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32. Jahreskonferenz der EBLIDA vom 8. bis 10. April 2024 in Lissabon.

Seeliger, Frank ; Trillhof, Julia
In: Bibliotheksdienst, Jg. 58 (2024-06-01), Heft 6, S. 316-323
Online academicJournal

32. Jahreskonferenz der EBLIDA vom 8. bis 10. April 2024 in Lissabon 

Article Note Die EBLIDA ist ein unabhängiger Dachverband von Bibliotheks-, Informations-, Dokumentations- und Archivverbänden und -einrichtungen in Europa, der sich für die Ziele und Aufgaben von Bibliotheken in der Gesellschaft und für deren nachhaltige Entwicklung in Europa einsetzt.

Die 32. EBLIDA-Jahreskonferenz und die europäischen Bibliotheksverbände luden vom 8. bis 10. April 2024 nach Lissabon ein. Die großzügigen portugiesischen Gastgeber richteten die Konferenz im Arquivo Nacional da Torre do Tombo, kurz Torre do Tombo aus. Das Gebäude, ein fensterarmer großer weißer Quader folgt auf den ersten Blick sachlich nüchterner Architektur der frühen 1990er Jahre und beherbergt im Inneren Kulturschätze und Dokumente, deren Ursprung im Kontext der Sammlung bei Heinrich dem Seefahrer zu suchen ist.

Graph: Abb. 1: Torre do Tombo: der weiße Fels ruht inmitten des Campus' der Universität.

Während Regentage das Wetter hierzulande bestimmten, war Lissabon naturgemäß dem Sommer voraus. Insofern sei die These in der Metapher gewagt, dass die Konferenz mit circa zweihundert europäischen Kolleginnen und Kollegen durchaus einen Ausblick auf künftige Bibliotheksarbeit wagte. Im Fazit: Die weite Anreise lohnte sich für die kleine deutsche Abordnung!

Graph: Abb. 2: Deutsche Delegation mit der neuen EBLIDA-Präsidentin Erna Winters (Mitte) auf der 32. EBLIDA Jahreskonferenz am 09.04.2024 in Lissabon. Mit dabei fünf Stipendiatinnen und Stipendiaten von BI-Intrnational.

Schaut man über den Tellerrand der eigenen Gestade (Ort, Campus, Bibliotheksverbund, Landesfachstelle, Bundesland und Deutschland) bietet die europäische Perspektive mit LIBER (Ligue des Bibliothèques Européennes de Recherche) und EBLIDA viel Weitung der eigenen Perspektive, gerade im Jahr ohne IFLA-Weltkongress durch den Rückzug aus Dubai. Letztere, das European Bureau of Library, Information and Documentation Associations (EBLIDA) tagte als europäischer Dachverband der Berufs- und Institutionen-Verbände im Bereich des Bibliotheks-, Archiv- und Dokumentationswesens in Lissabon insgesamt zum 32. Mal.

Die Konferenz zeichnete besonders ihr abwechslungsreiches Konzept des Miteinanders aus. Neben klassischen Vorträgen wurde in der postpandemischen Zeit viel Raum für Pausengespräche gelassen, gab es kurzweilige und wiederkehrende Teamarbeit und sogar ein Gaming-Angebot. Schon dieses Konzept sollte tragfähig für künftige Meetings sein!

Kein Geringerer als der mittlerweile pensionierte Professor an der University of Washington Information School, USA, und ehemalige Direktor der Aarhus Public Library (auch als Dokk1 bekannt), Rolf Hapel, eröffnete den Vortragsreigen zu hochaktuellen Themen, nicht nur zum Einsatz von Technologien der Künstlichen Intelligenz! Es ist ein Parforceritt par excellence, da er im Rundumschlag und Verortung vieler gesellschaftlicher Herausforderungen versucht, Aufgaben für Bibliotheken unter der Ägide seiner beruflichen Lebenserfahrung abzuleiten. Mehr Anregung geht nicht, die angesprochenen Themen wie Demokratie als Bildungsauftrag und Vorbereitung im Umgang mit Krisen zogen sich im Nachgang durch mehrere Diskussionen. Letzteres scheint in Schweden weit oben auf der Agenda zu stehen.

Für einen der Autoren dieses Beitrags ein weiteres Highlight war ein Online-Escape-Spiel zum Thema Misinformation. Ein Vortrag sensibilisierte für die gerade durch den Einsatz von KI-Technologie schnelle, einfache und umgreifende Produktion von Fakes. OCLC-Mitarbeiter unterstützten vor Ort und die Beteiligung in verschiedenen Slots war verständlicherweise hoch.

