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Axel Horn (2022): Sportphilosophie. Eine phänomenologisch fundierte Einführung. Wiesbaden: Springer VS (366 Seiten, 59,99 Euro).

Gugutzer, Robert
In: Sport und Gesellschaft, Jg. 21 (2024-04-01), Heft 1, S. 101-108
Online serialPeriodical

Axel Horn (2022): Sportphilosophie. Eine phänomenologisch fundierte Einführung. Wiesbaden: Springer VS (366 Seiten, 59,99 Euro) 

Horn, Axel (2022) : Sportphilosophie. Eine phänomenologisch fundierte Einführung. Wiesbaden : Springer VS (366 Seiten, 59,99 Euro)

Man tritt der Sportphilosophie vermutlich nicht zu nahe, wenn man konstatiert, dass sie im Kreis der sportwissenschaftlichen Disziplinen gegenwärtig einen randständigen Platz einnimmt. In Ermangelung an sportphilosophischen Professuren und sportphilosophisch interessierten und vor allem publizierenden Personen tut sich die Sportphilosophie offenkundig schwer, größere Aufmerksamkeit für ihr Fach und breite Anerkennung für ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erlangen. Umso wichtiger sind daher Publikationen, im Besonderen (monografische) Buchpublikationen, die dem entgegenzutreten versuchen, indem sie den Leser:innen vermitteln, was Sportphilosophie ist, soll und kann. Vor diesem Hintergrund ist das 2022 erschienene Buch „Sportphilosophie. Eine phänomenologisch fundierte Einführung" des promovierten Theologen und Sportpädagogen Axel Horn, bis zu seiner Pensionierung 2017 Inhaber einer Professur für Sportpädagogik und Sportdidaktik an der PH Schwäbisch Gmünd, sehr zu begrüßen.

Die Einführung in die Sportphilosophie von Horn weist die Besonderheit auf, dass sie, wie der Untertitel andeutet, die Sportphilosophie auf das theoretische und methodische Fundament der Phänomenologie stellen will. Sportphilosophie soll hier als Sportphänomenologie vorgestellt werden. Das klingt interessant, anspruchsvoll und macht neugierig, allein weil die Anzahl an Publikationen im Bereich der phänomenologisch-philosophischen Sportforschung sehr überschaubar ist. Wem an der Sportphilosophie und im Besonderen der Phänomenologie des Sports gelegen ist, der oder die nimmt das Buch daher wohl mit Vorfreude und in der Hoffnung in die Hand, etwas zu lesen zu bekommen, das den eigenen Wissensbestand zur phänomenologischen Philosophie des Sports erweitert bzw. vertieft.

Der Blick ins Inhaltsverzeichnis schürt diese Hoffnung zusätzlich dadurch, dass es mit Heinrich Rombach einen Autor in den Mittelpunkt der angekündigten phänomenologischen Philosophie des Sports rückt, der im nationalen und noch mehr im internationalen sportphilosophischen Diskurs faktisch keine Rolle spielt. Die Aussicht auf eine Erweiterung des phänomenologischen Portfolios der Sportphilosophie stimmt daher erwartungsfroh. Darüber hinaus wird Rombach als ein zentraler Vertreter der Leibphänomenologie eingeführt, was eine weitere Überraschung ist, da Rombach im nationalen und erst recht im internationalen leibphänomenologischen Diskurs so gut wie gar nicht rezipiert wird. Horn bezeichnet Rombach gleichwohl als einen „klassischen Vertreter der Philosophie der Leiblichkeit des 20. Jahrhunderts" (S. 7). Da stutzt der Rezensent, der sich immerhin seit mehr als zwei Jahrzehnten mit der Leibphänomenologie beschäftigt und sich nun fragt, wie er diesen leibphänomenologischen Klassiker komplett übersehen konnte. Er kreidet das erstmal sich selber an, schließlich kann man nicht alles und jeden kennen, und ist gespannt auf die Ausführungen des Autors. Wie geht dieser vor?

