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Tumor-Immuntherapie - Wirkung und Nebenwirkungen.

Diehl, Christian ; Rothschild, Sacha
In: Therapeutische Umschau, Jg. 80 (2023-10-01), Heft 8, S. 359-362
Online academicJournal

Tumor-Immuntherapie - Wirkung und Nebenwirkungen  Tumour immunotherapy - mechanism and side effects  Einführung

Seit der Entwicklung des ersten Immuncheckpoint-Inhibitors, ist in der Tumor-Immuntherapie eine neue Ära eingeleitet worden, und die Ansprech- und Überlebensraten vieler Tumorentitäten haben sich verbessert. Trotz dieser ermutigenden Fortschritte, ist die Zahl der Patienten, die ein dauerhaftes Ansprechen erreichen durch Resistenzmechanismen limitiert und immun-vermittelte Nebenwirkungen (immune-related adverse events, irAE) erschweren die Behandlung. Der Mechanismus der irAE ist nicht in allen Details verstanden. Wir fassen in dieser Übersichtsarbeit die Wirkmechanismen von Immuncheckpoint-Inhibitoren, die verschiedenen Formen von irAE und deren mögliche Entstehungsmechanismen zusammen und beschreiben mögliche Strategien zur Prävention sowie Behandlungsmöglichkeiten.

Since the development of the first immune checkpoint inhibitor, a new era in tumour immunotherapy has been initiated and response and survival rates have improved in many tumour entities. Despite this encouraging progress, the number of patients who achieve a durable response is limited by resistance mechanisms, and immune-related adverse events (irAEs) complicate treatment. The mechanism of irAE is not understood in all details. In this review, we summarise the mechanisms of action of immune checkpoint inhibitors, the different forms of irAE and their possible mechanisms of development, and describe possible prevention strategies and treatment options. strategies for prevention and treatment options.

In den letzten Jahren wurden grosse Fortschritte in der Tumor-Immuntherapie erzielt, wodurch die Überlebensrate von Tumorpatienten für einige Tumorentitäten deutlich verbessert werden konnte. Es gibt verschiedene Arten von Im- muntherapeutika, darunter Tumorimpfstoffe, zelluläre Immuntherapien, immunmodulatorische Medikamente und Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI). Eine Vielzahl neuer immuntherapeutischer Therapien ist in Entwicklung. Trotz dieser grossen Fortschritte bleiben im klinischen Alltag die konventionelle Chemotherapie sowie die Radiotherapie wichtige Säulen der onkologischen Therapie. Die ICI haben sich in den letzten Jahren jedoch bei verschiedenen Tumor- entitäten zu einer wichtigen Behandlungsoption entwickelt, wobei diese Substanzen als Monotherapie, in Kombination oder zusammen mit einer Chemotherapie eingesetzt werden. Mit dem zunehmenden Einsatz der ICI nimmt die Zahl der immun-vermittelten Nebenwirkungen (immune-related adverse events, irAE) zu und es ist wichtig, dass alle an der Behandlung beteiligten Spezialisten über diese Nebenwirkungen Bescheid wissen und sie frühzeitig erkennen können. Die typischen irAE unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von Nebenwirkungen der klassischen Chemotherapie. Sie können in unterschiedlichen Organsystemen und zu jeglicher Zeit unter der Therapie oder selten auch erst nach einer abgeschlossenen Therapie auftreten. Es ist wichtig zu beachten, dass irAE oft einen verzögerten Beginn und einen protrahierten Verlauf haben. IrAE können jedes Organ betreffen, sie sind in der Regel gut behandelbar und reversibel, aber einige irAE können schwerwiegend sein und zu dauerhaften gesundheitlichen Folgen und zum Tod führen. Mit dieser Übersicht möchten wir die wichtigsten irAE darstellen und aufzeigen, dass eine frühe Erkennung und ein interdisziplinäres und multiprofessionelles Vorgehen von grosser Bedeutung ist.

