Zum Hauptinhalt springen

Das Eigene und das Fremde. Philosophische und klinische Aspekte.

Sollberger, Daniel ; Galli, Serena
In: Therapeutische Umschau, Jg. 80 (2023-08-01), Heft 7, S. 327-332
Online academicJournal

Das Eigene und das Fremde. Philosophische und klinische Aspekte  The own and the foreign. Philosophical and clinical aspects  Das Phänomen des Fremden

Das Eigene und das Fremde sind nicht eigentlich philosophische Grundbegriffe, sondern eher Topoi, da immer relational aufeinander bezogen und dies immer in Bezug auf die Perspektive, in welcher wir etwas als fremd oder eigen erfahren. Fremdes geht uns an, irritiert, verunsichert, lässt uns nicht in Ruhe, entzieht sich als Fremdes aber zugleich einer Bestimmung bzw. kann nicht bestimmt werden, da es dann seine Fremdheit verlieren würde. Es hat den Charakter eines Widerfahrnisses, ist paradox bestimmt durch Präsenz im Entzug, lässt sich nicht vollständig einordnen, ist damit "ausserordentlich" und singulär. Es ist unvergleichlich und dennoch in Bezug zum Eigenen. Der Beitrag versucht eine philosophische Annäherung an die Besonderheit des Fremden -- auch in uns selbst -, um die theoretischen Überlegungen für das Verständnis eines konkreten klinischen Falls aus einer psychiatrisch-transkulturellen Sprechstunde zu verdeutlichen. Bei diesem geht es um die Frage des Nicht-Verstehens angesichts einer sowohl für die Therapeutin wie auch für die Patientin befremdlichen Verhaltensweise der Patientin. Dies führt zur Frage, ob und wie denn dieses Nicht-Verstehen seinerseits noch verstehbar sein könnte.

The own and the foreign are not actually philosophical basic concepts, but rather topoi, since they always relate to each other relationally and this always in relation to the perspective in which we experience something as foreign or own. Strangeness concerns us, irritates, unsettles, does not leave us alone, but at the same time, as strangeness, it eludes determination or cannot be determined, since it would then lose its strangeness. It has the character of a relapse, is paradoxically determined by presence in withdrawal, cannot be completely classified, is thus "extraordinary" and singular. It is incomparable and yet related to one's own. The article attempts a philosophical approach to the particularity of the foreign -- also in ourselves -- in order to clarify the theoretical considerations for the understanding of a concrete clinical case from a psychiatric-transcultural consultation. This case deals with the question of non-understanding in the face of a behavior of the patient that is alienating for the therapist as well as for the patient. This leads to the question whether and how this non-understanding could still be understandable.

Das Fremde begegnet uns alltäglich, ist etwas Altvertrautes. Wir kennen es in seiner alltäglichen Form, etwa wenn wir uns mit uns fremden Strassenpassant:innen in einer alltäglichen Art unterhalten. Wir kennen es aber auch in gesteigerter Form etwa im Kontext der seit Jahren breit diskutierten Migrationsthematik im Blick auf uns mehr oder weniger fremd erscheinende Menschen, die als Geflüchtete bei uns ankommen; wir erfahren strukturelle Fremdheit in der Vielfalt fremder Sprachen, in uns fremd anmutenden Verhaltensweisen und Sitten, aber auch im Gastrecht, das uns vielleicht auf Reisen als Fremde zuteilwird. Wir erkennen es, wenn wir etwa für Menschen, die Diskriminierungen ausgesetzt sind und sich also als Randgruppe einer Gesellschaft erleben (z.B. LGBTQIA+-Personen), das Wort ergreifen und nachdrücklich auf verborgene, strukturell aber überaus wirksame Machtverhältnisse hinweisen und beispielsweise sprachliche Selbstverständlichkeiten wie Trennung der Geschlechter in männlich und weiblich in Frage stellen.

Es sind Erfahrungen, die ausserhalb einer bestimmten Ordnung gemacht werden. Fremdheit ist dabei keine Eigenschaft, die einem Menschen wie ein Stigma anhaftet, sondern ist eben eine instabile Relation, die in beiden Richtungen oszilliert, d. h. wir können geflüchteten Personen in "unserem" Land ebenso fremd sein wie sie es uns sein können. Fremdheit ist ein Phänomen, das wir auch bereits als Kleinkinder erfahren und beobachten können, etwa im sogenannten "Fremdeln" bei Kindern im Alter von ca. 18 Monaten, wenn sie auf unvertraute Gesichter reagieren [s. die Still-Face-Experimente: https://www.youtube.com/watch?v=IeHcsFqK7So (06.05.23)]. Wir kennen es aber auch an und in uns selbst, etwa bei Phänomenen wie der Depersonalisation oder bei Wahrnehmungstäuschungen [s. Rubber Hand Illusion, https://www.youtube.com/watch?v=IKyctCYtsh8 (06.05.23)].

Solche Phänomene sind ausserhalb einer bestimmten, uns vertrauten Ordnung anzutreffen. Allerdings handelt es sich dabei noch nicht um Fremdheit in ihrer radikalen Form, auf die wir unten zu sprechen kommen.

Der Anfang des Philosophierens

Die Philosophie, so Sokrates in Platons Dialog Theaitetos [Platon 1990, Bd. 6, Theaitetos 155d], beginne mit dem Staunen. Epikur hat die im Staunen positiv konnotierte Verwunderung als Reaktion auf etwas Unerwartetes emotional in Richtung der Beunruhigung gebracht, wenn er die Angst als Ursprung der Philosophie festlegt, die es durch die philosophische Lebenshaltung (die Seelenruhe, griech. ataraxia) zu bewältigen gilt (vgl. Epikur 2004).

