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Hand in Hand.

Alexandra, Habdank ; Habdank, Alexandra
In: Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung, 2024-05-12, S. 30-40
Online serialPeriodical

Hand in Hand 

Das Hotel Anne-Sophie in Künzelsau hat ein außergewöhnliches Konzept. Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten hier zusammen. Carmen Würth hat das besondere Hotel gemeinsam mit ihrem Mann Reinhold Würth aufgebaut. Als Hotelmanager hat das Ehepaar vor zehn Jahren Christian Helferich an Bord geholt. Er führt das Haus gemeinsam mit seiner Frau Jutta Helferich, die Inklusionsbeauftragte ist. Für ihr Engagement wurden die Würths und die Helferichs nun mit dem Special Award beim Hotelier des Jahres der ahgz ausgezeichnet.

Wer das Hotel-Restaurant Anne-Sophie betritt, wird mit einem breiten Lächeln von Portier Leonard Exner begrüßt. Exner hat blonde Haare, Dreadlocks und das Down-Syndrom. Mit einem goldenen Gepäckwagen fährt er die Koffer in den Fahrstuhl und bringt den Gast aufs Zimmer. Seinen festen Arbeitsplatz hat Exner in der Eingangshalle des Hotels. Dort liegen laminierte Zettel, auf denen er jeden Tag Bilder abhakt, die seine weiteren Aufgaben darstellen. Dazu gehört zum Beispiel das Staubsaugen und das Auffüllen des Getränkelagers für das House-Keeping sowie das Gießen der Blumen an der Rezeption.

Exner ist nicht der einzige Mitarbeiter mit Handicap im Hotel-Restaurant Anne-Sophie. Von rund 120 Mitarbeitern haben 23 eine Behinderung, das Hotel ist inklusiv. „Wer oder was ist denn schon normal?", heißt es auf der Website des Hotels. „Denn jeder Mensch ist nun einmal ein Individuum, ganz gleich, wodurch er sich von den anderen unterscheidet. Unser Ansatz im Hotel-Restaurant Anne-Sophie ist deshalb: Wir möchten, dass die Menschen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, miteinander umzugehen lernen." Das Hotel-Restaurant Anne-Sophie befindet sich in Künzelsau und es ist Teil der Würth-Gruppe, dem Weltmarktführer im Handel mit Montage- und Befestigungsmaterial mit einem Jahresumsatz von rund 20 Mrd. Euro. Carmen Würth eröffnete das Hotel Anne-Sophie 2003 mit 16 Zimmern und hat es seitdem sukzessive erweitert. Inzwischen gehören fünf Gebäude dazu – mit 54 Gästezimmern, sechs Tagungsräumen, zwei Restaurants, einem Café, einer Bar, einer Vinothek und einer Konditorei. Im Ladengeschäft „Lindele" werden Produkte und Erzeugnisse von benachteiligten Menschen aus aller Welt angeboten.

Frau Würths Wunsch: Einen Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderung zu schaffen, an dem sie sich wohlfühlen und gerne arbeiten. Dass das nicht selbstverständlich ist, hat sie in der eigenen Familie erfahren.

Die Arbeit ist nicht selbstverständlich

Der Sohn von Carmen und Reinhold Würth, Markus, hat in seiner Kindheit einen schweren Impfschaden erlitten. „Er hat Fieber bekommen und das ging einfach nicht mehr weg", sagt Carmen Würth. Die Folge ist eine Behinderung. „Er versteht alles, hört mit, ist sehr aufgeschlossen", sagt Frau Würth. „Aber er kann nicht sprechen." 20 Jahre lang habe sie sich zuhause im Alleingang um ihren Sohn gekümmert, denn es gab keine Schulen, keine Ärzte für Menschen mit Behinderung. Nach langer, deutschlandweiter Suche hat sie dann endlich eine anthroposophische Lebensgemeinschaft bei Fulda gefunden, in der Markus Würth fortan lebte, erzählt Carmen Würth weiter. „Er hat sich von Anfang an wohl gefühlt mit seinen Kameraden. Dort wird getöpfert, gewebt und geschreinert." Sie habe sich in der Einrichtung zwar finanziell und mit Ideen eingebracht, aber auch immer wieder gedacht: „Ich will zu Hause irgendetwas machen".

