Christine Luckritz Marquis Death of the Desert. Monastic Memory and the Loss of Egypt's Golden Age, Divinations: Rereading Late Ancient Religion, Philadelphia, PA. (University of Pennsylvania Press) 2022, S. 264, ISBN: 9780812253627, $ 65,–
Die Monografie von Christine Luckritz Marquis (von nun an Verf.) eröffnet eine zugleich anregende wie neue Perspektive auf die ägyptische Wüste und das frühchristliche Mönchtum. Anregend, weil sie eine überzeugende Darstellung der mentalen Resonanzräume und diskursiven Konstellationen bietet, mit denen das asketische Leben in der Wüste zum Inbegriff der körperlichen Transformation hin zu einem engelhaften Dasein stilisiert werden konnte. Neu, weil das vorliegende Buch die Wüste konzeptionell wie inhaltlich als Ort der Gewalterfahrung in Szene setzt: der Gewalt der Mönche gegen die Regungen des eigenen Körpers und der eigenen Erinnerungen, gegen die Dämonen und heidnischen Kultgegenstände; aber auch als Schauplatz von physischer Gewalt gegen die Mönche selber, etwa durch Räuberbanden, Barbaren und vor allem durch den alexandrinischen Bischof Theophilus. Dabei spielt die negative Rolle des letzteren für die Gesamtdarstellung des Buches insofern eine wichtige Rolle, als dieses von der Überlegung ausgeht, dass gerade der von Palladius und anderen Quellen dokumentierte Überfall auf die Langen Brüder einen Krisenmoment und Wendepunkt in der Geschichte des Mönchtums darstellte, welcher der Wüste ihren Zauber genommen und eine nachhaltige Flucht- und Exilbewegung aus Ägypten freigesetzt hat.
Obwohl diese und andere im Buch vorfindbare Thesen ihre Belastbarkeit noch erweisen müssen bzw. anders nuanciert werden können (siehe unten), liegt die Faszination der gesamten Studie letztlich darin, dass sie Phänomene und Sachverhalte diskursiv miteinander zu verbinden vermag, welche herkömmlicherweise in separaten Studien abgehandelt werden. So scheint mir vor allem die Einsicht in die konzeptionelle Verbindung von Askese und Gewalt eine fruchtbare und folgenreiche Kategorie einzuführen, die das vorliegende Buch zu einem wertvollen Beitrag für die zukünftige Forschung zum frühchristlichen Mönchtum macht: „Violence was inherent in the Egyptian monastic project from its outset. The desert as it was imagined did not exist without ascetic violence." (
Nach einem einführenden Kapitel über die Bedeutung der Wüste als Schauplatz christlicher Askese (Imagining and inhabiting the desert), in welchem Verf. die topographischen Eigenschaften der Eremitensiedlungen im westlichen Nildelta und vor allem die diskursiven Konstellationen beschreibt, welche die Wüste als Schauplatz eines täglichen Kampfes sowohl gegen die physischen Widrigkeiten des Ortes wie gegen die Angriffe dämonischer Mächte haben erscheinen lassen, bespricht das Buch in den folgenden Kapiteln einzelne Aspekte dieser kosmischen Auseinandersetzung. Zunächst nimmt das darauf folgende zweite Kapitel (Psalmody and prayer as ascetic weapons) die asketische Praxis der Wüsteneltern im Allgemeinen und das Gebet im Besonderen „als Waffe zur Umsetzung der göttlich legitimierten Gewalt" (
Das dritte Kapitel (Monks and memory sanctions) bildet vielleicht am eindrücklichsten die Eigenschaft der Monografie ab, historische Sachverhalte diskursiv zusammenzuführen, die bisher eher voneinander getrennt abgehandelt worden sind. Unter dem (begrifflich nicht unproblematischen) Stichwort der damnatio memoriae führt dieses weitreichende Kapitel in die Praxis der Erinnerungsmanipulation der Antike ein. Dieses vor allem aus dem politischen Leben Roms bekannte Phänomen (welches Verf. mit Blick auf die jüngste Literatur auch bespricht) möchte Verf. auch auf die asketische Praxis und auf die in der asketischen Literatur behandelte Frage nach dem Umgang mit den für das eremitische Leben problematischen Erinnerungen an die vergangenen weltlichen Verstrickungen anwenden. Gleichzeitig formuliert sie die Hypothese, dass Mönche aus der Wüste auch an einer anderen Form von religiöser Erinnerungsmanipulation teilhatten, und zwar an der von Theophilus angeführten Zerstörung des Serapistempels in Alexandrien. Hilfreich scheinen mir vor allem die Überlegungen zur Zielrichtung solcher Formen der damnatio memoriae zu sein: Wie bei der Zerstörung von Kaiserportraits ist auch in den anderen genannten Anwendungsfeldern nicht das Auslöschen der Erinnerung das Ziel solcher Handlungen, sondern das „aktive Vergessen" (
Das vierte Kapitel (The desert and the discourse on barbarians) bewegt sich auf der Schnittstelle zwischen Historiographie und Diskursanalyse und hinterfragt die in der Forschung seit langem verbreitete Vorstellung, wonach es die wiederholten „barbarischen Inkursionen" im Laufe des fünften Jahrhunderts waren, die wesentlich zur Krise des Mönchtums in der Sketischen Wüste geführt hätten, eine Vorstellung, die in der Forschung des letzten Jahrhunderts auch gerne mit ideologisch bedingten Rückprojektionen auf das Ägypten der Kolonialzeit gekoppelt war. Mit viel Gewinn ist vor allem die Besprechung der schwierigen Quellenlage zu den einzelnen Völkergruppen an den westlichen und südlichen Grenzen des spätantiken Ägyptens wie auch zum angeblichen Barbarenüberfall von 407–408 zu lesen. Dieses Ereignis ist auch insofern von entscheidender Bedeutung, als es zeitlich in die Nähe des von Theophilus orchestrierten Angriffs auf die Mönche führt. Wie Verf. hervorheben möchte, lässt sich die Vermutung einer tatsächlichen Invasion größeren Ausmaßes angesichts des Entstehungskontextes und der ideologischen Eigenschaften der jeweiligen Quellen kaum erhärten. Von besonderem Interesse für die asketische Literatur sind in diesem Kapitel vor allem die Überlegungen zur Zielrichtung der Evokation des „Barbarischen": Dieses beschreibt auf der einen Seite die von den außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes sich bewegenden monsterhaften Wesen oder Räuberbanden ausgehende Gefahr (und die daraus entstehenden neuen Bewährungsmöglichkeiten für die Wüsteneltern), und es umschreibt auf der anderen Seite die am Körper des Asketen sichtbare Verwischung der Identitäten, wie am Beispiel des Äthiopiers und ehemaligen Räubers Abba Moses veranschaulicht wird (119–122).