Graph: Abb. 3: Vortrag zum Gaming.

Das frei nutzbare Online-Escape-Spiel bot die Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten bezüglich des Erkennens von Falschinformationen über Text- und Bildnachrichten zu testen. In kleinen Teams von vier bis fünf Personen nutzten viele Kolleg*innen das Angebot. Unter einer Stunde blieb man kaum, um alle Aufgaben zu lösen. Im Fazit: Mitmachen, über die mögliche Sprachbarriere im Englischen hinaus, es lohnt sich!

Graph: Abb. 4: Beim Gaming „Misinformation".

Die anschließenden Diskussionsrunden zum gleichen Thema unter dem Fokus der eigenen Skills, zukunftsorientiertem LIS-Studium, Weiterbildung und lebenslangem Lernen unter Leitung der deutschen Kollegin Nicole Krüger (ZHAW Winterthur) zeigte weiterhin den Bedarf auf, Bibliotheks-Teams diverser aufzustellen, um verschiedene Nutzergruppen noch besser ansprechen und abholen zu können. Ebenso zeigten sich Ängste wegen der Rationalisierung von Stellen – aber auch, wie unterschiedlich der Kenntnisstand dazu ist. In einer anderen Runde zeigte z. B. die portugiesische Kollegin Teresa Pombo ganz anders die Möglichkeiten von Large Language Models (LLM wie Grundlage für ChatGPT von OpenAI) bei der Entwicklung eigener Chatbots am Beispiel von https://mizou.com auf. Weitere Einlassungen zu KI fanden sich aufschlussreich im Beitrag von Mikkel Christoffersen. Er modellierte eine moderne Bibliothek in den Torre de Belém als Wahrzeichen und UNESCO-Weltkulturerbe von Lissabon hinein. Klar wurde über die virtuelle Landmark hinaus, welche Bedeutung für den Europarat die Kooperation mit Bibliotheken hat und an welchen Stellen man erwartet, dass sich EBLIDA und ihre Bibliotheken einsetzen. Mehr shake up aber wegen aller aktuellen Entwicklungen, ob politisch, gesellschaftlich oder im Zusammenhang mit Technologien wie KI, war schier an einem Tag nicht leistbar. Die Fortsetzung dessen wird auf der BiblioCon in Hamburg gesucht!

„Charting the future of libraries" war das Thema des Kongresses und definierte zugleich die Aufgabe, wie sich Bibliotheken personell auf die Zukunft vorbereiten können. Neben dem demografischen Wandel und den technischen Entwicklungen einer Informationsgesellschaft – Chancen wie KI, aber auch Herausforderungen durch Fake News – stehen Bibliotheken im Kontext wirtschaftspolitischer Herausforderungen und können einen Beitrag zur Demokratieförderung in unsicheren Zeiten einnehmen. Als klassische Informationsinstitution, die Menschen zusammenbringt, sollten Bibliotheken die Bedürfnisse der Bürger*innen in einer immer schneller werdenden Gesellschaft auffangen, ungeachtet dessen, dass sich Bibliotheken auch selbst im ständigen Wandel befinden.

Das Berufsbild des Bibliothekars war in den letzten Jahrzehnten einem starken transformativen und digitalen Wandel unterzogen. Die Zeiten ändern sich schneller als die Ausbildungen es könnten. Der Blick nach Europa zeigt Diskurse auf. So kommen beispielsweise die Niederlande ohne bibliothekarische Ausbildung aus – es wird im Work-Prozess bibliothekarisches Know-how erlernt, während andere Länder eine bibliothekarische Ausbildung für unabdingbar halten.

In den Ländern Dänemark, Schweden oder Finnland stehen beeindruckende architektonische Neubauten, man möge fast sagen, bibliothekarische Leuchttürme, in denen Communities und Bürger*innen ihre Bibliothek aktiv mitgestalten. Dort werden bewusst Räume geöffnet, deren Aneignung durch die Community gewünscht ist. In denen Generationen in den Austausch und in die Kommunikation treten und das Buch als Medium, so scheint es, eine untergeordnete Rolle spielt. Es sind lebendige Bibliotheken – die Dritten Orte, wie das Dokk1 in Aarhus.

