Hintergrund: Die Unterstützung bei der Körperpflege gehört zu den Kernaufgaben der Pflege. Verschiedene Faktoren können die Umsetzung evidenzbasierter Pflege beeinflussen. Ziel: Die Untersuchung von Sichtweisen beruflich Pflegender in der stationären Langzeitpflege zur Bedeutung und zur Begründung pflegerischer Maßnahmen in der Unterstützung der Körperpflege. Methode: Qualitativer Teil einer Mixed-Methods-Studie in drei Langzeitpflegeeinrichtungen, bestehend aus Kurzinterviews mit beruflich Pflegenden direkt nach der Durchführung der pflegerischen Unterstützung bei der Körperpflege, Fokusgruppen mit Pflegenden und semistrukturierte Interviews mit Pflegemanagement-Verantwortlichen. Die Daten wurden inhaltsanalytisch ausgewertet. Ergebnisse: Die Stichprobe (N = 30) umfasst 10 Kurzinterviews, 3 Fokusgruppen (n = 17) und 3 Einzelinterviews. Pflegende wiesen der pflegerischen Unterstützung in der Körperpflege überwiegend eine hohe Relevanz zu. Als Grundlage für pflegerische Entscheidungen wurden Bewohnerbedürfnisse und -präferenzen, persönliches Wissen sowie eigene Erfahrungen und Präferenzen genannt. Evidenzbasierte Wissensquellen wurden kaum erwähnt. Als beeinflussende Faktoren wurden die Verfügbarkeit von Hautreinigungs- und Hautpflegeprodukten, personelle und zeitliche Ressourcen sowie die pflegerisch-ärztliche Zusammenarbeit identifiziert. Schlussfolgerungen: Pflegerische Entscheidungen in der Unterstützung der Körperpflege berücksichtigen kaum forschungsgestützte Evidenz. Evidenzbasierte Entscheidungshilfen könnten die Auswahl geeigneter Pflegeinterventionen für Pflegende erleichtern.
Background: Skin care interventions are core tasks of nursing. Various factors influence the implementation of evidence-based care. Aims: To explore the perspectives of nursing staff on the relevance of skin care interventions in long-term care settings and the justification of clinical decisions about the application of such interventions. Methods: Qualitative part of a mixed methods study in three long-term-care facilities, consisting of short interviews with nursing staff members directly after nursing assistance with personal hygiene, focus group discussions with nursing staff members, and semi-structured interviews with nursing managers. The data were analyzed by means of content analysis. Results: The sample (N = 30) comprises 10 short interviews, 3 focus groups (n = 17), and 3 individual interviews. Nurses predominantly assigned a high relevance to nursing support in personal hygiene. As a basis for their decision-making, residents' needs and preferences, nurses' personal knowledge as well as own experiences and preferences were reported. Evidence-based sources of knowledge were hardly mentioned. The availability of skin cleansing and skin care products, staff and time resources, and nurse-physician cooperation were identified as influencing factors. Conclusions: Decisions about nursing support in personal hygiene seem poorly informed by evidence-based sources for clinical decision-making. Evidence-based decision support could facilitate the use of appropriate nursing interventions.
Keywords: Pflegeheime; Hautpflege; Evidenzbasierte Pflege; Klinische Entscheidungsfindung; Qualitative Forschung; Nursing homes; Skin Care; Evidence-based Nursing; Clinical Decision-Making; Qualitative Research
Diverse Kontextfaktoren beeinflussen die Umsetzung evidenzbasierter Pflege.
Pflegerische Entscheidungen zur Unterstützung der Körperpflege berücksichtigen kaum forschungsgestützte Evidenz.
Die pflegerische Unterstützung in der Körperpflege zählt zu den Kernaufgaben der beruflichen Pflege ([
Nach den Prinzipien evidenzbasierter Pflege sollen Entscheidungen auf dem individuellen Wissen und klinischen Erfahrungen der Pflegenden, den Bedürfnissen und Präferenzen des Pflegebedürftigen sowie der besten wissenschaftlichen Evidenz getroffen werden ([
Ziel war es, die Sichtweisen von beruflich Pflegenden und Pflegemanagement-Verantwortlichen in der stationären LZP zur Bedeutung und Begründung sowie zu Kontextfaktoren pflegerischer Interventionen für die Hautreinigung und Hautpflege im Rahmen der Unterstützung in der Körperpflege zu untersuchen. Die Fragestellungen lauteten:
- 1. Welche Bedeutung messen Pflegende der Hautreinigung und -pflege im Rahmen der Unterstützung in der Körperpflege bei?
