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Frank Jacob, East Asia and the First World War, Berlin [u. a.]: De Gruyter Oldenbourg 2022, VI, 170 S., EUR 29,95 [ISBN 978-3-11-073708-0].

Krebs, Gerhard
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 82 (2023-11-01), Heft 2, S. 490-493
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Frank Jacob, East Asia and the First World War, Berlin [u. a.]: De Gruyter Oldenbourg 2022, VI, 170 S., EUR 29,95 [ISBN 978-3-11-073708-0] 

Die lange gängige Ansicht, beim Ersten Weltkrieg habe es sich um eine rein europäische Angelegenheit gehandelt und die Nationen Ostasiens seien lediglich neugierige Zuschauer gewesen, ist in den letzten Jahren zunehmend widerlegt worden. Frank Jacob vertieft die meist immer noch eurozentrischen Untersuchungen für China und Japan sowie das unter dessen Kolonialherrschaft stehende Korea. Positiv wirkt sich aus, dass der Autor alle drei Sprachen der behandelten Länder beherrscht.

China war im Vergleich zu Japan insofern in einer gänzlich anderen Lage, als es innerlich zerrissen und geschwächt war, da es seit dem 19. Jahrhundert zum ohnmächtigen Spielball der Großmächte geworden war. Durch die militärische Konzentration auf die Schlachtfelder Europas 1914–1918 entstand im Reich der Mitte ein Machtvakuum, in das Japan einzudringen suchte, auch noch nach Ende des Ersten Weltkrieges, sodass ein direkter Weg in den Pazifischen Krieg mit den angelsächsischen Nationen führte, die am Erhalt von Chinas Unabhängigkeit interessiert waren.

Japans Kampf um das deutsche Tsingtau 1914 war für den Verlauf des Krieges eher unbedeutend, und China trat erst 1917 in den Konflikt ein, ohne sich an militärischen Aktionen zu beteiligen. Vielmehr wollte es erreichen, bei der Friedensregelung gehört zu werden und in den Genuss des von US-Präsident Woodrow Wilson reklamierten Selbstbestimmungsrechts der Völker zu gelangen. Damit wären die Existenz ungleicher Verträge und die erpresserischen 21 Forderungen Japans zur Gewährung von Sonderrechten und Untergrabung der chinesischen Souveränität unvereinbar. Letztere wurden 1915 gestellt und heimlich durch Großbritannien und Frankreich geduldet, um Tokyo im eigenen Lager halten zu können. Im Gegensatz zu den Mächten Europas waren die USA gestärkt aus dem Krieg hervorgegangen und hatten die Hände frei für Fernost, sodass sie in den nächsten Jahrzehnten als eine Art Schutzmacht für China erschienen. Für japanische Historiker erhält daher die Verschlechterung der Beziehungen ihres Landes zu den USA besonderes Gewicht, sodass sich auch Tokyo als Opfer der Friedensregelung sah, besonders wenn man die von den angelsächsischen Nationen Großbritannien und USA auf der Folgekonferenz zur Flottenbegrenzung von Washington 1921/22 erzwungenen Zugeständnisse mit berücksichtigt, so die Aufgabe der japanischen Sonderrechte in Schantung. Man sprach daher in Japan auch vom »Versailles-Washington-System« zur Knebelung des nicht mehr benötigten einstigen Kriegsverbündeten. Als demütigend hatte man auch empfunden, dass ein japanischer Vorschlag, die »Abschaffung der Rassendiskriminierung« in dem Friedensvertrag festzuschreiben, von den angelsächsischen Nationen, vor allem Australien und ebenfalls von den USA, Kanada, Neuseeland und Großbritannien abgeschmettert worden war, verschärft durch die Einwanderungssperre der Vereinigten Staaten für Asiaten 1924.

