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Aktiengesellschaften zwischen Kapitalmarktorientierung und Nachhaltigkeit: Zur Multiresonanz und Pluralität in Unternehmen.

Senge, Konstanze ; Dabrowski, Simon
In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 53 (2024-03-01), Heft 1, S. 8-24
Online academicJournal

Aktiengesellschaften zwischen Kapitalmarktorientierung und Nachhaltigkeit: Zur Multiresonanz und Pluralität in Unternehmen  Corporations between Capital Market Orientation and Sustainability. Multi-Resonance and Plurality in Organizations 

Aktiengesellschaften sind gegenwärtig mit multiplen Erwartungen und Diskursen konfrontiert und müssen diese bearbeiten. So werden im Sinne der Finanzialisierung nicht nur die Rationalitäten und Erwartungen der Kapitalgeber für Entscheidungen von Unternehmen bedeutsamer. Fast gleichzeitig formieren und verfestigen sich im Zuge wandelnder regulatorischer Bedingungen sowie der Problematisierung globaler ökologischer und sozialer Folgen und Schäden von Wirtschaftswachstum auch die Erwartungen der Übernahme von Verantwortung und einer Verpflichtung auf Nachhaltigkeit. Die durch solche multiplen Erwartungen erzeugte Pluralität und mitunter Inkomplementaritäten müssen Aktiengesellschaften bearbeiten, um Entscheidungsfähigkeit und Legitimität zu sichern. Nachhaltigkeit wird in diesem Sinne als polykontexturale organisationale Praxis verstanden. In der typisierenden empirischen Analyse werden drei zentrale Praktiken herausgearbeitet, die auf die Multifunktionalität und Irreduzibilität ökonomischer Praktiken hinweisen. Erstens wird die Zentralität finanzialisierender Translationen von Nachhaltigkeit aufgezeigt, aber auch deren spezifische Funktionen und Grenzen. Zweitens verweist die Praxis der Vermarktlichung wiederum auf die mit Nachhaltigkeit einhergehenden Probleme und Spannungen auf globalen Produktmärkten. Drittens verlagert die Praxis der Responsibilisierung und Personalisierung Probleme der Inkommensurablität auf Abteilungen und Personen. Der Artikel schließt mit Reflektionen über die soziologische Erforschung ökonomischer Praktiken sowie über die Möglichkeit der Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft.

Contemporary corporations face multiple contradictory logics and discourses. As part of the process of financialization, the influence of the rationalities and expectations of shareholders has increased. Simultaneously, however, expectations of increased responsibility and a contribution to sustainability have reinforced in the course of regulatory changes and heightened awareness of social and ecological damages attributed to corporations. To ensure legitimacy and decision-making, corporations need to manage the institutional incomplementarities created by multiple logics. Sustainability can then be interpreted as a poly-contextural organizational practice. Our empirical analysis distinguishes three types of practices, highlighting the multi-functionality and irreducibility of economic practices. Financialization of sustainability is shown to be a crucial practice, however we point to its specific functions and limits. The practice of marketization refers to problems and tensions created by sustainability in product markets. The practice of responsibilization and personalization can be related to the attribution of tensions to the level of local departments and organizational members. As a conclusion, consequences for the sociological analysis of economic practices and for sustainability transformations of contemporary societies are discussed.

Keywords: Institutionelle Inkomplementaritäten; Nachhaltigkeit; Finanzialisierung; Vermarktlichung; Personalisierung/Responsibilisierung; Kontexturanalyse; Institutional Incomplementarities; Sustainability; Financialization; Marketization; Personalization/Responsibilization; Contextural Analysis

1 Einleitung: Nachhaltigkeit und Finanzmarktorientierung

Marktwirtschaftliche Unternehmen waren schon immer mit einer Vielzahl heterogener Erwartungen von Seiten ihrer Umwelten konfrontiert, die das organisationale Geschehen spezifisch geprägt haben. Seit drei Jahrzehnten scheinen gesellschaftliche Entwicklungen in den USA und in Europa die Qualität dieser deutlich zu verändern. Die hier adressierten Entwicklungen werden gemeinhin, wenn auch in mitunter unterschiedlicher analytischer Perspektive, unter dem Formationsbegriff des „Finanzmarktkapitalismus" (z. B. [89] 2005) oder dem Prozessbegriff der „Finanzialisierung" (z. B. [27] 2005; [33] & Kädtler 2018; van der Zwan 2014) gefasst. In der Folge werden finanzmarktbezogene Rationalitäten und Interessen der Kapitalgeber für unternehmerische Entscheidungen bedeutsamer (Windolf 2005).

Fast zeitgleich mit den Prozessen der Finanzialisierung und der damit einhergehenden Entflechtung der Deutschland AG kam es zudem zu einer Aufwertung der Ansprüche hinsichtlich der gesellschaftlichen Verantwortung von Aktiengesellschaften und einer Orientierung an dem Paradigma der Nachhaltigkeit. Seit zwei Jahrzehnten wird ein entsprechendes Bekenntnis zu unternehmerischer gesellschaftlicher Verantwortung von Seiten relevanter Akteure eingefordert. Die öffentlich kommunizierte und signalisierte Orientierung an Prinzipien der gesellschaftlichen Verantwortung (Corporate Social Responsibility, CSR) und/oder der Nachhaltigkeit, wohin die gegenwärtige Semantik gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen tendiert, werden damit zu normativen Bezugspunkten und Legitimationskriterien für Unternehmen in ihren relevanten Umwelten, seien es Konsument*innen, Geschäftspartner*innen, Investor*innen oder rechtliche und politische Akteure ([49] 2013). In nationaler und internationaler Perspektive kann daher Nachhaltigkeit als neues Governance-Prinzip mit entscheidendem Einfluss auf die Koordination von Unternehmen gedeutet werden. Der Artikel hat das Ziel zu zeigen, wie eine Finanzmarktlogik und eine Nachhaltigkeitsorientierung in Unternehmen in vielfältiger Weise übersetzt, kombiniert und operationalisiert werden.

Konkret bedeutet dies, dass statt einer dominanten auf Fortschritt, Wachstum und (Kapital-) Akkumulation fokussierten Semantik wirtschaftliche Operationen nun verstärkt mit einer Semantik der Nachhaltigkeit beobachtet und beschrieben werden, welche als Maßstab die zukünftige Regenerationsfähigkeit gegenwärtig verbrauchter Ressourcen verwendet ([46] et al. 2018; [68] et al. 2018). Aus diversen Perspektiven wird übereinstimmend konstatiert, wie gesellschaftliche und speziell ökonomische Diskurse von einem Narrativ der „finance-led accumulation" auf solche der „environmental limits of prosperity" mit den begleitenden gesellschaftlichen Imaginationen etwa einer „Green Economy" umstellen. Derart werden Erwartungen einer Transformation der kapitalistischen Wirtschaft generiert (z. B. [13] 2018; [14] 2018). Ein solches Verständnis von Nachhaltigkeit, „Nachhaltigkeit als Modernisierung", ist dabei nur eine Manifestation der Nachhaltigkeitslogik. Kapitalismuskritische Varianten der Systemtransformation werden aus der dominanten Perspektive als „unrealistisch" zurückgewiesen und marginalisiert, andere, auf kapitalismuskompatible Rationalitäten setzende Paradigmen formieren sich derzeit als Sicherheits- und Kontrollprojekte etwa der Resilienz ([1] & Neckel 2019: 170 ff.). Wenn auch die Notwendigkeit eines Wandels der kapitalistischen Ökonomie im Zeichen der „Nachhaltigkeit" weitgehend unbestritten ist, verweisen die diversen zirkulierenden Verständnisse von Nachhaltigkeit dennoch auf die relative Umkämpftheit wie Unbestimmtheit dieses Konzepts (ebd.). Vor dem Hintergrund der Dominanz des Modernisierungsnarrativs ist es wenig überraschend, dass Unternehmen, die neben Finanzmarktakteuren als zentrale Adressen kapitalistischer ökonomischer Operationen gelten, im Zentrum derartiger Vorstellungen von Wirtschaft und Gesellschaft stehen (Hiß 2013; [77] 2015). Unternehmen orientieren sich an diesen Erwartungen und setzen sie in Form expliziter Nachhaltigkeitsprogramme sowie der Schaffung von Stellen das Leitbild der Nachhaltigkeit formalstrukturell um ([64] et al. 2015).

Organisationale Entscheidungsprobleme

Für das interne Entscheiden von Unternehmen als Organisationen ergeben sich aus diesen institutionellen Konstellationen Widersprüche und Komplexitäten, die organisationspraktisch bearbeitet werden müssen. So erscheint aus der Perspektive der „klassischen" wie finanzmarktbezogenen ökonomischen Rationalität die Entscheidung für bestimmte CSR- oder nachhaltigkeitsbezogene Organisationsstrukturen und Aktivitäten als hochriskante und auf Dauer angelegte Investition, bei der ungewiss ist, ob und wie diese zur Erzeugung von Profit und Gewinn, beitragen kann (z. B. [48] 2006; [76] 2007; [69] & Wright 2013). Aus der Perspektive der Nachhaltigkeitsorientierung wiederum erscheint es fraglich, wie und ob auf Kurzfristigkeit, Effizienz, Profit und Wettbewerb ausgerichtete organisationale Strukturen und Entscheidungen überhaupt zur Etablierung von Langfristigkeit, Dauerhaftigkeit und mehr als ökonomische Reproduktion erlaubender Aktivitäten genutzt werden können (z. B. [56] & [82] 2017; [6] 2018). Allgemein wird erwartet, dass die gleichzeitige Orientierung an unterschiedlichen institutionellen Rationalitäten sich speisenden Anforderungen und Erwartungen in spezifischen Situationen potenziell Probleme für Organisationen erzeugt. Die Annahme der Pluralität von Institutionen in sozialen Situationen und der so sich ergebenden Ungewissheit in Bezug auf weiteres Handeln und Entscheiden enttrivialisiert die Bedeutung von Institutionen als eindeutigen, homogenen handlungsorientierenden sozialen Gebilden (z. B. [37] & Alford 1991; [83] & Ocasio 2008; [54] & Block 2008; [11] & Thévenot 2007). Mit Bezug auf die zwei dominanten institutionellen Handlungsanforderungen, Nachhaltigkeit bzw. CSR auf der einen, Kapitalmarktorientierung auf der anderen Seite, kann davon ausgegangen werden, dass diese potentiell inkomplementär zueinander sind, eine also der jeweils anderen bestimmte Restriktionen hinsichtlich der mit ihnen verknüpften Ziele und Mittel auferlegt (z. B. [24] 2005). Diese Inkomplementarität muss dann in organisationalen Entscheidungen auf mehr oder weniger dauerhafte, sozial und sachlich „angemessene" Art und Weise bearbeitet werden.