- 2. Welche Informationen und Wissensressourcen legen sie ihren Entscheidungen zugrunde und welche weiteren Faktoren sind für ihre Entscheidungen relevant?
- 3. Welche Erwartungen haben Pflegende für eine adäquate Unterstützung in der Körperpflege?
Die Studie SKINCARE-Pilot wurde mittels eines Mixed-Methods-Ansatzes (Triangulationsdesign) ([
Graph: Abbildung 1 Datenerhebungsplan pro Langzeitpflegeeinrichtung (n = 3)
Zielgruppe waren beruflich Pflegende und Pflege- oder Qualitätsmanagementverantwortliche (kurz Pflegemanagement-Verantwortliche) dreier LZP-Einrichtungen unterschiedlicher Größe (< 50 Plätze, 50−100 Plätze, > 100 Plätze) und unterschiedlicher Trägerschaft (kommunal, freigemeinnützig/konfessionell, privat) der Stadt Lübeck (purposive sampling). Ein- und Ausschlusskriterien sind in Tabelle 1 dargestellt. Die Pflegeeinrichtungen wurden mittels AOK-Pflegenavigator recherchiert und postalisch zur Studie eingeladen. Anschließend wurden sie telefonisch durch eine Studienmitarbeiterin kontaktiert. Interessierte Einrichtungen wurden während eines Vor-Ort-Termins über Studienziele, Abläufe und Inhalte informiert. Die Bereitschaft zur Teilnahme der Einrichtung wurde durch die Einrichtungsleitung mittels schriftlicher Einwilligung bestätigt. Anschließend wurde ein Informationstag in der Einrichtung durchgeführt, um vorab durch die Pflegedienstleitung ausgewählte Bewohner_innen und Pflegende über Ziele und Ablauf der Studie sowie Datenschutzbelange aufzuklären. Die angestrebten Stichprobengrößen pro Zielgruppe finden sich in Abbildung 1.
Graph
Tabelle 1 Ein- und Ausschlusskriterien zur Studienteilnahme
• Einrichtungen, die Leistungen der stationären Pflege gemäß SGB XI erbringen • Teilnahme an einer anderen Studie der Universität zu Lübeck • Anstellung im Umfang von mindestens 50% in der Einrichtung • Tätigkeit im Bereich der pflegerischen Versorgung • Fähigkeit zur Kommunikation in deutscher Sprache • Alter < 18 Jahre • Anstellung im Umfang von 100% in der Einrichtung • Davon mindestens 80% der Tätigkeit mit Verantwortung für das Pflege- oder Qualitätsmanagement • Alter >≥ 65 Jahre • Pflegegrad >≥ 2 • Unterstützungsbedarf in der Körperpflege • Fähigkeit, auf einfache kurze Fragen inhaltlich sinnvoll in deutscher Sprache zu antworten und mind. mündlich in die Teilnahme an den Beobachtungen und Kurzinterviews einzuwilligen Einschlusskriterien Ausschlusskriterien Pflegeeinrichtung Pflegende Pflegemanagement-Verantwortliche − Bewohner_in1 −
Es wurden Kurzinterviews und Fokusgruppen mit beruflich Pflegenden und Einzelinterviews mit Pflegemanagement-Verantwortlichen durchgeführt. Interviewte und Interviewerinnen (gesundheits- bzw. pflegewissenschaftlich qualifiziert) waren sich bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung unbekannt.
Von allen interviewten Personen wurden mittels standardisierten Fragebogens folgende soziodemografische Daten erfasst: höchste berufliche Qualifikation, Dauer der beruflichen Tätigkeit und Dauer der Tätigkeit in der Einrichtung.
Im Anschluss an die beobachtete pflegerische Unterstützung der Körperpflege wurde die durchführende Pflegende ohne Beisein weiterer Personen innerhalb des Wohnbereichs interviewt. Grundlage war ein Leitfaden mit fünf offenen Fragen nach der Wahrnehmung der beobachteten Unterstützungssequenz und der Beobachtungssituation, den pflegerischen Zielen und den Herausforderungen bei der Durchführung. Die Antworten wurden schriftlich dokumentiert (siehe Elektronisches Supplement ESM 1).
