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FÜR MINDERJÄHRIGE NICHT GEEIGNET.

Höftmann, Andreas
In: Musik und Bildung, 2023-07-01, Heft 3, S. 19-35
Online serialPeriodical

FÜR MINDERJÄHRIGE NICHT GEEIGNET 

Kunstfreiheit vs. Index

Wer entscheidet darüber, welche Songs dem Jugendschutz zuwiderlaufen? Wie verhalten sich Künstler und Fans gegenüber einer präventiven Ächtung von Musik? Dient die Sperrung problematischer Lieder auf YouTube einer auf Mündigkeit ausgerichteten Medienpraxis? Warum sind bestimmte TikTok-Mitsing- Videos für Heranwachsende nur mit Vorsicht zu genießen? Ein Lernzirkel konfrontiert Schüler:innen mit pikanten Fragen -- und lädt dazu ein, sich (selbst-)prüfend und künstlerisch mit medialen Gefährdungspotenzialen auseinanderzusetzen. Der Unterricht kann auf diese Weise musikalische, politische und Medienbildung zusammenbringen.

Alles von der Kunstfreiheit gedeckt?

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“, heißt es in Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes. Wie weit das Recht auf ungehinderte künstlerische Entfaltung gehen darf, hat der Aachener Rapper Danger Dan (Daniel Pongratz) 2021 streitlustig ausgelotet. Provokativ bringt seine Ballade Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt Militanz namentlich gegen Vertreter der Neuen Rechten zum Ausdruck -- eine juristische Gratwanderung, weil die besungene Unantastbarkeit von Kunst mit der Wahrung der persönlichen Ehre (Artikel 5, Absatz 2 GG) kollidiert.

Die konstitutionell verankerte Freiheit artifiziellen Spiels kennt also Grenzen. Das Strafgesetzbuch macht bestimmte rechtliche Barrieren konkret, etwa wenn es um Delikte geht wie die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86 StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB), Anleitung zu strafbaren Handlungen (§ 130a StGB), Glorifizierung von Grausamkeit (§ 131 StGB) oder Veröffentlichung von Gewalt-, Tier- und Kinderpornographie (§ 180a, b, c StGB).

Ferner erlaubt das Jugendschutzgesetz die Einschränkung der Kunstfreiheit, sofern Medien „offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit schwer zu gefährden“ (§ 15, Absatz 2, Satz 5 JuSchG).

Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ)

Kommunikationsmittel daraufhin zu bewerten, ob und inwieweit sie der seelischen und moralischen Entwicklung von Heranwachsenden schaden, gehört zu den Hauptaufgaben der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ). Die in Bonn ansässige und dem Bundesfamilienministerium unterstellte Behörde, die bis 2021 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) hieß, führt eine Liste (‚Index‘) von altersunangemessenen Offline- und Online-Titeln. Von der BzKJ gelistete Konsolenspiele, DVDs, Bücher, Zeitschriften, Comics, CDs etc. (sog. Trägermedien) dürfen bei Strafandrohung nicht beworben und an Minderjährige verkauft werden. Anbieter von indizierten Webseiten, Internet-Games etc. (sog. Telemedien) müssen den Zugang für Unter-18-Jährige sperren.

Da eine Vorab-Kontrolle von Print-, Audio- und Video-Dokumenten gegen das Zensurverbot in Artikel 5, Absatz 1, Satz 3 des Grundgesetzes verstößt, betrifft die Indizierung ausschließlich bereits veröffentlichte Medien. Die Einleitung eines Indizierungsverfahrens erfolgt allerdings nicht auf Betreiben der BzKJ, sondern entweder auf Antrag von ausgewiesenen Stellen wie den Landesjugendbehörden oder auf Anregung von Polizei, Zoll, Ordnungsämtern, Schulen oder Trägern der freien Jugendhilfe (siehe Näheres unter https://www.bzkj.de/bzkj/ indizierung/wie-laeuft-ein-indizierungsverfahren-ab).