Frühere Forschung verortet Formalstrukturen und Aktivitäten von Unternehmen ([65] & Rowan 1977) bzw. „talk" und „action" ([16] 1989) aufgrund der Unvereinbarkeit zwischen der Nachhaltigkeits- und der CSR-Orientierung und einer primären ökonomischen Orientierung von Unternehmen in einem Modus der organisierten Heuchelei (Brunsson 1989), was auch zu Beobachtungen der Entkopplung und des „greenwashing" von Unternehmen führte (z. B. [12] & Aragon-Correa 2014; [35] & Jones 2013). Andere Forschungen zeigen, dass die Etablierung von Nachhaltigkeit in Unternehmen durchaus mit Effekten jenseits des seitens der neoinstitutionalistisch informierten Organisationsforschung hervorgebrachten Verdachts der Entkopplung von Formal- und Aktivitätsstruktur einhergehen kann. So werden die lokal sinnstiftenden Effekte von Translationen betont (Beyer et al. 2019; [42] et al. 2012; [7] 2014; Hiß 2013).

Mit Blick auf die Wirkung von Finanzialisierung als zweite im Kontext unternehmerischer Nachhaltigkeit relevante Entwicklung haben verschiedene Studien darauf hingewiesen, dass die Finanzmarktorientierung Entscheidungen des Managements weniger eindeutig mechanisch determiniert als in der Finanzialisierungsliteratur oft postuliert (z. B. Faust & Kädtler 2018; [38] et al. 2006): So besitzt das Management durchaus weiterhin Entscheidungsautonomie gegenüber Investoren und kann entsprechende Ambiguitäten der Shareholder Value-Rhetorik ausnutzen, was zur teilweisen Entkopplung der Shareholder Value-Orientierung führen kann (ebd.; [34] & Zajac 2004). Dies gilt auch für das Verhältnis der mehrdeutigen Orientierungen CSR und Finanzmarktorientierung/Shareholder Value selbst, die organisationsstrategisch neutralisiert und in ihrer Ambiguität ausgenutzt werden ([66] & Höllerer 2016). Weiterhin wird die Finanzmarkorientierung lokal spezifisch übersetzt und mit bestehenden relevanten nicht-ökonomischen (z. B. Mitbestimmung) und ökonomischen Logiken (z. B. Produktmärkte, industrielle Standards) in ein Verhältnis gesetzt ([31] et al. 2011; [74] 2012). Generell wurden in jüngeren Artikeln die analytischen und empirischen Grenzen des Finanzialisierungskonzeptes hinsichtlich Reichweite und Aussagekraft problematisiert ([22] 2015).

Organisationaler Umgang mit institutioneller Pluralität

Ganz auf einer Linie mit diesen Erkenntnissen zur Vereinbarung und Umsetzung verschiedener institutioneller Logiken in Unternehmen, wollen wir in dem folgenden Beitrag die Perspektive offenhalten, um so Nachhaltigkeitsmaßnahmen in Unternehmen herausarbeiten und auf ihre zugrundeliegenden Logiken und Wissenformen befragen zu können. Wir folgen daher forschungsleitend einer integrierenden Perspektive auf das Thema der institutionellen Pluralität und potenzieller Inkomplementaritäten in Bezug auf die institutionellen Logiken von Nachhaltigkeit und Kapitalmarktorientierung sowie anderen ökonomischen Logiken und ihrer organisationalen Bearbeitungsweisen. Derart hoffen wir die bislang eher nichtintegrativ erfolgte Forschung zur Umsetzung von institutionellen Anforderungen in deutschen Aktiengesellschaften zu ergänzen (zur Kapitalmarktorientierung z. B. Windolf 2005; Faust & Kädtler 2018; Froud et al. 2006; zu Nachhaltigkeit z. B. Nyberg & Wright 2013; Fleming & Jones 2013; Senge 2007) und knüpfen an die oben zitierten Studien an, die die institutionelle Pluralität berücksichtigen.

Wir wollen im Folgenden zeigen, wie organisationale Praktiken der Nachhaltigkeit in Aktiengesellschaften plurale institutionelle Logiken vermitteln, die je nach kontextuellen und situationalen Bedingungen variieren und grundsätzlich interpretationsbedürftig sind. Die konkreten Bedeutungen der Nachhaltigkeitsorientierung, aber auch von Finanzmarkt- und anderen ökonomischen Logiken wird erst in deren Relationierung in organisationalen Praktiken hervorgebracht. Institutionelle Pluralität und Inkomplementaritäten materialisieren sich in organisationalen Entscheidungsproblemen, die durch Anschlussentscheidungen über organisationale Strukturen bearbeitet werden ([8] 2014). Sie sind damit zu rekonstruierende Ergebnisse bestimmter empirischer sozialer bzw. kommunikativer Praktiken. Wir argumentieren also, dass die organisationalen Praktiken und Arrangements von Nachhaltigkeit als Bearbeitung institutioneller Inkomplementarität – auch in Aktiengesellschaften als zentralen Protagonisten des hegemonialen Paradigmas von Nachhaltigkeit – in ihrer Funktionsweise differenzierter zu betrachten sind und diese entsprechend ihrem organisationalen Kontext und den diesen prägenden institutionellen Bedingungen z. T. sehr unterschiedlich ausfallen können.

Um dies zu leisten, werden wir im Folgenden die theoretischen Annahmen, Daten und Methoden unserer empirischen Untersuchung deutscher Aktienunternehmen vorstellen (Kapitel 2). In Kapitel drei werden wir drei organisationale Praktiken der Nachhaltigkeit als Umgang mit institutioneller Inkomplementarität vorstellen sowie deren institutionelle und organisationale Bedingungen und Folgen reflektieren. Der Artikel schließt mit einer zusammenfassenden Diskussion dieser Praktiken und der daraus sich ergebenden forschungsbezogenen wie sozialen Konsequenzen (Kapitel 4).

2 Theoretische Vorannahmen und Methode

Unsere Untersuchung basiert auf einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt, in dem wir die Frage nach dem Umgang mit inkomplementären Logiken in der Implementation von Nachhaltigkeitsstrategien in deutschen Aktienunternehmen beantworten. Unser Sample umfasst potenziell alle im H-Dax 110-Index gruppierten Unternehmen, zu dem die Gesamtheit der im DX30, MDAX und TecDAX gelisteten Unternehmen gehört. Von diesen haben wir eine Anzahl von insgesamt neun Unternehmen mittels 25 qualitativer Tiefeninterviews während der Jahre 2014–2019 untersucht. Intervieworte waren die Unternehmensstandorte in verschiedenen, nicht zu clusternden Regionen Deutschlands.

Theoretische Vorannahmen

Theoretisch und methodologisch folgen wir den neo-institutionalistischen Vorstellungen von institutionellen Logiken und institutioneller Komplexität. Dabei stehen wir kritisch gegenüber einer Vorstellung, welche die Bearbeitung multipler institutioneller Logiken als uniforme „responses" entlang festgelegter Muster reduzieren ([63] & Meyer 2020; Kraatz & Block 2008). Folglich sind für uns theoretische Vorstellungen relevant, in denen von einer Normalisierung von Pluralität ausgegangen wird wie in der Soziologie der Konventionen (Boltanski & Thévenot 2007; [53] 2015) oder der Diskussion über plurale institutionelle Logiken (Kraatz & Block 2008; Friedland & Alford 1991). Ferner nutzen wir systemtheoretische Konzeptionen von Organisationen und gesellschaftlicher Differenzierung ([41] et al. 2016; [52] & [86] 2013; [61] 2000). Diese Ansätze erlauben die Analyse organisationaler Bearbeitungsweisen multipler institutioneller Logiken auf differenzierte Weise. Die Kombination von neoinstitutionalistischen und systemtheoretischen Annahmen ist schon mehrmals erfolgreich vollzogen worden (z. B. Besio & Meyer 2018; [55] & Højlund 2013) und kann bei allen Unterschiedlichkeiten zumindest selektiv ergänzende Perspektiven produktiv hervorbringen ([43] & Krücken 2008): Während mit der neoinstitutionalistischen Perspektive der Einfluss institutioneller Umwelten auf Organisationen gefasst werden kann, erlaubt die systemtheoretische Perspektive eine präzise Analyse der Übernahme und Übersetzung solcher institutionellen Erwartungen in „interne" organisationale Entscheidungsprozesse und -strukturen.

Aus der Perspektive neoinstitutionalistischer Ansätze kann das Konzept der Nachhaltigkeit im Sinne neoinstitutionalistischer Ansätze als Institution (Senge 2015: 268; Hiß 2006) verstanden werden, da diese als soziale Regel sozial verbindlich gilt und für soziale Praktiken sinnstiftend wirkt. Es kann angenommen werden, dass die Institution der Nachhaltigkeit empirisch nicht einfach identisch von Organisationen übernommen wird, sondern entsprechend den Dynamiken und Regelmäßigkeiten ihrer anders institutionell geprägten, pfadabhängigen und eigendynamischen Praktiken übersetzt werden ([25] & Sevon 1996; Senge 2015). Um die Relevanz und Prägekraft institutioneller Ordnungen für organisationale Operationen und Strukturen analysieren zu können, können Institutionen systemtheoretisch als Semantik begriffen werden (La Cour & Højlund 2013: 196), d. h. als „höherstufig generalisierte[r], relativ situationsunabhängig verfügbare[r] Sinn" ([60] 1980: 19), der „die Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung von Gesellschaft [ermöglicht und steuert], weil sie diese Beobachtungsoperationen mit Unterscheidungen versorgt" ([81] 2006: 161). Semantiken stellen damit einen in organisationalen Entscheidungen aktualisierbaren Bestand von Unterscheidungen zur Verfügung (ebd.: 161). Sie konstituieren den Gegenstand, den sie beschreiben und sind so an der Strukturierung der Sinnselektionen anschließender Kommunikationen beteiligt ([80] 1998). Institutionen und Semantiken wie solche der Nachhaltigkeit – aber auch andere, wie der Finanzmärkte, Managementdiskurse oder andere ökonomische Kategorien – ermöglichen aus systemtheoretischer Sicht die Selbstbeschreibungen von Organisationen, welche auf eine empirisch zu rekonstruierende Weise Organisationen mit Themen, Problemen und Lösungen versorgen und sich auf organisationale Entscheidungsprozesse auswirken ([3] 2011). Nachhaltigkeit kann damit als Semantik oder Institution verstanden werden, die in unterschiedlichen sozialen Kontexten bestimmte Regeln und Regelmäßigkeiten im Umgang mit der Zukunft hervorbringen kann.