Wirkmechanismus der Tumor-Immuntherapie

In den meisten Fällen eliminiert das Immunsystem neu entstehende Tumorzellen in einer frühen Phase, so dass kein Tumor manifest wird. Tumorzellen können aber verschiedene Strategien entwickeln, um das Immunsystem zu umgehen. Diese immunsuppressiven Mechanismen von Tumorzellen können bei verschiedenen Tumoren unterschiedlich ausgeprägt sein. Das Wissen um die komplexe Interaktion zwischen dem Immunsystem und Tumorzellen hat zur Entwicklung der Tumor-Immuntherapie geführt. Die sogenannten Immuncheckpoints sind einer der Mechanismen, mit denen sich Tumorzellen im Körper tarnen. Über die Expression von inhibitorischen Immuncheckpoints können sich Tumorzellen der Erkennung durch das Immunsystem entziehen (Immunevasion). Daneben können Tumoren immunsuppressive Zytokine sezernieren und die Rekrutierung von immunsup- pressiven Immunzellen fördern. Die T-Lymphozyten (auch T-Zellen genannt) stehen im Zentrum der zellvermittelten Immunität. Aktivierte T-Zellen können eine grosse Anzahl von Zytokinen sezernieren, um Immuncheckpoints zu aktivieren. Tumorzellen hemmen die Aktivierung von T-Zellen durch die Expression bestimmter Checkpoint-Proteine. Zu den bisher identifizierten inhibitorischen Immuncheckpoints gehören vor allem PD-1 (programmed cell death 1), der zugehörige Ligand PD-L1, CTLA-4 (cytotoxic T-lymphocy- te-associated protein 4) und LAG-3 (lymphocyte-activation gene 3). Weitere Immuncheckpoints sind TIM-3 (T-cell immunoglobulin and mucin-domain containing-3), CD47, TIGIT (T cell immunoreceptor with Ig and ITIM domains) und VISTA (V-domain Ig suppressor of T-cell activation). Die Immun-Checkpoint-Blockade zielt darauf ab, in die hemmenden Signalwege, die die T-Zell-Reaktivität auf natürliche Weise einschränken, einzugreifen. Dadurch wird die Aktivierung und Aufrechterhaltung der Effektorfunktion von T-Zellen ermöglicht [1]. Die am häufigsten eingesetzten ICI sind die monoklonalen anti-PD-1/PD-L1 Antikörper Nivo- lumab, Pembrolizumab, Atezolizumab, Durvalumab, Avelu- mab, Dortarlimab und Cemiplimab, die monoklonalen an- ti-CTLA-4 Antikörper Ipilimumab und Tremelimumab, die in Kombination mit Nivolumab bzw. Durvalumab eingesetzt werden, sowie der anti-Lag-3 Antikörper Relatlimab, der in Kombination mit Nivolumab eingesetzt wird.

