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Michael Zeuske, Afrika – Atlantik – Amerika. Sklaverei und Sklavenhandel in Afrika, auf dem Atlantik und in den Amerikas sowie in Europa, Berlin [u. a.]: De Gruyter 2022, VIII, 330 S. (= Dependency and Slavery Studies, 2), EUR 79,95 [ISBN 978-3-11-078714-6]

Heyden, Ulrich van der
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 82 (2023-11-01), Heft 2, S. 422-425
Online review

Michael Zeuske, Afrika – Atlantik – Amerika. Sklaverei und Sklavenhandel in Afrika, auf dem Atlantik und in den Amerikas sowie in Europa, Berlin [u. a.]: De Gruyter 2022, VIII, 330 S. (= Dependency and Slavery Studies, 2), EUR 79,95 [ISBN 978-3-11-078714-6] 

In den seit einigen Jahren relativ intensiv geführten Geschichtsdebatten in der deutschen Öffentlichkeit sowie in Bereichen der Wissenschaft steht die Geschichte des europäischen Kolonialismus, vor allem hierzulande die deutsche koloniale Vergangenheit im Mittelpunkt. So ist es nicht verwunderlich, dass dabei auch der transatlantische Sklavenhandel oftmals thematisiert wird. Aus der Vielzahl der hierzu vorliegenden Literatur stechen einige seriöse Darstellungen mit einem umfassenden Blick auf die Thematik hervor. Das hier vorzustellende Buch ist eine der besten Studien zur Geschichte der Sklaverei und des Sklavenhandels, was eine gewagte Einschätzung ist, denn allein von Michael Zeuske liegen etwa 40 Studien und Monografien hierzu vor, wenn er die von ihm in der Bibliografie aufgeführte Literatur vollständig aufgelistet hat.

Im Mittelpunkt der relevanten, auch öffentlich geführten Diskussionen um Sklaverei und Sklavenhandel steht seit einiger Zeit die Frage – nicht zuletzt aufgrund der Forderungen nach Rückgabe der sogenannten Benin-Bronzen nach Nigeria sowie anderer Gegenstände, die als vermutetes Raub- oder Beutegut als museale Objekte in hiesigen Magazinen dahindämmern – nach der Rolle und Bedeutung der muslimischen bzw. innerafrikanischen Sklavenjagd und des Sklavenhandels vor Ankunft der Europäer. Der Verfasser weicht dieser Frage nicht aus. Er bettet diese in seine umfassenden wie detailreichen Darstellungen zur Geschichte der Sklaverei und zum transatlantischen Sklavenhandel ein. Er macht deutlich, dass die atlantische Sklaverei der Europäer, aufbauend auf die von ihnen vorgefundenen Sklavereiformen, sich als dominierendes Sklavereiregime durchsetzen konnte; im 19. Jahrhundert nur übertroffen von der »inneren Sklaverei« in den Südstatten der USA.

Alle Texte seines Buches, darauf verweist Zeuske gleich am Anfang der Einleitung, sind in den letzten Jahren entstanden, seitdem er als Forschungsprofessor am Bonn Center for Dependency and Slavery Studies an der Universität Bonn tätig ist. Er erklärt: »Sie stellen Fortsetzungen und Zuspitzungen bereits früher begonnener Forschungen und Publikationen dar – natürlich mit neuem Material, neuen Schwerpunktsetzungen sowie Perspektiven und neuen Interpretationen« (S. 1). Dabei konzentriert sich Zeuske auf die Bedeutung der drei im Titel genannten Großräume: den afrikanischen Kontinent samt vorgelagerten Inseln, den Atlantik sowie die beiden Amerikas (inklusive und besonders der karibischen Inselwelt, die die »Atlantic Slavery« verbindet). In allen der fünf Kapitel, von denen zwei weiter untergliedert sind, folgt Zeuske der Theorie der »Sklavereien«. Schon in seinen vorangegangenen Büchern hat er diese ausführlich begründet und erläutert. Denn einen alle Formen der Sklaverei erfassenden Begriff gibt es nicht. Er macht deutlich, dass die diversen Formen der Sklavereien nicht nur Bestandteil der Weltgeschichte von Anfang der Menschheit an sind, sondern oft eine Art Motor hinter dynamischen Entwicklungen waren. Sklavereiregimes gab es also sowohl in Afrika als auch in Amerika vor Ankunft der kolonisierenden Europäer. Diese Feststellungen des Verfassers sind in dieser Deutlichkeit bislang kaum in die akademischen Debatten geworfen worden.

Im ersten Kapitel werden die Rollen Europas als »peripherer Aufsteiger qua Sklaverei und Sklavenhandel«, Afrikas als Zentrum des Kapitals menschlicher Körper, die verschiedenen Sklavereiformen auf dem afrikanischen Kontinent sowie die Rolle und der Einfluss von Industrialisierungen auf Sklaverei und Sklavenhandel dargestellt. Auch die verschiedenen Formen des Widerstandes werden angeschnitten. Das zweite Kapitel behandelt den Aufstieg des »peripheren Europas«, worunter vor allem Westeuropa – hier insbesondere die iberischen Staaten gemeint – verstanden wird, initiiert durch den vorgefundenen afrikanischen Sklavenhandel. Das dritte Kapitel widmet sich dem transatlantischen Sklavenhandel, fast ausschließlich Spaniens und Portugals, welche die Süd-Süd-Verbindung »des Sklaverei-Atlantiks« einführten und kontrollierten. Durch die atlantische Sklaverei stiegen die westeuropäischen Staaten und mit ihnen – wenn auch weit abgestuft – das übrige Europa zur globalen Machtzentrale auf.