Die theoretische Perspektivierung von Nachhaltigkeit durch Neoinstitutionalismus und Systemtheorie als Institution und als Semantik verdeutlicht also das analytische Spannungsverhältnis zwischen institutionellem Konformitäts- und Homogenisierungsdruck einerseits und organisationaler Übersetzung anderseits. Zu Anlässen für Entscheidungen kommt es erst, wenn plurale, als gleichwertig markierte Alternativen aufeinandertreffen, die ihre Bedeutung erst durch Bezug auf relativ abstrakte institutionelle Logiken bzw. Semantiken erhalten (Jansen & Vogd 2013). Indem institutionelle Logiken im Akt der Entscheidung aufeinander bezogen und relationiert werden, wird deren konkreter Sinngehalt erst hervorgebracht und so temporär stabilisiert. Organisationen gelten also durch die prozessuale Relationierung multipler institutioneller Logiken in aneinander anschließenden Entscheidungen als polykontextural. Die Artikulation von Entscheidungsproblemen und deren Bearbeitung durch die selektive Relationierung von institutionellen Logiken und Semantiken in Entscheidungskommunikationen, die so den Anschluss weiterer Entscheidungen ermöglichen, bezeichnen wir als organisationale Praxis (Groddeck et al. 2016; Jansen & Vogd 2013). Die Organisationspraxis des Entscheidens wird so rekonstruierbar als empirische Relationierung multipler institutioneller Logiken, die in ihrer konkreten Bedeutung erst enaktiert werden.

Erhebungs- und Auswertungsmethoden

Die Ausprägung von nachhaltigkeitsbezogenen Entscheidungsproblemen und Inkomplementaritäten von institutionellen Anforderungen, so die Annahme, vermuteten wir als besonders deutlich bei Unternehmen, die eine starke Finanzmarktorientierung und eine starke Nachhaltigkeitsorientierung aufweisen. Mithilfe entsprechender Proxy-Indikatoren konnten wir Unternehmen grob entlang ihrer jeweiligen Finanzmarktorientierung einerseits, ihrer Nachhaltigkeits-Orientierung andererseits einordnen. Die Finanzmarktorientierung deutscher Unternehmen wurde anhand der von Höpner (2003), [32] et al. (2011) bzw. Faust & Thamm (2015) sowie Laier (2011) ermittelt: Als Orientierungshilfen bei der Fallauswahl dienten sowohl die Tatsache der Veröffentlichung bestimmter Kennzahlen ([50] 2003; [57] 2011) als auch die Aktionärsstruktur (Faust & Thamm 2015). Die Ermittlung der Nachhaltigkeits-Orientierung von Unternehmen orientierte sich zunächst an verbreiteten kommerziellen und finanzmarktorientierten Nachhaltigkeits- bzw. CSR-Rankings und Ratings „Sustainalytics" (2014) und dem „Good Company Ranking" (2014). Die Klassifikation erfolgte auf der Basis der genannten Rankings sowie auf zusätzlichen Informationen in Bezug auf die zwei MDAX-Unternehmen. In beiden Nachhaltigkeits-Rankings bzw. Ratings (Stand 2018) wurden zwei DAX30-Unternehmen (Unternehmen 2 und 6) bezüglich ihrer Nachhaltigkeitsleistung im oberen Drittel gelistet, das MDAX-Unternehmen 9 firmierte ebenfalls im oberen Drittel. Die restlichen Unternehmen befanden sich zumeist im Mittelfeld oder unteren Drittel der jeweiligen Rankings. Hinsichtlich ihrer Finanzmarkt-Orientierung ist eine Einordnung aufgrund der Datenlage schwieriger: Hinsichtlich der Aktionärsstruktur verfügt eines der neun untersuchten Unternehmen über einen stabilen Ankerinvestor mit mehr als 25 % Anteilen (Faust & Thamm 2015), während die anderen sich überwiegend in Streubesitz befinden. Unter letzteren finden sich vier Unternehmen mit größeren Anteilen nicht-finanzieller Investoren (Familien, Stiftungen, Kommunen), was wir als Indikator für eine vergleichsweise niedrige Finanzmarktorientierung interpretieren. Zwei der Unternehmen haben demnach eine eher niedrige Finanzmarktorientierung und ein hohes Rating der Nachhaltigkeitsleistung; eines verfügt über eine relativ hohe Finanzmarktorientierung bei relativ hoher Nachhaltigkeitsleistung; ein weiteres hat eine relativ niedrige Finanzmarktorientierung und eine niedrige Nachhaltigkeitsleistung. Die anderen haben eine mittlere Nachhaltigkeitsleistung bei relativ hoher Finanzmarktorientierung. In den neun Unternehmen konnten wir 25 leitfadengestützte Experteninterviews mit 30 Organisationsmitgliedern durchführen. Die interviewten Personen kamen aus unterschiedlichen Abteilungen, waren aber alle für den Bereich Nachhaltigkeit mitverantwortlich: 14 Manager*innen waren in der CSR-Abteilung oder in einem ähnlichen Bereich tätig (z. B. Nachhaltigkeitsmanagement, Nachhaltigkeitsbericht), acht im Bereich Investor Relations, zwei in der Abteilung Human Resources, zwei Personen im Controlling, einer Compliance, drei Interviews wurden zudem mit Vertretern des Betriebsrates durchgeführt. Die Interviews dauerten zwischen 40 Minuten und 90 Minuten. Alle Interviews wurden digital aufgenommen.

Das Interviewmaterial wurde nach [26] und Pehl (2013) transkribiert und anonymisiert. Die Transkripte wurden manuell und mithilfe qualitativer Datenanalysesoftware entlang thematischer Kategorien kodiert und kategorisiert, um eine fallübergreifende Orientierung im Interviewmaterial herzustellen und zu gewährleisten. Es ging in diesem Schritt also vor allem um das „Was", nämlich die durch die Interviewten angesprochenen Themen. Die Kategorien bezogen sich dann auf relevante organisationsinterne Themen, auf die Nachhaltigkeitsstrategie bezogene Aktivitäten, Ereignisse, Entscheidungen, Prozesse, Maßnahmen, Artefakte usw. Beispiele sind etwa „Nachhaltigkeitsbericht", finanzielle und nicht-finanzielle Kennzahlen, Rolle der CSR/Nachhaltigkeitsabteilung, Stakeholder, Beziehung zu anderen Abteilungen etc.

Die eigentlich interessierende Frage des „Wie", also die Art und Weise des Sprechens über diese Themen und ihre verschiedenen darin enthaltenen expliziten und impliziten Bezüge auf organisationales Entscheiden und die darin enaktierten institutionellen Logiken und Semantiken wurde mithilfe rekonstruktiver Verfahren der qualitativen Sozialforschung bearbeitet. Insbesondere haben wir uns der Techniken der Dokumentarischen Methode ([10] 2003) bedient, die die Rekonstruktion kommunikativer und konjunktiver Orientierungsrahmen und -schemata sowie ihrer Relationierungen als organisationale Praxis zu leisten verspricht, um so die einer Praxis zugrundeliegenden expliziten wie impliziten Wissensstrukturen rekonstruieren zu können. Dabei haben wir uns insbesondere an der Kontexturanalyse als Reformulierung der Dokumentarischen Methode orientiert ([51] et al. 2015): Diese begreift organisationale Praxis als ein Relationieren „logischer Räume", die als „Amalgame von Kommunikationen" oder als „Kontexturen" bezeichnet werden, welche sowohl kommunikative als auch konjunktive Orientierungsrahmen einschließen ([47] 2021: 101). Diese ermöglichen als implizit-habituelles wie explizit-kommunikatives Wissen die Praxis in Organisationen. Die jeweils im Interview aufgerufenen Kontexturen erhalten ihre konkrete Bedeutung erst in ihrem jeweiligen Aufeinander-Bezogensein. Eine derart begriffene Praxis ist somit immer polykontextural (ebd.). Zentral ist somit die Rekonstruktion der Art und Weise, wie Kontexturen zueinander ins Verhältnis gesetzt und verkoppelt werden. Es kann derart gezeigt werden, wie im Sprechen der befragten Manager*innen über die Nachhaltigkeitsstrategie und die darauf bezogenen Projekte, Maßnahmen, Programme etc. als Kontexturen mit jeweils anderen relevant gemachten Kontexturen in ihrem Bezug auf organisationale Entscheidungen relationiert werden. Die das Verhältnis zweier Kontexturen regulierende dritte Kontextur stellt damit Entscheidungen dar. In der zu rekonstruierenden Kopräsenz polyvalenter Kontexturen werden nun Entscheidungsprobleme rekonstruierbar, die in ihrer jeweiligen, selektiven Relation aber als bereits bearbeitet markiert werden, indem sie sich als Entscheidungen ausweisen, die bestimmte Alternativen als ausgeschlossenen selegiert haben (Jansen & Vogd 2013: 87 f.). Forschungspragmatisch wurden nun vor allem der Schritt der reflektierenden Interpretation sowie der Aspekt der ständigen komparativen Analyse zwecks Herausarbeitung regelmäßiger Muster von Kontexturen als Typen durchgeführt (Vogd et al 2018: 219 ff.).

3 Die Bearbeitung institutioneller Inkomplementarität: Drei organisationale Praktiken

Wendet man sich dem Interviewmaterial mit Blick auf die Frage zu, welche typischen Muster im Umgang mit Inkomplementaritäten und Pluralität beobachtbar sind, so lassen sich in dem Datenmaterial drei Typen identifizieren, die wir im Folgenden vorstellen und hinsichtlich ihrer typisierten Spezifik analysieren. Bei den drei typisierten Praktiken sprechen wir von erstens Finanzialisierung, zweitens Vermarktlichung und drittens Personalisierung mit Responsibilisierung.