Im Staunen und ebenso in der Angst, so könnten wir sagen, trifft uns ein Fremdes, ein Unbekanntes, Irritierendes, Unvorhersehbares und möglicherweise auch Unberechenbares. Der Anfang der Philosophie ist nach dieser Auffassung kein Zugriff auf Unbekanntes, entsteht nicht aus Eigeninitiative, sondern ist vielmehr ein Angegangenwerden von Unvertrautem, Ungewohntem, Unordentlichem, Anomalem, Unalltäglichem, Neuartigem -- von Fremdem. Der Staunende ist dabei -- so beschreibt ihn Sokrates -- ein Ortloser, von griech. atopos, der in keine bestehende Ordnung passt. Selbstverständlich trifft dies nicht allein auf die:den Philosoph:in zu, sondern auf uns alle, die wir in verschiedenen Berufswelten, in Wissenschaft, Kunst, Politik oder Religion tätig sind. Eher umgekehrt könnte man sagen, dass jene, die durch Fremdes angegangen, irritiert und ins Staunen gebracht (oder eben auch in Angst versetzt) werden, die Möglichkeit haben, dies als Anfang ihres eigenen Philosophierens zu nutzen.

Das Denken, unsere Vernunft, zunächst aber unsere Wahrnehmung, ja, unser Leib und die körperlichen Empfindungen werden also in Beschlag genommen -- so wie eine Brille beschlagen wird. Schelling, der in seiner positiven Philosophie, weit vor Nietzsche, Husserl, Heidegger und den französischen Philosophen des 20. Jahrhunderts diesen Umstand des "Angegangenwerdens" als zentralen Ausgangspunkt bedacht hat, spricht in Abhebung von Hegel davon, dass sich die Vernunft angesichts des "unvordenklichen Seyn[s]" [AD XIV, 344] in einer Beugung -- um nicht zu sagen Verbeugung [PO XIII, 161] befinde. Die Beugung oder Flexion ist keine Re-flexion, d.h. kein selbstgesetzter Anfang, der reflexiv in der Begründungstätigkeit der Vernunft eingeholt werden könnte und sich damit ein System dialektisch abschliessen würde. Vielmehr ist es ein ekstatischer Anfang, wo die Vernunft etwas ankommt, ein Anspruch entsteht: Schelling spricht von der Überwältigung der Vernunft durch dieses unvordenkliche Sein; sie sei "wie regungslos, wie erstarrt, quasi attonita" [PO XIII, 162]. Dieser Anfang ist nach Schelling "die umgekehrte Idee" [ebda.] -- "Idee", weil sie nachträglich als onto-logischer Anfang gedacht wird, "umgekehrt", weil die Nachträglichkeit der Logik eines Ontischen festgehalten werden soll [vgl. Sollberger 1994, 352ff.].

Es taucht etwas auf, es sucht uns etwas heim, fällt uns an oder auch ein. So dass sich das Diktum aus Ludwig Wittgensteins "Tractatus logico-philosophicus": "Die Welt ist alles, was der Fall ist" [Wittgenstein 1963, 1] durchaus auch so verstehen liesse, dass sie das ist, was fällt, einfällt oder einschlägt. Positivität kommt an und wird unter den Bedingungen ihres Einschlagens fassbar -- nicht so, wie ein Blitz einschlägt, sondern vielmehr in dem Sinn, wie ein Saum an einem Kleid eingeschlagen oder aber ein sogenannter "Einschlag" in die Kettfäden eines Gewebes eingeschlagen ist. Der Saum gibt dem Stoff den Abschluss, welcher ohne ihn blosse Textur blieb. Einschlag oder Einfaltung, Pliierung oder eben Implikation bedeutet dann, dass ein nicht verfügbares Fremdes sich in einen -- zumindest teilweise -- verstehbaren Kontext einschlägt und dann als Teil dem Ganzen implizit ist, wenn auch nicht darin aufgeht.

Der Topos des Fremden

Die Vernunft, basierend auf Wahrnehmungen unseres Leibes, zeigt trotz aller gerichteten und intentionalen Orientierung als sozusagen seismographisches Organ auch eine basale Fähigkeit zur Irritation. Im Staunen ist sie empfänglich für Andersartigkeit und Fremdheit und zeigt eine systematische Offenheit gegenüber einem suchenden, nie abgeschlossenen, sondern je neu ansetzenden, geschichtlichen Umgang mit fremdem, rätselhaftem und möglicherweise nie gänzlich begreifbarem Sein [Sollberger 1994, 389]. Diese Haltung, so könnte man sagen, rechnet mit dem Fremden, d.h. damit, dass das Worüber des Staunens weiterreicht, als das wonach in der Folge gefragt und gesucht wird.

Das Eigene und das Fremde: Was mit den einleitenden Bezugnahmen deutlich wurde, ist, dass der Fremdheitserfahrung als einem Widerfahrnis der Charakter des Pat- hischen (griech. pathein, fühlen, erleiden) zugrunde liegt, was meint, dass Fremdes mich ankommt, mich irritiert und beunruhigt, indem es mich angeht, mich heimsucht, noch bevor ich selbst mich einlasse, aktiv auf es zuzugehen oder mich dagegen zu wehren versuche.