Graph: Abb. 5: KI-generiertes Bild eines Bibliotheksmitarbeiters aus dem Vortrag von Mikkel Christoffersen.

Für die Autorin ist es beeindruckend, dass sich der Berufsstand aus sich selbst heraus hinterfragt und reformiert und der Kongress unterschiedlichen Positionen und Praxisbeispielen Raum gab. In einem interaktiven Workshop zur Recruiting-Praxis von Bibliotheken diskutierten Lucia Werder, Bibliotheksleitung und Nora Neuhaus de Laurel, Personalleitung (beide Stadtbibliothek Bremen), unter anderem die Frage, wie sich das Image von Bibliotheken auf dem Arbeitsmarkt darstellt und stellten das Projekt „Mein Job Bibliothek" vor. Das darin geschaffene Webportal www.meinjob-bibliothek.de bündelt Informationen rund um das Berufsfeld und informiert über Einstiegsmöglichkeiten. Durch diese Kampagne positionieren sich Bibliotheken als attraktiver Arbeitgeber, denn auch sie stehen in Konkurrenz um Bewerber*innen. Weitere Herausforderungen wurden im Workshop im europäischen Austausch zusammengetragen. Diese reichten vom stereotypischen Berufsbild, über die Notwendigkeit von spezifischen IT-Kenntnissen und digitalen Skills bis hin zu Sprachbarrieren und schlechter Bezahlung für anspruchsvolle Tätigkeiten. Aber auch Strukturprobleme und eine überalterte Gesellschaft spielen im europäischen Kontext eine Rolle. Als Ansätze wurden mehr Diversität beim Personal und eine Anpassung der Ausbildung erarbeitet, um nur einige wenige zu nennen. Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass europäische Bibliotheken vor großen Herausforderungen in der Personalgewinnung und auch im Halten von Personal stehen, denn die gesellschaftlichen und politischen Anforderungen bedürfen einer Vielfalt an Fähigkeiten, die durch Quereinstieg und an der ein oder anderen Stelle auch durch unkonventionelle Maßnahmen zukunftsfähig sind.

„Resourcing Libraries: connecting libraries to EU resources"

Der letzte Kongresstag startete mit der Präsentation „the manifesto" – das in Zusammenarbeit mit EBLIDA, IFLA, LIBER, NAPLE, Public Libraries 2030 verfasst wurde und vom EBLIDA-Direktor Mikkel Christoffersen kurz präsentiert wurde. Das Manifesto der EBLIDA spiegelt die grundlegenden Werte und Ziele wider, die von der Organisation vertreten werden und dient als Leitfaden für ihre Aktivitäten und Initiativen zur Förderung der Bibliotheks- und Informationsdienste in Europa. Sie betreffen Aspekte des freien Zugangs zu Wissen, Demokratie und Menschenrechte, das kulturelle Erbe oder die Förderung von Bildung und lebenslangem Lernen.

Der weitere Tag stand unter dem Projekt „Resourcing Libraries: connecting libraries to EU resources" kurz RL:EU. Ein Projekt, das Öffentlichen Bibliotheken in Europa hilft, EU-Ressourcen für Erwachsenenbildungsprogramme und Bildungsstrategien zu erschließen. Im Projekt kooperieren die Public Libraries 2030, die EBLIDA und die PiNa, um einen gemeinsamen Ansatz für Öffentliche Bibliotheken zu entwickeln, der über EU-Initiativen und Förderprogramme informiert und den Zugang zu EU-Programmen erleichtert. Auf einer virtuellen Plattform können sich Öffentliche Bibliotheken informieren, vernetzen und bereitgestellte Ressourcen abrufen.

Es sprach Spaska Tarandova, die Geschäftsführerin der Global Libraries – Bulgaria Stiftung (GLBF) ist und mit einem großen Netzwerk von über 900 Öffentlichen Bibliotheken in Bulgarien zusammenarbeitet. Sie präsentierte das Projekt BIBLIO (Boosting digital skills and competencies for Bibliothekare in Europa), eine E-Learning-Plattform, die validierte Angebote für europäische Bibliothekare und Bibliothekarinnen bündelt und Bibliothekspersonal bei der Aneignung von innovativen Dienstleistungen unterstützt.