Auf der Friedenskonferenz von Versailles sah sich China getäuscht, als Japan die Herrschaft über Deutschlands ehemalige Kolonie Tsingtau mitsamt Sonderrechten in der Provinz Schantung zugesprochen wurde. Es unterzeichnete daher den Vertrag nicht, ebenso wenig wie die USA, sondern schloss 1921 ein separates Abkommen mit Berlin. Zusätzlich war China durch aufgezwungene Kredite (Nishihara loans) an einen Lokalherrscher weiter von Japan abhängig geworden.

Die als Verrat angesehene Behandlung in Versailles führte zu Tumulten in China, die 1919 in der »Bewegung des 4. Mai« gipfelten. Die ursprünglich von Studenten ausgelösten Unruhen weiteten sich auch auf andere Kreise aus, führten zu Massenaufruhr, zu Forderungen nach sozialen Reformen und Hassparolen gegen imperialistische Mächte. In dieser von Gärung geprägten Atmosphäre gründete sich 1921 die kommunistische Partei Chinas. Der Aufruhr konnte von der unter Beschuss geratenen chinesischen Regierung kaum unter Kontrolle gebracht werden, sodass Jacob von einer Wasserscheide in der Geschichte des Landes spricht. Ein erster Erfolg der aufbegehrenden Kreise war die chinesische Weigerung, den Vertrag von Versailles zu unterzeichnen. Jacob sieht ebenfalls China eindeutig als Opfer der Friedensregelung von 1919. Von dem kriegsbedingten Wirtschaftsboom hatte es wegen seiner Schwäche auch nicht in gleichem Maße profitieren können wie Japan.

Ausführlich behandelt Jacob die auf den Krieg folgende Entwicklung einer Parteiendemokratie sowie die Verbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen, einer Bewegung für Frauenrechte und das Entstehen von Gewerkschaften in Japan. Wegen enormer Preissteigerungen, besonders bei Reis, der wegen der japanischen Teilnahme an der Sibirischen Militärinvention gegen bolschewistische Truppen 1918–1922 knapp wurde, kam es in Kobe und anderen Städten zu tumultartigen Ausschreitungen.

Jacob zitiert den prominenten Geisteswissenschaftler Maruyama Masao, der die Zeit nach der Friedenskonferenz im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen nicht als Höhepunkt der Taishô-Demokratie – benannt nach dem damaligen Kaiser – sieht, sondern als Ausgangspunkt für den japanischen Faschismus. Hier hätte man sich die Behandlung des jungen Fürsten Konoe Fumimaro (1891–1945) aus der höchsten Adelsklasse seines Landes gewünscht, den der Leiter der japanischen Delegation, Saionji Kinmochi, mit nach Versailles genommen hatte. Der junge Mann machte seinem Mentor allerdings wenig Freude, da er in Zeitschriftenartikeln die zu jener Zeit in Japan herrschende Begeisterung für Demokratie und Pazifismus kritisierte. Der Weltkrieg sei vielmehr ein Kampf zwischen Nationen gewesen, die von der Zementierung des status quo profitieren würden, und solchen, die an seinem Wandel interessiert seien. Mit »gut« und »böse« habe der Krieg nichts zu tun gehabt. Pazifismus wäre unangemessen, wenn er der Erhaltung der politischen und wirtschaftlichen Macht in der Welt dienen würde. Die Auslösung eines Krieges sei nicht unmoralisch, wenn dieser der einzige Weg sei, internationales Unrecht zu beseitigen. Der Völkerbund sei nur ein Instrument zur Stärkung der Herrschaft westlicher Mächte über farbige Rassen. Unglücklicherweise aber akzeptiere Japan gläubig die von Großbritannien und den USA propagierte Friedensordnung sowie die Idee des Völkerbunds und der Demokratie, obwohl es sich vielmehr in einer Position wie Deutschland befinde und damit Interesse an der Änderung des status quo habe, sodass es sich eines Tages gezwungen sehen werde, militärische Mittel anzuwenden. In der Zeit zwischen 1937 und 1941 sollte Konoe drei Kabinette bilden, während derer Japan 1937 den Krieg gegen China eröffnete, 1940 den Dreimächtepakt mit den angeblich ebenfalls unterprivilegierten Nationen Deutschland und Italien abschloss und sich 1941 für den Angriff auf die USA und britische Besitzungen entschied.