Horn gliedert sein Buch in drei Teile: Teil 1 ist die 44-seitige „Einführung", Teil 2 präsentiert auf 58 Seiten die „Phänomenologie als grundlegende philosophische Strömung", und Teil 3 liefert eine 253 Seiten starke „Phänomenologie des gegenwärtigen Sports". Die drei Teile enthalten 20 durchgehend nummerierte Kapitel, von denen jedes mit einem eigenen Literaturverzeichnis endet. Wie das quantitative Ungleichgewicht der drei Teile signalisiert, liegt der Schwerpunkt des Buchs eindeutig auf den phänomenologischen Analysen des Sports.

Wozu aber braucht es eigentlich eine Phänomenologie des Sports? Eine Antwort darauf findet sich in Kapitel 2, wo es heißt: „[...] weil in ihr [der Phänomenologie; R. G.] der Mensch gewissermaßen vom Kopf auf die Füße gestellt wird, weil in ihr der Leiblich- und Körperlichkeit des Menschen als Phänomen wie in keiner anderen traditionellen philosophischen Richtung – endlich – der Raum zugestanden wird, der ihnen gebührt" (S. 7). Warum oder inwiefern Leib und Körper in der Philosophie und infolgedessen auch in der Sportphilosophie eine stärkere Berücksichtigung „gebührt", führt Horn nicht weiter aus. Mit Blick auf den Sport und die Sportphilosophie ist das scheinbar selbstevident: Da Leib und Körper im Sport eine zentrale Rolle spielen, hat sich die Sportphilosophie mit diesen Phänomenen zu befassen; und weil die Phänomenologie diejenige philosophische Disziplin ist, die sich mit der Leiblichkeit und Körperlichkeit des Menschen ganz besonders auseinandergesetzt hat, ist eine leibphänomenologische Fundierung der Sportphilosophie die logische Konsequenz. So jedenfalls das implizite Argument des Autors für eine leibphänomenologisch verstandene Philosophie des Sports.

Was Horn hierbei unterschlägt, ist, dass die sportphilosophische Forschung mehrheitlich und die sportphänomenologische Forschung in beträchtlichem Umfang Leib und Körper nicht thematisieren, und dennoch haben sie relevante Ergebnisse hervorgebracht. Die vom Autor gewählte leibphänomenologische Schwerpunktsetzung hätte deshalb, gerade mit Blick auf jene Leser:innen, die mit diesem Forschungsfeld nicht vertraut sind, eine sachlich fundierte Begründung durchaus verdient gehabt. Ebenso angemessen wäre es gewesen, den Leser:innen zumindest einen kurzen Überblick über die (leib-)phänomenologische Sportforschung zu geben. Oder ist es zu viel erwartet, dass eine Einführung in die phänomenologische Sportphilosophie den interessierten, aber vermutlich überwiegend unkundigen Leser:innen das Forschungsfeld nahebringt, indem sie dessen Geschichte und bedeutende Autor:innen, die unterschiedlichen theoretischen und methodischen Positionen sowie die vielfältigen thematischen Schwerpunkte darlegt? Horn jedenfalls verzichtet darauf. Er suggeriert (nicht nur) damit, dass er mit (s)einer Leibphänomenologie des Sports quasi Neuland betritt. Dem ist aber nicht so. Sowohl die deutschsprachige Sportwissenschaft (bspw. O. Grupe, J. Thiele, R. Prohl, J. Seewald, E. Meinberg) als auch die internationale Sportphilosophie (z. B. J. Allen-Collinson, G. Breivik, J. Halák, J. Hockey, I. Martinková, M. Nesti, S. Vanetta) haben eine phänomenologische Tradition vorzuweisen. Von Horn erfährt man zum existierenden Feld der sportphänomenologischen Forschung kein Wort.