Das Eigene und das Fremde sind keine Grundbegriffe der klassischen Philosophie, sondern relational aufeinander bezogen. Es gibt kein Fremdes an sich, so wie es auch kein Links an sich gibt. Der:dem Vertriebenen ist die neue Heimat fremd und noch nicht angeeignet, der:dem Heimkeh- rer:in die alte, in der sie:er sich nicht mehr auskennt. Solange ein unerschütterlicher Logos die Ordnung der Dinge und den Menschen in seinem Denken und Tun bestimmt, ist kein Platz für radikal Fremdes.1 Das Fremde kehrt in der Philosophiegeschichte erst mit der Dezentrierung des Subjekts und der Infragestellung der Vernunft ein. Allerdings bleibt es auch in der Aufklärungsphilosophie lange noch in der defizitären Rolle eines Durchgangsstadiums auf dem Weg zum vernünftigen Ganzen, wo eigen und fremd aufgehoben sind -- so etwa in der Rede von der "Entfremdung" bei Hegel und Marx. Es ist in seiner Fremdheit jeweils nur als noch fremd bestimmt, also im Durchgang zum Bekannten, Verstandenen und Eingeordneten, womit es in seiner Irritation und Beunruhigung neutralisiert ist.

Das Fremde als solches ist aber nicht etwas, das wir noch nicht verstanden hätten, was noch nicht oder nicht mehr bekannt wäre, nicht also ein Defizit oder Mangel, sondern -- und darauf hat Bernhard Waldenfels immer wieder hingewiesen: das Fremde ist von der Art einer "leibhaftigen Abwesenheit" [Waldenfels 1997, 70], oder, wie Edmund Husserl es bestimmt, von "einer bewährbaren Zugänglichkeit des originär Unzugänglichen" [Husserl 1950, 144].

Im Anschluss an die aporetische sokratische Frage im Dialog Menon, wie es denn sein könne, dass ein Mensch etwas suchen kann, da er doch, wenn er etwas sucht, weiss, was er sucht und es dann nicht mehr suchen müsste, oder es aber nicht weiss, so dass er auch nicht weiss, was er suchen soll bzw. nicht weiss, ob er gefunden hat, wonach er sucht [Platon 1990, Bd. 2, Menon 80e, 2-5] -- im Anschluss an diese Frage haben die Hermeneutiker des späten 19. und des 20. Jahrhunderts einen Zwischenbereich zwischen fremd und eigen festgelegt, in welchem Verstehen und Auslegung möglich werden: "Die Auslegung wäre unmöglich, wenn die Lebensäusserungen gänzlich fremd wären. Sie wäre unnötig, wenn ihnen nichts fremd wäre." [Dilthey 1979, 225].

Das Fremde als Entzug

Wenn das Eigene und das Fremde also nicht klassische Begriffe sind, mit welchem Phänomene begriffen, d.h. definiert, strukturiert und damit in eine Ordnung oder einen Kontext gebracht werden, wie sind sie zu bestimmen? Fremdes ist nichts Allgemeines, sondern immer in Bezug auf die Perspektive, in welcher es erfahren wird, fremd (Erfahrung hier im aristotelischen Sinn der "empeiria" als das, was durchgemacht und durchlitten und dadurch gelernt wird). Es ist relational bezogen auf Kontrastbereiche, bezogen auf den Standpunkt, von welchem aus jemand spricht. Waldenfels hat fremd und eigen deshalb als zwei Topoi bezeichnet [Wal- denfels 2013, 23]. Im Gegensatz zum Gegensatzpaar von Selbigem und Anderem differenziert sich Eigenes und Fremdes nicht durch vergleichende Abgrenzung, die eine spezifische Differenz in Bezug auf ein Drittes festhält, also etwa eine Differenz zwischen Schwarz und Weiss in Bezug auf Farbe. Das radikal Fremde unterscheidet sich vom Eigenen nicht durch einen solchen Bezug auf ein Allgemeines, also darin, dass es einer bestimmten Interpretation sich entzöge. Vielmehr stellt es seine Interpretierbarkeit als solche in Frage, wie wir es von Grenzphänomenen des Schlafes, des Todes, des Eros oder des Rausches her kennen. Diese Phänomene entziehen sich unserer Interpretation, so dass wir uns nicht wirklich auf sie beziehen können. Dennoch aber sind sie deswegen nicht ohne Bezug zu uns. Sie lassen sich nicht einem Allgemeinen des Begriffs, einer Regel, Ordnung, einem Gesetz, einer Sprache, Sinn oder Kultur subsumieren -- und damit bändigen -, sondern stehen in Verbindung mit uns als fremder Anteil im Eigenen, als eine "région sauvage" [Waldenfels 1997, 73], als Entzug oder Überschreiten des eigenen Sinnhorizontes. Eine fremde Sprache etwa muss zumindest als Sprache, wenn auch fremde, wahrnehmbar sein, soll sie nicht einfach ein Geräusch bleiben, sondern, auch wenn sie sich noch so sehr als reine Lautmalerei anhört, doch den Index der Sprache an sich tragen und damit an uns den Anspruch auf mögliche Verständigung stellen. Das radikal Fremde entzieht sich, zeigt sich also im Entzug. Es entzieht sich jeglicher Ordnung und ist damit ausserordentlich. Das in diesem Sinn Fremde ist nicht einfach ein Anderswo, zu welchem wir keinen Zugang hätten, sondern wenn schon ist es das Anderswo [Waldenfels 2013, 26], welches sich abschattet, indem es sich zeigt, wie der Schlaf vom Wachen, der Tod vom Leben, das Kranksein vom Gesundsein sich abschattet. Die genuine Erfahrung des Fremden, darauf verweist der französische Philosoph Emanuel Levinas [2002] immer wieder, ist die, dass nicht ich mich auf es beziehe, ich also nicht in diesem Sinn mit ihm in Verbindung stehe, sondern darin, dass es ankommt, mich ankommt.