Als kurz nach der Jahrtausendwende die ehemalige Polizeiwache in Künzelsau zum Verkauf stand, hat Frau Würth dann gemeinsam mit ihrem Mann Reinhold Würth entschieden, sie in ein Hotel umzubauen und selbst aktiv zu werden. Die Anfänge des Hotels waren allerdings holprig, erinnert sich Carmen Würth. Sie musste zunächst die richtigen Mitarbeiter finden. „Ob die Menschen mit Handicap sich wohlfühlen, hängt von ihren Kollegen ab", sagt die gebürtige Baden-Württembergerin, „davon, ob sie ihr Herz mit reinbringen, ob sie ihre Aufgabe auch so sehen, wie sie angedacht ist." Das sei im Hotel-Restaurant Anne-Sophie der Fall. „Man muss die Talente der Menschen mit Handicap erkennen. Man muss ihre Freude teilen", sagt Frau Würth. „Wenn wir diese Philosophie nicht verinnerlichen, dann funktioniert es nicht." An ihre Mitarbeiter stellt sie doppelte Ansprüche. Die Mitarbeiter im Hotel sind keine Sozialpädagogen, sondern Fachkräfte: Rezeptionisten, Köche, Servicemitarbeiter. „All das, was man von einem Hotel erwartet, muss funktionieren", sagt Frau Würth.

Fachkräfte, keine Sonderpädagogen

Das Hotel-Restaurant Anne-Sophie ist mittlerweile ein 4-Sterne-Hotel. Im Gourmetrestaurant Handicap wird auf hohem Niveau gekocht. „Das Konzept, das sind einfach wir", sagt Tobias Pfeiffer, der dort Küchenchef ist. „Das leben wir, jeden Tag." Pfeiffer kocht seit 14 Jahren in dem Hotel, seit sieben Jahren als Küchenchef. Dass jemand so lange im selben Betrieb bleibt, ist ungewöhnlich. Die Arbeit in dem Hotel mache ihm großen Spaß, seine Vorgesetzten würden ihm die Möglichkeit geben, die Küche weiterzuentwickeln. „Der Umgang mit Menschen mit Handicap ist jeden Tag eine Herausforderung und spannend", sagt Pfeiffer. „Es ist ein ganz anderes Arbeiten als in anderen gastronomischen Einrichtungen."

Im Alltag in der Küche sind Jan-Sören Hoch, Küchenchef im zweiten Restaurant, dem Restaurant Anne-Sophie, zufolge vor allem Gelassenheit und Humor wichtig. „Wir haben einen stressigen Beruf„, sagt er. „Aber dafür sind die Fachkräfte da. Wir sagen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Handicap, dass sie sich den Stress nicht aneignen sollen. Die Arbeit, die sie machen, ist wichtig und gut." Das Schönste sei es, wenn er abends das Haus verlasse und alle – die Gäste und die Mitarbeiter – ein Lachen im Gesicht haben, sagt Hoch. „Da weiß ich, wir haben alles richtig gemacht". Er ergänzt: „Im Endeffekt hat jeder von uns irgendwo ein Handicap. Das muss man verstehen. Und dann ist die Zusammenarbeit kein Problem."

Christian Helferich, der das Hotel bereits seit zehn Jahren leitet, ist stolz darauf, wie gut das Konzept funktioniert. „Am Anfang waren die Gäste skeptisch gegenüber den Menschen mit Beeinträchtigung", sagt er und schüttelt den Kopf. „Dazu, so etwas aufzubauen, gehört unglaublich viel Mut". Inzwischen hätten sich die Vorurteile dank Frau Würth in Luft aufgelöst. „Das Haus ist ein Ort der Begegnung für alle", sagt Helferich. „Das Hotel-Restaurant Anne-Sophie ist ein Hotel, in dem niemand normal oder anders ist. Weil er oder sie bei uns einfach nur ein Mensch ist."