Positiv gewendet könnte man sagen: Horn hält sich nicht lange mit unnützen Diskussionen auf, schließlich hat er mit seiner Phänomenologie des Sports Großes vor, auf die er sich deshalb, ohne nach links oder rechts zu schauen, konzentriert vorarbeitet. Aus diesem Grund beschränkt er sich auch auf ein paar allgemeine Anmerkungen zum „Verständnis" des gegenwärtigen Sports (Kap. 3) und der Philosophie des 20. Jahrhunderts, wobei er hier neben der Phänomenologie nur noch die Analytische Philosophie erwähnt (Kap. 3). Wichtiger ist es ihm, das „Anliegen und die Entwicklung der Phänomenologie" zu umreißen (Kap. 5), und vor allem einen Überblick über „Phänomenologische Philosophien der Leiblichkeit" zu geben (Kap. 6). Dieses sechste Kapitel ist gewissermaßen das theoretische Herzstück des Buchs. Horn betont hier noch einmal, weshalb die Sportphilosophie zwingend einer leibphänomenologischen Fundierung bedürfe: Weil es „so scheint, dass gerade der Sport einen direkten Bezug zu Körper bzw. Leib hat, dass gerade der Sport auf einem ganz spezifischen Verhältnis des Menschen zu seinem Körper bzw. Leib beruht" (S. 61). Als Leser:in mag man sich hier fragen, ob es also doch nur so „scheint", dass der Sport einen „direkten Bezug" zu Körper bzw. Leib hat, oder ob dem tatsächlich so ist. Mit dieser Frage lässt einen der Autor ebenso allein wie damit, was mit dem „direkten Bezug" und dem „spezifischen Verhältnis" des Menschen zu seinem Leib und Körper gemeint sein soll. Von einem philosophischen Buch mag sich die eine oder der andere Leser vielleicht doch etwas mehr philosophische Reflexion wünschen.

In seiner Abhandlung zur Phänomenologie der Leiblichkeit greift der Autor dann die seiner Ansicht nach drei zentralen Autoren heraus: Maurice Merleau-Ponty (Kap. 6.1), Helmuth Plessner (Kap. 6.2) und Heinrich Rombach (Kap. 6.3), wobei Horn Letzterem so viel Platz einräumt wie den beiden anderen Autoren zusammen. Ist Merleau-Ponty im deutschsprachigen Wissenschaftsraum mehrheitlich als Leibphänomenologe anerkannt (wenngleich es auch Stimmen gibt, die ihn als Körperphänomenologen sehen), so kann man bei Plessner doch Zweifel haben, ob dieses Etikett seiner Philosophie wirklich gerecht wird. Zwar ist es unstrittig, dass Plessner im Rahmen seiner philosophischen Anthropologie die phänomenologische Methode wie auch die Begriffe „Leibsein" und „Körperhaben" genutzt hat. Doch weder ist Phänomenologie dasselbe wie philosophische Anthropologie noch hat Plessner stringent zwischen Leib und Körper, Leibsein und Körperhaben unterschieden. Ihn als Klassiker der Leibphänomenologie zu bezeichnen, ist daher mindestens gewagt.

Wie aber steht es um Rombach? Was zeichnet dessen Leibphänomenologie aus? Und was macht ihn zum Klassiker der Phänomenologie der Leiblichkeit? Horn argumentiert in drei Schritten: Er stellt zuerst die „Strukturontologie" (Kap. 6.3.1), dann die „Strukturanthropologie" (Kap. 6.3.2) und schließlich das „Leib-Phänomen in der Strukturphilosophie" Rombachs vor (Kap. 6.3.3). Hierbei fällt als erstes auf, dass in den beiden Abschnitten zur Strukturontologie und -anthropologie von Leib und Leiblichkeit überhaupt nicht die Rede ist. Vorgestellt werden die Grundzüge der Strukturphilosophie Rombachs, innerhalb derer der Leib offenkundig keine relevante Kategorie ist. Wie die Ausführungen in Kap. 6.3.3 nahelegen, scheint der Leib in Rombachs Strukturphilosophie aber immerhin Thema zu sein. „Scheint" deshalb, weil Rombach selber hier kaum zu Wort kommt. Horn referiert nämlich primär Georg Stenger, Rombach hingegen nur sporadisch. Dadurch fällt es zumindest dem Rezensenten schwer zu erkennen, wie eigentlich die leibphänomenologische Position Rombachs aussieht, da diese lediglich sekundär aufbereitet wird. Entsprechend schwerfällt es nachzuvollziehen, worin genau der Klassikerstatus von Rombach begründet ist.