Die Fokusgruppen mit Pflegenden erfolgten mittels semistrukturiertem Leitfaden (siehe ESM2), der erzählstimulierende, offene Hauptfragen zu vier Themenbereichen umfasste: (
Die Einzelinterviews mit Pflegemanagement-Verantwortlichen wurden anhand eines semistrukturierten Leitfadens geführt (siehe ESM 3), der offene Fragen zu drei Themenbereichen umfasste: (
Die Audioaufnahmen wurden transkribiert und nach Kontrolle anonymisiert. Die Daten wurden mittels zusammenfassender Inhaltsanalyse nach [
Die schriftlich informierte Einwilligung der Einrichtungsleitung und aller Studienteilnehmenden war Teilnahmevoraussetzung. Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität zu Lübeck geprüft und mit positivem Votum beschieden (AZ 19–192).
Insgesamt wurden 72 Pflegeeinrichtungen zur Studie eingeladen, wovon drei Einrichtungen unterschiedlicher Größe (jeweils n = 1 < 50 Plätze, 50 − 100 Plätze und > 100 Plätze) und Trägerschaft (n = 1 konfessionell, n = 2 privat) teilnahmen. 30 Pflegende mit unterschiedlichem beruflichem Hintergrund wurden im Rahmen der Fokusgruppen (n = 17), der Einzelinterviews (n = 3) und der Kurzinterviews (n = 10) interviewt (siehe Tab.2). Die Fokusgruppen hatten eine Gruppengröße von drei bis acht Pflegenden. Die Dauer der Interviews und Fokusgruppen betrug durchschnittlich 27 Minuten (25−29min), die Dauer der Kurzinterviews maximal fünf Minuten.
Graph
Tabelle 2 Charakteristika der Stichprobe
Gesamt (N = 30) EI1 (n = 3) FG2 (n = 17) K3 (n= 10) Pflegedienstleitung 4 (13%) 3 – 1 Gesundheits- und Krankenpfleger_in 7 (23%) – 4 3 Altenpfleger_in 6 (20%) – 4 2 Krankenpflegehelfer_in/Altenpflegehelfer_in 5 (17%) – 2 3 Pflegende mit Basisqualifikation von >≥ 200h 2 (7%) – 2 – Pflegende ohne Ausbildung und Qualifikation 6 (20%) – 5 1 1 Jahr bis unter 5 Jahre 2 (7%) 1 1 – 5 Jahre bis unter 10 Jahre 9 (30%) 1 3 5 10 bis unter 20 Jahre 12 (40%) 1 7 4 20 Jahre oder länger 7 (23%) – 6 1 weniger als 1 Jahr 4 (13%) – 2 2 1 Jahr bis unter 5 Jahre 8 (27%) – 6 2 5 Jahre bis unter 10 Jahre 10 (33%) 1 6 3 10 bis unter 20 Jahre 6 (20%) 2 2 2 20 Jahre oder länger 2 (7%) – 1 1 Ja 8 (27%) 1 8 10 Nein 9 (30%) – 9 –
Die Einzelinterviews wurden in allen Einrichtungen mit den Pflegedienstleitungen geführt. An den Fokusgruppen nahmen vor allem Gesundheits- und Krankenpfleger_innen, Altenpfleger_innen und Pflegende ohne Ausbildung und Qualifikation teil. Die berufliche Qualifikation der Kurzinterviewteilnehmenden reichte von der Pflegedienstleitung bis zu Pflegenden ohne Ausbildung und Qualifikation (siehe Tab.2). Acht Fokusgruppenteilnehmende und eine Interviewteilnehmerin hatten zuvor an den Beobachtungen mit Kurzinterviews teilgenommen.
Die Inhaltsanalyse ergab vier Hauptkategorien inklusive Subkategorien: (i) Bedeutung der Unterstützung in der Körperpflege, (ii) Grundlagen der pflegerischen Entscheidungen im Rahmen der Unterstützung bei der Körperpflege, (iii) Kontextfaktoren der pflegerischen Entscheidungen im Rahmen der Unterstützung bei der Körperpflege und (iv) Optimierungsbedarf (siehe Tab.3). In der nachfolgenden Beschreibung werden zugrunde liegende Interviewdaten wie folgt kenntlich gemacht: FG1–3 stehen für Aussagen aus Fokusgruppen mit Pflegenden, EI1–3 für Aussagen aus Einzelinterviews mit Pflegemanagement-Verantwortlichen, und K bezeichnet zusammengefasste Aussagen aus den Kurzinterviews mit Pflegenden.
