Das Thema „Aussonderung" ist an wissenschaftlichen Bibliotheken von jeher konfliktbehaftet. Mit dem Bedeutungsgewinn der elektronischen Ressourcen gewinnt die Aussonderung von E-Books an Relevanz. An jeder wissenschaftlichen Bibliothek sollte, unter Abwägung der Pro- und Contra-Argumente, überlegt werden, ob die Einrichtung zum Team „Das frisst kein Brot" Der vorliegende Artikel ist die Zusammenfassung der Bachelorarbeit der Autorin (Waldmann, Theresa: Die Aussonderung von E-Books an wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland. Bachelorarbeit. Fachhochschule Potsdam 2023, S. 154. Online unter: https://opus4.kobv.de/opus4-fhpotsdam/frontdoor/index/index/docId/3289 [Zugriff: 13.12.2023]). Mit der Fragestellung „Wie erfolgt die Aussonderung von E-Books an wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland" wurden im Rahmen der Bachelorarbeit u. a. Experteninterviews durchgeführt. In fast jedem dieser Interviews fiel, in unterschiedlichen Zusammenhängen, sinngemäß der Satz „Das frisst kein Brot.". oder zum Team „Need to weed" Dieser Teil der Überschrift entstammt dem Titel folgender Publikation: Culley, Jennifer: I Feel the Need, the Need to Weed! Maintaining an E-book Collection. In: The Southeastern Librarian 63.1 (2015), S. 2–5. gehört. Das Ziel des vorliegenden Artikels ist es, eine Anregung für diesen Prozess zu geben.
Disposal has always been a source of conflict in academic and scientific libraries. Amid the increasing relevance of electronic resources, the disposal of e-books is becoming pertinent as well. Weighing up the pros and cons, every academic library should consider carefully whether it sides with the "Das frisst kein Brot/It doesn't consume space" team or the "Need to weed" team. The paper makes a proposal where to start the negotiation process.
Keywords: E-Books; Aussonderung; Workflow; Wissenschaftliche Bibliothek; E-books; disposal; workflow; scientific library
Bibliotheken unterliegen einem stetigen Wandel. Prozesse, die früher Ablehnung fanden, gehören heute mehr oder weniger zum Alltag. Einer dieser Prozesse ist die Aussonderung an wissenschaftlichen Bibliotheken.
Aussonderung ist ein Bestandteil des Bestandmanagements, zu dem auch „die Formulierung und Realisierung von Aussonderungskonzepten" gehören, und ist die „geplante Herausnahme von Medieneinheiten aus dem Bestand einer Bibliothek einschließlich der Beendigung einer Lizenz".
An wissenschaftlichen Bibliotheken, die „vor allem dem wissenschaftlichen Studium und der Forschung" dienen, war das Thema „Aussonderung" lange Zeit „verpönt". Ausnahmen stellten u. a. Mehrfachexemplare mit veralteten Inhalten, Dubletten oder veraltete Auflagen naturwissenschaftlicher Werke dar. Seit den 1990er Jahren gewann die Aussonderung an wissenschaftlichen Bibliotheken an Akzeptanz.
Es kann gesagt werden, dass die Aussonderung analoger Medien an wissenschaftlichen Bibliotheken mittlerweile gang und gäbe ist. Sie dient der Bestandspflege und schafft, gerade im Freihandbestand, eine bessere Übersichtlichkeit, wodurch die Arbeit mit dem Bestand erleichtert wird.
E-Books gehören zu den elektronischen Ressourcen: „... elektronische Ressourcen / elektronische Medien [...] [sind] körperliche (z. B. optische Speichermedien), vor allem aber unkörperliche digitale Datensammlungen. Dazu zählen im Kern [...]: Datenbanken [...], E-Journals / Elektronische Zeitschriften, E-Books / Elektronische Bücher." und können wie folgt definiert werden: „An e-book is: any content that is recognisably 'book-like', regardless of size, origin or composition, but excluding journal publications, made available electronically for reference or reading on any device (handheld or desk-bound) that includes a screen.".