Das Fremde im Eigenen

Das Fremde, welches uns ankommt und sich nicht bereits vorweg auf den Begriff bringen, einer Ordnung sich einfügen oder in einen Bedeutungskontext einbeziehen lässt, beginnt nicht erst mit dem fremden Anderen. Wir tragen es in uns. Schelling wieder hat dies als "Freud avant la lettre" oder auch das Diktum Rimbauds "JE est un autre" [Brief an Paul Demeny, 15. Mai 1871, zweiter Seherbrief] vorwegnehmend, folgendermassen ausgedrückt: "Es denkt in mir, es wird in mir gedacht, ist ein Faktum, gleich wie ich auch mit gleicher Berechtigung sage: Ich träumte, und: Es träumte mir." [Schelling GNP X, 12] Die Übernahme des Denkens als Eigenaktivität erfolgt ex post, in einer Nachträglichkeit, mit welcher das Geschehen des Denkens, der Einfall der Gedanken, die kommen, wenn sie wollen und nicht wenn ich will, in eine Logik und Sprachstruktur eingebunden werden, wo sie verstehbar und damit in ihrer Fremdheit in den Nachwirkungen fassbar werden.

Freud hat in seiner Schrift über "das Unheimliche" [Freud 1919] mit Bezug auf Schelling die Fremdheit in uns selbst als den abschattenden unbewussten Verdrängungsanteil des Heimischen und Altvertrauten hingewiesen: "… heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer Ambivalenz hin entwickelt, bis es endlich mit seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt. Unheimlich ist irgendwie eine Art von heimlich." Das Unheimliche ist nicht wirklich neu oder fremd, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozess der Verdrängung entfremdet worden ist [Freud 1919, 254]: Die Vorsilbe "un" am Wort "unheimlich" sei "die Marke der Verdrängung" (ebda.). Dieser fremde Anteil in uns selbst wurde schliesslich über Julia Kristeva während der Flüchtlingsdebatten 2016 auch von Slawoj Žižek in den Vordergrund gestellt, wenn er in der "Zeit" schrieb, dass wir uns nicht in den Fremden wiedererkennen zu suchen sollten, um letztlich zu denken, sie seien so wie wir, sondern umgekehrt wir eher gehalten sind, eine:n Fremde:n in uns selbst zu erkennen (Žižek 2016).

Dass diese Analyse des Fremden an eine Grenze stösst, wenn man die gesellschaftliche Grossgruppendynamik betrachtet, die ihre Ursachen nicht einfach in der Anerkennung des eigenen Fremdheitsanteils im Unbewussten der Individuen hat, darauf hat Werner Bohleber in seinem Editorial der Zeitschrift "Psyche" zum Thema "Heimat, Fremdheit, Migration" hingewiesen [Bohleber 2016, 768].

Fassen wir zusammen:

Das Fremde, es ist relational, von pathischem Charakter eines Widerfahrnisses, paradox bestimmt durch Präsenz im Entzug, ausserordentlich, d.h. sich jeglicher Ordnung entziehend und damit singulär, ein Topos, der als das Anderswo selbst bestimmt und insofern in der Erfahrung ein Nicht-Ort, ein Atopos ist. Das Fremde ist unvergleichlich und steht dennoch in Bezug zum Eigenen.

Levinas hat sich die Frage, wie gedacht werden kann, dass etwas, das nicht einfach vergleichbar ist, nicht begriffen werden kann, sondern ein Singuläres ist, mich dennoch aber zu irritieren und zu beunruhigen vermag, folgendermassen gestellt: "Wie kann ein Ereignis, das nicht ergriffen werden kann, mir überhaupt noch widerfahren?" [Levinas 2003, 49]. In der Zukunft, im Tod und im Eros hat Levinas solche Verhältnisse zu einem Fremden als einem Unverfügbaren, nicht in meinen Möglichkeiten Stehenden, sondern mich irgendwie Ankommenden gesehen. "Die Zukunft des Todes, seine Fremdheit, lässt dem Subjekt keinerlei Initiative. … Den Tod besiegen, heisst, mit der Andersheit des Ereignisses ein Verhältnis unterhalten, das doch noch persönlich sein soll." [a.a.O., 53] In der Liebe erkennt Levinas ein solches Verhältnis zum Anderen, welches sich nicht einer Möglichkeit und Initiative, die mir offensteht, verdankt: "sie ist ohne Grund, sie überfällt uns und verwundet uns und dennoch überlebt in ihr das Ich" [a.a.O., 59]. Die Liebkosung ist denn auch "ein Spiel mit etwas, das sich entzieht, … mit etwas anderem, etwas immer anderem, immer Unzugänglichem, immer Zu-Kommendem" [a.a.O., 60].