Bevor Christian Helferich nach Künzelsau kam, war er in einem Hotel in Bayreuth Direktor. Dort wurde Reinhold Würth auf ihn aufmerksam und empfahl seiner Frau, ihn als Direktor für das Anne-Sophie einzustellen. „Ich hatte vorher keine Berührungspunkte mit Menschen mit Beeinträchtigung", sagt Helferich. „Ich durfte das hier erst lernen." Einen anderen Arbeitsplatz in der klassischen Hotellerie könne er sich inzwischen aber gar nicht mehr vorstellen. Bei der Arbeit mit Menschen mit Handicap erkenne er immer wieder, wie viel er von ihnen lernen kann, sagt der Hoteldirektor. „Sie bringen eine andere Perspektive in unsere strukturierte Welt ein und erden uns."

Voneinander lernen und menschlich sein

Schon nach wenigen Wochen habe es ein Ereignis gegeben, das ihn bis heute beeindrucke. „Es war sehr, sehr viel zu tun. Nur drei Tische waren zunächst angemeldet, aber plötzlich waren doch alle Tische belegt", erinnert er sich. „Es war hektisch, ich war gestresst. Als ich schnellen Schrittes in die Küche ging, kam ein Mitarbeiter mit Handicap auf mich zu, stellte sich mir in den Weg, nahm mich in den Arm und sagte: ‚Ich hab dich lieb'." Christian Helferich lacht. In dem Moment habe er gedacht: „Das, was du hier machst, ist genau richtig". Es müsse in solchen Situationen natürlich trotzdem weitergehen im Tagesgeschäft, „aber man erkennt, dass man Probleme nicht immer so ernst nehmen sollte."

Auch die Gäste seien häufig überrascht von der herzlichen Bedienung in dem Hotel-Restaurant. „Wenn beispielsweise ein Mitarbeiter mit offensichtlichem Handicap einen Tisch mit Geschäftsleuten bedient, verändert das die Stimmung und die Gespräche", sagt Herr Helferich. „Unser Haus ist mehr als nur ein Ort der Begegnung. Es ist ein Ort, an dem Menschen auf Augenhöhe zusammenkommen und sich gegenseitig bereichern." Dazu trage die Familie Würth maßgeblich bei, sagt Herr Helferich. „Es braucht eine Seele dahinter, jemanden, der auch im Fall einer Krise sagt: Das Konzept hat Priorität."

Ein Gefühl wie zu Hause im Hotel

Die gute Seele hinter dem Konzept ist Carmen Würth – das sagen nicht nur die Mitarbeiter, es ist auch im ganzen Haus zu sehen. Viele alte Holzmöbel sind Einzelstücke, die Frau Würth aus ihrem zu Hause mitgebracht hat. Überall in den engen Fluren des Hotels hängen Gemälde – ihre private Sammlung. In den Zimmern gibt es Holzdielen statt Teppich und immer ein gefülltes Bücherregal. „Frau Würth liest sehr, sehr viel und ist immer auf dem Laufenden. Wenn sie ein neues Buch findet, dann kann es sein, dass sie vorbeikommt und sagt: ‚Das müssen wir unbedingt in unseren Zimmern auslegen'", sagt Herr Helferich. Insgesamt befinden sich 5500 Bücher im Haus. „Ich glaube: Egal, was Frau Würth macht, im Herzen hat sie dieses Hotel immer dabei und wenn sie etwas sieht, das ihr gefällt, bringt sie es mit."