Graph
Tabelle 3 Kategoriensystem SKINCARE-Pilotstudie
Kategorie Unterkategorien Bedeutung der Unterstützung in der Körperpflege Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden allgemein Förderung der Hautgesundheit Indikator für Pflegequalität Grundlagen der pflegerischen Entscheidungen im Rahmen der Unterstützung bei der Körperpflege Bewohnerbedürfnisse und -präferenzen Interne Evidenz (pflegerische Kompetenzen) Externe Evidenz Kontextfaktoren der pflegerischen Entscheidungen im Rahmen der Unterstützung bei der Körperpflege Unmittelbare Einflussfaktoren Mittelbare Einflussfaktoren Optimierungsbedarf
Die Interviewten brachten die Unterstützung in der Körperpflege mit der „Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden allgemein" und speziell mit der „Förderung der Hautgesundheit" in Verbindung und betrachteten sie außerdem als „Indikator für Pflegequalität".
Die Bedeutung der Unterstützung in der Körperpflege wurde von allen Interviewten als hoch angesehen [FG1−3, EI1−3], eine Pflegedienstleitung sah jedoch die Erfüllung der Grundbedürfnisse, zu denen sie die Körperpflege explizit nicht zählte, als prioritär an [EI3]. Als Ziele in der Unterstützung der Körperpflege benannten die Interviewten die Erhaltung und die Förderung der psychischen [FG1, FG3, EI3, K] und physischen Gesundheit und des Wohlbefindens [FG2−3, EI1−3, K], z.B. durch Förderung der Selbstpflege [FG2−3, EI3, K] und Verhinderung von Hauterkrankungen [FG2−3, EI1−3, K]:
„Wenn da ne offene Stelle zum Beispiel ist oder ne wunde Stelle. Ist es mit Schmerzen verbunden. Dann ist es ein Rattenschwanz. Hat man Schmerzen zieht man sich zurück, isst weniger, hat weniger Appetit, möchte nicht so viel am äußeren Leben teilnehmen." [EI3]
Die Hautgesundheit hat aus Sicht der Interviewten einen hohen Stellenwert in der Unterstützung der Körperpflege [FG1, FG3, EI2−3, K]. Als zentral werden die Hautbeobachtung und -kontrolle und daraus resultierende Pflegemaßnahmen gesehen [FG1−3, K]:
„Und ja, wie gesagt auch eben um zu sehen, wenn Veränderungen da sind. Und die Haut wird ja im Alter dünner, wie man das so bekanntlich weiß. Das die einen besonderen Schutz benötigt, denke ich." [FG1]
Die Relevanz der Hautpflege wurde von einigen Interviewten betont [FG1−2, K], andere äußerten dagegen, sie bisher nicht im Fokus ihrer Arbeit gehabt zu haben [EI1−3].
Im Rahmen der Unterstützung der Körperpflege werden Aufgaben der Gesundheitsförderung und Prävention wahrgenommen. Durch eine beratende Funktion der Pflegekräfte zur Auswahl passender Pflegeprodukte zum individuellen Hautbild des Pflegebedürftigen wird versucht, die Hautgesundheit zu fördern [FG1−3, EI1−2]. Eine Pflegekraft äußerte:
„Und dann geben wir auch manchmal schon Ratschläge darüber, wenn die Haut trocken ist, dass man da was kauft für trockene Haut oder pH-neutral." [FG1]
Außerdem sehen die Interviewten ihren Auftrag in der pflegerischen Versorgung darin, Hautschäden zu vermeiden [FG1−2, EI1−2]:
„Also, wenn man die die Hautpflege insgesamt noch mit beachtet, kann man auch viel vorbeugen, zum Beispiel, wenn Pergamenthaut vorhanden ist und sieht du ja fast bei allen. Je nach Lebensalter auch vorhanden, kann man da ganz viel [z.B. Hauteinrisse] mit verhindern." [FG2]
Eine Pflegedienstleitung hatte die Hautpflege dagegen bisher nicht mit der Prävention von Hauterkrankungen verknüpft [EI1].
Der Hautzustand der Bewohner_innen hat eine Bedeutung für die Pflegequalität der Einrichtung [FG3], was in einer Fokusgruppe thematisiert wurde:
„Außerdem ist einfach, ein gepflegter Bewohner ist das Aushängeschild für uns." [FG3]
Als Grundlage für Entscheidungen zur Art der Unterstützung der Körperpflege allgemein und zur Produktauswahl wurden Informations- und Wissensressourcen genannt, die sich den drei zentralen Ressourcen evidenzbasierter Entscheidungsfindung zuordnen ließen: Bewohnerbedürfnisse und ‑präferenzen, Wissen und Erfahrungen der Pflegenden sowie externe Evidenz. Überwiegend bezogen sich die diskutierten Entscheidungssituationen auf die Auswahl geeigneter Produkte für die Hautpflege oder Hautreinigung.