3.1 Finanzialisierung von Nachhaltigkeit: Herstellung von Nachhaltigkeit als multireferentiel...

Eine typische, in allen untersuchten Unternehmen beobachtbare Praxis der Nachhaltigkeit erwies sich als Translation dominanter Erwartungen und Standards, die als Finanzialisierung beschrieben werden kann. Bei der Implementierung von Nachhaltigkeitsstrategien, also Semantiken, Standards, Richtlinien, Accounting- und Berichterstattungsprozeduren u. a. wurde auf formalisierte Verfahren zugegriffen, die in der Praxis auch für andere unternehmerische Entscheidungssituationen mobilisiert werden. Am wichtigsten waren diesbezüglich die Instrumente des Rechnungswesens und des Controllings. Die hergestellten Kalkulationen von Nachhaltigkeitsmaßnahmen werden derart zu einem relevanten Entscheidungskriterium. Deutlich wird dies zum Beispiel anhand der folgenden Interviewausschnitte:

Interviewerin (I): Sie hatten eben das Thema Erstinvestition angesprochen und dann würde man anschließend abschätzen: Lohnt sich das Thema? Was wären dann für Sie Kriterien zu sagen: Es lohnt sich das weiterzuverfolgen?

Interviewpartner: Verzinsung. Und dann bin ich wirklich wieder bei der Versachlichung des Themas. Es muss uns gelingen entweder durch ökologische Themen wie Wasserverbrauch, Stromverbrauch oder auch Themen, ein zufriedener Mitarbeiter läuft schneller, oder (.) ein Sponsoring von Bayern München bringt uns zusätzliche Kunden. Wenn ich das nicht irgendwo in Zahlen fassen kann, und das sind jetzt sehr simple Systeme, wir wissen auch, dass dazu natürlich Kapitalverzinsungshürden bei Investitionen gehören und Kapitalverzehr und Ähnliches, was aber heute schon sehr professionell durch das Controlling bearbeitet wird ... (Unternehmen 1, Investor Relations #00:19:25-8#)

In dem Zitat wird mit dem knappen Schlagwort „Verzinsung" eine zusammenfassende Antwort auf die Entscheidungskriterien im Unternehmen gegeben. Nachhaltigkeitsthemen wird intern offenbar ein prekärer Status des „Nicht-Sachlichen" zugeschrieben, sodass „Verzinsung" als das Mittel zur Versachlichung angesehen wird. Die Nachhaltigkeitsthemen werden derart den unternehmensinternen „Standards" unterworfen; sie sollen „sich lohnen". Dies setzt voraus, dass Nachhaltigkeitsmaßnahmen – genannt wird die nachhaltige Betankung durch die Verwendung nachwachsender Rohstoffe – nachweisbar und messbar gemacht werden und dann durch Monetarisierungen als „Zinsen" deklariert werden können. Derart würde eine Kommensurabilität zwischen und Vergleichbarkeit von fundamental unterschiedlichen Werten und Qualitäten wie Energie- und Wasserverbrauch, Mitarbeiter*innenzufriedenheit etc. hergestellt werden ([29] & Stevens 1998; [44] 2016). Erst so werden Nachhaltigkeitsaspekte für den Interviewten in eine Form gebracht, die „gezeigt" und „nachgewiesen" werden kann und unternehmensintern entscheidbar ist.

Die derart zum Ausdruck kommenden Praktiken im Umgang mit unterschiedlichen institutionellen Anforderungen sind nicht nur bei Vertretern der Investor-Relations Abteilung zu beobachten. Vielmehr haben wir diese Praxis der Translation als Finanzialisierung in allen Unternehmen identifizieren können, wenn auch divergierend artikuliert. Dies zeigt sich in dem folgenden längeren Zitat aus einem anderen Unternehmen:

„So, und dann haben wir- in den letzten Jahren haben wir's wirklich geschafft – oder im letzten Jahr, haben wir's dann wirklich geschafft, dass wir sagen können: Wir haben eine Analyse gemacht, wo ist der größte Impact? Von welchem Parameter? Und welche können wir wirklich klar quantifizieren? Und haben dann ein Modell gebaut, in dem wir gesagt haben: Zum Beispiel Mitarbeiterzufriedenheit, ein Prozentpunkt Steigerung. Oder aber auch Rückgang hat einen Impact von 35 bis 45 Millionen auf unsere Bruttomarge. Also wir haben ja den Business Case noch nicht komplett gerechnet, dass wir sagen: Wie viel müssen wir investieren, um ein Prozent zu erreichen? Sondern wir können im Moment nur sagen: Wir haben einen Impact auf Bruttomarge, das haben wir gerechnet für Mitarbeiterzufriedenheit, für unseren operativen Gesundheitsindex und für Mitarbeiterbindung. Auf der sozialen Seite und für Greenhouse Gas Emissions haben wir's auch gemacht, da ist es aber dann ein Prozent hoch runter, sind halt vier Millionen. Und das ist der Punkt. Wir haben das gemacht, einerseits um das klar auch innerhalb der Firma zu kommunizieren, unsere nicht-finanziellen Aspekte, sozial und Umwelt, haben Einfluss auf unsere Finanzperformance. Und der nächste Schritt ist natürlich um aus dieser Tree-Hugging und Philanthropie Ecke rauszukriegen. Ich muss es monetarisieren, damit ich auch Management Attention kriege." (Unternehmen 2, Manager Bereich Nachhaltigkeit, #00:07:11-9#)

Erneut wird ausführlich die „Monetarisierung" der „nicht-finanziellen Aspekte" von Nachhaltigkeit dargestellt. Mittels dieser kommensurierenden Transformation heterogener Qualitäten wird eine Vergleichbarkeit erzeugende monetäre Metrik hergestellt, die den finanziellen „Impact" unterschiedlicher Aspekte von Nachhaltigkeit auf die Finanzperformance des Unternehmens sichtbar macht. Die Translation bedient sich finanzmarktbezogener Kategorien wie Bruttomarge. Auch in diesem Unternehmen werden die Aspekte von Nachhaltigkeit auf Maße für den Unternehmenswert bezogen ([84] 2013; [21] 2015). Zugleich versteht der Manager sich als intentional und strategisch handelndes Organisationsmitglied, das „Monetarisierung" dazu nutzt, Nachhaltigkeit aus „dieser Tree Hugging und Philanthropie-Ecke rauszukriegen". Auch er, wie der Repräsentant in Unternehmen 1, versucht Nachhaltigkeit gegenüber relevanten Publika im Unternehmen zu „versachlichen" und als unternehmensrelevantes Thema zu kommunizieren. Das anscheinend knappe Gut der „Management Attention", also Aufmerksamkeit und Bewusstsein von der Leitungsebene, kann so erworben werden. Die beschriebene Kommensuration erfüllt also mindestens zwei Funktionen innerhalb des Unternehmens: Auf der einen Seite dient sie der internen Legitimation von Nachhaltigkeit; darüber hinaus werden die vollzogenen Kalkulationen als Orientierung für Entscheidungen dargestellt.

Durch diese Umdeutung hin zu dem angestrebten „business case" erfährt Nachhaltigkeit als Konzept eine Übersetzung, die sich stark an extern darstellbaren und berichtbaren Key Performance Indicators (KPIs) orientiert:

„Also wir haben im Grunde genommen unsere sieben KPIs genommen und haben dann gesagt: Wie messbar sind die? Also sind sie klar definiert? Sind sie messbar? Und wie hoch ist der Aufwand ne Korrelation hinzukriegen? (...) Employee Retention, die Mitarbeiterbindung, kriegen Sie einfach aus dem HR-System: Wie viele Leute wollten eigentlich gehen und wie viel Leute habe ich gehalten? So, jetzt haben wir noch zwei andere, zwei drei andere KPIs. Frauen in Führungspositionen. Wir haben ein sehr klares Ziel darauf. Es ist aber- das Ziel ist klar definiert. Es ist auch sehr einfach zu bestimmen. Aber der Aufwand, eine Korrelation zwischen Frauen in Führungspositionen und der Marge oder der Top Line zu kriegen ist einfach Glaubenssache." (Unternehmen 2, Manager im Bereich Nachhaltigkeit, #00:10:28-8#)

Die aufgeführten Aspekte von Nachhaltigkeit werden in ihrer Bedeutung reduziert auf einzelne quantifizierbare Parameter, die in der Lage sind, den Beitrag zur Finanzperformance zu signalisieren. Organisational komplexe Entscheidungen wie Umsetzung der Gleichstellungsprinzipien werden auf quantifizierbare Ziele reduziert; der Manager orientiert sich an einer offenbar unbedingt herzustellenden Korrelation zwischen den jeweiligen Nachhaltigkeitsaspekten und der Finanzperformance – auch wenn er selbst diese Korrelation als hochkontingente „Glaubenssache" markiert und damit der herkömmlich zugeschriebenen Objektivität von Zahlen widerspricht ([71] 1995).