Der administrativ betriebene Kinder- und Jugendmedienschutz ist gleichwohl umstritten. Die waltenden Restriktionen gegenüber anstößiger Unterhaltungskultur bezeichnet der Schweizer Psychologe und Rockmusik-Kenner Reto Wehrli als „schleichende Zensur“ (Wehrli 2012, S. 285) und kritisiert: „Bereits auf Antragsebene entscheiden nicht sachliche oder fachliche Kriterien, sondern allein die persönlichen Einstellungen der zuständigen Beamten sowie die sozialpolitischen Einflüsse, denen sie ausgesetzt sind, über Wohl und Wehe eines Medienprodukts“ (ebda., S. 277). In Anbetracht von rasant sich verändernden Verbreitungstechnologien und Wahrnehmungsgewohnheiten stellt sich überdies die Frage nach der Wirksamkeit von Zugänglichkeitshürden und Werbeverboten. Sind jugendkulturelle Aneignungsprozesse im ewigen Katz-und-Maus-Spiel von ästhetischer Grenzüberschreitung und medialer (Selbst-/Fremd-)Regulierung überhaupt noch zu beeinflussen?

Vom Risiko sozialethischer Verwirrung

Wie zweifelhaft der ‚Erfolg‘ jugendschutzgemäßer Interventionen in den Musikmarkt sein kann, zeigen Präzedenzfälle der deutschen Popgeschichte. So fühlte sich in den 1980er--Jahren die damalige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) gleich mehrfach dazu veranlasst, Produktionen der Berliner Deutschpunk-Band Die Ärzte auf den Index zu setzen. Im Visier der Medienwächter standen das groteske Schauerstück Schlaflied (1984), die Sodomie-Satire Claudia hat ‘nen Schäferhund (1984) und die frivole ‚Lust‘-Ballade Geschwisterliebe (1986). Gerade von dem letztgenannten Song gehe eine „sexualethisch desorientierend[e]“ Gefahr für Kinder und Jugendliche aus, erklärte die Bundesprüfstelle 1987 -- ein Urteil, das aus Behördensicht die Listenführung des Tracks bis zum heutigen Tage rechtfertigt. Ärzte-Fans kümmert das Verdikt ‚Inzest = Index‘ wenig. Auf Konzerten der Band stimmen sie textsicher die Zeilen von Geschwisterliebe an -- begleitet lediglich von einer Instrumentalfassung des beanstandeten Titels (vgl. das legendäre Musikvideo Die Ärzte live II von 1989 oder auch eine YouTube-Aufnahme von 2022).

Demgegenüber hatte die Neue-Deutsche-Härte-Gruppe Rammstein seit ihrer Gründung 1993 vergleichsweise wenig mit der Bürokratie aus Bonn zu tun. Das mag durchaus überraschen angesichts zahlreicher Bühnen-Eklats und Presse-Skandale des Ost-Berliner Rock-Sextetts (vgl. Höftmann 2023, S. 13--18; 24f.). 2009 schritt die Bundesprüfstelle indessen gegen den Vertrieb des Liedes Ich tu dir weh der Metal-Band ein und meinte in den gewagten Versen der Single eine jugendgefährdende Mischung aus Sexualität und Gewalt zu erkennen. Aber die Musiker um Frontsänger Till Lindemann legten Widerspruch gegen die Indizierung des Songs ein. Das Verwaltungsgericht Köln urteilte zu Rammsteins Gunsten und verfügte, im Falle von Ich tu dir weh sei die Kunstfreiheit höher zu gewichten als der Jugendschutz (Aktenzeichen 22 L 1899/09).

In den 2010er--Jahren schließlich geriet das Rap-Duo Kollegah (Felix Blume) und Farid Bang (Farid El Abdellaoui) in wiederholten Konflikt mit der amtlichen Medienaufsicht. Die übersteigerte Aggressivität in der Trilogie Jung brutal gutaussehend lief zwischen 2012 und 2019 auf die Indizierung aller drei Alben hinaus. Das dritte Sammelwerk der Hip-Hop-Serie, von sexistischen Phrasen nur so strotzend und auch vor fragwürdigen Auschwitz-Analogien nicht zurückschreckend, dürfte wohl das einzige Album der Republik sein, das mit einem ECHO für hervorragende Absatzzahlen belohnt wurde, bevor es in den Giftschrank der Bundesprüfstelle wanderte. Geschadet hat die Auszeichnung von 2018 vor allem dem ECHO selbst: Die deutsche Phono-Akademie sah sich genötigt, die Vergabe des Musikpreises nunmehr einzustellen.

