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Gaj Trifković, Kesselschlachten in Jugoslawien. Unternehmen »Weiß« und »Schwarz« 1943, Aachen: Helios 2022, 175 S., EUR 24,00 [ISBN 978-3-86933-286-4].

Potempa, Harald
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 82 (2023-11-01), Heft 2, S. 529-532
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Gaj Trifković, Kesselschlachten in Jugoslawien. Unternehmen »Weiß« und »Schwarz« 1943, Aachen: Helios 2022, 175 S., EUR 24,00 [ISBN 978-3-86933-286-4] 

Sie galt als das Ideal einer völligen Vernichtung des Gegners. Cannae bildete das historische Muster der doppelten Umfassung und Leuthen den Einsatz eines Flügels in der Offensive sowie eines Flügels in der Defensive, Militärs aller Länder planten sie daher: die Kesselschlacht.

Gaj Trifković schildert eindrücklich und detailliert, wie die deutsche Wehrmacht, ihre Verbündeten sowie ihre Helfer 1943 dieses Erfolgsrezept der offenen Feldschlacht aus dem Großen Krieg auf den Kleinen oder Partisanen-Krieg im gebirgigen und damit schwierigen Südosteuropa, genauer gesagt Jugoslawien, übertragen wollten. Er tut dies nicht nur aus der Warte des Heeres, sondern betont dankenswerter Weise auch die Rolle der Luftwaffe dabei, die gewissermaßen den Deckel auf dem Kessel bilden und somit den »Druck« in selbigem erhöhen sollte. Der Autor arbeitet aber auch heraus, wie häufig die Fliegereinsätze wegen ungünstiger Wetterbedingungen unterbleiben mussten (S. 38).

Trifković wählt dazu die beiden von der Wehrmacht so bezeichneten Unternehmen »Weiß« (Januar bis April 1943) und »Schwarz« (Mai/Juni 1943) aus, die in der jugoslawischen Nachkriegshistoriografie als »Schlacht an der Neretva« und »Schlacht an der Sutjeska« geradezu mythischen Charakter annahmen (S. 11–13). Er gliedert sein Buch in insgesamt sechs Abschnitte: »Einleitung«, »Krieg in Jugoslawien 1941–1943: ›Jeder gegen Jeden‹«, »Die deutsche Wehrmacht zur Jahreswende 1942/43«, »Der Operationszyklus ›Weiss‹«, »Unternehmen Schwarz (15. Mai–15. Juni 1943)« und »Schlussbetrachtung«. Im umfangreichen Anhang finden sich insgesamt vier aufschlussreiche Dokumente abgedruckt: Auszüge aus dem Lagebericht Nr. 8 (Kroatien, Serbien, Griechenland) vom 25.–31.3.1943 von Fremde Heere Ost (III), die kurze Zusammenfassung der Durchführung des »Unternehmens Weiß« vom 10.4.43 von Fremde Heere Ost (III), der Operationsbefehl für den Fall »Schwarz« vom Befehlshaber der deutschen Truppen in Kroatien vom 6.5.1943 und der Gefechts- und Erfahrungsbericht über das Unternehmen »Schwarz« vom Befehlshaber der deutschen Truppen in Kroatien vom 20.6.1943. Der Autor arbeitete mit Quellen aus den britischen National Archives und dem Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv, sowie mit der einschlägigen Literatur aus deutscher, anglo-amerikanischer und dankenswerterweise auch aus jugoslawischer Provenienz. Dem Buch, hervorgegangen aus einer Grazer Diplomarbeit, sind insgesamt elf Lagekarten beigegeben, deren Druckqualität leider eher mäßig ausgefallen ist.

Der Autor weist zu Recht daraufhin, wie sehr die deutsche Seite auf dem Gebiet des vormaligen Jugoslawiens sowie im gesamten Raum Südosteuropa unter Druck geraten war und glaubte, jetzt, also 1943, brachial gegen die Träger des Kleinen Krieges vorgehen zu müssen, bei denen Repressalien gegen Partisanen und Zivilbevölkerung keinesfalls »Kollateralschäden« waren, sondern bewusst angewandt wurden (S. 39–46). Schließlich hatte die Wehrmacht bei Stalingrad eine Niederlage erlitten, Nordafrika war gefallen und die Alliierten bereiteten eine Invasion Europas von Süden her vor (S. 47). Diese könnte entweder Italien oder den Balkan betreffen, auf dem es große Partisanenaktivitäten gab. Der schlimmste Fall wäre für die Wehrmacht eine alliierte Landung mit gleichzeitiger Partisanenaktivität im eigenen rückwärtigen Raum gewesen; ergo galt es nun, gegen die »Banden« vorzugehen, die sich zunehmend als immer besser organisiert und geführt sowie beinahe als reguläre Truppe entpuppten (S. 25–30). Diesen Transformationsprozess macht der Autor deutlich. Die Wehrmacht und ihre Verbündeten standen mehreren Kleinkriegsorganisationen gegenüber, die die Wehrmacht und ihre Verbündeten, aber auch sich gegenseitig bekämpften. Zudem bestand der dritte Auftrag der Wehrmacht, Südosteuropa für die deutsche Kriegswirtschaft nutzbar zu machen. Allerdings standen ihr in dem unübersichtlichen und schwierigen Gelände grundsätzlich zu wenig Truppen und die zudem noch in mäßiger Kampfqualität zur Verfügung. Das Zusammenkratzen weiterer Truppenteile, um überhaupt Großunternehmen durchführen zu können, blieb ein Dauerbrenner (S. 32–37).