Horn führt in Rombachs (oder Stengers) strukturphilosophisches Verständnis von Leiblichkeit ein, indem er zunächst für eine strenge begriffliche Trennung von Leib und Körper plädiert. Er stützt sich hier auf Bernhard Waldenfels' bekannte Aussage, dass man als Phänomenologe „nicht vom Körper sprechen soll, wenn man den Leib meint" ([7] 2000, S. 15; hier S. 96). Weil Leib und Körper verschiedene Phänomene bzw. Phänomenbereiche sind, ist es aus phänomenologischer Sicht in der Tat fatal, sie begrifflich zu vermengen. Horn teilt diese Sichtweise, hält sich selber allerdings nicht daran. Der offensichtlichste Beleg dafür ist, dass er bis zu dieser Textstelle und dann wieder ab dem nachfolgenden Kapitel konsequent von „Leib rsp. Körper", „Körper bzw. Leib", „Leiblichkeit rsp. Körperlichkeit" spricht. Nach einer scharfen begrifflichen Differenzierung klingt das nicht.

Das ist nun wiederum gar nicht so überraschend, wenn man Horns Referat von Rombachs (bzw. Stengers) Strukturphilosophie der Leiblichkeit liest. Von einer gründlichen begrifflichen Differenzierung kann hier nämlich nicht die Rede sein. So ist der Leib einmal „empfundener, spürender und fühlender" Leib (S. 97) und meint „Leiblichkeit des Leibes [...] die leib-seelische Grundverfasstheit, kurz: die Sinnlichkeit" (ebd.); mal hat der Leib ein „Bewusstsein" und einen „Geist", mal „ist" er Geist (S. 98); der Leib ist auch „Organismus" (S. 99) und „Seele", bzw. „die Seele ist nichts anderes als der Leib selbst" (S. 102); Leib ist außerdem gleichbedeutend mit „Einverleibung, Inkarnation", zum Beispiel von Nahrungsmitteln (ebd.). Bis hierhin hat Horn ausschließlich Stenger zitiert. Rombach kommt ins Spiel mit der Unterscheidung von „physische[m]" Leib und „weite[m] sozialen, und geschichtlichen" Leib (S. 102 f.). Letzterer zeige sich zum Beispiel bei einer „Verletzung des Familienleibes" oder bei einem „Eigentor", denn das „tut wirklich weh – nicht dem physischen Leib, sondern dem Vereinsleib" (S. 103). Zum Rombach'schen Leibverständnis gehört ebenso die „Persönlichkeit" des Leibes, die allerdings nur „ein gebildeter Mensch" wird achten können (S. 106). Wer dazu in der Lage ist, wird zur „Leibperson", die bei manch gebildetem Menschen „eindrucksvoller als seine bürgerliche Existenz" sei – er „hat vielleicht schon zu lange unter seinem Leibniveau gelebt" (ebd.). Wichtig für eine „gesunde" Leibperson sei es deshalb, die „eigene Sprache" (S. 107) des Leibes zu kennen.