Im fünften und letzten Kapitel (Reordering the desert) kommt Verf. ein letztes Mal und nun am ausführlichsten auf dasjenige Ereignis zu sprechen, welches ihrer Meinung nach das Ende des Goldenen Zeitalters des asketischen Experimentes in der Nitrischen Wüste eingeläutet hat. Wie Verf. aus dem Vergleich zwischen den unterschiedlichen und in ihren jeweiligen Aussageintentionen gegenläufigen Quellen plausibel zu machen versucht, hat Theophilus die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Autoritätslegitimation und zur Gewaltanwendung gegen die Mönche aktiviert, u. a. die Inanspruchnahme der polizeilichen Gewalt der Behörden. Dieses Vorgehen des alexandrinischen Bischofes sei also auch im Zusammenhang seiner machtpolitischen Ansprüche über die rein kirchlichen Zuständigkeiten hinaus zu verstehen (
Während die Studie als ganze eine überzeugende und in sich schlüssige Darstellung bietet, und obwohl sich einzelne Kapitel durch eine sorgfältige Besprechung der Quellenlage auszeichnen, fehlt es auch nicht an Hypothesen oder Vermutungen, die nicht über das Spekulative hinausgehen und einen eher eklektischen Gebrauch der Quellen voraussetzen. Es kommt Verf. jedenfalls zugute, dass sie den Leser an den jeweiligen Stellen dementsprechend vorwarnt. Das gilt nicht nur für die Behauptung, dass auch Mönche an der Zerstörung des Serapistempels aktiv teilgenommen hätten, sondern auch für den Versuch, die in Erzählungen über damnatio memoriae beinhaltete Semantik auf Evagrius anzuwenden (86–87), oder für die Vermutung, dass Abba Moses sich unter den Opfern des Theophilus befunden habe (
Positiv hervorzuheben ist neben der diskursiven Tiefe der Analyse auch die weite Bandbreite an Quellen, die für die einzelnen Kapitel herangezogen wurden (nur punktuelle Beachtung findet allerdings das Leben des Antonius des Athanasius von Alexandrien), wobei die Verwendung der Apophthegmata sich wie ein roter Faden durch die Monografie zieht. Diese gegen Ende des fünften Jahrhunderts in Palästina zusammengestellte Sammlung wirft nochmals einen eigenen Blick auf die Blütezeit des ägyptischen Mönchtums, wobei sich Verf. von der Meinung einer anti-origenistischen Grundtendenz dieser Sammlung absetzt. Erzählungen, in denen die Gefahren des Lesens der Traktate des Origenes evoziert werden, ließen nämlich keine Aussagen über die theologische Haltung der Tradentenkreise zu, sondern spiegelten eher ihre Angst vor den mit dem Lesen des Origenes einhergehenden Kontroversen wider (10–14). Dennoch, oder gerade deshalb, vermisst der Leser einer Studie, die sich zum Teil vordergründig mit dieser Quelle beschäftigt, eine einschlägigere Auseinandersetzung mit ihrer komplexen Überlieferungs- und Übersetzungsgeschichte. Während die meisten von Verf. verwendeten Sprüche der Apophthegmata aus der griechischen alphabetischen Sammlung entnommen worden sind, lässt Verf. vor allem gegen Ende der Monografie erkennen, inwiefern auch die koptische Überlieferung wichtige Erkenntnisse und Schlussfolgerungen über die (fehlende) anti-origenistische Tendenz dieser Sammlung ermöglichen würde (
Mit Blick auf die verwendete Literatur zur religiösen Gewalt und zur asketischen Praxis im frühen Christentum fallen mir keine größeren Lücken auf, wobei die englischsprachige Literatur klar dominiert. Deutlicher ins Gewicht fällt hingegen das Fehlen von jüngeren Studien zur archäologischen Erschließung der Eremitensiedlungen im Nildelta (Victor Ghica, Denis Weidmann).
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Sowohl in ihrer Ganzheit wie auch in ihren einzelnen Kapiteln erweist sich die Monografie als wertvoller und origineller Beitrag für die Erforschung der Geschichte des ägyptischen Mönchtums, der asketischen Praxis und der Konfliktgeschichte des spätantiken Christentums, welcher hoffentlich weitere Beiträge und Besprechungen nach sich ziehen wird.
By Jonathan Stutz
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