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Leonie Hieck, Die Bundeswehr im Spannungsfeld von Bundespolitik und Landespolitik. Die Aufstellung der Streitkräfte in Schleswig-Holstein. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2021, 356 S. (= IZRG-Schriftenreihe, 19), EUR 34,00 [ISBN 978‑3‑7395‑1259‑4]

Opitz, Eckardt
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 83 (2024-04-01), Heft 1, S. 335-338
Online review

Leonie Hieck, Die Bundeswehr im Spannungsfeld von Bundespolitik und Landespolitik. Die Aufstellung der Streitkräfte in Schleswig-Holstein. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2021, 356 S. (= IZRG-Schriftenreihe, 19), EUR 34,00 [ISBN 978‑3‑7395‑1259‑4] 

Leonie Hieck, Die Bundeswehr im Spannungsfeld von Bundespolitik und Landespolitik. Die Aufstellung der Streitkräfte in Schleswig-Holstein. Bielefeld : Verlag für Regionalgeschichte 2021, 356 S. (= IZRG-Schriftenreihe, 19), EUR 34,00 [ISBN 978‑3‑7395‑1259‑4]

Die Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die »Wechselwirkung von Bundes‑ und Landespolitik beim Aufbau der Bundeswehr im Land Schleswig-Holstein« (S. 13) zu untersuchen, denn es war keineswegs allein Sache des Bundes, Streitkräfte aufzustellen. Die Länder hatten vielfache Kompetenzen, die mit denen des Bundes in Einklang gebracht werden mussten. Leonie Hieck geht den Spannungen zwischen Bundes‑ und Landespolitik in Schleswig-Holstein nach. Ihr gelingt dabei eine umfangreiche und gründliche Studie zu zahlreichen Problemen der militärischen Entwicklung in einem Bundesland – eine Pionierleistung! Der Forschungsstand auf diesem Feld ist dürftig, da die umfangreichen Darstellungen zu den Anfängen der Bundeswehr sich nahezu ausschließlich auf bundespolitische und militärische Fragen konzentriert haben. Sie werden von der Verfasserin kundig referiert, wobei stets die Schleswig-Holstein betreffenden Angelegenheiten hervorgehoben werden. Es werden auch ausführliche geografische Informationen zur Struktur des Landes, die für die Stationierung militärischer Einrichtungen von Bedeutung sind, herausgestellt. Die strategische Bedeutung des »Landes zwischen den Meeren« für die NATO wird präzise benannt.

Ab S. 110 beginnt der Kern der Untersuchung, nämlich die Darstellung der vielfachen Konflikte. Die Kompetenzen der Landesministerien und der regionalen Instanzen werden detailliert beschrieben. Die Arbeit betritt dabei auch insofern Neuland, als sie sich vorwiegend auf bisher nicht erschlossenes Archivmaterial stützen kann.

Der Kompetenzwirrwarr innerhalb der Landesregierung und ihrer Behörden war groß, aber der Aufgabenbereich war auch erheblich (S. 134–141). Die in Schleswig-Holstein gewonnenen Problemlösungen wurden den anderen Bundesländern mitgeteilt und haben vermutlich dabei geholfen, deren eigenen Diskussionen positiv zu beeinflussen.

So waren bei der Auswahl von Garnisonsstandorten nicht nur strategische, sondern auch wirtschaftliche, regionale, soziale und persönliche Kriterien zu berücksichtigen. »Die Bundeswehr prägte seit 1956 mit ihren Kasernen, Häfen und Flugplätzen sowie durch ihre Aktivitäten zu Lande, zu Wasser und in der Luft das Antlitz Schleswig-Holsteins« (S. 145).

Die sich stets verändernden militärischen Forderungen hatten auch Einfluss auf die Planungsarbeiten des Landes. Die Verfasserin geht allen diesen Planungs‑ und Organisationsproblemen detailliert nach, wobei sie auch stets die verwaltungsrechtlichen Fragen im Auge hat.

