Zum Hauptinhalt springen

So sperrig wie ihr Name?

Max, Thyson
In: GV Praxis, 2024-05-21, Heft 5, S. 22-25
Online serialPeriodical

So sperrig wie ihr Name? 

Die Bundesregierung feiert sie als Meilenstein: die neue Bundeskantinenrichtlinie. Doch wie sehen das die Betreiber? Für seine berufsbegleitende Masterthesis untersuchte der Leiter des K&P Planungsbüros, Max Thyson, ob sich die Neuregulierung wirklich als Basis für den wirtschaftlichen und nachhaltigen Betrieb von Kantinen in Deutschland eignet.

Die Bundeskantinenrichtlinie regelt als Verwaltungsvorschrift den Betrieb von Kantinen im öffentlichen Sektor, reguliert also die Bewirtschaftung von Kantinen in Ministerien, Behörden und Ämtern. Die wissenschaftliche Masterthesis betrachtet ausschließlich den Bereich des Contract-Caterings, da die Richtlinie unmittelbaren Einfluss auf die vertragliche Gestaltung der Verpflegungsdienstleistung hat beziehungsweise die Basis der Geschäftsbeziehung darstellt. Die Gemeinschaftsgastronomie in Deutschland spielt nicht nur wirtschaftlich eine bedeutsame Rolle, sie ist auch gesellschaftlich wichtig – gerade mit Blick auf das Ernährungsverhalten. Während in der Vergangenheit eher die reine Verpflegung im Vordergrund stand, rücken für Kantinen heute zunehmend Aspekte wie soziale Teilhabe, Interaktion und Kommunikation in den Mittelpunkt. Im Business-Catering sind Verpflegungsangebote für Institutionen auch beim Gewinnen und Binden qualifizierter Talente und der Positionierung als attraktive Arbeitgebermarke von wachsender Bedeutung.

Die Kantinenrichtlinie besteht seit 1954 und wurde bis zum Sommer 2023 lediglich marginal angepasst. Im vergangenen Jahr kam es zu einer umfangreicheren Novellierung, die erstmals eine Subventionierung des operativen Betriebs unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. Bis dahin galt das Prinzip: Dem Bund sollte aus dem Kantinenbetrieb weder ein Gewinn noch ein Verlust entstehen. Alle laufenden Kosten waren durch den Kantinenbetrieb beziehungsweise die Betreibenden kostendeckend zu erwirtschaften. Während der Bund zwar grundsätzlich Kosten für Einrichtung und Erstausstattung sowie anteilige Betriebskosten übernehmen durfte, war Subventionieren ausgeschlossen.

In der Praxis erwies sich so eine wirtschaftlich tragfähige Betriebskonstellation für Kantinen als herausfordernd. Der mitbestimmungspflichtige Bereich wurde als Sozialleistung deklariert und führte so unter anderem zur Forderung nach vergünstigten Abgabepreisen. Zunehmend schwierige Rahmenbedingungen haben die Notlage in den Kantinen des Bundes weiter verschärft – angefangen bei der Covid-Pandemie und ihren Auswirkungen auf das Arbeitssetting über den russischen Krieg gegen die Ukraine und die folgenden Beschaffungskrisen bis hin zum Fachkräftemangel in der Gastronomie, gepaart mit stark steigenden Personalkosten. Prominentes Beispiel für die Schwierigkeiten war die teils mehrfache Betreibersuche einiger Bundesministerien und anderer Einrichtungen.

Die neue Bundeskantinenrichtlinie bietet nun die Möglichkeit, den Verkaufspreis bis zu 20 Prozent zu bezuschussen. Allerdings nur, wenn die Kriterien des Maßnahmenprogramms Nachhaltigkeit der Bundesregierung erfüllt werden. Dies bedeutet insbesondere, dass mindestens 20 Prozent des Wareneinsatzes in Bio-Produkte fließen müssen. Weitere zehn Prozent des Verkaufspreises können bezuschusst werden, wenn mindestens 30 Prozent Bio eingesetzt werden.

Eine Grundlage der Masterarbeit war eine Experten-Befragung. Sie untersucht, welche Aspekte der Kantinenrichtlinie einen dauerhaft wirtschaftlich tragfähigen Betrieb durch Cateringdienstleistende beeinflussen. Ferner wurde analysiert, welche Bestandteile der Kantinenrichtlinie Einfluss auf ein nachhaltig ausgerichtetes Handeln durch Cateringdienstleistende bei Dienststellen des Bundes in Deutschland haben. Der Nachhaltigkeitsbegriff folgte hierbei dem Konzept der drei „P": People, Planet, Profit.