Epidemiologie der immun-vermittelten Nebenwirkungen

IrAEs sind häufig und treten bei 90 % der Patienten, die mit einem anti-CTLA-4 Antikörper behandelt werden und bei 70 % der Patienten, die mit anti-PD-1/PD-L1 Antikörpern behandelt werden auf. Die Inzidenz von irAE bei einer Monotherapie liegt zwischen 15-90%, wobei höhergradige Nebenwirkungen (Grad 3/4 nach CTCAE-Kriterien) mit einer Inzidenz von 0-66% vorkommen. Im Vergleich zu den Antikörpern gegen PD-1/PD-L1 gehen anti-CTLA-4-An- tikörper mit einer höheren Inzidenz von irAE einher. Bei Kombinationstherapien ist die Inzidenz höher als bei einer Monotherapie. Bei einer Monotherapie mit anti-PD-1/PD- L1 Inhibitoren liegt die Gesamtrate von irAE bei rund 70%, höhergradige irAE kommen mit einer Inzidenz von 14% vor. Die Therapie-assoziierte Mortalität liegt bei weniger als 1%. Die meisten irAE treten in den ersten 3-4 Monaten nach Behandlungsbeginn auf, aber auch eine verzögerte Toxizität ist möglich [2]. ICI-bedingte irAE sind organspezifisch, wobei kutane irAE (insbesondere leichter Juckreiz oder Hautausschlag) am häufigsten vorkommen, gefolgt von gastrointes- tinaler Toxizität, die sich häufig als Durchfall in Folge einer Kolitis manifestiert [3]. Am dritthäufigsten sind endokrine irAE, einschliesslich Schilddrüsenfunktionsstörungen (Hy- pothyreose und Hyperthyreose), Hypophysitis und Nebenniereninsuffizienz. Muskuloskelettale Toxizität (wie leichte Gelenk- oder Muskelschmerzen) und okuläre Toxizität (trockene Augen und Uveitis) werden ebenfalls häufig berichtet. Lungenentzündung, Myokarditis, Neurotoxizität, Myositis, Nephritis und hämatologische Toxizität sind nicht sehr häufig, aber der potentielle Schweregrad ist erwähnenswert. Die Mortalitätsrate bei Auftreten einer Myokarditis ist mit 39,7 % sehr hoch. Die Neurotoxizität ist insgesamt selten, kann aber schwerwiegend verlaufen, wobei Enzephalitis und schwere Myasthenia gravis die häufigsten schwergradigen Ereignisse sind. Die Rate der irAE ist bei unterschiedlichen Tumor- entitäten ähnlich, unterscheidet sich jedoch zwischen den verschiedenen Substanzklassen der ICI, abhängig vom entsprechenden Zielmolekül der Wirkung. CTLA-4 Inhibitoren verursachen häufig Kolitis, Hypophysitis und Hautausschlag, während PD-1/PD-L1 Inhibitoren häufiger Schilddrüsenfunktionsstörungen und auch pulmonale Toxizität verursachen. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von CTLA- 4 Inhibitoren in Kombination mit PD-1/PD-L1 Inhibitoren sind kutane und endokrine Nebenwirkungen. Gastrointestinale Beschwerden in Form von Durchfall durch eine immunvermittelte Kolitis sind ebenfalls häufig.

Mechanismen der immun-vermittelten Nebenwirkungen

Es ist offensichtlich, dass irAE Ähnlichkeiten mit Autoimmunerkrankungen aufweisen. Der genaue pathophysiologische Mechanismus von irAE ist nach wie vor unklar. Gegenwärtig geht man davon aus, dass irAE mit den Veränderungen in der Funktion des körpereigenen Immunsystems zusammenhängen. Es wurden verschiedene Mechanismen vorgeschlagen, die das Auftreten von irAE erklären, so zum Beispiel die Produktion von Autoantikörpern, die Infiltration von aktivierten T-Zel- len in unterschiedliche Organe, wobei hier die Bedeutung von übereinstimmenden Antigenen diskutiert wird und die Ausschüttung von entzündlichen Zytokinen wie Interleukinen [4].

Häufige immun-vermittelte Nebenwirkungen

IrAEs betreffen verschiedene Organsysteme des gesamten Körpers. Es können alle Organe betroffen sein. Am häufigsten manifestieren sich irAE an der Haut, im Verdauungstrakt, im endokrinen System und in den Atemwegen. Selten, aber von Relevanz und potentiell bedrohlich sind neurologische und kardiale Nebenwirkungen.

