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Die Ruinen von Peenemünde. Vom Werden und Vergehen einer Rüstungslandschaft. Hrsg. vom Historisch-Technischen Museum Peenemünde (HTM), mit Fotos von Lorenz Kienzle, Berlin: Quintus 2023, 168 S., EUR 25,00 [ISBN 978-3-96982-074-2].

Stöcken, Malte
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 83 (2024-04-01), Heft 1, S. 302-305
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Die Ruinen von Peenemünde. Vom Werden und Vergehen einer Rüstungslandschaft. Hrsg. vom Historisch-Technischen Museum Peenemünde (HTM), mit Fotos von Lorenz Kienzle, Berlin: Quintus 2023, 168 S., EUR 25,00 [ISBN 978-3-96982-074-2] 

Die Ruinen von Peenemünde. Vom Werden und Vergehen einer Rüstungslandschaft. Hrsg. vom Historisch-Technischen Museum Peenemünde (HTM), mit Fotos von Lorenz Kienzle, Berlin : Quintus 2023, 168 S., EUR 25,00 [ISBN 978-3-96982-074-2]

Mit der ab dem Jahr 1936 auf der Insel Usedom aufgebauten Heeresversuchsanstalt Peenemünde (HVP) entstand eine der modernsten und größten Forschungsanlagen der Welt. Unter Mitwirkung von bis zu 12 000 Menschen wurden hier die deutschen »Vergeltungswaffen« entwickelt und erstmals in der Geschichte der Menschheit eine Rakete in den Weltraum geschossen. Die Geschichte der Entwicklung und des Einsatzes der »Vergeltungswaffen« kann als gut erforscht eingeschätzt werden. Unter der Vielzahl historischer Studien befinden sich auch Bücher des Historisch-Technischen Museums Peenemünde zu speziellen Aspekten wie der Raketenfertigung und des damit verbundenen Einsatzes ausländischer Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Die vom Februar 2023 bis Ende März 2023 laufende Sonderausstellung und der vorliegende Begleitband thematisieren zwar ebenfalls die Fertigung und Erprobung der »Vergeltungswaffen«, doch wird vor allem der Ort des Geschehens in den Mittelpunkt gestellt. Gezeigt werden historische Aufnahmen der Bauten, denen 47 vom Fotografen Lorenz Kienzle in den Jahren 2019 und 2022 aufgenommene großformatige Bilder der heutigen Ruinenlandschaft Peenemünde gegenübergestellt werden.

Eingerahmt werden die Fotos von Texten, die der Kurator des Museums, Philipp Aumann, seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Daniela Teschendorff und die an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg tätigen Archäologen Peter I. Schneider und Constanze Röhl verfasst haben. In der Einleitung beschreiben die Autoren und Autorinnen ihre interdisziplinäre Herangehensweise zur Rekonstruktion der Bauten auf dem Areal der damaligen HVP und legen das Motiv für die neue Ausstellung dar: »Die Materialität von Objekten und die Verortung der baulichen Reste an exakten Stellen der Landschaft lassen verstehen, dass sich menschliche Handlungen an konkreten Schauplätzen abspielten und genauso von diesen geprägt waren, wie umgekehrt die Geschichte den Ort prägte« (S. 7). Da das Ziel verfolgt wird, dem Betrachter der Fotos eine »Brücke in die Vergangenheit« zu bieten und ihm »einen gleichermaßen wissenschaftlichen wie ästhetischen, persönlich-assoziativen Zugang zum historischen Ort Peenemünde« (S. 8) zu verschaffen, orientiert sich die Gliederung der Ausstellung und des Begleitbandes an der chronologischen Entwicklung des Aufbaus der HVP.

So beginnt das erste Kapitel mit der Geschichte eines Fischerdorfs, auf dessen Fläche sich das heutige Museum befindet. Nach der Entsiedelung des Dorfs 1936 wurden Gebäude für die Serienfertigung der Raketen errichtet. Gebaut wurden nicht nur Erprobungs- und Produktionsstätten, sondern auch ein Sauerstoffwerk, ein Kohlekraftwerk und ein Hafen. Die folgenden historischen Bilder zeigen den Bau dieser Gebäude und Arbeiter, welche die bisher kaum genutzte Landschaft für eine industrielle Nutzung urban machten. Im Kontrast dazu stehen aktuelle Fotos derselben Gegend, auf denen mitten auf einer Wiese nur noch stehende Betonklötze zu sehen sind. Diese und alle weiteren Fotos werden durch kurze Texte erläutert und damit der Kontext des Abgebildeten verständlich gemacht. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Nordspitze der Insel, auf der nach Abholzung der Wälder und Trockenlegung der Wiesen Forschungseinrichtungen, Fertigungswerke, Prüfstände, Verwaltungsgebäude sowie ein Straßen- und Schienennetz errichtet wurden. In der Kriegszeit wurde die als Erprobungsstelle genutzte Anlage unter Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen weiter ausgebaut. Gegenübergestellt werden auch hier historische Fotos von Gebäuden zur Erprobung der Fernwaffen mit aktuellen Aufnahmen, die Fundamente der Einrichtungen zum Abschuss von Marschflugkörpern in die Ostsee zeigen.