Der Translation von Nachhaltigkeit entlang finanzmarktbezogener Kriterien wird zudem eine extern gerichtete Funktion zugeschrieben:

„Weil wo kommt man ursprünglich her? Also viele Unternehmen kommen ja aus diesem, ich sag mal aus diesem Druck von Extern, vielleicht auch zu berichten. Und damit einher beginnt- beginnen Unternehmen – ist ja bei vielen Unternehmen dann auch so, Nachhaltigkeitsstrategien oder Nachhaltigkeitsmanagement aufzubauen, ich glaub da ist jetzt [Unternehmen 8] kein Einzelfall, dass es sich so entwickelt." (Unternehmen 8, Manager Nachhaltigkeit, #00:38:16-0#)

Wie hier deutlich wird, besteht eine weitere Funktion von Finanzialisierung in der Instrumentalisierung für „Kommunikation", um einem „Druck von Extern" zu begegnen. Die Nachverfolgung der Unternehmensleistung in den genannten Bereichen wird sowohl intern zur „Steuerung" durch Zielvorgaben verwendet wie extern in Form von Berichten. Der Manager verortet das Unternehmen in einer Umwelt, in der das Unternehmen anhand quantifizierter und monetarisierter Kriterien beobachtet und bewertet wird. Letztere, die für den Manager insbesondere im Dow Jones Sustainability Index (DJSI) repräsentiert sind, stellen durch „Benchmarking" einen externen Bezug zur „Performance" der relevanten Wettbewerber her und machen so Nachhaltigkeit intern relevant:

Wir sind hier bei [Unternehmen 8] einfach ne Organisation, die sehr numerisch sag ich mal, tickt. ... Also da war schon die Absicht, den Mitarbeitern zu verdeutlichen, was bedeutet das [Nachhaltigkeit] denn eigentlich konkret? Und wie kann man die Performance im Bereich Nachhaltigkeit dann auch messen. Und man wollte auch diesen benchmarkigen Aspekt herstellen, ja." (Unternehmen 8, Manager Investor Relations, #00:39:24-6#)

In einem anderen Unternehmen lösen imaginierte und repräsentierte Publika des DJSI Entscheidungs- und Handlungsdruck aus (Sauder & [28] 2007; [88] 2014):

„Sie haben gerade gesagt, wenn wir positiv gerankt werden wollen. Uns ist natürlich ein positives Ranking beim Dow Jones Sustainability Index oder beim Carbon Disclosure Project auch kein Wert an sich, dass wir dann sagen: Oh wow, wir haben eine Trophäe auf dem Kamin stehen. Sondern es ist ganz klar die Erkenntnis, dass viele Akteure – gerade im Finanzmarkt – nicht die Zeit haben, sich ausführlich mit jedem einzelnen Unternehmen zu beschäftigen. (...) Denn an der Stelle wird dann eben verglichen mit gleichen Standards für alle. Und deswegen ist es nur fair, dass [Unternehmen 5] auch dort teilnimmt und sich diesem Ranking stellt. Natürlich mit dem Ehrgeiz, gut abzuschneiden." (Unternehmen 5, Managerin Human Resources, #00:43:32-7#)

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass in den Unternehmen im Vorfeld der Inkorporierungen von Nachhaltigkeitsmaßnahmen diese einer Translation unterzogen werden. Translation besteht hier primär in der Herstellung von Vergleichbarkeit entlang einer numerisch-monetär konstruierten Metrik (Heintz 2016). Mit der Verwendung standardisierter und kommensurierender Kalkulationstechniken und -indikatoren innerhalb von Unternehmen wird Nachhaltigkeit erst ein Wert zugeschrieben und kann auf den „intern" wie „extern" darstellbaren, steigerbaren Unternehmenswert bezogen werden (Chiapello 2015; Vatin 2013; [30] et al. 2008). In diesem Sinne kann damit von einer Finanzialisierung von Nachhaltigkeit in Unternehmen gesprochen werden (ebd.). Finanzialisierende Kommensuration kann in Verbindung mit (finanzmarktbezogenen) Narrativen und deren zentralen Figuren wie etwa der des „business case" für entsprechende Nachhaltigkeitsthemen Aufmerksamkeit in anderen Managementebenen erzeugen und diese für das Unternehmen bearbeitbar machen (Beyer et al. 2019; Haack et al. 2012). Dadurch wird Selektivität erzeugt, d. h. es werden bestimmte quantifizier- und monetarisierbare Aspekte von Nachhaltigkeit sichtbar, die dann zum Gegenstand weiterer organisationaler Entscheidungen werden können, während andere, nicht quantifizierbare Aspekte tendenziell aus Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden (Senge 2015; Mackenzie 2009). Zugleich positionieren sich Unternehmen in relevanten Kontexten, insbesondere den Finanzmärkten (Froud et al. 2006): Die Finanzmärkte fungieren als Beurteilungsinstanzen, in denen Unternehmen sich selbst und andere Unternehmen kontinuierlich beobachten können.

Finanzmarktbezogene Rahmungen laufen insbesondere bei Investitionsentscheidungen im Kontext von Nachhaltigkeitsstrategien also immer mit und dienen multireferentiell der internen und externen Legitimation der Implementierung, können aber nicht als disziplinierende Erfüllung von Finanzmarkterwartungen interpretiert werden. Vielmehr werden diese Erwartungen flexibel interpretiert und genutzt, um Nachhaltigkeit als Gegenstand organisationaler Entscheidungen und um eine Dringlichkeit darauf bezogener Entscheidungen herzustellen. Zudem werden sie nur gegenüber bestimmten Publika verwendet, während Nachhaltigkeit immer auch zum Gegenstand weiterer organisationaler Entscheidungen wird und strukturelle Verschiebungen organisationaler Praktiken bewirkt, wie nachfolgend verdeutlicht wird.

3.2 Vermarktlichung: Rekonfiguration von Unternehmen und Märkten durch Standards

Die bislang beschriebene Praxis der Translation von Nachhaltigkeit, um eine Anbindung an die Kapitalmärkte zu erreichen, ist mit Sicherheit eine der typischen und prävalenten Praktiken von Unternehmen im Umgang mit Inkomplementaritäten. Gleichwohl lassen sich in den Daten auch andere Praktiken beobachten. Wie bei der Analyse des Umgangs mit Standards und Audits deutlich wird, spielen die Unterscheidungen von Ebenen und Abteilungen des Unternehmens sowie von Märkten oder Kunden bzw. Umwelten eine große Rolle in der Implementierungspraxis. Dabei wird die Bedeutung der Kapitalmarktorientierung zwar nicht ausgeklammert, diese wird jedoch zugunsten anderer beobachteter Umwelten zeitweise verschoben. Dies geschieht in der Praxis der Neu-Rahmung von Produkten und Marktbeziehungen durch Standards bzw. Audits oder Klassifikationssysteme. Letzteres soll im Folgenden erläutert werden.

Die Relevanz anderer Logiken zeigt sich in der Unterscheidung von Umwelten mit jeweils anderen Ansprüchen in Unternehmen 9. Die jeweils relevanten Umwelten sind in diesem Falle die Kunden bzw. „Kundenketten" in industriellen Märkten, die bestimmte Standards offenbar erst für das Unternehmen relevant machen:

„Wir haben verschiedene geschäftsführende Einheiten. Die haben unterschiedliche Kundenstrukturen und verwenden auch zum Beispiel unterschiedliche Mengen an diesen Mineralien. Und jetzt kann's sein: In der einen Business Unit ist der Kundendruck, was die Berichterstattungen, die Transparenz zum Thema Konfliktmineralien anbelangt extrem hoch. In der anderen Businessunit existiert er quasi noch gar nicht, weil eben in der Kundenkette lange kein amerikanischer Kunde vorkommt oder so, der an der Börse gelistet wäre (...) Das sind keine Widersprüche, aber da kann's sein, dass es einfach, dass die Realitäten unterschiedlich sind." (Unternehmen 9, Manager Investor Relations, #00:34:34-3#)

Im Unternehmen werden also unterschiedliche „Realitäten" wahrgenommen, denen je nach wahrgenommener Kundenstruktur variierender Kundendruck attribuiert wird. Ob der Druck existent ist, wird in dem untersuchten Unternehmen abhängig gemacht von der Börsenlistung eines amerikanischen Kunden in der Kundenkette. Beobachtete Kapitalmarkterwartungen werden mithin indirekt zum entscheidenden Kriterium für die Umsetzung von Standards für Transparenz und Berichterstattung, hier hinsichtlich des Umgangs mit Konfliktmineralien. Das Unternehmen sieht sich mithin beobachtet durch die Finanzmärkte und richtet seine Entscheidungen daran aus. Es ordnet sich somit den Erwartungen der Kunden unter.

Dem Druck von Kunden auf Produktmärkten wird allerdings ein größeres Gewicht verliehen im Vergleich zu dem der Finanzmärkte:

„Wenn ein Lieferant- Entschuldigung, ein wichtiger Kunde sagt so: Ich heb jetzt meine Mindestkriterien zum Thema weiß ich nicht, Menschenrechte auf ein neues Level. Und sagt: Wenn du das nicht adressierst, dann bist du raus (...) Da hab ich's oder ich hab's halt net ...Genau, das ist bei Kapitalmarkt vielleicht noch mal einfacher. Da gibt's eher Abstufungen, die arbeiten weniger in diesen Assessments weniger mit Mindestkriterien (...) Also da gibt's nochmal mehr Gestaltungsspielräume (...)" (Unternehmen 9, Manager Investor Relations, #00:44:00-8#)

Der „Kundendruck" wird in Unternehmen 9 deutlich schärfer und eindeutiger wahrgenommen als der der Finanzmärkte, allein dadurch, dass hier offenbar nach einer „relativ schwarz-weiß", also einer normativen, enttäuschungsresistenten Erwartung verfahren wird. Entweder folgt das Unternehmen dem sich in Kennzahlen ausdrückenden Mindestkriterien oder: „du fliegst raus". Diese duale Logik, die keine Abweichungen zulässt, materialisiert sich in sogenannten Kundenfragebögen, die als Maßnahme eine disziplinierende Beziehung etablieren, in der der Kunde durch seine Mindestkriterien die Situation dominiert: „Auch viele dieser Kundenfragebögen haben ein Drop-Down-Feld mit zwei Wahlmöglichkeiten und dann wird das Feld hinterher wieder rot eingefärbt oder halt grün. Und wenn die Anzahl der roten Felder 'ne bestimmte Grenze überschreitet, dann gibt's auch kein Gespräch." (Unternehmen 9, Manager Investor Relations, #00:44:47-2#). Dies geht so weit, dass aufgrund des Interesses an der Kundenbeziehung den Erwartungen der Kunden gefolgt wird. Das Unternehmen begreift sich als Teil einer Lieferkette, deren Stabilität durch Erfüllung von Standards oder Audits gewährleistet sein muss. Finanzmarkterwartungen hingegen werden hier durch die Manager*innen mit mehr Freiheiten in der Darstellung wahrgenommen.