Im vierten Kapitel geht der Verfasser noch einmal dezidiert auf »Sklavereiregimes in den Amerikas« ein. Hier wird auf »den tausendfachen Widerstand von Versklavten als Reaktion in allen Sklaverei- und Sklavenhandelsregimes« hingewiesen, wobei die Herausbildung neuer Sozialformationen der Versklavten und ihre Transkulturation in den Sklavereiregimes im Mittelpunkt stehen. Sehr deutlich wird mit der entsprechenden Begründung darauf verwiesen, dass bis Mitte des 19. Jahrhunderts, zuweilen auch darüber hinaus, die Kontrolle über Sklaven-»Produktion«, Sklavenlieferungen und Sklavenhandel in Afrika in der Hand von afrikanischen, auch muslimischen Akteuren, nicht selten auch bei afrikanischen Frauen lag. Europäer besaßen dort keine militärische Überlegenheit (S. 56 f.). Ähnlich sah es auf dem amerikanischen Kontinent aus. Dort existierten, worauf der Verfasser mehrfach hinweist, vor, während und nach der Errichtung von europäischen Sklavereiregimes auch indigene sowie von europäischen Missionaren betriebene Missionssklavereien von »Nichtweißen«. Jene werden in dem Buch als »other slaveries« bezeichnet.

Der letzte Abschnitt des darstellenden Teils des Buches geht auf die Rolle der »neuen, kapitalistischen Sklavereien und ihre regionalen Varianten« ein, wobei insbesondere die Plantagenwirtschaften und die Bedeutung der Zucker-, Tabak-, Kaffee- und Baumwollproduktion behandelt werden. In diesem Kapitel liegt die Besonderheit darin, dass – wie häufig seit Immanuel Wallerstein – diese Sklavereiform, hier »second slavery« benannt, nicht aus der europäischen, sondern aus einer kolonialen Perspektive betrachtet werden soll. Nicht immer, so meint man bei der Lektüre zu bemerken, ist dies gelungen bzw. verständlich. Denn in der ungewöhnlich umfangreichen Bibliografie fehlen diejenigen Publikationen, die sich vornehmlich mit der »europäischen Perspektive« befasst haben, sodass nicht ganz deutlich wird, worin der perspektivische Unterschied bestehen soll. Dem Rezensenten fehlen Verweise auf bzw. Auseinandersetzungen mit solchen Historikern wie Jürgen Hell, Heinrich Loth, Egon Flaig, Johannes Postma, Hugh Thomas, Wolfgang Reinhard, Roberto Zaugg, Peter Haenger, Albert Wirz, Gilman M. Ostrander und Andreas Eckert – um nur einige zu nennen, die in ihren Arbeiten sehr wohl in einer »europäischen Perspektive« auf das Sklavereigeschäft geblickt haben. Deren Fehlen ist vor allem deshalb zu bedauern, weil sie sich mehr oder minder intensiv als deutschsprachige Wissenschaftler durch Publikationen mit der Thematik hervorgetan oder sich mit der Beteiligung Deutscher am Sklavengeschäft befasst haben.

Dieses Monitum scheint deshalb berechtigt zu sein, weil das Buch alle die genannten Bereiche recht knapp behandelt hat und dessen Verfasser mehr Wert auf die Darstellung einzelner Themen, Theorien und Überlegungen in einer Vielzahl von bibliografischen Verweisen in den Fußnoten gelegt hat. Oftmals ist der Platz für diese auf den Druckseiten umfangreicher als für den darstellenden Text. Sogar Fußnoten, die ganze drei Seiten füllen, kommen vor. Dadurch eignet sich das Werk ausgezeichnet als Anregung für weiterführende Forschungen zur vielgestaltigen Sklaverei-Thematik. Allein das Literaturverzeichnis füllt 76 Seiten.

Um auf die anfangs erwähnten Diskussionen in Deutschland zurückzukommen: Nur am Rand wird auf die Verstrickungen Deutscher in den transatlantischen Sklavenhandel eingegangen. Explizit wird besonders auf die Beteiligung Brandenburgs bzw. Preußens, auf deren Konflikte mit der kolonialen europäischen Konkurrenz, insbesondere in der Karibik (S. 31), sowie auf das Verbot der Sklaverei in Preußen Ende des 18. Jahrhunderts (S. 46) sehr kurz Bezug genommen. Im Interesse der genannten aktuellen Diskussionen hätte man sich mehr Informationen vom Verfasser aufgrund seiner seriösen wissenschaftlichen Forschungen über die Rolle von Deutschen im Menschenhandelsgeschäft gewünscht, spielen doch zumindest in dem öffentlich diskutierten Narrativ die skurrilsten Vorstellungen eine Rolle. Dennoch gibt Michael Zeuske mit seinem Buch eine Fülle von Anregungen und eine hervorragende wissenschaftliche Grundlage für die aktuellen Diskussionen und weitere Forschungen.

By Ulrich van der Heyden

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Titel:
Michael Zeuske, Afrika – Atlantik – Amerika. Sklaverei und Sklavenhandel in Afrika, auf dem Atlantik und in den Amerikas sowie in Europa, Berlin [u. a.]: De Gruyter 2022, VIII, 330 S. (= Dependency and Slavery Studies, 2), EUR 79,95 [ISBN 978-3-11-078714-6]
Autor/in / Beteiligte Person: Heyden, Ulrich van der
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 82 (2023-11-01), Heft 2, S. 422-425
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2023-0065
Schlagwort:
  • AFRIKA - Atlantik - Amerika (Book)
  • ZEUSKE, Michael
  • IMPERIALISM
  • SLAVERY
  • NONFICTION
  • Subjects: AFRIKA - Atlantik - Amerika (Book) ZEUSKE, Michael IMPERIALISM SLAVERY NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Berlin, Germany
  • Full Text Word Count: 1170

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