Der Rezensent ist verwirrt. Am Ende von Teil 2 weiß er weder, welchen Leibbegriff Horn vertritt bzw. ob er überhaupt einen Leibbegriff vertritt (oder vielleicht nur, wie es häufig heißt, ein „Leibverständnis"), noch kann er erkennen, inwiefern Rombach leibphänomenologisch gearbeitet hat und weshalb er den Status eines Klassikers der Leibphänomenologie verdient. Dass Rombachs Stimme im Konzert der Leibphänomenolog:innen kein Gehör geschenkt wird, hat vielleicht doch gute Gründe. Es bleibt rätselhaft, wieso Horn, wenn es ihm wirklich um eine leibphänomenologisch ausgerichtete Sportphilosophie geht, nicht auf Autoren zurückgegriffen hat, die anerkanntermaßen Leibphänomenologen sind. Mit Blick auf sein Anliegen einer „genetischen Phänomenologie" (S. 5, 85), die einen über die gesamte Lebensspanne sich erstreckenden, bewussten, sorgsamen, gesunden „Umgang" mit der eigenen Leiblichkeit impliziert, welcher darin gründet, dass der eigene Leib nicht ein für alle Mal gegeben, stattdessen eine „lebenslange Aufgabe" (S. 104) ist, wäre Gernot Böhme der ideale Bezugsautor gewesen. Wie besonders Böhmes Buch „Leibsein als Aufgabe" ([2] 2003) zeigt, ist dessen Ansatz gleichermaßen Leibphilosophie, genetische Phänomenologie und – was auch für Horn (S. 56 f.) wichtig ist – kritische Phänomenologie. Dass Böhme von Horn mit keinem einzigen Wort erwähnt wird, ist schwer nachvollziehbar. Dasselbe gilt für Hermann Schmitz, dessen umfassende Leibphänomenologie seit 60 Jahren vorliegt (zusammenfassend: [6] 2011), weshalb man als deutschsprachiger Autor schon mit Scheuklappen durch die leibphänomenologische Forschungslandschaft traben muss, um diesen Ansatz zu übersehen. Horns Projekt einer Leibphänomenologie des Sports hätte von diesen beiden Autoren ganz sicher mehr profitiert als von Merleau-Ponty, Plessner und Rombach.

Allerdings: Geht es Horn wirklich um eine leibphänomenologische Analyse und Interpretation des Sports? Einerseits scheint es so, heißt es doch einleitend, dass im „3. Teil der vorliegenden Abhandlung [...] der Sport aus eben jenem zuvor erarbeiteten philosophisch-phänomenologischen Zugang betrachtet wird" (S. 8). Dieser Aussage zufolge darf man in Teil 3 eine angewandte Phänomenologie des Sports erwarten, die das begriffliche Instrumentarium der vorgestellten phänomenologischen Ansätze für die Analyse und Interpretation verschiedener Phänomene des Sports nutzt. Andererseits wird aber auch gesagt, dass „man den 2. Teil nicht zwingend zuerst und vor dem 3. Teil, der den meisten Lesern vertrauter sein dürfte, gelesen haben" (S. 5) müsse, um Teil 3 zu verstehen. Wenn dem so sein sollte, wieso bedurfte es dann der Ausführungen zu den drei Phänomenologien der Leiblichkeit? Wie passen die beiden Ankündigungen zusammen?

Sie passen nicht zusammen, sondern stellen einen unauflösbaren Widerspruch dar. Horn entscheidet sich deshalb für eine der beiden Ankündigungen, nämlich die zweite. Die „Phänomenologie des gegenwärtigen Sports" liefert infolgedessen keine phänomenologische Analyse verschiedener Phänomene des Sports, sondern im Horn'schen Sinne eine kritische, was de facto heißt: eine normativ-wertende Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen des Sports: „Körper, Körperkult, Körperkultur" (Kap. 8), „Das globale Sportsystem" (Kap. 9), „Sport und Politik" (Kap. 10), „Sport und Leistung" (Kap. 11), „Sport und Doping" (Kap. 12), „Sport und Kommerz" (Kap. 13), „Sport und Medien" (Kap. 14), „Der (Spitzen)Sport und seine Fans" (Kap. 15), „Der erfolgreiche Athlet" (Kap. 16), „Spielen, Spiele, Sportspiele" (Kap. 17), „Erfolg oder Fairness" (Kap. 18), „Sport und Gesundheit" (Kap. 19), „Sport und Bildung" (Kap. 20). Eine Leibphänomenologie dieser Themen des Gegenwartssports wäre durchaus originell gewesen, schließlich hat man von einer leibphänomenologischen Analyse etwa des globalen Sportsystems oder des Verhältnisses von Sport und Politik/Medien/Kommerzialisierung/Fans noch nicht gelesen. Dass eine solche Analyse möglich sein sollte bzw. wie sie aussehen könnte, ist allerdings schwer vorstellbar.