Sie wolle, dass Gäste nicht das Gefühl haben, in einem Hotel zu sein, sondern zu Hause, sagt die Inhaberin. „Das liegt daran, dass ich mit meinem Mann so viel unterwegs war." Sie wisse, wie das ist: Es regnet draußen und dann kommt man ins Hotel und fühlt sich nicht wohl. „Das ist furchtbar", sagt Frau Würth. Deshalb sorge sie im Hotel-Restaurant Anne-Sophie dafür, dass Gäste sich entspannen können. „Da ist ein Ständer für meinen Schirm, da ist ein Tisch mit einer Lampe, da ist ein Buch." Sie sei auch privat so: „Ich sehe etwas und denke, das muss anders sein – und dann ändere ich es. Ich bin so eine Gestalterin."

Neben der Kunst ist es Carmen Würth wichtig, dass im Hotel gesungen wird. „Ich bin so aufgewachsen", erzählt sie. „Wir haben gesungen zu Hause, meine Großeltern auch. Das war damals das Volksgut: Wenn wir zusammenkamen, sangen wir unsere schönen Lieder." Deshalb hat sie einen Hotelchor gegründet, der einmal pro Woche übt und auch öffentliche Auftritte hat. Damit haben die Mitarbeiter Erfolg. Der Chor hat einen Preis vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gewonnen und bereits zwei CDs veröffentlicht. Manchmal, sagen Frau Würths Mitarbeiter, reise sie extra früher aus Urlauben zurück, um an der Probe teilzunehmen.

Ansprechpartnerin für das Thema Inklusion

Jutta Helferich, die seit fünf Jahren Inklusionsbeauftragte in dem Hotel ist, singt auch in dem Chor. „Das Singen verbindet uns sehr", sagt sie. „Wenn wir mit unseren Mitarbeitenden mit Beeinträchtigungen singen, dann sind sie die ersten, die aufstehen und tanzen, die Soli singen. Das ist etwas Besonderes." Der Chor singe manchmal schief und komme schon mal aus dem Takt, sagt Helferich. Frau Würth sage dann stets: „Da habe ich mich aber versungen". „Und dann lachen alle", sagt Frau Helferich. Das sei charakteristisch für die Arbeit im Hotel: „Fehler sind erlaubt und wir lachen einfach viel über uns selbst." Jutta Helferich hat eine Ausbildung in der Hotellerie absolviert, bevor sie internationale Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personalmanagement studierte.

Sie ist die Ansprechpartnerin für alle Fragen rund um das Thema Inklusion im Hotel. Das bedeutet, dass sie stets für die Menschen mit und ohne Handicap erreichbar ist. „Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass das Konzept der Teilhabe im Hotel gelebt wird", sagt die Hotelmanagerin. „Die Position wurde notwendig, weil das Hotel gewachsen ist und auch immer hochwertiger wurde." Von dem Konzept des Hotels profitieren laut ihr nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung, „weil wir einfach ein freundliches, offenes Miteinander haben, weil wir aufeinander eingehen und uns gegenseitig unterstützen". Ein solches Arbeitsklima sollte Frau Helferich zufolge überall herrschen. Die Zusammenarbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen verbessere das Klima für alle.

Situationen, in denen Jutta Helferich hinzugezogen wird, sind beispielsweise, wenn es Probleme in der Spülküche gibt oder Unterstützung im Service benötigt wird. Dann springt sie ein, hilft mit. Und wenn jemand mit etwas überfordert ist, holt sie denjenigen aus der Situation heraus und beruhigt sie oder ihn. „Bei uns gibt es viele Emotionen", sagt Frau Helferich. „Bei uns wird viel gelacht, aber auch manchmal geweint." Es sei wichtig, den Stresspegel für die Mitarbeitenden mit Handicap herunterzuschrauben. „Wir nehmen uns auch häufig in den Arm", erzählt sie weiter und lächelt. „Auch Frau Würth umarmt jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin, wenn sie zu Besuch ist. Das ist bei uns ein bisschen Unternehmenskultur."