Im Anschluss stellte Jef De Backker das Projekt Connect://able vor. Im Projekt arbeitet er mit den Öffentlichen Bibliotheken von Bergen (Norwegen) und Aarhus (Dänemark) sowie mit der Westnorwegischen Universität für angewandte Wissenschaften zusammen, um soziale Ausgrenzung zu bekämpfen und digitale Fähigkeiten zu verbessern. Dabei wurde die Rolle von Bibliotheken bei der Schaffung von sicheren Lernräumen für digitale Fähigkeiten erörtert, um Räume für benachteiligte Menschen zu schaffen. Das Projekt wurde über drei Jahre durch ERASMUS+ finanziert.

In Living Libraries-Sektionen präsentierten Bibliotheken und Bildungsinstitute ihre Projekte. In einer Sektion ermutigte Simona Šinko, die Leiterin des Lernzentrums der Stadtbibliothek von Ljubljana, dazu, sich als Bibliothek für Erasmus+ in der Erwachsenenbildung akkreditieren zu lassen. Die Stadtbibliothek Ljubljana ist die erste öffentliche Bibliothek Sloweniens, die die Akkreditierung für den Zeitraum 2022–2027 vorgenommen hat. In einem der Kernbereiche Mobilität von Einzelpersonen in der Erwachsenenbildung erwarten das Bibliothekspersonal Erfahrungen in Oodi, der Helsinki City Library, der Deichman Oslo City Library und der Public Library Jonava in Litauen. Simona Šinko erzählte begeistert über die Mobilitätspläne, die zur Überraschung einiger Anwesenden nicht nur für das Bibliothekspersonal, sondern auch für die Nutzer*innen der Bibliothek geplant sind. Weiter ist die Teilnahme von Mitarbeiter*innen an Kursen und die Einladung eines Experten aus dem Ausland vorgesehen. Als Koordinatorin für die Erasmus+-Aktivitäten inspirierte Simona Šinko die Zuhörer*innen, nahm Bedenken und beantwortete geduldig alle Fragen. Aus den fünf Projekten der „Living Library Session: EU projects on digital literacies in libraries" wurden Aspekte herausgestellt, wie schwierig es ist, zuverlässige und verbindliche Partner für länderübergreifende Projekte zu gewinnen, aber auch wie gewinnbringend gemeinsame Projekte mit Partnern aus der EU sind. In den Projekten und Diskussionen ging es um berufliche Weiterbildung, aber auch um technisch ausgereifte barrierefreie Angebote, z. B. für Menschen mit visuellen Beeinträchtigungen.

Der EBLIDA-Kongress gab viele wichtige Impulse und lud durch interaktive Workshops zum Machen ein. Die Kulisse von Lissabon bot ausreichend Gelegenheit zum Vernetzen und fachlichen Input. EBLIDA – wir kommen wieder!

Footnotes 1 Siehe zum Programmhttps://eblida2024.sciencesconf.org [Zugriff: 22.04.2024]. 2 Siehe zum Foliensatzhttps://eblida2024.sciencesconf.org/data/pages/09%5fapril%5f09.45%5fHapel%5fcompressed.pdf [Zugriff: 22.04.2024]. 3 Siehehttps://lokisloop.org/games [Zugriff: 22.04.2024]. 4 Siehehttps://eblida2024.sciencesconf.org/data/pages/digital%5fand%5fcouncil%5fconclusions%5fmikkel%5fchristoffersen%5feblida.pdf [Zugriff: 22.04.2024]. 5 Siehehttps://eblida2024.sciencesconf.org/data/pages/Manifesto.pdf [Zugriff: 22.04.2024].

By Frank Seeliger and Julia Trillhof

Reported by Author; Author

Titel:
32. Jahreskonferenz der EBLIDA vom 8. bis 10. April 2024 in Lissabon.
Autor/in / Beteiligte Person: Seeliger, Frank ; Trillhof, Julia
Link:
Zeitschrift: Bibliotheksdienst, Jg. 58 (2024-06-01), Heft 6, S. 316-323
Veröffentlichung: 2024
Medientyp: academicJournal
ISSN: 0006-1972 (print)
DOI: 10.1515/bd-2024-0050
Schlagwort:
  • LIBRARY education
  • PUBLIC libraries
  • LIBRARY resources
  • ARTIFICIAL intelligence
  • EDUCATIONAL programs
  • LIBRARIANS
  • LISBON (Portugal)
  • Subjects: LIBRARY education PUBLIC libraries LIBRARY resources ARTIFICIAL intelligence EDUCATIONAL programs LIBRARIANS
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Geographic Terms: LISBON (Portugal)
  • Full Text Word Count: 1791

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