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Evolution im Schnelldurchlauf.

Nadine, Filko
In: Fleischwirtschaft, 2023-12-14, S. 26-30
Online serialPeriodical

Evolution im Schnelldurchlauf 

Genmanipulation, Gentechnik, Geneditierung – auch im Kontext alternativer Proteine kommt es immer wieder zur Diskussion über die Veränderung von Genen. Von Nadine Filko

Die einen sagen, sie sei unerlässlich für ein funktionierendes „Novel-Food-System". Die anderen behaupten, in ihren Produkten gäbe es keine veränderten Gene. Dass diese aber im Prozess oft trotzdem zum Einsatz kommen, auch wenn sie nicht im Endprodukt vorkommen, darüber spricht man ungern. Warum? Ist die Veränderung von Organismen zur Vermeidung oder Erreichung bestimmter Ziele beziehungsweise Eigenschaften eines Organismus schädlich? Woher kommt die Furcht vor der Veränderung? Und welche Bedeutung könnte die Editierung von Genen abseits der Novel-Food-Technologien haben, um Pflanzen zu züchten, die den Herausforderungen der wachsenden Weltbevölkerung begegnen können? Wir führen Sie vom Buzzword über die Fachtermini in Richtung Erkenntnis über ein viel besprochenes, aber wenig verstandenes Thema.

Landwirtschaftliche Entfremdung

Die Grundlagen für die Idee genetisch veränderter Pflanzen im Kontext einer effizienteren Lebensmittelwirtschaft sind gar nicht so innovativ, wie viele in Anbetracht der Diskussion um Gentechnik und im Kontext der Produktion von Lebensmitteln vielleicht meinen. Wir kreuzen Organismen seit Tausenden von Jahren. Die modernen Methoden gehen im weitesten Sinne auf die mendelsche Lehre zurück, und die ist der Allgemeinheit aus dem Biologieunterricht als Vererbungslehre bekannt. Eine Lehre, die als Grundlage für die modernen Züchtungsmethoden dient. Aus dem historischen Wissen wird und wurde Innovation. Wie diese gegenwärtig aussieht, weiß David Spencer, freiberuflicher Wissenschaftskommunikator, promovierter Biologe und Teil des Vereins Öko-Progressives Netzwerk. Er hilft Wahrheitssuchenden mit dem Ziel, evidenzbasierte Politik und Gesetzgebung rund um wenig verstandene wissenschaftliche Themen wie Gentechnik voranzutreiben. Dabei führt er uns durch das Paradoxon der Furcht vor einer Unbekannten, die wir eigentlich schon lange kennen.

„Gentechnik wird heiß diskutiert, aber leider sehr selten mit Fakten unterlegt", sagt der Wissenschaftler. Die Entfremdung von der Landwirtschaft und fehlende Transparenz über eingesetzte Mittel haben laut dem Experten dazu beigetragen, dass nur wenig Wissen über Prozesse und Methoden vorherrscht und sich in der breiten Öffentlichkeit durch die fehlenden Informationen eine Art „Wissenschaftsfeindlichkeit" entwickelt hat. Aber nicht nur technologische Wissenslücken sorgen für Unverständnis gegenüber Gentechnik und ihren Verwandten. Ein Problem sei auch die Entfremdung von den Landwirt:innen und den Herausforderungen, mit denen sie zu kämpfen hätten und bei deren Überwindung Gentechnik heute schon helfe. Ob schlechte Ernte oder Ernteausfall aufgrund von Klimawandel, die Supermarktregale sind (noch) voll.

Natürlichkeit versus Nachhaltigkeit

Neben der Entfremdung von der Landwirtschaft gebe es eine weitere wichtige Ursache für die Vorbehalte gegen Gentechnik: die Verwechslung von Natürlichkeit und Nachhaltigkeit. „Es gibt ja auch Begriffe wie Gentherapie. Das klingt im ersten Augenblick befremdlich, aber wenn man selbst eine genetische Krankheit hat oder ein Kind mit einer genetischen Krankheit, dann denkt man da nicht weiter drüber nach. Es ist einfach notwendig", erklärt Spencer. Das Gleiche gelte für Impfstoffe, die in Fermentern von genetisch veränderten Bakterien hergestellt werden. Aber sobald es um unser Essen gehe, um das, „was in der vermeintlichen Natur ausgesät und ausgesetzt wird, bringen die Menschen ein Bauchgefühl mit".