Ein entscheidender Grund hierfür ist das tatsächliche (nicht das in Kap. 5 referierte) Phänomen- und Phänomenologieverständnis des Autors. Anders als dieser meint, handelt es sich bei den genannten Themen keineswegs um Phänomene, jedenfalls nicht im phänomenologischen Sinne. Mit Rombach gesprochen, geht es Horn um den Sport als „Faktum" ([5] 1994, S. 16) bzw. um faktische Erscheinungen des Sports, nicht aber um den Sport als Phänomen bzw. um Phänomene des Sports. Wenn Horn schreibt, dass der Sport „in Teil 3 als Phänomen, d. h. wie er in wesentlichen Erscheinungsformen begegnet, beschrieben, analysiert und hinterfragt werden" (S. 13) soll, dann ist das in einem alltagssprachlichen Sinne zu verstehen. Es geht hier um den Sport, so wie er dem Autor in seiner eigenen Lebenswelt faktisch begegnet, wozu vor allem die Sportberichte in den Lokalzeitungen „Münchner Merkur" und „Mangfall-Bote" (S. 4) zählen. Die darin verhandelten Themen nimmt er „näher unter die Lupe" (S. 114), indem er aus der Dritten-Person-Perspektive – also nicht aus der die Phänomenologie kennzeichnende Erste-Person-Perspektive – Missstände im Gegenwartssport beschreibt und einer „kritischen Betrachtung" (ebd.) unterzieht. Prototypisch hierfür das folgende Zitat: „Auf der einen Seite trifft man also das Phänomen der Körperverdrängung an [...]. Man muss sich oft wundern, wie lange mancher Körper resp. Leib die Missachtung seiner Bedürfnisse durch weitgehenden Körperverzicht aushält. Letzten Endes jedoch führt ein derartiger Lebensstil der Vernachlässigung des Körpers resp. des Leibes zu physischen Beeinträchtigungen und/oder Erkrankungen [...]. Darüber hinaus führt die Körpervernachlässigung zu einem Verlust an Lebensqualität" (S. 117).

Verglichen mit zahlreichen anderen Textstellen ist dieses Zitat in seiner Wertung harmlos. Nur ist das Gesagte weder kritische Phänomenologie noch überhaupt Phänomenologie. Wie heißt es bei Rombach? „Phänomenologie ist die Zugangsweise, die in das innere Gefüge der Sachverhalte eindringt, dort ‚Konstitutionsforschung' betreibt, d. h. den Wesenbau freilegt und ihn kritisch gegen die herrschenden Missverständnisse und Verflachungen sicherstellt" (ebd., S. 18). Horns Analysen dringen weder „in das innere Gefüge" der ihn interessierenden Sachverhalte des Sports ein noch sind sie „Konstitutionsforschung", mit der der „Wesenbau" von Phänomenen des Sports freigelegt würde. Sie sind stattdessen Beschreibungen, die an der Oberfläche bleiben und durchtränkt sind von Vorurteilen (von Epoché also keine Rede) und (vor allem negativen) Bewertungen. Horns Phänomenologie ist damit auch nicht „kritisch" im Rombach'schen Sinne, nämlich „prüfend", Phänomene „auf ihre Wesenstiefe und strukturale Stimmigkeit hin untersuchend" (ebd.).

Die acht Kapitel von Teil 3 haben folglich mit einer (leib-)phänomenologisch fundierten Philosophie des Sports nichts zu tun. Ihre Besprechung erübrigt sich deshalb. Es reicht der Hinweis, dass es dem Autor hauptsächlich darum geht, seinen Leser:innen mitzuteilen, was seiner Meinung nach alles schiefläuft im Gegenwartssport, und das ist einiges. Bei aller Sympathie für den Blick auf die vorhandenen Missstände im Sport wie auch für das Plädoyer, der Leiblichkeit im Sport und in der Sportphilosophie eine größere Bedeutung beizumessen, bleibt deshalb letztlich nur ein ernüchterndes Resümee: Dieses Buch erweist der Sportphilosophie einen Bärendienst.