Auch in anderen Unternehmen wird in der Herstellung und Rahmung von Produkten die Relevanz von finanzmarktbezogenen Erwartungen zugunsten produktmarktlicher und industrieller Erwartungen in den Hintergrund verschoben und der Markt und die Kunden als relevante Umwelten gedeutet. Dennoch ist ebenso zu sehen, dass die Ausrichtung auf die kommunikativen Anforderungen von Finanzmärkten stets mitgeführt wird. So beschreibt der interviewte Nachhaltigkeitsmanager (Unternehmen 5) eine Produktklassifikation zunächst mittels kapitalmarktbezogener Kategorien: „Ein anderer Aspekt ist zur Steuerung von Sustainability, das ist [Name der Nachhaltigkeitsklassifikation], was unsere Produkte oder jedem Produkt eine Klasse zuweist, nach einem Sustainability-Beitrag. (...) Auch das machen wir für unser Portfolio. Und dann ist natürlich die Frage: Heißt denn auch more sustainable more profitable im klassischen Sinn?" (Unternehmen 5, Manager Nachhaltigkeit, #00:26:45-8#)

Nachhaltigkeit bedeutet in dem Unternehmen zunächst, dass diese anhand einer quantifizierten Produktklassifikation ermittelbar und nach Beitrag ge(rang)ordnet werden kann: Produkte können „more" oder weniger „sustainable" sein. Die Produktklassifikation rahmt die Produkte des Unternehmens in einer veränderten auf den Sustainability-Beitrag bezogenen Weise (z. B. [67] & O'Leary 1993). Zugleich valorisiert sie offenbar die so gerahmten Produkte, indem diese nämlich durch ihren „Beitrag" „more profitbale" werden sollen (Vatin 2013; Ezzamel et al. 2008): Gleichzeitig stellt der Manager verstärkt einen Bezug zu den Ansprüchen industrieller Märkte, aber auch einer „kritischen Öffentlichkeit" her, den er im weiteren Verlauf des Interviews unterstreicht: „Entscheidend ist nur der Markt, unsere Kunden fragen ja sehr wohl konventionelle Produkte an, die keinen besonderen Nachhaltigkeitsbeitrag haben ... Sobald aber, ich denke an die kritische Öffentlichkeit, unsere Kunden uns unter Druck setzen würde, würde das sich von heute auf morgen sich radikal ändern." (Unternehmen 5, 296–336, Manager Nachhaltigkeit, #00:30:55-9#)

Im Klassifikationsschema müssen die Anforderungen, die „de[m] Markt" zugeschrieben werden, berücksichtigt werden, die Erwartungen der Kunden sollen möglichst erfüllt werden. Auf diese Weise positioniert der Manager sein Unternehmen in einer verschachtelten marktlichen Umwelt, die er als konkrete Interaktionsbeziehungen zu Kunden darstellt, welche wiederum durch abstraktere Kategorien wie die der „kritischen Öffentlichkeit" beeinflusst werden, die Druck ausüben könnte. Die Dringlichkeit der Umsetzung nachhaltigkeitsbezogener Standards artikuliert sich damit situativ und in konkreten Beziehungen zu Kunden und deren Kontexten. Unternehmen 9 soll dann in der Lage sein, in seinen Entscheidungen auf plötzliche Änderungen „des Marktes" flexibel reagieren zu können.

Zusammenfassend wird in der vorgelegten Analyse der Einzelfälle deutlich, wie Unternehmen durch den Gebrauch auf Nachhaltigkeit bezogener Standards, Audits und andere Regulationsinstrumente relevante Umwelten enaktieren und ko-produzieren, in denen sie operieren. Diese Praktiken können zusammenfassend als Vermarktlichung bezeichnet werden, da sie soziale Beziehungen mittels „devices" wie Standards, Kalkulationen und der durch diese ko-konstituierten Erwartungen als „Märkte" konstruieren bzw. diese rekonfigurieren ([59] & Busch 2010; [17] & [19] 2010). Zum einen werden in der Praxis der Umsetzung dieser Regulationsinstrumente die „Produkte" des Unternehmens in ihrer Bedeutung als mehr oder weniger „nachhaltig" klassifizierte Produkte konstituiert. Zum anderen werden sie valorisiert, also mit einem zu erwartenden oder versprochenen monetär bzw. finanziellen oder auch nicht-monetären Wert verknüpft. Die so gerahmten Produkte werden dann, da sie die Erwartungen unterschiedlicher Publika erfüllen, zirkulationsfähig und handelbar. Zugleich wird Nachhaltigkeit damit als Gegenstand der wechselseitigen Beobachtung und konkreter Interaktionen auf Märkten etabliert.

Der zweite Aspekt der Vermarktlichung ist die durch die Standards und Audits etc. ermöglichte räumliche, soziale und zeitliche Re-Konfiguration von Märkten. Unternehmen positionieren sich in einer Umwelt aus Beobachtungsinstanzen wie „der Öffentlichkeit", anderen Unternehmen und deren jeweiligen Kontexten, die in eine spezifische Beziehung zueinander gesetzt werden. Diese besteht in einer stetigen wechselseitigen Beobachtung, Disziplinierung und Normierung der jeweils anderen im Sinne der jeweiligen Anforderungen der (freiwilligen) Nachhaltigkeitsstandards. Im Interesse der Fortsetzung von Marktbeziehungen und der Sicherung der Wettbewerbsposition werden Standards unter Umständen rasch umgesetzt. Im Ergebnis ergibt sich für die Unternehmen ein komplexes Arrangement regulativer Anforderungen bestehend aus Erwartungen der Kunden wie Finanzmärkten oder „Öffentlichkeit", aber auch der Bedingungen der eigenen Produkte und deren Produktion.

Die beobachtbare Vermarktlichung bezieht sich damit auf einen anderen, auf Finanzialisierung nicht unmittelbar zurückführbaren bzw. übersetzbaren Diskurs: Nämlich den der (globalen) Wertschöpfungsketten und Märkte, in die Unternehmen und ihre Produktion eingebunden sind, deren Operationen aber aufgrund der heterogenen Spannungen erzeugenden Zusammensetzung als kontingent und vulnerabel beobachtet werden (z. B. Loconto & Busch 2010; [36] 2013). Es werden also die voraussetzungsreichen marktlichen und organisatorischen Arrangements sichtbar, die zur Wertschöpfung des Unternehmens beitragen können, dieses aber auch gefährden können.

3.3 Personalisierung und Responsibilisierung als Adressierung multireferentiell-adaptiver Per...

Eine weitere typische Umgangsweise in der Bearbeitung von Nachhaltigkeit lässt sich in der Verlagerung von Zuständigkeiten und Verantwortung an andere Personen und Abteilungen beobachten. Bei dieser Strategie geht es im Kern um die jeweilige Gestaltung von Kommunikationswegen und personalen Prämissen. Im Folgenden möchten wir zeigen, wie Kompetenzen bei nachhaltigkeitsbezogenen Entscheidungen verteilt und personalisiert werden, welche wir im Folgenden als Responsibilisierung bezeichnen. Personalisierung meint hier die Konstruktion und Stabilisierung von Merkmalen, Entscheidungsstilen und Identitäten von Manager*innen, die in Form einer Zurechnung einen Unterschied für nachhaltigkeitsbezogene Entscheidungen machen. Responsibilisierung meint dagegen die Adressierung von Abteilungen und Manager*innen bzw. Organisationsmitgliedern als verantwortliche Personen bzw. Subjekte (Henkel et al. 2018; [45] 2015).

Die für Nachhaltigkeit zuständigen Manager*innen machen oft die sie betreffenden internen Identitätszuschreibungen zum Thema und bringen diese mit ihren manageriellen Aktivitäten in Verbindung. Diese Praxis kann, als Teil der Personalisierungspraxis, auch als Identitätsarbeit bezeichnet werden ([39] et al. 2015; [20] & Guerci 2018), geht es doch um die Erzeugung und Stabilisierung eines organisationsintern akzeptablen und konsistenten Selbstverständnisses in Relation zu anderen Stellen ([2] & Willmott 2002). Die Identität der Nachhaltigkeitsmanager*innen zeigt sich wiederholt als eine unsichere und prekäre. Die Problematisierungen bezogen sich häufig auf die Kategorie des „tree-huggers" (vgl. Kapitel 3.1). Aufgerufen wurde diese Kategorie oft dann, wenn die Manager*innen mögliche zukünftige allgemeine Entwicklungen des Unternehmens und ihre Rolle darin ansprachen, wie anhand der folgenden Äußerungen deutlich wird: „Nur ich muss halt relativ lange Marktinformationen verdichten, um diesen Sense of Urgency und diese Wertschätzung zu kreieren, dass die Leute sehen: Ah ok, das macht Sinn. Weil die Gefahr ist natürlich auch immer hier als Treehugger abgestempelt zu werden. Als der, der mit der Jutetasche rumläuft." Unternehmen 5, Manager Nachhaltigkeit, #00:15:06-5#) Deutlich spricht der Manager die Sorge an, intern lediglich als eine Art „Bäumeumarmer" wahrgenommen zu werden, dessen Anerkennung und Wertschätzung von seiner Verwendung von im Unternehmen etablierten Diskursen abhängt. Sowohl in der Arbeit mit Kunden als auch organisationsintern stellt der Manager seine Arbeit als verknüpft mit dem Nachweisen von „Mehrwert" und in der Auseinandersetzung mit „Marktinformationen" dar: „Und da versuch ich klarzumachen, wofür wir hier stehen, was wir machen wollen, ist immer getragen von dem Interesse Mehrwert für's Geschäft zu schaffen." (Unternehmen 5, Manager Nachhaltigkeit, #00:15:06-5#) Mit dieser immer mitlaufenden Kommunikation des „Mehrwerts" von Nachhaltigkeit versucht er dann auch einer möglichen negativen Einschätzung seiner Person zu begegnen: „Ne, also wenn ich erzähle, was ich mache, dann biste schnell der Mülltrenner, der der nur mit der Jutetasche einkaufen geht." (ebd.) Wie auch schon in Kapitel 3.1 deutlich wurde, kann die Aufmerksamkeit innerhalb des Managements nur mit Bezug auf die Risiken des Marktes oder einen Gewinn erreicht werden. Infolge solcher quasi-marktlichen Anforderungen der organisationalen Kommunikationswege ist ihre Identitätsarbeit damit stark von der Konkurrenz mit anderen Stellen um die knappe „Aufmerksamkeit" der Leitungsebene geprägt.