Kutane immun-vermittelte Nebenwirkungen

Kutane irAE sind am häufigsten und treten in der Regel zuerst auf. Die häufigsten kutanen Veränderungen sind ekzematöse, morbilliforme und lichenoide Dermatosen sowie Vitiligo und Pruritus. Zu den weniger häufigen unerwünschten Ereignissen gehören psoriatiforme Hautveränderungen, bullöse Läsionen sowie schwere kutane Nebenwirkungen, einschließlich Ste- vens-Johnson-Syndrom, toxische epidermale Nekrolyse, Arzneimittelreaktionen mit Eosinophilie und konstitutionellen Symptomen. Aufgrund des Wirkmechanismus von ICIs gibt es eine Vielzahl von rheumatischen Nebenwirkungen, die zusammen mit den kutanen Veränderungen auftreten können, wie eine Sklerodermie, eine Dermatomyositis, ein kutaner Lupus erythematodes und verschiedene Formen von Vaskulitiden. Die Inzidenz kutaner Nebenwirkungen ist bei der Monotherapie mit CTLA-4 Antikörpern höher als bei PD-1 Antikörpern, ist jedoch am häufigsten bei einer Kombinationstherapie. Ein makulopapulöser Hautausschlag tritt bei bis zu 60 % der mit CTLA-4 Inhibitoren behandelten Patienten und bei 24% unter einer anti-PD1 Therapie auf und kann ein Vorläufer anderer unerwünschter immun-vermittelter Reaktionen sein. Der Ausschlag tritt in der Regel am Rumpf und/oder an den Extre- mit äten auf, meist an den Streckseiten. Die Beugeseiten, die Kopfhaut, die Handflächen und das Gesicht sind seltener betroffen.

Gastrointestinale immun-vermittelte Nebenwirkungen

Die Manifestationen von gastrointestinalen und hepatobiliä- ren Nebenwirkungen, die durch die ICI-Behandlung verursacht werden, sind umfangreich. Die wichtigsten gastrointes- tinalen Nebenwirkungen sind Enteritis und Kolitis, die sich mit Durchfall manifestieren. Gastrointestinale Nebenwirkungen können jederzeit unter der Therapie auftreten. Sie können aber auch erst Wochen oder Monate nach der ICI-Therapie auftreten. Begleitende Symptome wie Bauchschmerzen, Fieber, Blut- oder Schleimabgang ab ano, Übelkeit und Erbrechen können ebenfalls auftreten. Die häufigsten Erscheinungsformen von irAE, die den oberen Magen-Darm-Trakt betreffen, sind Appetitlosigkeit und Übelkeit. Stomatitis, Ösophagitis, Dysphagie, Gastritis, Erbrechen und gastroöso- phageale Refluxkrankheit können in einigen Fällen ebenfalls auftreten. Bei Patienten, die PD-1/PD-L1 Inhibitoren erhalten, liegt die Häufigkeit von Durchfall bei 12,1-13,7 % und die Häufigkeit einer Kolitis bei 0,7-1,6 %. Gastrointestinale irAE sind bei Patienten, die CTLA-4 Inhibitoren erhalten häufiger und schwerer als bei Patienten, die PD-1 Inhibitoren erhalten, wobei die Raten für Durchfall bei 27-54 % und für Kolitis bei 8-22 % liegen. Wenn die beiden Inhibitoren zusammen eingesetzt werden, sind die Häufigkeit und der Schweregrad von irAE im Gastrointestinaltrakt deutlich erhöht. Darüber hinaus wird die zeitgleiche Verwendung von nichtsteroidalen Antirheumatika mit einem erhöhten Risiko einer Kolitis in Verbindung gebracht.