Offene Stellen für Menschen mit Beeinträchtigung gibt es im Hotel-Restaurant Anne-Sophie zurzeit keine. „Mein Anspruch ist trotzdem, immer zu gucken, in welcher Abteilung wir es noch schaffen können, eine Kollegin oder einen Kollegen mit Beeinträchtigungen zu integrieren", sagt Frau Helferich. Das Hotel arbeitet eng mit der örtlichen Lebenswerkstatt zusammen. Fünf Mitarbeiter haben einen sogenannten ausgelagerten Einzelarbeitsplatz: Sie sind bei der Werkstatt angestellt und arbeiten im Hotel. Der Vorteil für das Hotel-Restaurant Anne-Sophie: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden von Beginn an von einem Jobcoach begleitet. „Das Ziel ist, dass wir diejenigen, die noch in der Werkstatt angestellt sind, nach einer Übergangsphase übernehmen", sagt Frau Helferich. Die weiteren 18 Angestellten mit Beeinträchtigung, die im Hotel-Restaurant Anne-Sophie arbeiten, werden wie die anderen Mitarbeitenden nach Tariflöhnen bezahlt. Für manche Mitarbeiter mit Schwerbehinderung bekommt das Hotel Anne-Sophie Zuschüsse von der Agentur für Arbeit. Zum Vergleich: In Werkstätten für Menschen mit Behinderung wird kein Mindestlohn gezahlt. Stattdessen erhalten Beschäftigte ein monatliches Entgelt in Höhe von durchschnittlich 220 Euro.

Wenn Mitarbeiter neue Fähigkeiten entdecken

Besonders an der Arbeit mit den Mitarbeitern mit Handicap sei, dass am Anfang oft gar nicht feststehe, wo die Reise hingeht. Es kämen häufig Bewerber und Bewerberinnen, die von dem Hotel gehört haben und erstmal ein Praktikum machen. „Dann überlegen wir zusammen, was vielleicht passen würde, welche Abteilung sie interessieren würde und dann ist es ein Prozess", sagt Frau Helferich. „In vielen Fällen entsteht daraus etwas ganz Tolles." Am Anfang gibt es Unterstützung in Form von Fotos, Anleitungen und Checklisten. „Und irgendwann verselbständigt sich das und die Arbeit läuft", erzählt Frau Helferich. „Das zu begleiten und mitanzusehen, wie sich Menschen entwickeln in einem Umfeld, in dem sie so sein dürfen, wie sie sind, berührt mich."

Der heutige Portier Leonard Exner habe sich etwa kurz vor der Corona-Pandemie in dem Hotel beworben. „Er hat Trisomie 21, Diabetes und Zöliakie – am Anfang habe ich gedacht, dass wir das nicht hinbekommen", sagt Frau Helferich. „Wir wollten es aber auf jeden Fall versuchen. Zunächst haben wir Herrn Exner in der Küche eingesetzt." Das hat aber nicht gepasst. Dann kam Frau Helferich auf die Idee, ihn als Portier einzusetzen. „Wir hatten zuvor eine Liste erstellt, welche Fähigkeiten ein Bewerber oder eine Bewerberin mit Beeinträchtigung mitbringen sollte, um als Portier bei uns zu arbeiten. Kommunikation und körperliche Belastbarkeit standen im Vordergrund", sagt Jutta Helferich. Exner spricht wenig, manchmal ist er schwer zu verstehen. „Er überzeugte uns aber mit seiner Herzlichkeit – und das ist schließlich die wichtigste Eigenschaft, um jemanden zu begrüßen." Helferich erstellte Karten mit Sätzen, die Exner auswendig lernte – und der für ihn perfekte Job war gefunden.

So gut wie bei Leonard Exner funktioniert es nicht bei jedem potenziellen Mitarbeiter. Manchmal spiegeln Frau Helferich die Abteilungen, dass Praktikanten zu viel Unterstützung benötigen. Schwierigkeiten gibt es ihr zufolge, wenn Wunsch und Wirklichkeit voneinander abweichen. „Wir bekommen viele Anfragen und können leider nicht jeden einstellen", sagt sie. „Wir haben für uns definiert: Wir sind kein Betreuungsunternehmen. Wir bieten Arbeitsplätze, keine Betreuungsplätze."