Der Grund sei eine Verklärung und sehr idyllische Vorstellung von Landwirtschaft. Der Begriff der Natürlichkeit werde hier falsch verwendet. Oft gehe es im Kontext natürlicher Lebensmittel um nachhaltige Lebensmittel. Sie sollen wenig gespritzt sein oder ohne viel Dünger auskommen. Aber die Pflanzen, die heute auf den Tellern landen, haben laut dem Experten nicht mehr viel mit ihren natürlichen Verwandten zu tun. Dass Nachhaltigkeit nicht unbedingt natürlich sei, zeige sich auch in vielen anderen Bereichen des Lebens: „Es ist auch nicht besonders natürlich, Solarzellen auf dem Dach zu montieren. Natürlicher wäre es, einfach Braunkohle aus dem Boden auszugraben und anzuzünden. Das ist aber nicht besonders nachhaltig."

Veränderung mit Tradition

Ein weiteres Problem sei die falsche Verwendung von Begriffen aus dem Bereich. „In den Medien hören wir oft kritische Stimmen. Die Vokabeln Genmanipulation, Gentechnik, Geneditierung werden dabei inflationär genutzt, verwechselt und falsch verwendet", weiß Spencer. Er weist darauf hin, dass ein anderes Wort für Gentechnik Züchtung ist, und die betreibe der Mensch schon seit über 10.000 Jahren, um größere Früchte zu produzieren oder Resistenzen gegen schädliche Organismen wie Mehltau oder den Maiszünsler zu entwickeln: „Das machen wir schon seit der neolithischen Revolution. Ohne Pflanzenzüchtung gäbe es nicht so eine Biodiversität und Vielfalt auf unseren Tellern." Im Grunde sind die Früchte, wie wir sie heute kennen und in verarbeiteter Form in unseren Lebensmitteln konsumieren, eine Folge der bewussten Veränderung von Pflanzen. Es handelt sich um einen Prozess mit Tradition, der viele Lebensmittel, wie wir sie kennen, überhaupt erst genießbar gemacht hat. So wurden zum Beispiel bei manchen Produkten Bitterstoffe rausgezüchtet. „Genveränderungen sind die Evolution im Schnelldurchlauf", erklärt Spencer weiter. Die Veränderungen, die heute zum Beispiel mithilfe genomischer Techniken erzwungen werden können, seien nichts anderes als Mutationen, die auch natürlich entstehen. Sie könnten auch, durch Umwelteinflüsse bewirkt, millionenfach spontan auf dem Feld entstehen. Dabei seien die genverändernden Methoden, die heute auf dem Prüfstand stehen, mittlerweile so fein oder minimalinvasiv, dass sie von den natürlich möglichen Mutationen nicht mehr zu unterscheiden seien: „Am Ende kann man gar nicht nachweisen, ob die Veränderung im Labor oder spontan entstanden ist." Die Gentechnik werde dabei sowohl unter- als auch überschätzt. Überschätzt, da der Effekt gar nicht so groß sei. Sie sei kein Allheilmittel für die Landwirtschaft und werde diese allein nicht nachhaltiger machen können. Unterschätzt, da sie Prozesse beschleunigen könne, die uns dabei helfen, die Landwirtschaft zu optimieren. Es brauche für eine nachhaltige Landwirtschaft auch andere Maßnahmen wie Pflanzenschutzmittelreduktion. Die grundsätzlichen Probleme in diesem Wirtschaftssektor seien zudem an ganz anderer Stelle zu suchen.