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts spielten E-Books im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Arbeiten eine untergeordnete Rolle. Mit der Zeit nahm die Bedeutung von elektronischen Ressourcen, und damit auch von E-Books, an wissenschaftlichen Bibliotheken zu. Das zeigt sich auch daran, dass der Anteil des Budgets, das eine Bibliothek für E-Books aufwendet, zunehmend größer wird.
Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass Inhalte digital zur Verfügung stehen. Im Zuge der Schließung von Bibliotheken setzten viele Einrichtungen auf die Ausweitung ihrer digitalen Angebote, auch weil die Nachfrage stieg und sich das Verhalten der Nutzer*innen änderte.
Vnuk weist auf Folgendes hin: „But as e-book numbers continue to climb, the need to weed will become more crucial". Deswegen werden sich wissenschaftliche Bibliotheken mit dem Thema auseinandersetzen und einen Workflow entwickeln müssen. Beisler und Kurt unterscheiden zwischen einer geplanten, z. B. Kündigung einer (Paket-)Lizenz, und einer ungeplanten Aussonderung, d. h. die Anbieter entfernen die E-Books von ihrer Plattform oder aus Paketen.
Eingangs wurde der Begriff „Aussonderung" definiert. In Bezug auf E-Books bezieht sich die Aussonderung auf die Entfernung der Inhalte aus dem Online Public Access Catalogue (OPAC), einer Verlags-Website oder von einem E-Book-Reader.
In der Literatur werden verschiedene Gründe, die für die Aussonderung von E-Books sprechen, aufgeführt:
- Veraltete Inhalte können unrelevante, irreführende oder auch schädliche Informationen enthalten.
- Eine größere Übersichtlichkeit für Nutzer*innen, da die Treffermenge bei einer Suchanfrage im OPAC oder Discovery-System nicht durch veraltete E-Books aufgebläht und dadurch die Suche nach relevanten Inhalten erschwert wird.
- Der bibliographische Nachweis von E-Books im lokalen Bibliothekssystem verbraucht Serverplatz und neue Server bzw. zusätzlicher Serverplatz verursachen zusätzliche Kosten und verbrauchen Ressourcen.
- Die Einstellung eines Studienganges, auf Grund dessen der Informationsbedarf nicht mehr vorhanden ist.
Gegenargumente lassen sich folgende finden:
- E-Books verbrauchen keine Regalmeter und führen nicht zu einem Platzmangel in den Regalen.
- E-Books weisen keinen äußerlichen Verschleiß auf.
- Für die Aussonderung von E-Books stehen nicht genug Mitarbeiter*innen zur Verfügung.
Darüber hinaus wird die Thematik allgemein aufgegriffen. Die Aussonderung, auch die von E-Books, wird als Bestandteil des Bestandsmanagements betrachtet. Wobei E-Books nicht anders behandelt werden sollten als andere Ressourcen. Es gibt die Empfehlung, eine Aussonderungsstrategie für E-Books zu entwickeln, sobald E-Books in den Bestand aufgenommen werden. Generell sollten bei der Aussonderung von E-Books die gleichen Kriterien gelten wie bei gedruckten Ressourcen. Stumpf weist darauf hin, dass für Online-Ressourcen auch Aussonderungsarbeiten anfallen, wenn eine Lizenz aus verschiedenen Gründen nicht verlängert wird.
Der erste Schritt des Aussonderungs-Workflows beinhaltet, dass z. B. mit Hilfe des integrierten Bibliothekssystems, Counting Online Usage of Networked Electronic Resources (COUNTER) oder Standardized Usage Statistics Harvesting Initiative (SUSHI), Listen generiert werden, die beispielsweise Auskunft darüber geben, wie häufig ein E-Book angeschaut oder heruntergeladen wird.
Auf Grundlage der Listen wird entschieden, welche E-Books ausgesondert werden. Dabei kann in den Entscheidungsprozess eingebunden werden, wer den Erwerb des E-Books initiiert hat – z. B. ein*e Nutzer*in, beispielsweise über einen Bücherwunsch bzw. das Patron-Driven Acquisition (PDA)-Modell, oder ein*e Fachreferent*in. Bei Bedarf können den Interessengruppen unterschiedliche Gewichtungen gegeben werden. Des Weiteren wird empfohlen, alle Interessengruppen in den Prozess der Entscheidungsfindung einzubeziehen.