Immun-vermittelte Hepatotoxizität

Der detaillierte Mechanismus der Hepatotoxizität ist nicht bekannt. Es wurde festgestellt, dass die sekundäre Aktivierung von CD8+ zytotoxischen T-Lymphozyten, verschiedenen CD4+ T-Zell-Populationen sowie Zytokinen zu einer Leberschädigung führt. Anhand der Serum-Aspartat-Ami- notransferase (AST) / Alanin-Aminotransferase (ALT)-Wer- te kann die Leberschädigung gradiert werden. Histologisch gesehen können ICI verschiedene Formen der Leberschädigung verursachen, darunter eine panlobuläre Hepatitis, eine perivaskuläre infiltrierende Endotheliitis oder ein acholes- tatisches Muster mit einer proliferativen Destruktion der Gallengänge sowie eine gemischte Pfortader-Entzündung mit einer leichten lobulären nekrotisierenden Entzündung. Eine Lebertoxizität manifestiert sich typischerweise innerhalb der ersten 6 bis 12 Wochen nach Behandlungsbeginn. Im Rahmen der ICI-Therapie verläuft die Hepatitis in der Regel asymptomatisch und äussert sich in einem Anstieg der ALT- und/oder AST-Werte. Ein akutes Leberversagen ist selten (0.1-0.2%). Die Raten einer immun-vermittelten Hepatotoxizität jeden Grades waren am niedrigsten bei einer anti-PD-1/PD-L1 Monotherapie (0,7 %-2,1 %) und am höchsten bei einer Kombinationstherapie mit anti-CTLA-4/PD1 Antikörpern (13 %). Die Gesamtinzidenz einer höher- gradigen Lebertoxizität lag zwischen 0,6 % und 11 %.

Endokrine immun-vermittelte Nebenwirkungen

Zu den endokrinen Organen, die am häufigsten von einer ICI-bedingten irAE betroffen sind, gehören die Schilddrüse, die sich typischerweise als Hypothyreose manifestiert, die oft sekundär zu einer Thyreoiditis auftritt, die Hypophyse (Hypophysitis oder Hypopituitarisms) und die Beta-Zellen des Pankreas (ähnliches Erscheinungsbild wie bei Diabetes Typ I). Die Gesamtinzidenz klinisch signifikanter endokriner Nebenwirkungen bei Patienten, die mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt wurden, liegt bei etwa 10 %.

Schilddrüse

Die meisten Schilddrüsenfunktionsstörungen treten 1-2 Monate nach Beginn der ICI-Therapie auf. irAE der Schilddrüse können in Thyreotoxikose und Hypothyreose unterteilt werden. Schilddrüsenentzündungen können während der Behandlung mit jeder Art von ICI auftreten. Eine Hypothyreose tritt bei 6-9 % der mit anti-PD-1/PD-L1 Inhibitoren behandelten Patienten, bei 4-9 % der mit anti-CTLA-4 behandelten Patienten und bei etwa 16 % der mit einer Kombinationstherapie behandelten Patienten auf. Damit sind Schilddrüsenfunktionsstörungen die häufigsten endokrinen irAE.

Hypophyse

Die Hypophysitis ist eine seltene, aber wichtige irAE, die häufig mit Symptomen wie Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Anorexie, Schwäche, Kopfschmerzen und Gonadotropin- mangel, einschließlich Libidoverlust oder erektiler Dys- funktion, einhergeht. Im Labor zeigt sich eine Hyponatriä- mie sowie eine Erniedrigung von ACTH und TSH. Die Rate der Hypophysitis liegt unter Ipilimumab bei 3,2 % und ist bei anti-PD-1/PD-L1 Antikörpern deutlich seltener (0,1-0,4 %). Die Hypophysitis tritt in der Regel innerhalb der ersten 2-3 Monate nach Beginn der Behandlung auf, kann sich aber auch erst später manifestieren.

Diabetes

Der relativ seltene ICI-assoziierte Diabetes mellitus hat eine geschätzte Inzidenz von 3,5 %. Er kann einen schwerwiegenden Verlauf haben. Die Symptome bei Patienten mit ICI-bedingtem Diabetes sind vielfältig und reichen von asymptomatischer Hyperglykämie, Polyurie und Polydip- sie bis hin zur gefährlichen diabetischen Ketoazidose. Ein Diabetes mellitus manifestiert sich in der Regel in den ersten Monaten der ICI-Therapie. Bei Patienten, die eine an- ti-CTLA-4 Therapie erhalten, ist die Wahrscheinlichkeit, an Diabetes zu erkranken, deutlich geringer als bei Patienten, die mit einem anti-PD-1/PD-L1 Antikörper behandelt werden.