In den 1950er Jahren war kaum jemand darauf eingerichtet, den neu aufzustellenden Streitkräften der Bundeswehr Platz zu machen. Deshalb war die Etablierung der Bundeswehr in den Ländern mit zahlreichen rechtlichen Fragen verbunden. Die Anfänge der Stationierung in Schleswig-Holstein werden von Hieck in allen Einzelheiten kenntnisreich beschrieben. Besonderen Raum nehmen die Debatten ein, die mit der Freisetzung einstiger Wehrmachtseinrichtungen einhergingen. Diese befanden sich inzwischen oft in privatem Besitz und mussten für die Bundeswehr teilweise geräumt werden. Der damit zusammenhängende Verwaltungsaufwand war groß. Das Problem der Freisetzungen wird besonders intensiv behandelt (S. 154–200).

Schleswig-Holstein gehört zu den Ländern, die besonders viele Flüchtlinge und Heimatvertriebene hatten aufnehmen müssen. Diese waren oft in ehemaligen Wehrmachtliegenschaften untergekommen und hatten dort Unternehmen gegründet. Die Eigentumsverhältnisse waren kompliziert. Als die Bundeswehr aufgestellt wurde, mussten viele dieser Unterkünfte, Gebäude, aber auch Grundflächen geräumt werden. Die Freimachung alter Wehrmachtunterkünfte musste mit Entschädigungen durchgeführt werden. Die Zuständigkeiten waren oft ungeklärt. Zwischen Bund und Ländern kam es deshalb zu zahlreichen Konflikten. Diese werden in der Arbeit von Hieck unter vielfältigen Perspektiven analysiert, wobei sowohl die großen Probleme wie auch die Details kenntnisreich dargelegt werden. Das Land Schleswig-Holstein wollte Verhältnisse schaffen, die für die Aufnahme der Soldaten in ihren Standorten mit positiven Aspekten verbunden waren, aber andererseits den Menschen, die dafür zuvor innegehabte Ansprüche aufzugeben hatten, bestmögliche Entschädigungen zukommen lassen. Dazu war eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Bund und dem Land (den Ländern) erforderlich. Die Entscheidungen wurden durchweg so getroffen, dass positive Ergebnisse erzielt werden konnten. Die große Befürchtung, »es könne durch die Freimachungsmaßnahmen zu einer Abwanderung wirtschaftlich bedeutsamer Betriebe in andere Bundesländer in großem Stil geben, wurde somit nicht erfüllt« (S. 214).

Kompliziert waren auch die Aufschließungsmaßnahmen in den zu etablierenden Garnisonsstädten. »Aufschließungsmaßnahmen [...] waren solche, durch die militärische Anlagen und Wohnungen für die Bundeswehrangehörigen an die öffentlichen Versorgungs‑, Entwässerungs‑ und Verkehrsanlagen angeschlossen wurden« (S. 217). Der Bund kam umfänglich für die dafür anfallenden Kosten auf. Ähnliche Konflikte wie bei den Freisetzungen gab es nicht.

Nachdem die Arbeit in ihrem Hauptteil die Vorgeschichte der Aufstellung der Bundeswehr in Schleswig-Holstein erörtert hat, wendet sie sich ab S. 221 der eigentlichen Aufrüstung zu. Die einzelnen Garnisonsstandorte mit ihrer Geschichte und mit der wechselnden Neubelegung werden genannt. Dabei werden die jeweiligen Besonderheiten in den Standortverwaltungen beschrieben:

Den Standort Boostedt bei Neumünster behandelt die Verfasserin exemplarisch, da hier innerhalb kürzester Zeit neue Kasernenanlagen errichtet wurden, bei denen alle Eigentums‑ und Verwaltungsprobleme, die in Schleswig-Holstein aufgetaucht waren, sehr schnell gelöst werden konnten.

Im 5. Kapitel ihres Buches wendet sich Hieck dem Verhältnis der Soldaten und der zivilen Angehörigen der Streitkräfte zum Standort zu und erörtert die Frage, ob es attraktiv war, Garnisonsstandort zu sein. 1966 lagen dem Bundesministerium der Verteidigung Bewerbungen aus 250 Gemeinden vor, auch solche aus Schleswig-Holstein. Die Zusammenarbeit zwischen Militär und Zivilverwaltung bei Manövern und Übungen wird ebenfalls dargestellt. Besondere Aufmerksamkeit erfährt die Herbstübung FALLEX 1960 (an welcher der Rezensent als junger Offizier teilgenommen, deren Bedeutung er aber erst durch die Ausführungen Leonie Hiecks begriffen hat).