Die Durchführung der Körperpflege wird durch die Charakteristika der Bewohnerin bzw. des Bewohners bestimmt, wie die Pflegebedürftigkeit, der Hautzustand und das Vorliegen von Hautveränderungen [FG1, FG3]. Kriterien für die Auswahl bestimmter Hautreinigungs- oder Hautpflegeprodukte sind das Hautbild und die Inhaltstoffe der Produkte, wie z.B. Urea [FG1−3, EI1−2, K]. Außerdem werden die Bewohnerpräferenzen als zentrales Entscheidungskriterium gesehen, ihre bzw. seine Bedürfnisse, Gewohnheiten und Wünsche sind maßgeblich für die Art und den Umfang der Körperpflege [FG1−3, EI1−3, K] sowie die Auswahl der Produkte zur Hautreinigung und Hautpflege [FG1−3, EI1−2, K]. Eine Pflegedienstleitung erläuterte dies wie folgt:
„[...] von Bewohner zu Bewohner ist es halt individuell geplant, ne. Der eine legt darauf Wert, der andere darauf und das muss halt berücksichtigt werden." [EI3]
Die Interviewten beschrieben einige Bewohnercharakteristika (z.B. Präferenzen, Gewohnheiten) als mögliche Herausforderungen in der Durchführung der Körperpflege, wie die Ablehnung durch die Bewohnerin oder den Bewohner oder körperliche Einschränkungen (z.B. Kontrakturen) [FG2, EI2]. Das Ablehnen der Körperpflege wurde als Hauptgrund für das Weglassen von Pflegemaßnahmen genannt [FG2−3, EI1, EI3].
Das klinische Wissen und die Erfahrungen der Pflegekraft beeinflussen die Art der Durchführung der Körperpflege und die Produktauswahl [FG1, EI1−2]. Dies erläuterte eine Pflegedienstleitung wie folgt:
„Ich glaube, umso mehr man sich darüber unterhält, merkt man, dass es jeder so ein bisschen individuell macht, wie er selber denkt. Ob es jetzt richtig ist oder falsch ist, ein großes Fragezeichen." [EI1]
Des Weiteren übertragen Pflegekräfte eigene Präferenzen in der Körperpflege auf die Durchführung der Körperpflege der Bewohner_innen, z.B. bezüglich der Eigenschaften (Geruch, Verhalten nach dem Auftragen) von Pflegeprodukten [FG1−3, E1, EI3]:
„Also ich glaube das sind auch eigene Erfahrungswerte, die man selbst gemacht hat mit verschiedenen Cremes. Oder, was mag ich gerne? Dass sich das ein bisschen überträgt auch." [FG1]
Die Interviewten schätzten ihre selbstwahrgenommen Kompetenzen in der Unterstützung der Körperpflege unterschiedlich ein. Einige berichteten, sich sicher in der Durchführung der Körperpflege zu fühlen [FG2−3], oder beschrieben eigene Kompetenzen zur Behandlung von Hautproblemen [FG1]. Unsicherheiten wurden beim Assessment von Hautveränderungen benannt [FG2, EI2]. Außerdem äußerten sich die Interviewten ambivalent bezüglich der Kompetenzen in der Produktauswahl: Einige gaben an, Empfehlungen zu passenden Pflegeprodukten geben zu können [FG1−2, EI2−4, K], andere beschrieben einen Wissensmangel und fehlende Expertise für eine Beratung [FG1, EI1−2]:
„Natürlich haben wir mal irgendwann in der Schule mal gelernt, dieses O/W und W/O Produkte, aber das ist bei mir jetzt auch schon fünfzehn Jahre her. So wie sich das ändert." [EI1]
Bei Unsicherheiten bezüglich des Hautzustandes oder der Produktauswahl gaben die Interviewten an, den Austausch mit Kolleg_innen des eigenen Berufes (Pflegefachpersonen, Pflegedienstleitungen) zu suchen [FG1−2, EI1]:
„Sollten Unsicherheiten auftreten, wir haben alle einen verschiedenen Ausbildungsstand, [...], wenden wir uns sowieso an die Fachkräfte, die immer sofort vor Ort sind [...]." [FG2]
Alternativ wurden Ärzt_innen oder Apotheken als Informationsquelle genannt [FG1−2, EI1].
Als Kontextfaktoren wurden verschiedene Themen genannt, die sich in unmittelbare und mittelbare Einflussfaktoren trennen lassen. Unmittelbare Einflussfaktoren haben einen direkten Einfluss auf die pflegerische Versorgung, dazu zählen die Zugänglichkeit der Hautpflegeprodukte, Personalausstattung und Zeit sowie interprofessionelle Zusammenarbeit. Die mittelbaren Einflussfaktoren beeinflussen die Versorgungssituation indirekt, wie interne und externe Maßnahmen zur Qualitätssicherung (z.B. Schulungen, Qualitätsüberprüfungen).