Immun-vermittelte Neurotoxizität

Die Inzidenz neurologischer irAE wird mit ca. 1 % angegeben . Obwohl sie selten sind, können sie die Lebensqualität der Patienten erheblich beeinträchtigen und lebensbedrohliche Verläufe aufweisen. Sie verdienen daher besondere Aufmerksamkeit. Die Kombinationstherapie mit anti-PD-1/PD-L1 und anti-CTLA-4 Antikörpern führt zu der höchsten Inzidenz von neurologischen Nebenwirkungen, gefolgt von der anti-PD-1/PD-L1 Monotherapie, und der Therapie mit anti-CTLA-4 Antikörpern, mit Inzidenzraten von 12 %, 6,1 % bzw. 3,8 %. Die Neurotoxizität kann sich als myasthe- nisches Syndromen, Meningitis, isolierte oder generalisierte Neuropathie und selten als Enzephalitis manifestieren.

Kardiotoxizität

Wie die herkömmliche Chemotherapie können auch die Im- muntherapeutika kardiovaskuläre Nebenwirkungen haben, einschliesslich Myokarditis, Rhythmusstörungen, Myokardfibrose und Kardiomyopathie. Das Auftreten einer Myokarditis ist selten, wobei aber letale Fälle beschrieben sind. Studien haben gezeigt, dass PD-1 und PD-L1 in Kardiomyozyten von Ratten und Menschen exprimiert werden. Die Mutation des PD-1-kodierenden Gens in Mäusen führt zu dilatativer Kardiomyopathie. Die Deletion von CTLA-4 und PD-1 führt zu einer autoimmunen Myokarditis. Ein weiterer möglicher Mechanismus ist, dass aktivierte T-Zellen übermäßig viel Interferon-alpha, Granzyme B und TNF-alpha produzieren, was zu Herzschäden führen kann. Daher könnte die Blockade von TNF-alpha ein Ansatz sein, um die Manifestation einer ICI-bedingten Kardiotoxizität zu verhindern. Die ICI-asso- ziierte Kardiotoxizität tritt typischerweise in den ersten Monaten unter der ICI-Therapie auf. Eine verzögerte, chronische Kardiotoxizität, wie wir sie von der Chemotherapie kennen, ist bei mit ICI behandelten Patienten nicht beschrieben.

Immun-vermittelte Nephrotoxizität

Eine Nephrotoxizität unter ICI tritt eher selten auf, wird aber aufgrund diagnostischer Schwierigkeiten häufig unterschätzt. Unter einer ICI-Therapie kann es zu einer akuten Niereninsuffizienz im Rahmen einer interstitiellen Nephritis kommen, wobei mehrere Kompartimente der Niere (Glomeruli, proximale/distale Tubuli und interstitielles Gewebe) betroffen sein können. Wie bei den meisten anderen irAE ist auch das Risiko einer immun-vermittelten Nephritis bei einer Kombinationstherapie mit anti-PD-1/PD-L1 und anti-CTLA-4 Antikörpern höher als bei einer Monotherapie. Besonders zu beachten ist das Risiko einer Nierenfunktionsstörung bei der Kombination einer ICI-Therapie mit einer Chemotherapie. Andere Arten von Nierenschäden, wie eine IgA-Nephropathie sowie eine renale tubuläre Azidose können ebenfalls mit ICI in Verbindung gebracht werden. Veränderungen im Elektrolythaushalt, ein- schliesslich Hyponatriämie, Hypokalzämie, Hypokaliämie und Fanconi-Syndrom, erfordern eine sorgfältige Überwachung, um lebensbedrohliche Komplikationen zu vermeiden.