Das Fremde ist also etwas, das sich uns zeigt, indem es sich entzieht, d.h. nicht im Raum unserer Möglichkeiten und Initiativen liegt, sondern allenfalls auf uns zukommt, uns ankommt, heimsucht und anspricht -- ein Anspruch, auf welchen wir zunächst Antworten. Über Fremdheit als solche lässt sich nur sprechen, wenn man vom Fremden her spricht, nicht über das Fremde. Es ist das, welches uns anspricht und worauf wir nur antworten können.

Die Antworten auf das Fremde sind wahrlich vielfältig. Häufig bestehen sie nicht nur darin, es abzulehnen und auszugrenzen, sondern gerade umgekehrt es sich anzueignen (s. den Begriff der Akkulturation), d.h. seinen Fremdheitscharakter zu nehmen in der Rückführung auf Eigenes, Eingliederung in ein Allgemeines, eine Ordnung, eine Kultur, in ein Wissenschafts- oder Rechtssystem -- oder eben auch in ein psychiatrisch-diagnostisches System.

Der Anspruch des Fremden

"Kultur ist das, was in der Auseinandersetzung mit dem Fremden entsteht", so schreibt der Ethnopsychoanalytiker Mario Erdheim und fährt fort: "sie stellt das Produkt der Veränderung des Eigenen durch die Aufnahme des Fremden dar." [Erdheim 1996, 181]. Man sollte diese Definition vorsichtig verwenden, denn die Kultur hat in der Tat die Tendenz, sich das Fremde anzueignen. Zwar verändert sich das Eigene in dieser Aneignung, allerdings verliert dann möglicherweise auch das Fremde selbst seinen Anspruch, ausserordentlich, unvergleichlich, im Entzug zu sein. In diesem Sinn kann man von einem Anspruch sprechen, wonach das Fremde uns anspricht und wir darauf Bezug nehmen: wir sind angerührt, irritiert, erschüttert (auch verängstigt) und reagieren neugierig oder verunsichert. Zugleich aber erhebt das Fremde einen Anspruch, nämlich es in seiner Eigenheit zu belassen, die, wie oben ausgeführt, gerade darin besteht, dass es sich nicht einfach einer bestimmten Interpretation, begrifflichen Fixierung und Einordnung widersetzt, sondern seine Interpretierbarkeit als solche in Frage stellt. So bleibt das Fremde einer vollkommenen Aneignung letztlich entzogen, tritt dennoch aber mit einem unausweichlichen Appell auf, auf den auch eine Nicht-Antwort eine Antwort ist. So bleibt die Asymmetrie, dass eine Antwort auf das Fremde nicht einfach im Vergleich von Eigenem und Fremden etwa durch Perspektivenübernahme erfolgen kann, sondern das Fremde in seinem Kern singulär und unvergleichlich bleibt.

Fallbeispiel

Im Folgenden wird das Beispiel einer jungen Frau, die aus einem westafrikanischen Land stammt, geschildert, an welchem deutlich wird, dass alle Verstehensversuche einer Verhaltensweise, die einen ausgeprägten Fremdheitscharakter für die Therapeutin -- und letztlich auch für die Patientin selbst -- hat, trotz der vielfältigen und unterschiedlichsten Perspektivenwechsel nicht zu einem Verständnis führen, welches einen Ansatz für Veränderung böte. Vielmehr ist es schliesslich ein Überhang des Nicht-Verstehbaren, dessen gegenseitiges Eingestehen zu Aufbruch und Entwicklung führt.

Frau G., 22-jährig, in einem westafrikanischen Land aufgewachsen und im Alter von 15 Jahren alleine über den Land- und Seeweg nach Zentraleuropa geflüchtet, um einer gewaltgeprägten Zwangsehe zu entkommen, sucht eine psychiatrische transkulturelle Sprechstunde auf.

Die Patientin möchte weitere ungewollte Schwangerschaften verhindern, nachdem sie innerhalb von zwei Jahren fünf Mal ungewollt schwanger geworden war. Die Schwangerschaften und medizinischen Schwangerschaftsabbrüche seien körperlich sehr belastend gewesen, nach dem letzten Schwangerschaftsabbruch habe sich eine depressive Symptomatik entwickelt.

Die Schwangerschaften seien im Rahmen gelegentlichen einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs mit dem Ex-Partner und Vater einer gemeinsamen dreijährigen Tochter entstanden. Der Ex-Partner gehöre derselben ethnischen Gruppierung an und spreche dieselbe Muttersprache.

Frau G. habe sich bereits vor der Geburt der gemeinsamen Tochter von diesem Mann getrennt und wünsche schon seit Längerem, den Kontakt definitiv abzubrechen. Sie trage das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter, mit welcher der Ex-Partner keinerlei Kontakt pflege. Der Ex-Partner habe ihr durch die ungewollten Schwangerschaften viel Leid zugefügt, bspw. indem er in ihrer gemeinsamen Community indiskret mit ihren Schwangerschaftsabbrüchen umgegangen sei, was ihr Morddrohungen eingebracht habe. Zu sexualisierter Gewalt in der Beziehung sei es nicht gekommen. Immer wieder habe sie sich zu einem Treffen mit ihrem Ex-Partner bereit erklärt, nach jedem (ungeschützten) Geschlechtsverkehr sei sie schwanger geworden.