Ein Lernzirkel über ‚unerhörte‘ Musik

Kontroversen über kalkulierten Sexismus zog jüngst auch der Sommer-Hit Layla (2022) von DJ Robin (alias Robin Leutner) und Schürze (aka Michael Müller) nach sich.

Zu einer Indizierung des Liedes um eine erotische Bordell-Leiterin kam es zwar nicht, jedoch verzichteten Betreiber mehrerer Volksfeste und Kirmes-Veranstaltungen von sich aus auf das Abspielen des Ballermann-Ohrwurms. Umgekehrt gab der ZDF-Fernsehgarten im Juli 2022 die Originalversion des Party-Schlagers zum Besten.

Die Diskussion um den richtigen Umgang mit dem Chartbreaker Layla eignet sich für einen gegenwartsbezogenen Einstieg in die hiesige Unterrichtssequenz. Die folgenden zwei bis drei Schulstunden empfehlen sodann das Tätigwerden an vier Stationen, um Schüler:innen ab Klasse 9 ein selbstgesteuertes und eigen-verantwortliches Lernen zu ermöglichen.

* 1. Station (Pflicht): Kunst im Lichte des Jugendschutzes

Obligatorischer Ausgangspunkt des gesamten Aufgabenkomplexes bildet die erste Station. Sie widmet sich dem Dienstauftrag der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ). Die Leser:innen erfahren hier, dass die Kunstfreiheit nach strafgesetzlichen und protektionistischen Aspekten (StGB und JuSchG) beschnitten werden darf, wobei es Ziel der BzKJ ist, ein „intelligente[s] Chancen- und Risikomanagement[…] zur Förderung von Maßnahmen für ein gutes Aufwachsen mit Medien“ zu verwirklichen (vgl. https://www.bzkj.de/bzkj/ueberuns/aufgaben). Wie der Sachtext von Station 1 ausführt, steht der bundesbehördliche Kontrollmechanismus der Indizierung medienpolitisch und -pädagogisch freilich in der Kritik. Alle Kernaussagen des Infoblattes fassen die Schüler:innen in Form einer Mindmap zusammen. Die beigefügte Vorlage dient der Hilfestellung für die Sekundarstufe I (AB 1 + CD-ROM AB 1 Fortsetzung + Lösung).

* 2. Station (Wahl): Heikle deutsche Songs der letzten Jahrzehnte

Das zweite Sujet regt fakultativ dazu an, sich den bereits oben näher beleuchteten Songbeispielen aus rund vierzig Jahren Popmusik zuzuwenden. Ein Suchsel bzw. Gitterrätsel fordert dabei zur spielerischen Rekapitulation von Schlagworten aus dem abgedruckten Material auf. Angehörige der Sekundarstufe II können alternativ einen weiteren klanglichen Nur-Ü-18-Kasus recherchieren und vorstellen (siehe einführend die Wikipedia-Artikel Kategorie: Indizierter Tonträger oder Indizierung von Hip-Hop-Musik in Deutschland). Um sich exemplarisch eine sinnliche Vorstellung von der in Station 2 behandelten Soundwelt zu machen, hören die Lernenden das Rammstein-Instrumental Ich tu dir weh (QR-Code I) und entdecken die gravitätischen Gitarrenriffs und wummernden Grooves des Metal-Tracks (AB 2 + CD-ROM Lösung).