Nachdem der Entscheidungsprozess abgeschlossen ist, nehmen verschiedene Faktoren Einfluss auf den weiteren Aussonderungsprozess, z. B. wer hostet das E-Book, handelt es sich um ein Einzel-E-Book oder den Bestandteil eines Paketes. Im einfachsten Fall hostet die Bibliothek das E-Book. Das bedeutet, dass der Aussonderungsprozess intern verläuft und mit der Aussonderung des Printbestands vergleichbar ist. Der Prozess gestaltet sich komplizierter, sobald ein externer Anbieter, z. B. ein Verlag oder ein Aggregator, das E-Book hostet und/oder das E-Book Teil eines Paketes ist. Dann muss unter Umständen berücksichtigt werden, dass E-Books bzw. E-Book-Pakete, welche von externen Anbietern zur Verfügung gestellt werden, mitunter nicht ausgesondert werden können.
Im letzten Schritt muss der Katalogeintrag gelöscht bzw. ausgeblendet werden. Darüber hinaus sollte die Bestellung geschlossen werden.
Das Fazit der eingangs erwähnten Bachelorarbeit, beruhend auf einer Literaturrecherche, die sich bei den Rechercheschritten an der systematischen Literaturübersicht orientierte, und den Experteninterviews, war, dass die Aussonderung von E-Books an wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland noch keine Rolle spielt. Es wird davon ausgegangen, dass sich dies in den nächsten 10 bis 15 Jahren ändern wird. Die Erkenntnis, dass der gedruckte Bestand ausgesondert werden muss, hat anfangs bei Mitarbeiter*innen in wissenschaftlichen Bibliotheken auch keine offenen Türen eingerannt. Im Laufe der Zeit wurde die Notwendigkeit dieser Art der Bestandspflege erkannt und umgesetzt. Möglicherweise findet in den nächsten Jahren für E-Books ein ähnlicher Anpassungsprozess statt.
Wie zu Beginn erwähnt, ist der vorliegende Artikel als Anregung gedacht, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und in den Einrichtungen zu entscheiden, ob sie zum Team „Das frisst kein Brot" oder zum Team „Need to weed" gehören. Dabei sollten in den Einrichtungen u. a. folgende Fragen beantwortet werden:
- Auf welcher Grundlage basiert der Auswahlprozess? Sind es vorrangig die Nutzungszahlen, anhand derer ausgesondert werden soll oder die Auflagenzahl?
- Wie soll mit E-Books verfahren werden, die auf Grund der nutzergesteuerten oder evidenzbasierten Erwerbung in den Bestand aufgenommen wurden?
- Ob und wie sollen Interessensgruppen in den Prozess integriert werden?
- Wird das E-Book nur ausgeblendet oder werden Bemühungen unternommen, dass auch seitens der Anbieter Löschungen vorgenommen bzw. IP-Adressen entfernt werden?
- Wie soll mit dem zukünftigen Forschungsbedarf umgegangen werden? Bedarf es einer einrichtungsübergreifenden Strategie, um Inhalte dauerhaft verfügbar zu machen?
- Sind für den Prozess ausreichend Mitarbeiter*innen vorhanden? Gibt es für die Mitarbeiter*innen einen Schulungsbedarf?
- Inwieweit können Kosten gespart werden, indem die Zahl der Zugänge reduziert wird, beispielsweise von einer Mehrfach- zu einer Einzelnutzerlizenz?
- Können die Voreinstellungen der Rechercheinstrumente derart angepasst werden, so dass den Nutzer*innen eine Orientierungshilfe, z. B. bei hohen Auflagenzahlen, geboten wird?
Es wäre sinnvoll, wenn die Prozesse rund um die Aussonderung von E-Books wissenschaftlich und/oder publizistisch begleitet werden, damit sich die gelebte Praxis in den Einrichtungen auch in den (wissenschaftlichen) Publikationen widerspiegelt. Der Hauptteil der für diesen Artikel zitierten Literatur stammt aus dem US-amerikanischen Raum.
By Theresa Waldmann
Reported by Author
Fotografin: Miriam Merkel