Zu ihrer Biographie berichtet die Patientin, dass sie als älteres von zwei Kindern mit einer sehr liebevollen Mutter aufgewachsen sei, die noch während ihrer Kindheit an den Folgen einer körperlichen Erkrankung verstorben sei. Der Vater und seine zweite Ehefrau bzw. Stiefmutter der Patientin hätten Frau G. sehr schlecht behandelt und als Arbeitskraft missbraucht. Wiederkehrend sei es zu körperlicher Gewaltanwendung durch Vater und Stiefmutter gekommen. Sie sei, so wie dies in ihrem Herkunftskontext üblich sei, beschnitten worden, später habe man sie auch einer Zwangsehe zuführen wollen. Der designierte künftige Ehemann habe sie vergewaltigt, sie habe Bisswunden am Rücken davongetragen, die bis zum heutigen Tag sichtbar seien.

Vor diesem Hintergrund sei sie letztlich mithilfe von Schlep- per:innen nach Europa geflüchtet, habe nebst den schweren Strapazen auf der Fluchtroute wiederholt direkt und indirekt sexualisierte Gewalt an anderen Frauen bezeugt, ohne jedoch selbst zum Opfer zu werden.

Frau G. sei in einem religiös praktizierenden Haushalt aufgewachsen, ihr eigenes Verhältnis zur Religion sei inzwischen entfremdet.

Im Rahmen ihrer ersten und bislang einzigen ausgetragenen Schwangerschaft, habe sie im geburtshilflichen Kontext des Aufnahmelandes erstmals realisiert, dass die weibliche Beschneidung (female genital mutilation, im Weiteren mit FGM abgekürzt) "nicht überall normal" sei. Sie habe aufgrund der FGM in einer spezialisierten Geburtshilfestation gebären müssen, die Geburt ihrer Tochter beschreibt die Patientin als "zu schmerzhaft". Auch Geschlechtsverkehr sei nur unter grossen Schmerzen möglich.

Einmal sei sie von ärztlicher Seite gefragt worden, ob sie für ihre Tochter auch eine Beschneidung vorsehe. Sie habe dies vehement verneint. Im Gegenteil sei sie sehr erleichtert, dass ihrer Tochter durch das Leben im Exil dieses Leid erspart bleibe.

Therapieverlauf

Frau G. ist im Kontakt zurückhaltend, strahlt dabei Ernsthaftigkeit und Stärke einerseits, Feinfühligkeit andererseits aus, was in einer bemerkenswerten physischen Präsenz zusammenkommt. In Beziehung zur Therapeutin wird eine gesunde Abgrenzungsfähigkeit deutlich, gleichzeitig, wenn auch auf diskrete Art und Weise, eine emotionale Bezogen- heit. Die Therapiegespräche werden in einer Sprache geführt, die für Patientin und Therapeutin eine Fremdsprache darstellt. In der Therapeutin löst die Patientin Gefühle der Zuneigung und des Respekts aus, vielleicht auch fürsorgliche Gefühle, wenn auch es der Therapeutin aufgrund der guten Abgrenzungsfähigkeit der Patientin und der fehlenden Viktimisierungstendenz erstaunlich einfach fällt, nicht in eine überfürsorgliche Überidentifikation zu verfallen. Der Wunsch, den Kontaktabbruch zum Kindsvater aufrechtzuerhalten und ein Verständnis für die Wiederholung der ungewollten Schwangerschaften zu entwickeln, steht für Frau G. im Vordergrund. Frau G. ist über kontrazeptive Methoden sehr gut informiert und wird dahingehend gynäkologisch betreut. Die depressive Symptomatik remittiert in grossen Teilen. Der Kontaktabbruch zum Ex-Partner gelingt durch Wechsel der Handynummer und Kontaktblockierung in den sozialen Medien erstaunlich einfach und kann durch die Patientin konsequent aufrechterhalten werden.

Drei Monate nach Therapiebeginn berichtet die Patientin jedoch von körperlichen Beschwerden ähnlich denjenigen, die sie im Rahmen der Schwangerschaften erlebt habe. Beim ersten Treffen mit einem Mann, den sie einige Wochen zuvor über die sozialen Medien kennengelernt habe, und der, wie die Patientin betont, ihrer Herkunftscommunity angehöre und dieselbe Muttersprache spreche, sei es zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr gekommen. Nun fürchte sie eine erneute Schwangerschaft.

Die Schwangerschaft kann kurz danach ausgeschlossen werden, sodass der therapeutische Fokus im Weiteren expliziter darauf gelegt wird, den Konflikt zwischen dem Wunsch, weitere Schwangerschaften zu verhindern, und der unverstandenen Wiederholung ungeschützten Geschlechtsverkehrs, gemeinsam herauszuarbeiten.

Es wird deutlich, dass die Patientin aus einer Position heraus spricht, in welcher Vorstellungen eigener sexueller Lust oder romantischer Liebe nicht verbalisierbar sind. Es entsteht der Eindruck, als wäre die Verbindung von Zärtlichkeit, erotischem Begehren und Sexualität für die Patientin ausserhalb des Vorstellbaren. So äussert Frau G., dass Sexualität für sie bislang immer nur schmerzhaft gewesen sei. Sie verneint, jemals Emotionen für einen Mann empfunden zu haben, die dem genannten Gefühlsspektrum zugeordnet werden könnten. Für ihre Tochter könne sie sich in Zukunft hingegen durchaus eine romantische Beziehung zu eine:r Partner:in vorstellen.

Weshalb Frau G. trotz alledem aktiv den Kontakt zum letzten Sexualpartner gesucht und sich auf ungeschützten Geschlechtsverkehr eingelassen habe, sei ihr rätselhaft. Der Geschlechtsverkehr sei "wieder einmal ungeplant" gewesen und sei ihr "einfach passiert". Vom Gegenüber dazu gezwungen worden sei sie nicht.