* 3. Station (Wahl): Brisante Musik/-videos auf YouTube

Die Medienanstalten der Bundesländer haben in Deutschland das Mandat, private Radio- und TV-Programme sowie Videoportale und andere Telemedien zu beaufsichtigen. Häufiger stoßen sie auf die Verbreitung jugendgefährdender Lieder auf YouTube. Pars pro toto mahnte 2019 die Landesmedienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein die US-amerikanische Google-Tochtergesellschaft zum Entfernen von 300 Beiträgen an, die Musik des indizierten Bushido-Albums Sonny Black (2014) verwenden. Aus den Augen, aus dem Sinn: Ist mit der Löschung von Gangsta-Rap-Samples -- provokative Schwester-Genres wie Porno Rap oder Jihad Rap zum Teil prominent überstrahlend -- das Problem altersunangebrachten Medienkonsums behoben? In Form einer Umfrage schlägt die optionale dritte Lernstation vor, sich offen und kritisch zu Fragen der Content-Politik von YouTube zu äußern. Die Antworten der Teilnehmenden können für einen Gallery Walk ausgestellt werden und als Impuls für eine spätere Plenums-Debatte über selbstbestimmte Medienpraxis fungieren (AB 3).

* 4. Station (Wahl): Problematische Lip-Sinc-Videos bei TikTok

Das letzte Lernangebot schlägt am stärksten die Brücke zu Fächern der politischen Bildung. Es geht um den nachstehenden Umstand: „Auf der […] Kurzvideo-Plattform TikTok finden sich vermehrt Videos, die über die Audiospur Rechtsrock verbreiten. Einige der verwendeten Lieder sind dabei aufgrund ihrer strafrechtlichen Relevanz von der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz indiziert. So finden sich in ihnen bspw. volksverhetzende oder holocaustleugnende Aussagen. Die Videos bedienen sich in den meisten Fällen des sogenannten Lip-Sync-Formats: Die User:innen filmen sich mit der Frontkamera des Smartphones und singen das eingefügte Lied im Playback mit.“ (jugendschutz.net vom 12.04.2023) Wie wäre es, wenn Schüler:innen in Audacity oder GarageBand aus einem Rock-Instrumental (QR-Code II) und selbst aufgenommenen Worten des Deutschlandliedes eine Collage produzieren: eine akustische ‚Störung‘ wider die lippensynchrone und nationalistisch überhöhende Instrumentalisierung von Musik via TikTok? Wie klingt eine absichts- und lustvolle Verfremdungskunst, bei der Vokabeln wie „Vaterland“ oder „Herz und Hand“ und harte E-Gitarren-Sounds gepitcht, fragmentiert, geloopt, mit Echo- und Lautstärke-Effekten dekonstruiert werden? (AB 4) Es lohnt sich, an die anvisierte Kompositionsarbeit das gemeinsame Besprechen einer MDR-Reportage vom Mai 2023 anzuschließen. Es handelt sich um die 17-minütige Dokumentation Hakenkreuz, Hitlergruß und Rechtsrocksongs, die sich erhellend mit dem Thema Rechtsextrem auf TikTok beschäftigt (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=hFJMP21nBy8).

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PDF

* AB 1 (Fortsetzung)

* Lösung AB 1

* Lösung AB 2

www.musikundbildung.de

* Beitrag als PDF

© Pixabay / geralt

Wie wäre es, wenn Schüler:innen aus einem Rock-Instrumental und selbst aufgenommenen Worten des Deutschlandlieds eine Collage produzieren: eine akustische ‚Störung‘ wider die lippensynchrone und nationalistisch überhöhende Instrumentalisierung von Musik via TikTok?

I. Rammstein: Ich tu dir weh -- Instrumental https://www.youtube.com/watch?v=lFIFlYPcNGo

II. Heavy Metal Trap Beat https://www.youtube.com/watch?v=zR-qexnwxJE

LITERATUR

Höftmann, Andreas (2023): Skandale in der Musik (= EinFach Musik). Braunschweig: Westermann.

Wehrli, Reto (2012): Verteufelter Heavy Metal. Skandale und Zensur in der neueren Musikgeschichte [korrigierte und ergänzte Ausgabe von 2001/2005]. Münster: Telos Verlag Dr. Roland Seim M. A.

AB 1

Station 1 (Pflicht): Für Minderjährige nicht geeignet -- Kunst im Lichte des Jugendschutzes

i

Wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche vor Spielen, Texten, (Bewegt-) Bildern und Musik zu bewahren, die ihre Vorstellungswelt und Urteilsfähigkeit negativ prägen können, dann kommt eine besondere Behörde des Bundesfamilienministeriums ins Spiel: die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ).