Politische Fallstricke

„Die EU-Kommission hat gemerkt, dass sie das nicht mehr so weiterlaufen lassen kann. Das Gentechnikrecht ist fast 30 Jahre alt und basiert auf einem überholten Wissenschaftsstand", beklagt Spencer. Die entscheidenden Politiker: innen allerdings stammten teilweise aus der Generation, die ihre Karriere auf dem alten und längst überholten Wissensstand aufgebaut habe. Sie besetzten laut Spencer teilweise hohe Posten und könnten nicht mehr umschwenken. Deutschland hinke – wie so oft, wenn es um innovative Technologien zur Transformation des Lebensmittelsystems geht – hinterher. Innerhalb des Diskurses um eine Lockerung der Gesetzgebung für neue genomische Techniken zeigt sich indes ein zähes Schauspiel.

Dabei sei Gentechnik per se ja nicht verboten, verrät mir mein Kollege bei der agrarzeitung, der Pflanzenexperte René Schaal auf Rückfrage zum Status quo. Sie müsse dennoch gekennzeichnet werden, und das ist in der EU verbrauchertechnisch ein Problem. Die Zulassungsprozesse seien zudem langwierig. „Eine Überarbeitung des Gesetzes im Sinne der genomischen Techniken würde eine Beschleunigung des Freigabeprozesses bewirken und dazu führen, dass die Produkte nicht mehr gekennzeichnet werden müssen", weiß Schaal. Der Umgang mit dem Thema wäre dann produkt- und nicht mehr prozessorientiert. Pflanzen mit Punktmutation, die eine Veränderung bewirkt, die auch natürlich hätte entstehen können, würden dann nicht mehr als Gentechnik gelten. Spencer betont dabei, dass es nicht um eine vollkommene Deregulierung gehe. Welche Effekte Gentechnik in letzter Instanz auf das Ökosystem habe, wüssten wir schließlich nicht. Dafür bräuchte es Freilandversuche, die allerdings nicht erlaubt sind. Da sei die Wissenschaft in einer Sackgasse angekommen. „Wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie ein Problem sein könnte, aber wir können es auch nicht testen und müssen uns auf das verlassen, was in anderen Ländern bereits gemacht wird."

Novel Foods

Kein Wunder also, dass in den Gesprächen mit Expert:innen rund um Novel Foods und die Herstellungsprozesse ihrer Produkte häufig sehr viel Wert auf die Unterstreichung der GVO-Freiheit gelegt wird. Wobei „GVO" also eine gentechnische Veränderung von Organismen, relativ ist und im Bereich der Gentechnik zum Beispiel etwas völlig anderes meint als bei der Genomeditierung (mehr zu den einzelnen Methoden finden SIe auf Seite 32). Dabei berufen sich die neuen Proteinmacher:innen bei der Beschreibung ihrer Prozesse vor allem darauf, dass die genetisch veränderten Organismen, die sie zur Herstellung der neuen Lebensmittel brauchen, nicht im Endprodukt verbleiben. Besser wäre vielleicht aber ein Bekenntnis zur Technologie verknüpft mit der Aufklärung darüber, was das für ein Lebensmittel bedeutet, um die öffentliche Angst vor den veränderten Organismen irgendwann zu überwinden. Die Lockerung im Umgang könnte ein Meilenstein sein, sowohl in der Herstellung von Rohstoffen für die Produktionsprozesse von Novel Foods als auch, wenn wir den Anbau pflanzenbasierter Alternativen optimieren wollen, sodass sich beispielsweise die Arbeit für die Landwirt:innen aufgrund höherer Erträge lohnt. Doch um einen sicheren Einsatz veränderter Organismen zu gewährleisten, braucht es nicht nur ein größeres Verständnis der unterschiedlichen Technologien innerhalb des Segments. Es muss zudem darauf geachtet werden, dass die Organismen sicher für die Umwelt sind und dass die Ökosysteme nicht leiden, erklärt Spencer. Wobei es bis heute keinen wissenschaftlichen Anhaltspunkt dafür gebe, dass gentechnisch veränderte Pflanzen höhere Risiken mit sich brächten als normale Pflanzen.