In einem qualitativen Forschungsansatz wurden kurz nach der Novellierung der Kantinenrichtlinie im Sommer 2023 Interviews mit Entscheidern aus fünf Cateringunternehmen geführt. Im Durchschnitt verfügen die Befragten über rund 22 Jahre Berufserfahrung und repräsentieren mehr als 760 Kontrakte in der Gemeinschaftsverpflegung in Deutschland. Davon unterlagen rund zehn Prozent der Kantinenrichtlinie.

Obwohl nahezu in keinem der Betriebe eine Pacht gezahlt wird, erzielen die Betreibenden in 87 Prozent der Betriebe, die der Kantinenrichtlinie unterliegen, einen Verlust im Bereich der Hauptverpflegung. Diese Verluste versuchen die Betreiber durch Bereiche wie Konferenz- oder Zwischenverpflegung auszugleichen. Die vorgenannten Rahmenbedingungen machen dies jedoch immer schwieriger.

Mit Blick auf die unternehmerische Eigenverantwortung beurteilt die Mehrzahl der Umfrageteilnehmenden diese als sehr unflexibel und stark limitiert. Sie beurteilen den hohen Abstimmungsbedarf und die Mitbestimmungspflicht im Vertragsverhältnis als sehr herausfordernd. Zudem bedinge die Mitbestimmungspflicht sehr strikte, unflexible und als nicht mehr marktgerecht empfundene preisliche Vorgaben. Der Preis überwiege in öffentlichen Ausschreibungen nach wie vor als Entscheidungskriterium zur Vergabe. Auch die Gäste vor Ort zeigten eher keine höhere Zahlungsbereitschaft für nachhaltigere Bio-Produkte. Dies steht im Gegensatz zu den übergeordneten Zielen des Bundes – wie Klimaschutz, Tierwohl oder besagte Bio-Quote. Im Hinblick auf eine nachhaltige Ausrichtung bestätigt die Studie, dass die Beschaffung von Produkten, die entlang ihrer Lieferketten auf ökologische oder soziale Aspekte einzahlen, mit höheren Kosten verbunden ist. Diese sind jedoch nicht in Form einer Subvention oder durch höhere Verkaufspreise der Kunden refinanzierbar.

Deutlich wurde, dass die Regelungen der Kantinenrichtlinie bisher kaum Möglichkeiten bieten, um beispielsweise ein gutes Klima am Arbeitsplatz durch moderne Betriebsgastronomie zu fördern und öffentliche Institutionen hierdurch im Wettbewerb um Fachkräfte besser zu positionieren. In privatrechtlichen Betrieben stehe übergreifend mehr Budget für die Verpflegung zur Verfügung, was dort auch für die Gestaltung der personellen Situation des Caterings positiv ist. Dazu gehören bessere Personalschlüssel und mehr Spielraum bei der Gestaltung der Gehaltsgefüge. Dies verschärft jedoch den Fachkräftemangel in öffentlichen Betrieben zusätzlich. Insbesondere kleinere und mittlere Betriebe werden von den neuen Regelungen nicht profitieren können, da eine prozentuale Bezuschussung auf geringe Erlöse nicht für eine Kostendeckung der jeweiligen Betriebsstätte ausreicht, so die Tendenz in der Befragung. Die Regelungen der Kantinenrichtlinie bewegen sich somit in einem Spannungsfeld, das für Betreibende eine sehr herausfordernde Ausgangssituation darstellt.

Ein reiner Austausch

konventioneller gegen Bio-Produkte würde aufgrund der deutlich teureren Beschaffung die Wirtschaftlichkeit weiter verschlechtern. Mehrkosten für zertifizierte Lebensmittel würden eine mögliche Bezuschussung überkompensieren. Zudem sehen einige Expertinnen und Experten die Versorgungssicherheit mit Bio-Produkten kritisch. Während eine staatliche Subventionierung zwar die Nachfrage steigern könne, könnte sie wiederum weiter steigende Preise für Bio-Produkte bedingen.

Doch zumindest in sehr großen Betriebsstätten wäre kurzfristig eine Kostenoptimierung bei gleichzeitiger Steigerung der Bio-Produkte denkbar. Dort nämlich kommen zum einen Effizienzvorteile der Betriebsgröße zum Tragen, zum anderen ist ein gewisses Umsatzvolumen vorhanden – Bezugspunkte einer möglichen Förderung. Voraussetzung hierfür wäre es, die Speisenpläne umfänglich neu zu gestalten: ein deutlich geringerer Anteil tierischer Produkte, dafür ein höherer Anteil saisonalen Gemüses und eine reduzierte Komplexität – also weniger Breite in den Angeboten. Dies ergäbe ein Umfeld, in dem wenige Fachkräfte gute Produkte effizienter zubereiten können, als dies sonst der Fall ist. Weitere Voraussetzung: Diese Neuausrichtung wird gemeinschaftlich und unter Mitwirkung der jeweiligen Institution und der Beschäftigten getragen. Hinzu kommt: Verständnis und Wertschätzung für eine nachhaltige Ernährung müssen auch in der Zahlungsbereitschaft erkennbar sein.