Unsere Gesprächspartner betonten, dass die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit im Unternehmen nicht zentral, etwa von der Nachhaltigkeitsabteilung, für das gesamte Unternehmen gesteuert werden kann. Vielmehr werden Verantwortlichkeiten für Problemlösungen und „Initiativen" den jeweils zuständigen Abteilungen bzw. „lines of business" und deren Manager*innen zugerechnet, also auf diese verlagert, in diesem Fall auch auf die Kunden selbst:

„[...] also wir glauben zum Beispiel auch dran, dass eine Nachhaltigkeitsabteilung zwar gut ist, aber unsere Rolle ist eigentlich, Initiativen anzuschieben. Wir sind über jede Initiative glücklich, die nicht von uns kommt, ja?" (Unternehmen 2, Manager Nachhaltigkeit, #00:30:04-7#)

Ähnlich äußert sich eine Nachhaltigkeitsmanagerin in einem hinsichtlich Branche, Nachhaltigkeitsleistung wie auch Kapitalmarktorientierung deutlich anders positionierten Unternehmen. Diese sieht ihre Aufgabe als „zentraler Koordinator" vor allem darin, die „Eigenkompetenzen" der jeweiligen Abteilungen zu entwickeln, „also Themen aufzugreifen, mit dem Endziel, dass es die Bereiche selbst lösen können. Und dass sie dann weitere Themen aufgreifen können." (Unternehmen 4, Managerin Nachhaltigkeit, #00:08:29-8#) Auch hier wird auf die Selbstregulierung der jeweils anderen Abteilungen gesetzt bzw. vorausgesetzt; die Nachhaltigkeitsabteilung begreift Sanktionen dann nicht als legitime bzw. überhaupt zur Verfügung stehende Mittel. Vielmehr sollen, wie in Unternehmen 2, Initiativen „angestoßen werden" oder, wie in Unternehmen 4, „Themen aufgegriffen" und dann in die Bereiche integriert werden.

Mit anderen Worten, es sollen Interessen und Motivationen bezüglich Nachhaltigkeitsthemen durch bestimmte Maßnahmen erst geweckt und herbeigeführt und Kompetenzen entwickelt werden. Abteilungen sollen ihr eigenes Wissen und Fähigkeiten im Umgang mit Nachhaltigkeit entwickeln, also selbst „weitere Themen aufgreifen können": „Erfahrungsgemäß wächst entweder in den Bereichen dann genug Eigenkompetenz, sodass sie das dauerhaft übernehmen können. Oder wir bleiben als (Abteilungs)-Partner oder auch eben mit aktiver Unterstützung als Dienstleister dabei." (Unternehmen 4, Managerin Nachhaltigkeit, #00:08:29-8#) Es werden unterschiedliche bereichs- oder personenspezifische Logiken, Habitus und Interessen als natürlich bzw. faktisch gegeben vorausgesetzt, an denen dann mittels zugeschnittener Kommunikationstechniken auf entsprechende Bedarfe angepasste „Dienstleistungen" angeboten werden: Ein bereits vorhandenes Interesse oder auch Bewusstsein für Nachhaltigkeit und die damit verbundenen Probleme setzen die jeweiligen Abteilungen bzw. Manager*innen nicht voraus, sondern es muss erzeugt werden. Andere werden als kontinuierlich lernfähige wie -willige und adaptive, selbststeuernde Personen adressiert ([87] & Munro 2012), die aber auch, wie in Unternehmen 2 mittels rhetorischer Kommunikationstechniken erst „überzeugt" werden müssen. Die Identitätsarbeit und Positionierung der Nachhaltigkeitsmanager*innen bleiben damit immer auf derart konstruierte Subjekte innerhalb wie außerhalb des Unternehmens bezogen.

Das Nachhaltigkeitsmanagement tritt als unternehmerisch handelnder Akteur auf, der aktiv um Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeitsthemen wirbt und zwischen den als heterogen beschriebenen Positionen im Unternehmen vermittelnd und motivierend wirken muss; Kritik am status quo und an Denk-Routinen im Unternehmen ist dabei durchaus Teil der Praxis. Dabei schließt es an seit einiger Zeit das Human-Resources-Management in Unternehmen prägende Diskurse an, die Autonomie, kontinuierlich weiterzuentwickelnde bzw. zu ‚optimierende' Eigenkompetenzen und Wissen als Ansatzpunkte für Interventionen in organisationale Strukturen und das Verhalten von Mitgliedern verstehen, die mittels Technologien indirekter, zentrifugaler (Selbst-) Steuerung wie Accounting oder Coaching und Schulungen erfolgen (z. B. Weiskopf & Munro 2012; [75] 2009; [15] 2017). Organisationsmitglieder und -abteilungen sollen für Nachhaltigkeit „sensibilisiert" werden, indem sie bestimmte Techniken der Nachhaltigkeit lernen, ohne jedoch auf bestimmte normative Erwartungen und Zielsetzungen festgelegt zu werden. Vielmehr wird der flexible und lernbereite Umgang mit potenziellen divergierenden Anforderungen tendenziell auf die Ebenen von Organisationsabteilungen und -einheiten und ihrer Mitglieder verlagert. Die jeweiligen Priorisierungen und Relevanzsetzungen in konkreten Entscheidungssituationen werden damit zentrifugal verteilt: Abteilungen oder einzelnen Mitgliedern bzw. Personal wird gewissermaßen die Verantwortung für die Verantwortung der Organisation zugemutet, ohne dass diese für die gesamte Organisation Geltung besäßen, also in Abteilungen übergreifende, konkretisierte Erwartungen und Zielsetzungen überführt würden. Die Umsetzung von Nachhaltigkeit ist somit dezentralisiert und wird inhaltlich offengehalten, (mögliche) Zusammenhänge zwischen Abteilungen werden gewissermaßen als „lose Kopplungen" beschrieben, die temporär durch Kennzahlensysteme und Reporting wieder verkoppelt werden. Letztere können sicherstellen, dass der Zusammenhang der als separiert und heterogen beobachteten Abteilungen und Organisationsmitglieder bestehen bleibt ([72] 1992). Diese werden damit responsibilisiert, was die Zuschreibung moralischer bzw. nachhaltigkeitsbezogener Reflexionsfähigkeit impliziert ([78] 2008; [79] et al. 2015; Henkel et al. 2018). Shamir (2008: 7) definiert Responsibilisierung entsprechend als „expecting and assuming the reflexive moral capacities of various social actors". Diese moralischen Kapazitäten beziehen sich, wie gezeigt, vor allem auf die Fähigkeit, im Zuge der Implementation der Nachhaltigkeitsstrategie lokale Anforderungen mit der Erwartung von Wertschöpfung integrieren zu können. Durch Personalisierung und Responsibilisierung mobilisieren Organisationen in Entscheidungssituationen die reflexiven Kompetenzen ihrer Mitglieder und Abteilungen; sie bieten offenbar stabilere und zuverlässigere Zurechnungsadressen als Strategien oder Programme. Auf diese Weise werden organisational Voraussetzungen geschaffen, zumindest lokal verantwortungsvoll zu entscheiden, kreativ nachhaltige Praktiken zu erarbeiten und zu etablieren und Kritik zu üben und zuzulassen. Zugleich kann stets die Kontingenz und Perspektivität der jeweils getroffenen personalisierten Entscheidungen kommuniziert, geändert oder neu relationiert werden. Praktiken der Personalisierung und Responsibilisierung erlauben so die Herstellung bzw. Gewährleistung der Flexibilität und Adaptivität des Unternehmens und seiner Mitglieder (z. B. Weiskopf & Munro 2012): Organisationen und deren oft global verstreute, mit multireferentiellen Erwartungen konfrontierte, für Nachhaltigkeit „sensibilisierte" Mitglieder können so eine Adaptivität gegenüber unvorhersehbaren Ereignissen nach je eigenen Anforderungen entwickeln und Entscheidungsfähigkeit sicherstellen – und weiterhin zur Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit beitragen.

4 Schluss: Nachhaltigkeit als polykontexturale Praxis von Unternehmen

Wie unsere Ergebnisse zeigen, ist eine einfache „Übersetzung" von Nachhaltigkeitszielen in organisationale Profitmaximierungsziele wie etwa der Shareholder Value bei genauerem Hinsehen organisationspraktisch keine typische Lösung eines von Seiten der Organisationsforschung als „Inkomplementarität" oder „Inkommensurabilität" ausgeflaggten Problems. Es konnte gezeigt werden, wie die organisationale Bearbeitung von Inkomplementarität polykontexturale Arrangements hervorbringt, deren Stabilisierung und Reichweite nicht nur voraussetzungsvoll, sondern auch nicht abschließbar oder total ist. Vielmehr verweisen die Arrangements auf differenzierbare Bezugsprobleme und auf mögliche, weitere Probleme erzeugende Interferenzen. Daraus ergibt sich erstens, dass selbst bei einer finanzialisierenden Übersetzung von Nachhaltigkeit (wie etwa entlang des Shareholder Value-Konzeptes) in Unternehmen das Problem, dass die Umsetzung dieser Praxis sich immer auch auf potentiell divergente und inkommensurable Praktiken stützen muss: Konkret also auf die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die Sicherstellung der Beziehungen zu Öffentlichkeiten, Zulieferern und Kunden mittels Nachhaltigkeitsstandards oder die Identitäten von Manager*innen und Mitarbeiter*innen. Zweitens zeigt sich in jedem der von uns herausgearbeiteten Arrangements, dass die Semantik der Nachhaltigkeit in ihrer jeweils aktualisierten Form, als Standard, Richtlinie, Reportingmaßnahme oder Unternehmensinitiative durchaus wirksam und produktiv sein kann im Sinne einer Reinterpretation innerorganisationaler Beziehungen und der organisationalen Umwelten. „Nachhaltigkeit" erscheint somit als organisationales Thema und Strategie, in deren Bearbeitung die Bedeutungen von Wettbewerb, Märkten, Gesellschaft oder Personen wie Manager*innen oder Mitarbeiter*innen und auch das Unternehmen umgearbeitet werden. Dabei wird in der Praxis der Nachhaltigkeit zum Teil auf bestehende Semantiken und Technologien wie Reporting, Accounting, Standards, Audit oder verantwortliche und/oder unternehmerische Mitarbeiter*innen zurückgegriffen, die zugleich rekombiniert oder verändert werden. Folglich müssen Organisationen multiple institutionelle Logiken und Kontexturen in ihren Entscheidungen immer wieder neu relationieren (z. B. Kraatz & Block 2008; Jansen & Vogd 2013).

Mit Blick auf die eingangs gestellte Forschungsfrage nach den typisierten Umgangsweisen mit Inkomplementarität und Pluralität in Aktienunternehmen am Beispiel von Nachhaltigkeit- und Finanzmarktorientierung kann somit eine – allen drei hier diskutierten Praktiken gemeinsame – strategische, d. h. gezielte und gerichtete, Herstellung von Multireferentialität und -resonanz hervorgehoben werden. Denn mit der Festlegung auf Nachhaltigkeitsprogramme werden weitere ökonomische und nicht-ökonomische Kontexturen in der Organisation verfestigt und müssen in der Praxis flexibel aufeinander bezogen werden. Durch die Einführung, Integration und Einbettung von Nachhaltigkeit in die etablierte Unternehmenspraxis werden bestehende Bindungen etwa an Finanzmärkte oder andere Märkte modifiziert, indem neue Erwartungen und Semantiken aufgerufen werden. Auf diese Weise werden z. T. neue Entscheidungsprobleme produziert, die Möglichkeiten eröffnen und neue, plurale Bedeutungen generieren.