Nach der intensiven Einarbeitungsphase müssen die Menschen mit Handicap selbständig arbeiten. „Sonst funktioniert es nicht, sonst würde das zu einer Überbelastung führen, die das ganze System durcheinanderbringen würde", sagt Frau Helferich. „Mir ist bewusst, dass die Eltern, die mit ihren Kindern zu uns kommen, teilweise einen langen Leidensweg hinter sich haben – ähnlich wie Frau Würth. Sie kommen mit großen Hoffnungen und Erwartungen." Die Arbeit im Hotel-Restaurant Anne-Sophie sei aber sehr anstrengend: Man steht den ganzen Tag, man arbeitet körperlich hart, es ist stressig, in der Küche ist es laut und heiß, es wird im Schichtdienst gearbeitet, auch am Wochenende. „Das muss man können, das muss man auch wollen", sagt Frau Helferich.

Die Zahlen müssen erreicht werden

Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Arbeitsplätze, die Menschen mit Beeinträchtigung innehaben, halbe Arbeitsplätze wären, sagt Christian Helferich. Er zählt auf: Jasmin Lange hat heute Morgen um sieben Uhr begonnen zu arbeiten und ist eine vollwertige Arbeitskraft. „Wenn sie fehlt, müssen andere ihre Arbeit mitmachen." Gleiches gilt für Helena Hirn, die als Servicekraft eine ganze Fläche im Restaurant allein betreut. Marcus Weber schmeißt die Spülküche teilweise allein. „Wenn er fehlt, muss jemand anderes für ihn einspringen, sonst hätten wir kein sauberes Geschirr oder Besteck.", sagt Herr Helferich. Er könne noch lange weiter aufzählen. „Hier wird wirklich gearbeitet. Die Gäste bezahlen bei uns den gleichen Preis wie woanders auch – wir müssen also auch das gleiche bieten."

Auch wenn das Hotel-Restaurant Anne-Sophie inklusiv ist, handelt es sich um ein Wirtschaftsunternehmen. Eine jährliche Strategie-Sitzung ist laut dem Hoteldirektor ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensführung. Dort werden die Zahlen des vergangenen Jahres präsentiert und die Ziele für das kommende Jahr festgelegt. „Diese Zahlen können von allen Mitarbeitenden mit und ohne Handicap eingesehen werden, damit sie wissen, welche Ziele erreicht werden müssen", sagt Helferich. Die Zahlen des Hotel-Restaurants Anne-Sophie können sich sehen lassen: Der Gesamtumsatz des Hotels lag im vergangenen Jahr bei rund 4 Millionen Euro.

Ihm sei es wichtig, anderen zu zeigen, dass das Konzept funktioniere: herzlich und wirtschaftlich zugleich. „Ich würde mich unheimlich freuen, wenn mehr Unternehmen, mehr Hotels, diesem Beispiel folgen würden", sagt Herr Helferich. Gemeinsam mit Menschen mit Handicap zu arbeiten sei „so sinnstiftend" für alle Beteiligten – für die Gäste und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wichtig sei es, Berührungsängste abzubauen. „Wir waren vor einiger Zeit auf einem Ausflug in München, zusammen mit Mitarbeitenden mit Beeinträchtigung", erzählt Herr Helferich. „Als wir dort spazieren gingen, wurden wir angestarrt – das ist schade." In Künzelsau passiere das nicht mehr. „Das Stadtbild von Künzelsau hat sich durch das Hotel verändert", sagt Herr Helferich. „Dank Frau Würth ist das Haus ein Ort der Begegnung. Das herzliche Miteinander ist überall in der Stadt zu spüren."

