichen Statistik belegt der Osnabrücker Schuhkonzern HR Group, der im April seine Zahlungsunfähigkeit eingestehen musste. Das Insolvenzverfahren wurde am 1. Juli eröffnet. Nach der HR Group folgen die Modekonzerne Gerry Weber und Ahlers in der Liste der größten Mode- und Retail-Insolvenzen.

Beim Damenmode-Hersteller Gerry Weber ist die Sanierung bereits stark fortgeschritten: Am vergangenen Freitag stimmten die Gläubiger des ostwestfälischen Unternehmens dem Restrukturierungsplan der Gerry Weber International AG zu.

Bei Umsetzung des Plans sollen der Gruppe neue Kreditmittel zur Verfügung stehen und die Gerry Weber International AG "in großem Umfang" entschuldet werden. Da das Grundkapital der Gerry Weber International AG aufgebraucht sei, begleite nun ein vollständiger Kapitalschnitt die Restrukturierungsmaßnahmen auf der Fremdkapitalseite, teilte das Unternehmen mit.

Die Gerry Weber International AG befindet sich einem Sanierungsverfahren nach dem Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG). Die Gerry Weber Retail GmbH, die das stationäre Geschäft des DOB-Spezialisten verantwortet, wählte am 19. April dieses Jahres das Eigenverwaltungsverfahren.

Ahlers beantragte nur fünf Tage später die Eröffnung eines Regelinsolvenzverfahrens. Mitte Juli übernahm die Röther-Gruppe Teile des Herforder Modekonzerns, zu dem Marken wie Pierre Cardin, Pioneer und Baldessarini gehören.

Weitere namhafte Insolvenzanmelder aus der Mode sind unter anderem die Damenmode-Filialisten Hallhuber und TK Fashion Group, der Multichannel-DOB-Anbieter Deerberg, die Secondhand-Plattform Mädchenflohmarkt, der Multilchannel-Schuhhändler Shoepassion, das Textilhaus Schödlbauer (Hemden-Meister.de) sowie die Schuhfilialisten Reno und Schuhkay 1882.

Zuletzt musste der auf Best Ager spezialisierte Modeversender Madeleine Insolvenz anmelden. TK Fashion hat sein Insolvenzverfahren dem Vernehmen nach bereits beendet. Ein offizielles Statement steht noch aus. Der Siegburger Modehändler hat sich von Februar bis Juli neu aufgestellt. Kernpunkte waren die Bereinigung des Ladennetzes, neu verhandelte Mietverträge, die Erhöhung des Depotanteils von 40% auf 50% und eine Überarbeitung des E-Commerce-Konzepts. Der insolvente Stuttgarter Gebrauchtmode-Anbieter Mädchenflohmarkt wurde Anfang August von der Berliner MFG Recommerce GmbH übernommen, hinter welcher der Secondhand-Spezialist und Seriengründer Christian Wegner steht. Dieser hatte 2006 den Berliner Recommerce-Anbieter Momox gegründet, den er Ende 2019 mit dem Verkauf seiner letzten Firmenanteile verließ.

Nach Momox gründete Wegner die Recommerce-Anbieter Wisemarkt und Stuffle. Im September 2021 stieg er bei Mädchenflohmarkt ein. Anfang 2022 folgte ein Investment beim Multichannel-Secondhand-Händler Reverse Retail. Die Summe bewegte sich wie bei Mädchenflohmarkt im einstelligen Millionen-Euro-Bereich.

Seit dem vergangenen Mittwoch (16. August) haben die rund 37.000 Gläubiger von Mädchenflohmarkt die Möglichkeit, ihre Forderungen anzumelden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um private Verkäufer, die schon seit vielen Monaten auf ihre Verkaufserlöse warten.

By Bert Rösch

Titel:
TW exklusiv: Insolvenzreport von Falkensteg: So viele Modeunternehmen haben im ersten Halbjahr Insolvenz angemeldet.
Autor/in / Beteiligte Person: Rösch, Bert
Zeitschrift: TextilWirtschaft Online, 2023-08-22, S. 1-4
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: serialPeriodical
Schlagwort:
  • BANKRUPTCY
  • TEXTILE industry
  • FASHION merchandising
  • RETAIL industry
  • PRICE inflation
  • DEBTOR & creditor
  • EURO
  • TEXTILE factories
  • Subjects: BANKRUPTCY TEXTILE industry FASHION merchandising RETAIL industry PRICE inflation DEBTOR & creditor EURO TEXTILE factories
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: TW exclusive: Insolvency report by Falkensteg: So many fashion companies filed for insolvency in the first half of the year.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Full Text Word Count: 1327

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