Pulmonale Nebenwirkungen

Über eine Atemwegstoxizität aufgrund von ICIs wird häufig berichtet. Die Häufigkeit respiratorischer irAE korreliert mit bestimmten Tumorarten, einschließlich einer erhöhten In- zidenz bei Patienten mit Bronchialkarzinom, wobei 17 % der Patienten mit einem nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom über mindestens eine respiratorische irAE berichten. Pulmo- nale irAE treten typischerweise in den ersten drei Monaten der Therapie auf, wobei die Inzidenz bei Männern höher ist als bei Frauen. Dies möglicherweise, weil die Inzidenz von Lungenkrebs bei Männern höher ist als bei Frauen. Anti-PD-1- und anti-PD-L1 Therapien waren signifikant mit respiratorischer Toxizität assoziiert, während der kausale Zusammenhang zwischen anti-CTLA-4 Antikörpern und respiratorischer Toxizität nicht signifikant war. Pulmonale irAE manifestieren sich typischerweise als interstitielle Lungenerkrankungen.

Management von immun-vermittelten Nebenwirkungen

Der breite Einsatz der Immuntherapien erfordert Kenntnisse über die häufigen und typischen Nebenwirkungen von allen Fachpersonen, die in die Betreuung von Tumorpatienten involviert sind. Die meisten irAE sind reversibel, wenn sie rechtzeitig diagnostiziert werden. Daher ist es wichtig, bei Patienten, die unter einer Immuntherapie stehen bei neu auftretenden Symptomen oder Befunden immer an eine mögliche immun-vermittelte Reaktion zu denken.

Die Behandlung von irAE folgt einem Ansatz, der dem von Autoimmunerkrankungen ähn elt. Kortikosteroide sowie andere Immunmodulatoren spielen eine zentrale Rolle. Zudem sollte die Immuntherapie immer pausiert werden. Eine Dosisanpassung ist nicht empfohlen, da die Nebenwirkungen weitgehend dosisunabhängig sind. Ein definitiver Abbruch der Therapie sollte in Abhängigkeit der Art und des Schweregrades der Nebenwirkung evaluiert werden. Für diese Entscheidung und die generelle Handhabung der im- mun-vermittelten Nebenwirkungen ist eine enge Abstimmung zwischen dem behandelnden Onkologen/Hämato- logen und anderen Fachspezialisten notwendig. An vielen Kliniken haben sich Immuntherapie-Boards etabliert, bei denen komplexe Fälle interdisziplinär besprochen werden. Leichtgradige Nebenwirkungen bedürfen mit wenigen Ausnahmen keine immunsuppressive Therapie und können durch eine alleinige Pausierung des ICI kontrolliert werden. Die meisten irAE Grad 2 können durch die Gabe von Kortikosteroiden (Anfangsdosis 0,5-1 mg/kg/Tag Prednison oder Äquivalent) behandelt werden. Bei irAE des Grades 3 empfiehlt sich der Einsatz hochdosierter Kortikosteroide (Prednison 1-2 mg/kg/Tag oder äquivalente Kortikosteroide). Die Steroide sollten unter sorgfältiger Überwachung der Symptome über 4-6 Wochen ausgeschlichen werden.

Ein Wiederbeginn der Immuntherapie ist möglich, wenn die Symptome und/oder Laborwerte wieder

Verschiedene immunmodulierende Wirkstoffe, wie zum Beispiel Infliximab, Rituximab oder der anti-Interleukin- 6-Rezeptor Inhibitor Tocilizumab stehen für spezifische und schwere irAE zur Verfügung. Auch werden bei schweren Verläufen andere immunsuppressive Substanzen eingesetzt. Hierbei ist stets eine interdisziplinäre Besprechung der Situation notwendig und die problematischen Folgen hinsichtlich der Suppression der Immunantwort auch auf den Tumor sind vorsichtig abzuwägen. Der genaue Ansatz und die Dosierung hängen vom Schweregrad und der Form der vorliegenden irAE ab.

Nach den derzeitigen Behandlungsrichtlinien können die meisten immunbedingten unerwünschten Ereignisse (irAE) kontrolliert und rückgängig gemacht werden, und die Behandlungsdauer beträgt normalerweise 4-8 Wochen. Bei einigen endokrinen Erkrankungen handelt es sich jedoch um besondere Situationen, die eine langfristige Anwendung der Hormonersatztherapie erfordern.