Literatur 1 Alloa, Emmanuel/Bedorf, Thomas/Grüny, Christian/Klass, Nikolaus Tobias (Hrsg.) (2019): Leiblichkeit. Geschichte und Aktualität eines Konzepts (2. Aufl.). Tübingen: Siebeck (UTB). 2 Böhme, Gernot (2003): Leibsein als Aufgabe. Leibphilosophie in pragmatischer Hinsicht. Kusterdingen: Die Graue Edition. 3 Gugutzer, Robert (2023): Sport als Widerfahrnis. Phänomenologische Erkundungen. Baden-Baden: Karl Alber. 4 Gugutzer, Robert (2024): Hermann Schmitz and the „New Phenomenology of sports". A programmatic outline. In: Sport, Ethics and Philosophy [online first: 23.01.24; https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/17511321.2024.2306513]. 5 Rombach, Heinrich (1994): Phänomenologie des sozialen Lebens. Grundzüge einer Phänomenologischen Soziologie. Freiburg/München: Karl Alber. 6 Schmitz, Hermann (2011): Der Leib. Berlin/Boston: de Gruyter. 7 Waldenfels, Bernhard (2000): Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Footnotes Vgl. beispielsweise das knapp 470 Seiten umfassende Buch „Leiblichkeit" ([1] et al. 2019), dessen 25 Beiträge von 23 Autor:innen einen breiten Überblick über die Vielfalt leibtheoretischer (keineswegs nur leibphänomenologischer) Ansätze gibt – Rombach wird darin kein einziges Mal zitiert. Für eine Phänomenologie des Sports im Anschluss an die Schmitz'sche Neue Phänomenologie siehe[3] (2023, 2024). Horn greift in Teil 3 kaum mehr auf die drei Phänomenologen seiner Wahl zurück (auf andere erst recht nicht). Umso interessanter ist daher, wo er dies doch tut, gerade mit Blick auf Rombach, auf den er sich ja u. a. deshalb stützt, weil dieser eine kritische Phänomenologie vertritt. Auf S. 231 f. und 280 ff. liest man dann allerdings ausgesprochen positive Äußerungen Rombachs zum Sport. Horn gesteht das zähneknirschend ein und schiebt eine Relativierung hinterher: „Zugegebenermaßen ist der strukturphilosophische Blick auf den Stadionbesuch durch Zuschauer, Fans, Ultras und Hooligans als soziogenetisches Ereignis positiv gefärbt. Wie die Strukturphilosophie insgesamt, die von einer optimistisch-positiven Grundhaltung getragen ist. Die Soziogenese kann sich ereignen. [...] Es sei noch einmal hervorgehoben, dass dies nicht meint, dass sich die Soziogenese jeden Samstag oder bei jeder EM oder WM in jedem Fußballstadion ‚einstellt'" (S. 282).

By Robert Gugutzer

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Titel:
Axel Horn (2022): Sportphilosophie. Eine phänomenologisch fundierte Einführung. Wiesbaden: Springer VS (366 Seiten, 59,99 Euro).
Autor/in / Beteiligte Person: Gugutzer, Robert
Link:
Zeitschrift: Sport und Gesellschaft, Jg. 21 (2024-04-01), Heft 1, S. 101-108
Veröffentlichung: 2024
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 1610-3181 (print)
DOI: 10.1515/sug-2024-2005
Schlagwort:
  • SPORTS
  • AUTHORS
  • SPORTS ethics
  • PHENOMENOLOGY
  • Subjects: SPORTS AUTHORS SPORTS ethics PHENOMENOLOGY
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Author Affiliations: 1 = Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Sportwissenschaften, Ginnheimer Landstraße 39 60487 Frankfurt am Main, Deutschland
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