Einer näheren Analyse der Situation, in welcher der Geschlechtsverkehr der Patientin "passierte", und eine Verknüpfung mit der möglichen Aktivierung eigener konflikthafter Wünsche, oder aber doch mit der Erfahrung uneingestandener Unterdrucksetzung durch den Sexualpartner, ist die Patientin nicht zugänglich, sie wiederholt stattdessen immer wieder, nicht zu verstehen. Auch für die Therapeutin gestaltet sich ein Verstehen schwierig.

Hypothesen und Verstehensversuche

Aus traumadynamischer Perspektive könnte man die Wiederholung ungeschützten Geschlechtsverkehrs als unbewusste Reinszenierung einer traumatischen Situation vor dem Hintergrund wiederholter zwischenmenschlicher und se- xualisierter Gewalterfahrungen und folglich das "Passieren" des Geschlechtsverkehrs als Dissoziation verstehen.

Dagegen spricht das Fehlen einer Opfer-Täter:innen-Dyna- mik in der Übertragungsbeziehung zur Therapeutin, und eine gute Objektdifferenzierung der potentiell tätlichen Person (in diesem Falle des Ex-Partners), die eine Identifikation mit Täteranteilen unwahrscheinlich macht.

Aus transkultureller Perspektive wiederum drängt sich die Hypothese auf, dass die Schwierigkeit, in einem selbstreflexiven Modus über das eigene innere Erleben zu sprechen, einen kulturspezifischen Aspekt in Zusammenhang mit der Sozialisierung in einer kollektivistisch geprägten Gesellschaftsstruktur darstellt. Dass also ein Sprechen über das eigene Innenleben im Zuge des therapeutischen Individua- tionsprozesses erst noch erlernt werden müsste.

Weiter könnten die wiederholten, vordergründig ich-dys- tonen Schwangerschaften als unbewusster Versuch der Patientin verstanden werden, sich des eigenen "Frauseins" zu vergewissern. Frau G. ist gemäss eigener Angaben in einem traditionellen Umfeld mit einem für weiblich gelesene Personen klar auf Reproduktionsarbeit ausgelegten Rollenverständnis aufgewachsen. Vor diesem Hintergrund hätten die wiederkehrenden Schwangerschaften die Funktion, sich ihrer sozialen Identität gemäss eines ihr bekannten, kulturell geprägten Musters zu vergewissern, zumal bei noch nicht begonnener Ausbildung oder Arbeitstätigkeit im Aufnahmeland, und somit Fehlen eines akzeptablen Gegenentwurfs für das eigene soziale Identitätserleben.

Die zyklische Wiederholung von Schwangerschaft und Abtreibung, von Prokreation und Destruktion wiederum könnten als Inszenierung einer inneren Zerrissenheit zwischen Festhalten an traditionellen Vorstellungen des "Frauseins" einerseits und Identifikation mit anderen Rollenentwürfen im Aufnahmeland andererseits, verstanden werden. Verknüpft man die Tatsache, dass die Patientin eine FGM aufweist damit, dass eine Verbalisierung eigener sexueller Wünsche und Phantasien und das Empfinden erotischen Begehrens nicht möglich ist, fragt es sich, ob der traumati- sierende Charakter der körperlichen "Beschneidung" möglicherweise mit einer "Beschneidung" psychischer Repräsentanzen in Bezug auf Sexualität einhergeht.

Auch stellt sich die Frage, ob ein In-Kontakt-Treten mit der eigenen Sexualität abgewehrt werden muss, um eine vertiefte Auseinandersetzung damit, was ihr im Intimbereich genau angetan wurde (Frau G. äusserte, dass sie bis auf Weiteres eine Zuweisung zu einer Untersuchung in ein auf FMG spezialisiertes Zentrum ablehne), und dadurch letztlich eine Infragestellung des idealisierten Objekts der Mutter (die sie nicht vor einer Beschneidung schützen konnte), zu vermeiden.

Überdies könnte eine Abwehr schmerzhafter Affekte auch im Dienste der Aufrechterhaltung gewisser positiv konnotierter kulturell geprägter Zugehörigkeitsaspekte stehen: So äusserte Frau G. gelegentlich, dass die Robustheit im Umgang mit Schmerz ein wichtiges Charakteristikum für Personen ihrer ethnischen Herkunftsgemeinschaft sei -- man beklage sich nicht.

Keine dieser Hypothesen hielt jedoch einer Überprüfung in der therapeutischen Beziehung stand.

Nachdem das gemeinsame Nichtverstehen durch die Therapeutin verstanden und verbalisiert wurde, kam es auf Seiten der Patientin zu einer progressiven Entwicklung: sie traute sich erstmals, gemeinsam mit ihrer Tochter in ein Flugzeug zu steigen, und in einem anderen europäischen Land eine Freundin, die sie auf der Fluchtroute kennengelernt hatte, für eine Feier zu besuchen, wovon sie retrospektiv genussvoll berichtete. Auch entschied sich die Patientin dazu, sich nicht weiter auf eine Beziehung zum letzten Sexualpartner einzulassen, da dieser ihr "zu religiös" sei und sie durch die Beziehung zu ihm fürchten müsse, zu religiösen Praktiken gezwungen zu werden, mit welchen sie sich nicht identifiziere. Auch meldete sich die Patientin für einen Deutschkurs an und konnte perspektivisch erstmals einen konkreten Ausbildungs- und Berufswunsch äussern.