Welche Aufgaben hat die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz?

* Die BzKJ führt eine Liste (‚Index‘) von jugendgefährdenden Medien (z. B. von DVDs, Büchern, Zeitschriften, Comics, CDs, Webseiten, Online-/Spielen). Die Behörde macht dadurch kenntlich, welche Kommunikationsmittel nicht öffentlich vermarktet und an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren verkauft werden dürfen.

* Außerdem arbeitet die BzKJ mit Wissenschaft und gesellschaftlichen Gruppen an der Weiterentwicklung des Jugendmedienschutzes und fördert Formate zur Stärkung kindgerechter Medienpraxis und -erziehung.

Auf welcher gesetzlichen Grundlage handelt die Bundeszentrale?

Das Grundgesetz garantiert die Freiheit der Meinungsäußerung und der Kunst (Artikel 5, Absatz 1 und 3 GG). Diese Freiheit kann jedoch eingeschränkt werden:

* Dies gilt für Fälle des Strafgesetzbuches, z. B. bei der Weitergabe von Werbemitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86 StGB), bei Volksverhetzung (§ 130 StGB), bei der Anleitung zu Straftaten (§ 130a StGB), bei Verherrlichung von Grausamkeit (§ 131 StGB) oder bei der Verbreitung von Gewalt-, Tier-, Kinder- und Jugendpornographie (§ 180a, b, c StGB).

* Laut Jugendschutzgesetz sind Medien außerdem dahingehend zu bewerten, ob sie „offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit schwer zu gefährden“ (§ 15, Absatz 2, Satz 5 JuSchG).

Wie läuft das Verfahren der Listenführung (‚Indizierung‘) ab?

* Tätig wird die BzKJ auf Antrag von ausgewiesenen Einrichtungen (z. B. Jugendbehörden) sowie auf Anregung von Polizei, Zoll, Ordnungsämtern, Schulen oder Trägern der freien Jugendhilfe.

* Der Eintrag von Titeln in die Liste jugendgefährdender Medien erfolgt für 25 Jahre und kann für weitere 25 Jahre verlängert werden. In 733 von 1.390 Fällen entschied die BzKJ 2022 für eine Erst- bzw. Folge-Indizierung.

* Künstler, Urheber und Musikrechte-Inhaber können Entscheidungen der BzKJ vor dem Verwaltungsgericht anfechten. Außerdem können sie nach zehn Jahren direkt bei der Bundeszentrale einen Antrag auf Listenstreichung stellen.

Welche Vorbehalte gegenüber der Listenführung gibt es?

* Kritiker argumentieren, dass die Listenpraxis der BzKJ zu einer Bevormundung der Bevölkerung und zu einer unwissenschaftlichen, intransparenten und moralisierenden Verurteilung von Medien führen würde.

* Gleichzeitig wird die Wirksamkeit der Listenführung infrage gestellt. Zwar müssen Anbieter etwa mit Bußgeldzahlungen rechnen, wenn sie jugendgefährdende Texte, Bilder und Musik bewerben oder an Minderjährige weitergeben. Doch haben gesetzliche Hürden überhaupt eine Chance gegen die ‚kreative‘ und blitzschnelle Verbreitung von problematischen Medien-Inhalten unter Heranwachsenden?

! Lies den Text zu Station 1. Vervollständige die Übersicht auf der folgenden Seite.

AB 2

Station 2 (Wahl): Für Minderjährige nicht geeignet -- Heikle deutsche Songs der letzten Jahrzehnte

Fall 1: Die Ärzte -- Geschwisterliebe (1986)

In den 1980er--Jahren bekamen Die Ärzte amtlichen Ärger mit damaligen westdeutschen Medienprüfern. Grund: Die Berliner Punkrock- Band um den Frontmann Farin Urlaub (Jan Vetter) provozierte mit einer schaurigen Gute-Nacht-Geschichte bzw. mit einem Text über sexuellen Tierkontakt. Bis 2004 war der Verkauf der entsprechenden Titel an Unter-18-Jährige verboten. Ein weiteres Ärzte-Lied handelt von der körperlichen Beziehung (Inzest) zwischen Bruder und Schwester und gilt bis heute als jugendgefährdend. Mehrfach spielte die Band bei Live-Konzerten die Instrumentalversion der Ballade Geschwisterliebe, während die Fans das Singen des Wortlautes übernahmen.