Alle Befragten sehen eine Beteiligung an künftigen öffentlichen Ausschreibungen eher kritisch. Das wirft die Frage auf: Inwieweit sind hohe Investitionen öffentlicher Mittel in die Ausstattung von Kantinen sinnvoll, wenn für den operativen Betrieb kaum Betreiber zu finden sind? Für die weitere Anpassung der Richtlinie könnte eine gemeinschaftliche Herangehensweise vorteilhaft sein, die die Interessen der Caterer, ihrer Teams und der Gäste berücksichtigt sowie auch den gesellschaftlichen Nutzen attraktiver, öffentlicher Institutionen als Arbeitgeber. Ein erster Ansatz könnten dazu flexiblere vertragliche Grundlagen sein. Sie böten die Möglichkeit, Leistungsinhalte während der Vertragslaufzeit anzupassen, ohne eine Neuausschreibung auszulösen.

Auch mehr unternehmerische Handlungsfreiheit der Betreibenden wäre hilfreich, etwa eine bedarfskonforme Anpassung der Öffnungszeiten oder die Gestaltung von Sortiment und Preisen. Natürlich mit ausgewogener Einbindung der Personalräte. Auch die Nachhaltigkeitskriterien könnten mehr Aspekte umfassen, sodass nicht allein der Einsatz von Bio-Produkten gefördert werden kann. Denn die Subvention in der Novellierung bezieht sich ausschließlich auf die Bio-Quote. Denkbar wären Aspekte wie Saisonalität, der Anteil tierischer Produkte oder faire Produktionsbedingungen.

Max Thyson

Graph: Außer-Haus-Markt/Gastgewerbe - Die Systematik der Außer-Haus-Verpflegung. Thyson beleuchtet die grau hinterlegten Punkte.

Graph: Zur Bundeskantinenrichtlinie

Graph: Experten-Interviews

PHOTO (COLOR): © ImAGO/fUNKE fOTO sERVICES Die neue Bundeskantinenrichtlinie soll ein großer Wurf sein. Den Praktiker stellt sie vor Herausforderungen. © Gorodenkoff / stock.adobe.com Das richtige Rezept? Unser Gastautor hat die neue Richtlinie einem Praxis-Check unterzogen. © Annika Bethan Seit Februar bildet Max Thyson zusammen mit dem geschäftsführenden Gesellschafter Simon Kuhn die Doppelspitze des Plaungsbüros von K&P Consulting.

1 Bundeskantinenrichtlinie

Die Bundeskantinenrichtlinie aus dem Jahr 1954 gilt für alle Dienststellen des Bundes. Laut Angaben des Bundesverwaltungsamtes gab es im Juni 2023 insgesamt 965 Behörden und Institutionen des Bundes in Deutschland. Dazu gehören beispielsweise 60 Körperschaften des öffentlichen Rechts oder die sechs Bundesgerichte. Nicht in allen Institutionen sind Kantinen vorhanden. Schon seit vielen Jahren sind die Kantinenrichtlinien ein Ärgernis für Pächter und Caterer, weil Zuschüsse für das Speisenangebot für die Bundesregierung tabu waren. Mit der neuen, seit 6. Juni 2023 gültigen Fassung ist nun eine Subventionierung möglich.

By Thyson Max

Reported by Author

Titel:
So sperrig wie ihr Name?
Autor/in / Beteiligte Person: Max, Thyson
Zeitschrift: GV Praxis, 2024-05-21, Heft 5, S. 22-25
Veröffentlichung: 2024
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 0342-376X (print)
Schlagwort:
  • ORGANIC products
  • SMALL business
  • PUBLIC sector
  • PRICES
  • SUSTAINABILITY
  • GERMANY
  • Subjects: ORGANIC products SMALL business PUBLIC sector PRICES SUSTAINABILITY
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Geographic Terms: GERMANY
  • Full Text Word Count: 1330

Klicken Sie ein Format an und speichern Sie dann die Daten oder geben Sie eine Empfänger-Adresse ein und lassen Sie sich per Email zusenden.

oder
oder

Wählen Sie das für Sie passende Zitationsformat und kopieren Sie es dann in die Zwischenablage, lassen es sich per Mail zusenden oder speichern es als PDF-Datei.

oder
oder

Bitte prüfen Sie, ob die Zitation formal korrekt ist, bevor Sie sie in einer Arbeit verwenden. Benutzen Sie gegebenenfalls den "Exportieren"-Dialog, wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden und die Zitat-Angaben selbst formatieren wollen.

xs 0 - 576
sm 576 - 768
md 768 - 992
lg 992 - 1200
xl 1200 - 1366
xxl 1366 -