Die Forderung des US-Präsidenten Woodrow Wilson nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde auch in dem von Japan beherrschten Korea wahrgenommen, das 1910 endgültig annektiert worden war. Am 1. März 1919 kam es dort zu Unruhen gegen die Kolonialherrschaft und einer »Unabhängigkeitserklärung« patriotischer Kräfte, angeführt von Studenten. Die Demonstrationen wurden zwar von japanischen Truppen blutig niedergeschlagen, aber das Land kam nicht zur Ruhe. Andere Koreaner agitierten vom Ausland aus gegen Japan wie Syngman Rhee (1875–1965) in den USA, der 1948 der erste Präsident von Südkorea werden sollte. Die losgetretene Lawine ließ sich nicht mehr aufhalten, und je mehr die Repression der Kolonialmacht zunahm, desto aufmüpfiger wurden die Koreaner. Die Westmächte wollten jedoch die Beziehungen zu ihrem einstigen Kriegsverbündeten Japan nicht weiter belasten und machten gute Miene zum bösen Spiel. Erst der Zweite Weltkrieg sollte eine – allerdings sehr fragwürdige – Lösung des koreanischen Problems herbeiführen.

Bei allen Verdiensten von Jacobs Werk ist auf eine Reihe von Lücken hinzuweisen, die vor allem die deutsche Dimension betreffen. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges hatte man in Japan durchaus geschwankt, auf welche Seite man sich schlagen solle. Der Kreis um den ehemaligen Premier und immer noch als »älterer Staatsmann« (genrô) fungierende Berater des Kaisers Yamagata Aritomo z. B. sah durchaus Vorteile an der Teilnahme auf deutscher Seite, zumal die japanische Armee mit Hilfe Preußens aufgebaut worden und von ihm geprägt worden war, unterlag aber pro-britischen Kräften. Dass Deutschland durchaus die Unzuverlässigkeit Japans für dessen Verbündete erkannte, wurde in dem berüchtigten »Zimmermann-Telegramm« vom Januar 1917 deutlich, das bei Jacob unerwähnt bleibt. Darin hatte der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes – entspricht dem Außenminister –, Arthur Zimmermann, Mexiko ein Bündnis gegen die USA vorgeschlagen, in das Japan nach einem Sonderfrieden mit einbezogen und als Belohnung nach Kriegsende Kalifornien erhalten sollte. Tokyo würde dann vielleicht auch einen Separatfrieden mit Russland vermitteln. Großbritannien aber gelang es, das Telegramm abzufangen, zu entziffern und den Inhalt an die USA zu übermitteln, wo die Bereitschaft zum Kriegseintritt gegen Deutschland erheblich gestärkt wurde.

Auch die deutschen Südseekolonien nördlich des Äquators (Marianen, Karolinen und Marshall-Inseln) hätten mehr Aufmerksamkeit verdient als eine kurze Erwähnung (S. 35). Sie wurden von Japan kampflos besetzt und in Versailles als Völkerbunds-Mandat übernommen. In den folgenden Jahren wurden sie zu militärischen Festungen ausgebaut und dienten während des Pazifischen Krieges als Angriffsbasen, bis sie von den Amerikanern in verlustreichen Kämpfen erobert werden konnten.

By Gerhard Krebs

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Titel:
Frank Jacob, East Asia and the First World War, Berlin [u. a.]: De Gruyter Oldenbourg 2022, VI, 170 S., EUR 29,95 [ISBN 978-3-11-073708-0].
Autor/in / Beteiligte Person: Krebs, Gerhard
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 82 (2023-11-01), Heft 2, S. 490-493
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2023-0088
Schlagwort:
  • EAST Asia & the First World War (Book)
  • JACOB, Frank
  • WORLD War I
  • EUROCENTRISM
  • NONFICTION
  • Subjects: EAST Asia & the First World War (Book) JACOB, Frank WORLD War I EUROCENTRISM NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Berlin, Germany
  • Full Text Word Count: 1355

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