Fall 2: Rammstein -- Ich tu dir weh (2009)

Seit ihrer Gründung 1994 gehört der gezielte Tabubruch zum Markenkern der Neuen-Deutschen-Härte-Gruppe Rammstein. Auch ihr Song Ich tu dir weh sorgte 2009 für Gesprächsstoff. Mit hämmernden Rhythmen und basslastigen Gitarrensounds unterlegt, trägt die raue Stimme von Till Lindemann drastische sexuelle Schmerzfantasien vor. „Dein Körper schon total entstellt -- egal, erlaubt ist, was gefällt.“ 2009 wurde die Weitergabe des dazugehörigen Albums Liebe ist für alle da an Jugendliche unterbunden. Doch Rammstein klagte gegen diese Markteinschränkung -- und bekam Recht. Seit 2010 darf Ich tu dir weh in Deutschland ungehindert vertrieben werden. 2011 erhielt der Clip zum Lied den ECHO für das beste nationale Musikvideo.

Fall 3: Kollegah & Farid Bang -- 08/15 (2017)

Trotz oder gerade wegen frauenverachtender und gewaltverherrlichender Inhalte stürmte das Album Jung, brutal, gutaussehend 3 der Deutschrapper Kollegah (Felix Blume) und Farid Bang (Farid El Abdellaoui) 2017 die Charts. Besonders brisant: Der Bonus-Track 08/15 enthält gewagte Anspielungen an die deutsche Geschichte. O-Ton: „Mein Körper definierter als vom Auschwitz-Insassen“ und „Mach wieder mal ‘nen Holocaust …“. Dessen ungeachtet bescherte der kommerzielle Erfolg des Hiphop-Albums im März 2018 Kollegah und Farid Bang einen ECHO. Die Auszeichnung für derart umstrittene Rap-Kunst löste allerdings heftige Proteste aus, sodass der Musikpreis seither nicht mehr vergeben wird. Im September 2018 kam es darüber hinaus zu der Entscheidung, Jung, brutal, gutaussehend 3 auf die Liste jugendgefährdender Medien zu setzen.

! 1. Löse das Gitterrätsel mithilfe der obenstehenden Informationen. Beachte: ä = ae.

2. Ordne ein instrumentales Hörbeispiel entweder den Ärzten, Rammstein oder Kollegah & Farid Bang zu.

Begründe deine Entscheidung anhand musikalischer Merkmale des Audios.

Suchworte:

  • Gebürtiger Nachname von Kollegah: ____
  • Begriff für Geschwisterliebe: ____
  • Stilrichtung der Ärzte: ____
  • Anspielung im Song 08/15 (Begriff für Völkermord an den Juden): ____
  • Nachname eines Sängers der Ärzte: ____
  • Stilrichtung von Rammstein: ____
  • Neue Deutsche ____

    7. Problematisches Album von Kollegah & Farid Bang: ____

    Jung, ____ , gutaussehend 3

    • 8. Nachname eines Sängers von Rammstein ____ 9. Name eines abgeschafften deutschen Musikpreises ____
    • 10. Umstrittenes Album von Rammstein ____ ist für alle da

    T S U A C O L O H M N N U R L A U B T S L N P U N K R O C K X A B T Z O H C E V B M R R S E B E I L P E B O U E N Z J D A D R L R T Z P W N O N G N U I A N E T Q I M U S M X L I L R L F B H A E R T E

    AB 3

    Station 3 (Wahl): Für Minderjährige nicht geeignet -- Brisante Musik/-videos auf YouTube

    Der Berliner Deutsch-Rapper Bushido (alias Anis Ferchichi) hat seit den 2000er--Jahren immer wieder von sich reden gemacht.