Problematisch seien vielmehr große Felder, eine schlechte Fruchtfolge oder fehlende Biodiversitätszonen. Diese Dinge hätten einen großen Einfluss auf die Artenvielfalt und Ökologie, während ein einzelner Buchstabe in der DNA oft in seinen Auswirkungen für die Umwelt überschätzt werde. Für die Pflanzen allerdings habe eine minimale Veränderung oft große Auswirkungen, indem sie Resistenzen entstehen lasse oder beispielsweise längere Wurzeln wachsen lasse, um das Grundwasser zu erreichen, sodass die Pflanzen in Trockenperioden widerstandsfähiger seien. „CRISPR/ Cas ist dabei die Demokratisierung von Züchtung. Ob im kleinen Labor, mittelständischen Unternehmen oder Start-up, jeder kann es machen, weil die Methode so einfach und recht kostengünstig ist", meint Spencer. Das revolutioniere den gesamten Züchtungsmarkt. Die Schnelligkeit, mit der die Veränderungen herbeigeführt werden können, ist im Angesicht des rasenden klimatischen Wandels ein Trumpf. Sie ist eine Chance, ein Talent, das gefördert werden sollte, betont Spencer.

„Die EU-Kommission hat gemerkt, dass sie das nicht mehr so weiterlaufen lassen kann."

„CRISPR/Cas ist die Demokratisierung von Züchtung."

--- ÖkoProg ---

Der Verein Öko-Progressives Netzwerk e. V. versteht sich als wissenschaftsbasierte Umwelt-NGO. Er wurde im Jahr 2020 von jungen, wissenschaftlich und politisch interessierten Menschen gegründet und engagiert sich seitdem für einen evidenzbasierten Nachhaltigkeitsdiskurs zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Einer der Schwerpunkte des Vereins liegt von Beginn an auf Innovationen im Bereich der Nahrungsmittelsicherung, zu denen auch die Neuen Genomischen Techniken (NGTs) zählen, und deren Einsatz für eine sozialökologisch nachhaltige Landwirtschaft und eine nachhaltige Bioökonomie allgemein.

PHOTO (COLOR): Foto: © Sangharsh Lohakare / Unsplash

1 Die neolithische Revolution

Die neolithische Revolution bezeichnet den Übergang vom Jagen und Sammeln zur produzierenden Tätigkeit des Ackerbaus. Wir wurden zu Landwirt:innen. Diese Transformation vollzog sich wohl über mehrere Jahrtausende und war die Grundlage unserer heutigen Lebensmittelproduktion und Lebensweise.

2 Auch Weizen ist menschengemacht.

Auch Weizen ist menschengemacht. Er ist aus dem „Einkreuzen" von Wildgrasteilen entstanden. Der gängige Brotweizen enthält durch menschliche Züchtung sechs Genome innerhalb einer Zelle. Die verschiedenen Erbanlagen stammen aus einzelnen Ursprungsarten.

3

Es gibt bereits rund 3.000 zugelassene, durch Strahlenmutagenese optimierte Obst- und Gemüsesorten, die im Supermarkt liegen und nicht gekennzeichnet werden müssen.

4 Bt-Mais

Bt-Mais oder auch „Monsanto-Mais" wie er in der Erklärung zur Gentechnik beschrieben wird, ist in Deutschland nicht erlaubt. Dabei wurde wissenschaftlich längst nachgewiesen, dass er keine Auswirkungen auf die Umwelt hat.

By Filko Nadine

Reported by Author

Titel:
Evolution im Schnelldurchlauf.
Autor/in / Beteiligte Person: Nadine, Filko
Zeitschrift: Fleischwirtschaft, 2023-12-14, S. 26-30
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 0015-363X (print)
Schlagwort:
  • EUROPEAN Commission
  • AGRICULTURAL technology
  • GENETIC engineering
  • FOOD production
  • CRISPRS
  • AGRICULTURE
  • Subjects: EUROPEAN Commission AGRICULTURAL technology GENETIC engineering FOOD production CRISPRS AGRICULTURE
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Full Text Word Count: 1793

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