„Zugänglichkeit Hautpflegeprodukte": Kontextfaktoren wie Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der Produkte bestimmen die Art und Weise, wie die Körperpflege durchgeführt werden kann [EI1]. Die Pflegekräfte nutzen die Produkte, die im Bewohnerzimmer verfügbar sind [FG1]. Die Auswahl der Produkte ist abhängig davon, was von den Bewohnenden, den Angehörigen oder der Einrichtung eingekauft wird [FG1−3, EI1−3, K), dies hängt auch von dem individuellen Bewohnerbudget ab [FG1, FG3, EI1−3]. Die Interviewten gaben die Produktbeschaffung als Schwierigkeit an [FG1−2, EI1]:
„Es ist einfach nur dieses Problem, hingehen einkaufen, das Geld auslegen, sich zurückholen, in dem Sinne, das ist die Schwierigkeit." [FG1]
Wenn keine Produkte für Bewohnende vorhanden sind, wird etwas über die Apotheke bestellt oder im hausinternen Kiosk gekauft [FG1], oder es wird auf Pflegeprodukte aus einem internen Fundus zurückgegriffen [EI2].
„Personalausstattung/Zeit": Außerdem beeinflussen personelle Kapazitäten, Personalausfall und ‑planung die Durchführung der pflegerischen Unterstützung in der Körperpflege. Der Zeitfaktor bestimmt maßgeblich, welche Maßnahmen umgesetzt werden [FG2, EI1, EI3]. Eine Pflegedienstleitung sagte:
„Ich glaube, dass so manchmal der Faktor Zeit uns so ein bisschen ausbremst und ich glaube [, dass] wir mehr machen könnten, auch mehr Hautpflege machen könnten." [EI1]
In einer Einrichtung sind zeitliche Ressourcen laut der Pflegedienstleitung kein Problem [EI2], in den anderen beiden Einrichtungen hingegen schon. In allen Einrichtungen werden knappe zeitliche Ressourcen durch Flexibilisierung des Versorgungsprozesses gelöst, sodass die Körperpflege auch zu einer späteren Tageszeit durchgefwührt werden kann [FG1, FG3, EI2].
Außerdem werden bei Zeitmangel die Bewohner_innen nach ihrem Bedarf priorisiert und Pflegemaßnahmen rationiert, zunächst die Hautpflege [EI1]. Eine Pflegedienstleitung sagt, dass bei knappen zeitlichen Ressourcen Abstriche im Ausmaß der Pflegemaßnahmen gemacht werden (z.B. Teilkörperwäsche statt Ganzkörperwäsche):
„Aber es gibt auch so Tage, dann heißt es immer nur: 'Hände, Gesicht und Po', ja. Und dann gehts weiter." [EI1]
Die Interviewten berichteten weitere Strategien zur Kompensation von Personal- und Zeitmangel, wie schnelleres Arbeiten [EI3], Zuteilung leistungsbereiter Personen zur Frühschicht [EI3] und Einsatz von Hilfskräften oder der Pflegedienstleitung in der Versorgung [EI2−3].
„Interprofessionelle Zusammenarbeit": Interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation wurde vor allem bei Unsicherheiten bezüglich des Hautzustandes benannt; in diesen Situationen werden Hausärzt_innen und Dermatolog_innen hinzugezogen, meist telefonisch [FG1, EI3]. Eine Pflegedienstleitung beschrieb die interprofessionelle Zusammenarbeit mit der ärztlichen Berufsgruppe als Herausforderung [EI3]:
„[...] oft muss man dann den Ärzten hinterhertelefonieren und immer wieder sagen, er soll sich das [den Hautdefekt des Bewohners] erst angucken, weil, dann wird da immer per Ferndiagnose am Telefon gesagt: Oh, das ist ein Bild, da kriegen Sie dann [...]". [EI3]
„Interne Qualitätssicherung": Um die Qualität der Grundpflege und Hautbeobachtungen zu sichern, werden verschiedene interne Maßnahmen in den Einrichtungen umgesetzt, z.B. im Rahmen von Pflegevisiten und jährlichen Überprüfungen sowie Fallbesprechungen [EI1−3]. Als weitere Qualitätssicherungsmaßnahmen wurden Standards für die Unterstützung in der Körperpflege [EI1−3], in denen zum Teil auch Hautpflegemaßnahmen [EI2–3] beschrieben sind, regelmäßige Schulungen der Expertenstandards und Prophylaxen [FG1−3, EI1−2] benannt. Die Relevanz der Qualitätssicherung betonte eine Pflegedienstleitung:
„Und das muss halt dann im Sinne vom Grundpflegeaudit halt gefördert werden. Dass die Grundpflege wirklich von A bis Z vernünftig durchgeführt wird." [EI3]
„Externe Schulungen und Qualitätssicherung": Es wurde berichtet, dass externe Schulungen unter anderem zur Wundversorgung [EI1, EI3] und bei Bedarf zu anderen Themen mit Bezug zur Körperpflege [EI2] ermöglicht werden. Außerdem wurden externe Qualitätsüberprüfungen der Grundpflege vom medizinischen Dienst [EI3] benannt.