Das in Frage stehende fremde Verhalten der jungen Frau scheint in Bezug auf den der Therapeutin -- wie auch der Patientin selbst -- zur Verfügung stehenden eigenen Verständnisweisen, welche durchaus auch unbewusste Dynamiken mitumfassen, fremd. Es ist in Relation zu einem eigenen Verstehen fremd (relationaler Charakter des Fremden). Weiter widerfährt es gewissermassen der Patientin und in der Schilderung letztlich auch der Therapeutin (pathischer Charakter des Fremden), entzieht sich fortwährend den Verstehensver- suchen, während es in seiner Manifestation geradezu körperlich präsent bleibt (präsent im Entzug) und damit etwas "Ausserordentliches" zum Ausdruck bringt (Singularität des Fremden) und unvergleichlich ist -- dennoch uns aber angeht und in der Patientin in ihrem Leid einen Anspruch trägt.

Literatur: - Bohleber W. Editorial. Die Psychoanalyse in einer globalisierten Welt. Psyche 2016;70:765-778. - Dilthey W. Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation Gesammelte Schriften. Stuttgart/Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1979, Bd. VII. - Epikur. Von der Überwindung der Angst. Dreisprachige Ausgabe: Griechisch / Lateinisch / Deutsch. Eine Auswahl aus seinen Schriften, den Fragmenten und doxographischen Berichten. 2., überarbeitete Auflage. Münster: Aschendorff, 2004, - Erdheim M. Das Eigene und das Fremde. Ethnizität, kulturelle Unverträglich keit und Anziehung. In: Haase H. Ethnopsychoanalyse. Wanderungen zwischen den Welten. Stuttgart: Verlag Int. Psychoanalyse, 1996. - Freud S. Das Unheimliche, 1919. GW 12, 229-268. - Husserl E. Cartesianische Mediationen (= Husserliana I). Den Haag: Nijhoff, 1950. - Levinas E. Die Zeit und der Andere. Hamburg: Meiner, 2003. - Platon. Menon. Werke, Bd. 2, hg. G. Eigler. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, 1990. - Platon. Theaitetos. Werke, Bd. 6, hg. G. Eigler. Darmstadt: Wiss. Buchge sellschaft, 1990. - Schelling FWJ. Andere Deduktion der Prinzipien der positiven Philosophie (AD). Sämmtliche Werke, hg. KFA Schelling. Bd. XIV . Stuttgart: 1856-1861. - Schelling FWJ. Philosophie der Offenbarung (PO). Sämmtliche Werke, hg. KFA Schelling. Bd. XIII . Stuttgart: 1856-1861. - Schelling FWJ. Zur Geschichte der neueren Philosophie. Sämmtliche Werke, hg. KFA Schelling. Bd. X. Stuttgart: 1856-1861. - Sollberger D. Metaphysik und Invention. Die Wirklichkeit in den Suchbewegun gen negativen und positiven Denkens in Schellings Spätphilosophie. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1996. - Waldenfels B. Phänomenologie des Eigenen und des Fremden. In: Münkler H (Hg.). Furcht und Faszination der Fremdheit. Berlin: Akademie-Verlag, 1997, 65-83. - Wittgenstein L. Tractatus logico-philosophicus. Frankfurt/M.: edition suhrkamp, 1963. - Žižek S. Flüchtlingsdebatte. Es fehlt ein nüchterner Blick auf uns selbst. Die Zeit, Nr. 16, 7.4.2016, 44-45.

By Daniel Sollberger, PD Dr. med. Dr. phil. Erwachsenenpsychiatrie Baselland, Bienentalstrasse 7, 4410 Liestal. daniel.sollberger@pbl.ch and Serena Galli, Zentrum für Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie (ZIPP) der Charité Berlin Charitéplatz 1, D-10117 Berlin. serenagalli@msn.com

Titel:
Das Eigene und das Fremde. Philosophische und klinische Aspekte.
Autor/in / Beteiligte Person: Sollberger, Daniel ; Galli, Serena
Link:
Zeitschrift: Therapeutische Umschau, Jg. 80 (2023-08-01), Heft 7, S. 327-332
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: academicJournal
ISSN: 0040-5930 (print)
Schlagwort:
  • CONCRETE
  • Subjects: CONCRETE
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: The own and the foreign. Philosophical and clinical aspects.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Author Affiliations: 1 = Erwachsenenpsychiatrie Baselland ; 2 = Zentrum für Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie (ZIPP) der Charité Berlin
  • Full Text Word Count: 5021

Klicken Sie ein Format an und speichern Sie dann die Daten oder geben Sie eine Empfänger-Adresse ein und lassen Sie sich per Email zusenden.

oder
oder

Wählen Sie das für Sie passende Zitationsformat und kopieren Sie es dann in die Zwischenablage, lassen es sich per Mail zusenden oder speichern es als PDF-Datei.

oder
oder

Bitte prüfen Sie, ob die Zitation formal korrekt ist, bevor Sie sie in einer Arbeit verwenden. Benutzen Sie gegebenenfalls den "Exportieren"-Dialog, wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden und die Zitat-Angaben selbst formatieren wollen.

xs 0 - 576
sm 576 - 768
md 768 - 992
lg 992 - 1200
xl 1200 - 1366
xxl 1366 -