Um möglichen irAE vorzubeugen oder sie früh zu erkennen ist eine gute Beurteilung der Patienten vor Beginn einer Immuntherapie von grosser Bedeutung. Patienten mit vorbestehenden Autoimmunerkrankungen oder anderen entzündlichen Erkrankungen haben ein höheres Risiko und der Einsatz der Immuntherapien sollte vorsichtig abgewogen werden. Zudem sollte bei allen Patienten vor Beginn der Therapie eine ausführliche Anamnese erhoben werden und auch sollten einige Laborparameter vor Beginn der Therapie und regelmässig unter laufender Therapie bestimmt werden (u.a. Blutbild, Kreatinin, Elektrolyte, Transaminasen, Glucose, TSH, Cortisol, Troponin) (5). Eine gute Aufklärung der Patienten ist ebenso wichtig wie die Information des Hausarztes und anderer beteiligter Fachspezialisten, damit bei Auftreten von möglichen irAE rasch und richtig reagiert wird.

Literatur: 1. Bagchi S, Yuan R, Engleman EG. Immune checkpoint inhibitors for the treatment of cancer: clinical impact and mechanisms of response and resistance. Annu Rev Pathol (2021) 16:223-49. doi: 10.1146/annurev-pathol- 042020-042741 2. Wood LS, Moldawer NP, Lewis C. Immune checkpoint inhibitor therapy: key principles when educating patients. Clin J Oncol Nurs (2019) 23:271-80. doi:10.1188/19.CJ0N.271-280 3. Ramos-Casals M, Brahmer JR, Callahan MK, Flores-Chavez A, Keegan N, Khamashta MA, et al. Immune-related adverse events of checkpoint inhibitors. Nat Rev Dis Primers (2020) 6:38. doi: 10.1038/s41572-020-0160-6 4. Lee DJ, Lee HJ, Farmer JR, Reynolds KL. Mechanisms driving immune-related adverse events in cancer patients treated with immune checkpoint inhibitors. Curr Cardiol Rep (2021) 23:98. doi: 10.1007/s11886-021-01530-2 5. Özdemir BC, Espinosa da Silva C, Arangalage D, Monney P, Gulder SA, Huynh- Do U, et al. Multidisciplinary recommendations for essential baseline functional and laboratory tests to facilitate early diagnosis and management of immune-related adverse events among cancer patients. Cancer Immunol Immunother (2023) 72:1991-2001. doi:10.1007/s00262-023-03436-0

By Christian Diehl, Kantonsspital Baden, Zentrum für Onkologie & Hämatologie Im Ergel 1, 5404 Baden, +41 56 486 27 62, christian.diehl@ksb.ch and Sacha Rothschild, Kantonsspital Baden, Zentrum für Onkologie & Hämatologie, Baden, sacha.rothschild@ksb.ch

Titel:
Tumor-Immuntherapie - Wirkung und Nebenwirkungen.
Autor/in / Beteiligte Person: Diehl, Christian ; Rothschild, Sacha
Link:
Zeitschrift: Therapeutische Umschau, Jg. 80 (2023-10-01), Heft 8, S. 359-362
Veröffentlichung: 2023
Medientyp: academicJournal
ISSN: 0040-5930 (print)
Schlagwort:
  • DRUG side effects
  • IMMUNE checkpoint inhibitors
  • SURVIVAL rate
  • IMMUNOTHERAPY
  • TUMORS
  • Subjects: DRUG side effects IMMUNE checkpoint inhibitors SURVIVAL rate IMMUNOTHERAPY TUMORS
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Tumour immunotherapy - mechanism and side effects.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Author Affiliations: 1 = Kantonsspital Baden, Zentrum für Onkologie & Hämatologie, Baden
  • Full Text Word Count: 3171

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