Die Interviewten äußerten Optimierungsbedarf bezüglich der Produktbeschaffung, der Finanzierung, der eigenen Kapazitäten und der Informationsressourcen [FG1−3, EI1]. Sie schlugen die Etablierung einer festen Organisationsstruktur zur Beschaffung von Pflegeprodukten vor [FG1] oder Regelungen, wonach die Angehörigen selbstständig für die Beschaffung der Pflegeprodukte verantwortlich sind [FG2]. Zur Finanzierung individuell geeigneter Pflegeprodukte wünschten sich die Interviewten ein größeres Budget für die Bewohner_innen, wie eine Pflegekraft erläutert:
„In einer idealen Welt hätte man mehr Geld für die einzelnen Bewohner zur Verfügung [...]. Wir haben für einen zum Beispiel, der hat sehr trockene Haut, dieses wunderbare [Name Hautpflegprodukt] [...] und die Haut sieht super aus. Einfach toll. Das wäre wünschenswert, wenn man das für ganz viele hätte. Vor allem die mit den Beinen Probleme haben oder sonst auch. Aber das ist eine Kostenfrage, die Krankenkasse übernimmt das nicht." [FG3]
Außerdem würden die Pflegekräfte gerne mehr zeitliche Ressourcen für die Unterstützung bei der Körperpflege der Bewohner_innen zur Verfügung haben [FG1, FG3]. Darüber hinaus wurde eine Entscheidungshilfe zur Auswahl passender Produkte und Hautpflegemaßnahmen für das individuelle Hautbild des Pflegebedürftigen als hilfreich genannt [FG1, EI1].
Die Ergebnisse zeigen, dass Pflegende und Pflegemanagement-Verantwortliche in der stationären LZP der pflegerischen Unterstützung in der Körperpflege überwiegend eine hohe Relevanz zuweisen. Genannte Ziele der pflegerischen Unterstützung sind die Erhaltung und Förderung der psychischen und physischen Gesundheit sowie die Prävention von Hautproblemen und -erkrankungen. Der Hautzustand des Bewohners gilt als Indikator der Pflegequalität der Einrichtung. Die Ergebnisse anderer Studien zur Relevanz sind heterogen: In einer Studie wurde von Pflegestudierenden angeführt, dass grundpflegerische Tätigkeiten weniger explizite Fähigkeiten erforderten und vielmehr mit dem gesunden Menschenverstand durchführbar seien ([
In Bezug auf die zweite Forschungsfrage wird deutlich, dass pflegerische Entscheidungen zur Art der Unterstützung der Körperpflege und Produktauswahl sich insbesondere auf die Bewohnerbedürfnisse und -präferenzen sowie das individuelle Wissen, Erfahrungen und Präferenzen der Pflegenden stützen. Als Quellen externer Evidenz werden hauptsächlich die Konsultation ärztlicher Berufsgruppen oder pharmazeutischer Informationen herangezogen, nicht dagegen Wissensressourcen wie evidenzbasierte Leitlinien oder Standards (z.B. die internationale Leitlinie zur Dekubitusprävention und -therapie) ([
Als wesentliche direkte Einflussfaktoren aus Sicht der beruflich Pflegenden und Pflegemanagement-Verantwortlichen stellten sich in der SKINCARE-Pilotstudie die Verfügbarkeit von Hautreinigungs- und Hautpflegeprodukten, die personellen und zeitlichen Ressourcen sowie die interprofessionelle Zusammenarbeit insbesondere mit den Haus- und Hautärzt_innen heraus. Ähnlich identifizierte [
Als ein zentraler Kontextfaktor im Rahmen der Unterstützung in der Körperpflege wurde die Zeit- und Personalkapazität benannt. Hautpflegemaßnahmen werden nach den Ergebnissen dieser Studie bei Ressourcenmangel rationiert. Dies deckt sich mit den Ergebnissen anderer Autor_innen ([