Auch die weiteren FALLEX-Übungen werden behandelt, weil in ihnen die Schwächen nicht nur der Bundeswehr, sondern auch die der Zivilverteidigung deutlich wurden.

Hieck widmet sich auch den Amts‑ und Katastrophenhilfen der Bundeswehr bei den Ernteeinsätzen und bei der Flutkatastrophe 1962. Die Zusammenarbeit der Behörden mit den Streitkräften (40000 Soldaten waren im Einsatz) verlief positiv und war für die Bundeswehr mit einem Prestigegewinn in der Öffentlichkeit verbunden.

Die Bundeswehr war für die Orte, in denen sie stationiert war, auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Sie kostet insgesamt viel Geld, bringt aber in der Region auch Geld ein. Für Schleswig-Holstein listet die Verfasserin die Bilanz mit konkreten Zahlen auf und belegt auch den positiven Einfluss auf die soziale Entwicklung in den Garnisonen. Die Bundeswehr beschäftigte nicht nur Soldaten, sondern (in Schleswig-Holstein) auch ca. 20 000 zivile Arbeitskräfte (S. 291).

Den wirtschaftlichen Erfolgen standen auch soziale Nachteile entgegen, besonders in sogenannten Einödstandorten wie z. B. Olpenitz. Am Beispiel Eckernförde werden andere Probleme, die zwischen Stadt und Bund, mit Beziehung zur Bundeswehr und den ihr zugeordneten Betrieben erörtert.

Das abschließende 6. Kapitel hebt noch einmal die strategische Bedeutung Schleswig-Holsteins für die NATO hervor und fasst die Ergebnisse der Untersuchung zusammen: »Die unabwendbaren Aufgaben und Folgen des Streitkräfteaufbaus in Schleswig-Holstein [wurden] mit nicht nachlassendem Engagement und commitment angegangen und mitgestaltet, darüber hinaus aber wenig eigene Initiative und Verantwortungsbewusstsein oder ‑bereitschaft entfaltet, sich dieser Angelegenheit im Rahmen des rechtlich Möglichen mehr als ›Ländersache‹ anzunehmen. Erst in zunehmender Erkenntnis über die strukturstabilisierende Wirkung der Garnisonen rückte die Bundeswehr mehr und mehr in den wohlwollenden Fokus des Landes, bis schließlich in den 1980er Jahren zahlreiche Untersuchungen über den ›Wirtschaftsfaktor Bundeswehr‹ für das strukturschwache Schleswig-Holstein sämtliche Gesichtspunkte einer für die Verteidigungsplanung günstigen bzw. bedeutsamen geografischen Lage völlig ausblendeten« (S. 324).

Vergleichbare Konflikte, wie sie Leonie Hieck für Schleswig-Holstein aufgezeichnet hat, dürfte es in allen anderen Bundesländern, in denen die Bundeswehr bei ihrem Aufbau Standorte bezogen hat, gegeben haben. Diese dürften aber, wie jene im äußersten Norden, jeweils spezifischer Art gewesen sein. Ihnen nachzugehen, ist ein Desiderat. Hieck hat mit ihrer Flensburger Dissertation gezeigt, wie man diese Arbeit anzugehen hat. Ich habe selten eine so kompetente Dissertation zur Zeitgeschichte gelesen. Sie schließt eine Forschungslücke und fordert zu weiteren Untersuchungen auf gleichem Niveau heraus.

Die Arbeit enthält zahlreiche informative Tabellen, aber leider kein Register.

By Eckardt Opitz

Reported by Author

Titel:
Leonie Hieck, Die Bundeswehr im Spannungsfeld von Bundespolitik und Landespolitik. Die Aufstellung der Streitkräfte in Schleswig-Holstein. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2021, 356 S. (= IZRG-Schriftenreihe, 19), EUR 34,00 [ISBN 978‑3‑7395‑1259‑4]
Autor/in / Beteiligte Person: Opitz, Eckardt
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 83 (2024-04-01), Heft 1, S. 335-338
Veröffentlichung: 2024
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2024-0053
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Hamburg, Germany

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