    Die Anlässe waren medienwirksame Streitigkeiten (‚Beefs‘) mit Künstlerkollegen, die Nähe zu polizeibekannten arabischstämmigen Großfamilien sowie Diskussionen über aggressive und beleidigende Songtexte. Aktuell steht etwa Bushidos Album Sonny Black (2015) auf der Liste (‚Index‘) für jugendgefährdende Medien. Dazu war 2019 auf oe24.net diese Meldung zu lesen:

    „Jugendgefährdung: 300 Bushido-Videos auf YouTube gesperrt

    […] Auf Druck der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein hat das Videoportal YouTube 300 Videos gesperrt, die das Album ‚Sonny Black‘ des Rappers Bushido oder einzelne Tracks daraus verbreitet haben. Da das Album als jugendgefährdend indiziert1 sei, dürfe es weder an Kinder und Jugendliche verkauft werden, noch für sie im Internet frei zugänglich sein, teilte die Medienanstalt am Donnerstag mit.

    […] Die Medienanstalt verwies darauf, dass das Album von Bushido (41) unter anderem Frauen und Homosexuelle herabwürdige und Gewalt verherrliche. Es sei deshalb 2015 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert worden, was Ende Oktober 2019 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden sei.“

    1 indiziert: als Medium gekennzeichnet, das nur für Menschen über 18 Jahren bestimmt ist https://www.oe24.at/leute/deutschland/ jugendgefaehrdung-hunderte-bushido-videos -von-youtube-geloescht/408451886 [22.05.2023]

    ! Beteilige dich an einer Umfrage zum Thema Jugendgefährdende Musik/-videos auf YouTube.

    Beantworte dazu in Stichworten die nachstehenden Fragen. Ergänze gegebenenfalls zusätzliche Ideen.

    Hänge deine Antworten für einen ‚Gallery Walk‘ an der Wand des Klassen-/Musikraums auf.

    Suche im Plenum das Gespräch mit deinen Mitschüler:innen über die jeweils gefundenen Lösungen.

    Umfrage zu jugendgefährdenden Musik/-videos auf YouTube:

  • Wann sind Songs und Musikvideos für dich jugendgefährdend? ____
  • Wann und in welchem Maße durchdenkst bzw. debattierst du Botschaften (Textzeilen, Bildgeschichten) eines Songs bzw. Musikvideos? ____
  • Wie wirksam ist es, durch Sperrungen auf YouTube Heranwachsende von jugendgefährdenden Songs und Musikvideos fernzuhalten? ____
  • Inwiefern verhindert das Löschen von jugendgefährdenden Songs und Musikvideos auf YouTube wichtige Lernprozesse bei Heranwachsenden (z. B. Erziehung zur Toleranz)? ____
  • Wie würdest du in Chats auf (unsachliche) Kommentare reagieren, wenn YouTube altersunangebrachte Songs und Musikvideos blockiert? ____
  • Eigene Dinge: ____
  • AB 4

    Station 4 (Wahl): Für Minderjährige nicht geeignet -- Problematische Lip-Sync-Videos bei TikTok

    Die Online-Plattform TikTok begeistert vor allem Heranwachsende in aller Welt. Ist es doch besonders einfach, kurze Videos mit Musik, Tanz und anderen unterhaltsamen Posts zu produzieren. Einen besonderen Hype übt das Erstellen von Beiträgen aus, in denen Menschen das Singen von Songs mit ihren Lippenbewegungen nachahmen. Aber die sängerische Selbstdarstellung über Lippensynchronisation (Lip-Sync) hat auch Grenzen. Wenn Eltern z. B. mit ihren Kleinkindern anstößige Ballermann-Hits wie Layla performen oder sexbetonte Texte der YouTuberin Katja Krasavice mit entsprechenden Bewegungen zeigen, wird das Recht der Minderjährigen auf Selbstbewahrung verletzt. Von einem anderen schwerwiegenden Sachverhalt berichtete jugendschutz.net im April 2023. Danach gibt es Lip-Sync-Videos auf TikTok, die extremistische Musik mit volksverhetzenden oder Holocaust-leugnenden Botschaften veröffentlichen. Bereits im Januar 2020 hatte belltower.de auf Folgendes aufmerksam gemacht:

    „Hat TikTok ein Rechtsrock-Problem?