Die dritte Forschungsfrage nach den Erwartungen der Pflegenden für eine adäquate Unterstützung in der Körperpflege zeigt Optimierungsbedarf bezüglich der Produktbeschaffung, der Finanzierung von Pflegeprodukten, der eigenen Kapazitäten und Informationsressourcen. Die Auswahl geeigneter Produkte stellt Pflegende vor Herausforderungen: Einerseits sind sie mit einer großen Bandbreite potenziell verfügbarer Produkte konfrontiert, andererseits können sie im Einzelfall nicht auf ein erforderliches Produkt zurückgreifen. Hinzu kommt die Notwendigkeit, die klinischen Erfordernisse für ein bestimmtes Produkt, z.B. aufgrund von Hautveränderungen, mit den Präferenzen der Betroffenen in Einklang zu bringen. Diese Herausforderungen erklären den geäußerten Wunsch nach Orientierungshilfen für die Auswahl geeigneter Produkte für den individuellen Hautzustand (z.B. eine Entscheidungshilfe), der ähnlich bereits für die Akutpflege dokumentiert wurde ([
Eine Stärke liegt in der Erhebung von Erfahrungen und Sichtweisen zu einem zentralen, pflegerischen Thema, der Unterstützung in der Körperpflege, aus verschiedenen Perspektiven. Die Bewohnerperspektive konnte aufgrund mangelnder Datenqualität nicht einbezogen werden. Für zukünftige Arbeiten zu diesem Thema ist ein Fokus auf die Präferenzen und Bedürfnisse der Bewohner_innen zu empfehlen.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass das primäre Studienziel in der Vorbereitung der Prozessevaluation lag und nicht darin bestand, empirisch und theoretisch gesättigte Daten zu den identifizierten Themen hervorzubringen. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass die Aussagen der Interviewteilnehmenden durch sozial erwünschtes Antwortverhalten beeinflusst wurden, insbesondere in Bezug auf die Relevanz der Unterstützung in der Körperpflege.
Der Fokus der Interviewfragen lag auf der Förderung und dem Erhalt der Hautgesundheit. Die Bedeutung von Hautpflegeinterventionen für die Förderung des psychischen Wohlbefindens, z.B. durch direkte und gezielte Berührung ([
Die Entscheidungen zur Hautpflege und Hautreinigung im Rahmen der pflegerischen Unterstützung in der Körperpflege scheinen vor allem von den Bedürfnissen und Präferenzen der Bewohner_innen, den Kenntnissen, Erfahrungen und Präferenzen der Pflegenden sowie weiteren Kontextfaktoren bestimmt zu sein und weniger begründet durch evidenzbasierte Empfehlungen. Zugleich wurde jedoch ein Bedarf nach evidenzbasierten, einfach zugänglichen und handhabbaren Entscheidungshilfen für die Auswahl geeigneter Mittel und Methoden für die Hautpflege und Hautreinigung zum Ausdruck gebracht. Die Effekte der Bereitstellung einer solchen Entscheidungshilfe auf die Angemessenheit der pflegerischen Versorgung und die Hautgesundheit werden gegenwärtig in der SKINCARE-Studie ([
Die elektronischen Supplemente sind mit der Online-Version dieses Artikels verfügbar unter https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000882.
- ESM1. Protokoll Kurzinterview.
- ESM2. Leitfaden Fokusgruppe.
- ESM3. Leitfaden Einzelinterview.
Wir danken den Lübecker Pflegeeinrichtungen und Teilnehmer_innen der Studie für ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Studie. Ein weiterer Dank gilt Adele Stojanov (ASt) für ihre Unterstützung bei der Datenanalyse.
Substanzieller Beitrag zu Konzeption oder Design der Arbeit: JS, KB
Substanzieller Beitrag zur Erfassung, Analyse oder Interpretation der Daten: JS, ASt, KB
Manuskripterstellung: JS, KB, JK
Einschlägige kritische Überarbeitung des Manuskripts: JS, KB, JK
Genehmigung der letzten Version des Manuskripts: JS, KB, JK
Übernahme der Verantwortung für das gesamte Manuskript: JS, KB, JK
Die Rekrutierung von Einrichtungen und Teilnehmenden war sehr arbeitsaufwändig.
Mehr Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse der beruflich Pflegenden, um Rahmenbedingungen für eine evidenzbasierte Pflege in allen pflegerischen Settings sicherzustellen.
[
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By Janna Sill; Jan Kottner and Katrin Balzer
Reported by Author; Author; Author