Trifković schildert die beiden Unternehmen »Weiß« und »Schwarz« sehr detail- sowie kenntnisreich und trägt folgende Untersuchungskriterien an sie heran: Planung und politische Lage, Verlauf sowie Ergebnisse und Erfahrungen bzw. Analyse. Er kommt bei »Weiß« u. a. zu dem Ergebnis, dass die deutsche Seite ihr Ziel letztlich nicht erreichte, die Tito-Partisanen konnten den Kessel durchbrechen; die deutschen Truppen und ihre Logistik waren für das schwere Gelände nur begrenzt geeignet. Zudem wechselten die deutschen Ziele, weg von der Vernichtung des Gegners hin zur Eroberung von Gelände (S. 80–86). Beim Unternehmen »Schwarz« hingegen waren die deutschen Truppen geländetauglicher und es wurden dem Gegner deutlich mehr schwere Verluste zugefügt, der Kessel konnte allerdings nach schweren Kämpfen doch noch in Teilen durchbrochen werden (S. 119 f., 127–138). Das brutale Vorgehen und die Opfer unter der Zivilbevölkerung waren bewusste Mittel zum Zweck (S. 136 f.).

Interessant und in weiteren Studien auf jeden Fall verfolgenswert sind Trifkovićs Beobachtungen zu dem die deutschen Quellen sowie auch die Literatur durchziehenden Narrativ von den angeblich durch Partisanen verstümmelten Leichen deutscher Soldaten. Er führt ins Feld, dass die Partisanen bei überraschenden Überfällen wohl wenig Zeit zur Schändung gehabt hätten, und sucht die Erklärung eher bei wilden Tieren, bei Aasfressern, die sich hier Fleischstücke rausrissen. Dies erweckte den Eindruck der Leichenschändung (S. 44). Insgesamt handelt es sich um eine solide recherchierte und stringent ausgeführte Arbeit, die ihr Hauptthema, die beiden Kesselschlacht, sehr gut angeht, gut analysiert, auswertet und in das Gesamtgeschehen und weiteren Kontext einbindet.

Einige Schönheitsfehler trüben – allerdings nur sehr leicht – das Bild. Zum Ersten springt das Buch des Öfteren sehr stark zwischen den Begriffen »Volksbefreiungsarmee«, »Partisanen« und »Banden« hin und her. Dies kann vermutlich deshalb passiert sein, um Wiederholungen zu vermeiden. Zum Zweiten hätte sich der Rezensent einige Ausführungen mehr zur Bandbreite der widerständigen Aktionen, von Parolen an den Wänden über Untergrundzeitungen und Sabotageakte bis hin zum bewaffneten Kampf gewünscht. Drittens stellt sich die Frage, ob der aus dem Großen Krieg stammende Begriff der »Kesselschlacht« hier passend ist – möglicherweise stammt er ja auch vom Verlag – oder ob die Begriffe »Kesseltreiben« bzw. »Unternehmen« nicht besser gewesen wären. Der Autor betont viertens zu Recht, dass das Bauxitgebiet von Mostar für die Deutschen hohe kriegswirtschaftliche Bedeutung hatte und somit von der Wehrmacht zu sichern war. Dann mag der folgende Satz zwar operationsgeschichtlich verständlich sein, in strategischer Hinsicht ist er es nicht, ganz im Gegenteil: »Dadurch musste die Zerschlagung der Hauptkraft der Partisanen wieder beiseitegelegt werden; wirtschaftlich-territoriale Ziele bekamen erneut Vorrang vor den rein militärischen« (S. 139).

Aber auch die eingangs zitierte Schlacht bei Cannae brachte zwar einen großen Sieg, aber kein erfolgreiches Ende des Krieges, für die berühmte schiefe Schlachtordnung bei Leuktra und Leuthen galt das ebenfalls, von »Weiß« und »Schwarz« ganz zu schweigen.

By Harald Potempa

Reported by Author

Titel:
Gaj Trifković, Kesselschlachten in Jugoslawien. Unternehmen »Weiß« und »Schwarz« 1943, Aachen: Helios 2022, 175 S., EUR 24,00 [ISBN 978-3-86933-286-4].
Autor/in / Beteiligte Person: Potempa, Harald
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 82 (2023-11-01), Heft 2, S. 529-532
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2023-0101
Schlagwort:
  • KESSELSCHLACHTEN in Jugoslawien (Book)
  • TRIFKOVIC, Gaj
  • WORLD War I
  • MILITARY history
  • NONFICTION
  • Subjects: KESSELSCHLACHTEN in Jugoslawien (Book) TRIFKOVIC, Gaj WORLD War I MILITARY history NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Potsdam, Germany
  • Full Text Word Count: 1031

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