    [Derzeit entfalten sich] in der deutschsprachigen Community Videos mit der Musik rechtsextremer Bands. Etwa das einer jungen Frau, die einen Song der Rechtsrock-Band ‚Sleipnir‘ mit den Lippen synchronisiert und dafür über 700 Likes bekommt.

    […] Auf dem Profil der TikTok-Userin […] finden sich weitere gut geklickte Videos, in denen sie rechte Musik1 mit den Lippen synchron begleitet.

    […] Sucht man weiter, stößt man auf Kanäle, die bis zu 10.000 Follower*innen und über hunderttausend Klicks auf ihren Kanälen haben. Das ist für TikTok nicht besonders viel, aber bei dem Inhalt der Videos und der Tatsache, dass viele Nutzer*innen auf TikTok sehr jung sind, nicht unbedenklich.

    […] Ein selbsternannter Admin2 eines Teams, dessen Hashtag über 600.000 Mal geklickt wurde, postet regelmäßig Videos von sich im Shirt der als kriminelle Vereinigung verbotenen Band ‚Landser‘ und synchronisiert deren Texte auch gerne mal mit den Lippen. Zum Beispiel [… ein Lied] aus dem Album ‚Deutsche Wut -- Rock gegen oben‘, welches 2004 wegen Volksverhetzung indiziert3 und beschlagnahmt wurde.

    Andere Plattformen wie YouTube gehen seit einiger Zeit verstärkt gegen Hate Speech und verbotene Inhalte vor, hoffentlich werden in Zukunft auch bei TikTok die Bemühungen intensiviert. Mittlerweile gibt es zumindest eine NetzDG4-Meldeseite für die Plattform und die Rechtsrock-Szene auf TikTok hat mit Sperrungen von Kanälen zu kämpfen. […]“

    1 speziell: Musik des rechtsextremen Hiphop-Duos ‚A3stus‘

    • 2 Admin[istrator]: Verwalter z. B. einer Chatgruppe
    • 3 indiziert: auf die Liste jugendgefährdender Medien gesetzt
    • 4 NetzDG: Netzwerkdurchsetzungsgesetz, betrifft z. B. Hasskriminalität auf YouTube und Co.

    https://www.belltower.news/ internet-hat-tiktok-ein-rechtsrockproblem-95179/

    [14.05.2023]

    ! Setze dich künstlerisch mit Station 4 auseinander.

    * Gestalte einen Soundtrack von 20-30 Sekunden mit einem Audioprogramm wie Audacity oder GarageBand.

    * Deine Musik lädt bewusst nicht zum lippensynchronen Singen ein, sondern fällt als Anti-Lip-Sync-Kunst auf.

    * Verwende ein ‚Rock Guitar Rap Instrumental‘ als Hintergrund. Sprich dazu Schlüsselwörter ein, die sich in der deutschen Nationalhymne finden, aber rassistisch überhöht und missbraucht werden können, z. B.: ‚Recht‘, ‚Freiheit‘, ‚Blühe, deutsches Vaterland‘.

    * Verfremde Musik und Text. Nutze Tempo- und Tonhöhenveränderungen, Echo-Effekte, Spur-Überlagerungen, Wiederholungen mit harten Schnitten etc.

    © Pixabay / geralt

    By Andreas Höftmann

    Titel:
    FÜR MINDERJÄHRIGE NICHT GEEIGNET.
    Autor/in / Beteiligte Person: Höftmann, Andreas
    Zeitschrift: Musik und Bildung, 2023-07-01, Heft 3, S. 19-35
    Veröffentlichung: 2023
    Medientyp: serialPeriodical
    ISSN: 0027-4747 (print)
    Sonstiges:
    • Nachgewiesen in: DACH Information
    • Sprachen: German
    • Language: German
    • Document Type: Article
    • Full Text Word Count: 3557

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