Im darauffolgenden Kapitel wird der Zusammenhang zwischen dem Rüstungsfortschritt und der Ausbeutung ausländischer Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge hergestellt. Eigens für deren Einsatz wurde ein abgesperrtes Lager eingerichtet, das ab 1943 als Außenlager des KZ Ravensbrück geführt wurde. Da die Bauten des Lagers nach dem Krieg gesprengt wurden und nur noch das im Buch als Foto abgebildete Frontfundament einer Baracke des KZ-Außenlagers zu sehen ist, konnte die Struktur des Lagers nur durch archäologische Erkundungen, Vermessungen und Funde rekonstruiert werden. Anhand weiterer Fotografien wird ersichtlich, dass es sich bei der HVP sowohl um eine militärische Großforschungsanlage als auch um einen Wohn- und Lebensort für mehrere tausend Menschen handelte. Gezeigt werden einerseits Fotos der Arena eines Prüfstandes mit startender A4-Rakete im Jahre 1943 und dem noch heute zu sehenden Wall um diesen Prüfstand, andererseits Bilder eines ausgeschmückten Speisesaals und dessen später dort gefundenen Einrichtungsgegenstände. Im Text über die »Archäologie der Moderne und Geschichtswissenschaft« wird die Bedeutung der Archäologie im Allgemeinen für die Erforschung historischer Stätten und im Speziellen der HVP herausgearbeitet. Dem schließt sich ein Bericht über ein an der BTU Cottbus-Senftenberg durchgeführtes interdisziplinäres Forschungsprojekts zur baugeschichtlichen Erforschung einer Halle zur Raketenfertigung an.

Mit dem »Wohnen in unterschiedlichen Welten« auf dem Areal der HVP befasst sich das sechste Kapitel. Im Einleitungstext wird darauf hingewiesen, dass nur ein Drittel aller in Peenemünde lebenden Menschen in der Werksiedlung unterkam, dagegen waren »die Ausländer und Häftlingen in ihren Lagern von der Gemeinschaft bewusst ausgegrenzt oder gar ausgesperrt und hatten für die Mehrheitsgesellschaft ihre Existenzberechtigung rein als Arbeitskräfte« (S. 134). Im letzten Kapitel wird deutlich gemacht, dass nicht nur das Gebiet, in dem sich das Zentrum der HVP befand, sondern die »ganze Region eine Rüstungslandschaft« war. So wurden Abschussrampen und Messhäuser an der Küste errichtet und verschiedene Abteilungen des Entwicklungswerks zum Schutz vor Luftangriffen auf der gesamten Insel verteilt. Die folgenden historischen Bilder legen davon Zeugnis ab und anhand der Fotografien aus der heutigen Zeit wird ersichtlich, wie sich in den letzten Jahrzehnten das durch den Aufbau der HVP industriell geprägte Gebiet wieder zurück zur ländlichen Peripherie gewandelt hat.

Durch den im vorliegenden Begleitband zur Sonderausstellung des Museums verfolgten interdisziplinären Ansatz gelingt es, dem Publikum und den Lesenden zu vermitteln, wie durch archäologische Arbeiten im Zusammenspiel mit der Bauforschung und den historischen Quellen die Gebäude auf dem Areal der damaligen HVP rekonstruiert werden konnten. Da sich die bisher erschienenen Studien zur HVP vor allem auf die dort entwickelten und erprobten »Vergeltungswaffen« konzentrierten, bietet der Band auch in dieser Thematik schon bewanderten Lesern viele Neuigkeiten zur Einrichtung der Großforschungsanlage und den Lebensverhältnissen der dort tätigen Militärangehörigen, Arbeiter und Zwangsarbeiter. Die Gegenüberstellung von historischen Bildern und Fotos aus den letzten Jahren zeigt eindrucksvoll, wie der Mensch die Erde umgestaltet hat und wie vergänglich der nationalsozialistische Anspruch war, mit den »Vergeltungswaffen« den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen.

By Malte Stöcken

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Titel:
Die Ruinen von Peenemünde. Vom Werden und Vergehen einer Rüstungslandschaft. Hrsg. vom Historisch-Technischen Museum Peenemünde (HTM), mit Fotos von Lorenz Kienzle, Berlin: Quintus 2023, 168 S., EUR 25,00 [ISBN 978-3-96982-074-2].
Autor/in / Beteiligte Person: Stöcken, Malte
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 83 (2024-04-01), Heft 1, S. 302-305
Veröffentlichung: 2024
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2024-0042
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Wuppertal, Germany

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