"Im Hotel-Restaurant Anne-Sophie ist niemand normal oder anders." Christian Helferich, Hoteldirektor

"Man muss die Talente der Menschen mit Handicap erkennen." Carmen Würth

PHOTO (COLOR): Haben das Hotel-Restaurant Anne-Sophie gegründet: Reinhold und Carmen Würth. © Andi Schmid Sind für das Operative zuständig: Christian und Jutta Helferich. Begrüßt jeden Gast mit einem Lächeln: Portier Leonard Exner. Das Hotel-Restaurant Anne-Sophie ist über mehrere Gebäude in Künzelsau verteilt. In der Küche arbeiten Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammen. Im den beiden Restaurants, die zum Hotel gehören, dem Anne-Sophie und dem Handicap, wird auf hohem Niveau gekocht. Im Arbeitsalltag haben die Mitarbeitenden des Hotels viel Spaß. Kunst und Bücher: Carmen Würth hat das Hotel liebevoll eingerichtet. Auch auf den Zimmern darf ein Bücherregal nicht fehlen. © Würth Gruppe Reinhold Würth © Mario Heinritz Viele Möbel sind Einzelstücke, die Carmen Würth aus ihrem Zuhause mitgebracht hat. Helena Hirn betreut als Servicekraft eine ganze Fläche im Restaurant allein. Im Gourmet-Restaurant Handicap trifft Internationalität auf Regionalküche. Der Hotel-Chor vom Anne-Sophie hat bereits einen Preis gewonnen und zwei CDs veröffentlicht. © Würth Gruppe Sichtlich gerührt von der Ehrung bei der Gala Hotelier des Jahres: Reinhold und Carmen Würth. © Annette Riedl

1 Hotel-Restaurant Anne-Sophie

Das 4-Sterne-Hotel befindet sich in Künzelsau und ist Teil der Würth-Gruppe. Es wurde 2003 von Carmen Würth gemeinsam mit Reinhold Würth gegründet. Inzwischen gehören zum Anne-Sophie 54 Gästezimmer, sechs Tagungsräume und zwei Restaurants (Gourmetrestaurant 30 Plätze, Restaurant Anne-Sophie bis zu 90 Plätze). Zudem gibt es ein Café, eine Bar, eine Vinothek, eine Konditorei sowie ein Ladengeschäft. Die Zimmerpreise reichen von 89 Euro für ein Einzelzimmer bis 185 Euro für ein „GlücksKind"-Doppelzimmer. Der Umsatz des Hotels lag im vergangenen Jahr bei rund 4 Millionen Euro. Das Besondere an dem Hotel: Von rund 120 Mitarbeitenden haben 23 ein Handicap.

2 Reinhold Würth

Darauf, was aus dem Hotel-Restaurant Anne-Sophie geworden ist, ist Reinhold Würth stolz. Das wurde bei der Preisverleihung des Special Award Hotelier des Jahres deutlich. „Meine Frau hat von ganz unten angefangen und das Hotel gemeinsam mit den Helferichs zu dieser wunderbaren Situation geführt", sagte er auf der Bühne. „Sie hat am Anfang selbst in der Spülküche das Geschirr gespült. Ich bewundere meine liebe Frau und bin richtig stolz auf sie." Christian Helferich habe eine Ader für die Menschen mit Handicap – und seine Frau allemal – „sodass wir ein Team haben, das geradezu ideal zusammenpasst", sagte Reinhold Würth. Dafür bedanke er sich bei den dreien von ganzem Herzen.

By Habdank Alexandra and Alexandra Habdank

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Titel:
Hand in Hand.
Autor/in / Beteiligte Person: Alexandra, Habdank ; Habdank, Alexandra
Zeitschrift: Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung, 2024-05-12, S. 30-40
Veröffentlichung: 2024
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 1863-8996 (print)
Schlagwort:
  • PEOPLE with disabilities
  • EMPLOYMENT of people with disabilities
  • CONFERENCE rooms
  • HOTELS
  • RETAIL stores
  • Subjects: PEOPLE with disabilities EMPLOYMENT of people with disabilities CONFERENCE rooms HOTELS RETAIL stores
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Full Text Word Count: 3315

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