In diesem Zusammenhang sind es gerade die gemeinhin als „Ökonomisierung" beobachteten Praktiken wie Finanzialisierung und Vermarktlichung, die genutzt werden, um Nachhaltigkeit in Unternehmenspraktiken zu übersetzen. Anders als die herkömmliche Interpretation solcher Praktiken nahelegt – Unterwerfung eines nicht-ökonomischen Gegenstands unter relativ eindeutige kapitalistische Verwertungslogiken – werden so aber neue Bedeutungen und Beziehungen geschaffen, die in den untersuchten Unternehmen sowohl die Semantiken der Nachhaltigkeit als auch diejenigen des Finanzmarkts oder anderer Institutionen der kapitalistischen Ökonomie transformieren (z. B. [18] 2007; 2009). Dies hat auch Konsequenzen für den in der Praxis aktualisierten Begriff der Nachhaltigkeit. Dieser wird in den untersuchten Unternehmen deutungsoffen gehalten und gleichsam de-normativiert: Zwar werden lokal und kontextspezifisch bestimmte Bedeutungen festgelegt, diese bleiben aber anpassungsfähig und flexibel im Horizont immer auch anderer Möglichkeiten, die sich aus dem Zusammenspiel organisationaler und umweltlicher Anforderungen ergeben (z. B. [23] 2016). Der Bezug auf Nachhaltigkeit ermöglicht so die Einrichtung multireferentieller und an unterschiedliche Kontexte anknüpfbare (polykontexturale) Strukturen, die es ermöglichen, Aktiengesellschaften im Zusammenhang zahlreicher gesellschaftlicher Diskurse der Transformation anpassungsfähig zu halten. Unternehmen re-konfigurieren damit auch Beziehungen zur Gesellschaft, indem diese verändert oder überhaupt erst hergestellt werden und tragen somit selbst zum Wandel gegenwärtiger Formen gesellschaftlicher Steuerung und Regierung bei – werden so aber auch selbst verstärkt Adressat gesellschaftlicher Erwartungen an Gestaltung.

Als anschlussfähig an unsere Forschung geraten insofern Arbeiten und Fragestellungen in den Blick, die die Praktiken und Politiken von Nachhaltigkeit im Kontext gesellschaftlicher Regierungsweisen untersuchen. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass gegenwärtige Regierungsweisen verstärkt auf plurale (bzw. polykontexturale) Arrangements zwischen Akteuren der Zivilgesellschaft, Politik, Recht, Real- und Finanzwirtschaft abzielen, die sich durch Prinzipien wie Komplexität, Dezentralisierung, Offenheit und Adaptivität auszeichnen. Es ist eine offene Frage, inwiefern hierbei, wie oft unterstellt, ausschließlich auf (neo-) liberale Konzepte zugegriffen wird oder wie diese auch mit z. B. kybernetisch und ökologisch inspirierten Ideen und Konzepten (wie im Fall von Governance, Netzwerken oder Resilienz) verknüpft werden (z. B. [73] & Miller 1992; Bröckling 2017; [5] 2021). Wie hier verdeutlicht wurde, schreiben sich entsprechende Ideen und Semantiken in feldspezifische Bedeutungen und Verständnisse von Nachhaltigkeit ein (z. B. Adloff & Neckel 2019). Stärker zu berücksichtigen wäre zudem der Nexus mit gleichzeitig stattfindenden Transformationen wie der Digitalisierung (z. B. [58] 2021; Brand 2018). Für Organisationen können solche Konstellationen etwa bedeuten, dass verstärkt auf polykontextural anschlussfähige Unbestimmtheit und die Vervielfältigung von Entscheidungsmöglichkeiten und Spielräumen unter Verzicht auf allzu festlegende Strukturen gesetzt wird (z. B. [4] & Stenner 2020; [40] 2011). So sind es in Unternehmen die prävalenten Finanzmarkt- und Nachhaltigkeitsdiskurse, die Infrastrukturen oder Technologien zur Sichtbarmachung und Kontrolle unternehmerischer Operationen und ihrer Effekte mobilisieren, wie wir auch in unseren Ergebnissen hervorheben konnten. Ebenso weisen unsere Ergebnisse auf die Bedeutung von Standards für die Implementation in derartigen Regierungsformen hin.

Die ökonomisierenden oder vermarktlichenden Wirkungen von Standards sind bereits mehrfach hervorgehoben worden, jedoch wurden diese erst selten explizit als strategisch polykontexturale, auf multiple Logiken zugreifende (organisationale und ökonomische) Praxis analysiert (Loconto & Busch 2010; [70] & Cheyns 2013). Allgemein können so Märkte als plurale Arrangements untersucht werden, die neue gesellschaftliche Problematisierungen und „matters of concern" wie Nachhaltigkeit und Klimawandel wie auch bestimmte Problemlösungen auf empirisch zu rekonstruierende Weisen verbreiten, institutionalisieren und verarbeiten (Callon 2007; 2009). Konkret könnten in dieser Perspektive etwa aktuelle politisch-rechtliche Regulationsmaßnahmen auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder die Corporate Sustainability Reporting Directive hinsichtlich ihrer Wirkungen auf Märkte, Lieferketten und die Nachhaltigkeitspraktiken von Unternehmen analysiert werden.

Wir haben in unseren Ergebnissen auf der mikrologischen Ebene die Bedeutung der Adressierung von Personen für den Umgang mit Inkomplementarität herausgearbeitet. Auch hier gibt es weiterhin viel zu tun, gerade mit Blick auf das Verhältnis zwischen heterogenen, pluralen Logiken und der Formierung bzw. Konfiguration von Identitäten und Subjektivitäten (z. B. Henkel et al. 2018; Carollo & Guerci 2018; Siltaoja et al. 2015). So konnten wir zwar die Adressierung der Mitarbeiter*innen als „verantwortliche" bzw. responsibilisierte Subjekte durch das Management beobachten, jedoch nicht deren Wirkung in der (Arbeits-) Praxis der Mitarbeiter*innen.

Dennoch bleibt zu fragen, inwieweit Unternehmen und die Ökonomie angesichts der realen Bedrohung des Klimawandels substanziell zu einer Nachhaltigkeitstransformation beitragen können und ob dies hinreichend ist. Unsere Ergebnisse weisen zwar auf einen Wandel innerhalb von Unternehmen zugunsten eines bestimmten Verständnisses von Nachhaltigkeit hin, gleichzeitig wird aber im Einklang mit anderen Autor*innen deutlich, dass die in den Unternehmen wie politisch-regulatorisch präferierte Freiwilligkeit vieler Nachhaltigkeitsaktivitäten und der damit verbundene Inkrementalismus vermutlich nicht mit der global beobachtbaren rapiden Umweltzerstörung und den damit verbundenen sozialen Problemen mithalten kann.

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By Konstanze Senge and Simon Dabrowski

Reported by Author; Author

Prof. Dr. Konstanze Senge. Professorin für Wirtschafts- und Organisationssoziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Forschungsschwerpunkte: Wirtschafts- und Organisationssoziologie; Emotionssoziologie, insbesondere Nachhaltigkeit; Unsicherheit; Emotionen; Institutionen. Letzte Publikationen: Senge, K.: (2024): Green Emotions. In: Zink, V.; Diefenbach, A. (Hg.): Einführung in die soziologische Emotions- und Affektforschung. Oldenbourg: DeGruyter. Senge, K.; Schützeichel, R.; Zink, V. (Hg.) (2022): Hauptwerke der Emotionssoziologie. Wiesbaden: VS. Senge, K.; Dabrowski, S. (2020): Alternatives within Capitalism. Sustainability, Financialization, and the Ambiguity of Contemporary Capitalism. International Journal of Humanities and Social Sciences and Education (IJHSSE) 7, July 2020: 171-188.

Simon Dabrowski. Studium der Soziologie und Sozialforschung in Bremen. Bis 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Soziologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 2023 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut Betriebliche Bildung. Forschungsschwerpunkte: Wirtschafts- und Organisationssoziologie, insbesondere: Nachhaltigkeit; Finanzialisierung; Unternehmen; Netzwerke. Letzte Publikationen: Global Compact der Vereinten Nationen. S. 217–228 in M. Aßländer (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsethik. Verlag J.B. Metzler 2022 (mit K. Senge). Shaping or Shaking Trust in Corporate Responsibility Strategies: The Role of Financialization Practices. Management Revue 30/2019: 192–212 (mit J. Beyer, F. Lottermoser & K. Senge).

Titel:
Aktiengesellschaften zwischen Kapitalmarktorientierung und Nachhaltigkeit: Zur Multiresonanz und Pluralität in Unternehmen.
Autor/in / Beteiligte Person: Senge, Konstanze ; Dabrowski, Simon
Link:
Zeitschrift: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 53 (2024-03-01), Heft 1, S. 8-24
Veröffentlichung: 2024
Medientyp: academicJournal
ISSN: 0340-1804 (print)
DOI: 10.1515/zfsoz-2024-2003
Schlagwort:
  • CORPORATIONS
  • CAPITAL market
  • SUSTAINABILITY
  • SUSTAINABLE development
  • FINANCIALIZATION
  • Subjects: CORPORATIONS CAPITAL market SUSTAINABILITY SUSTAINABLE development FINANCIALIZATION
  • Contextural Analysis
  • Financialization
  • Institutional Incomplementarities
  • Marketization
  • Personalization/Responsibilization
  • Sustainability
  • Institutionelle Inkomplementaritäten; Nachhaltigkeit; Finanzialisierung
  • Kontexturanalyse
  • Personalisierung/Responsibilisierung
  • Vermarktlichung Language of Keywords: English; German
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Corporations between Capital Market Orientation and Sustainability. Multi-Resonance and Plurality in Organizations.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Author Affiliations: 1 = Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Soziologie 06099 Halle (Saale), Deutschland ; 2 = Eisenacher Str. 44 04155 Leipzig, Deutschland
  • Full Text Word Count: 10978

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