In den vergangenen Jahren hat sich eine Achse der Autokratien gebildet, die alles daransetzt, die liberale Weltordnung sukzessive zu unterminieren und sie zu zerstören. Die treibenden Kräfte sind Russland, China, der Iran und Nordkorea. Bei der Achse der Autokratien handelt es sich nicht um ein formelles Bündnis, sondern um eine Zweckgemeinschaft autoritär regierter Staaten, die mit der globalen Hegemonialmacht USA ein gemeinsames Feindbild haben, eine revisionistische Außenpolitik betreiben und die Weltordnung in ihrem Sinne umgestalten wollen. Dieser Beitrag befasst sich mit der Strategie Russlands und seiner Verbündeten, auf allen Kontinenten Konflikte koordiniert und opportunistisch zu eskalieren, um die westlichen Staaten, allen voran die USA, durch Mehrfrontendruck globalpolitisch zu überfordern und strategisch zu schwächen. Offenbar scheinen die Strategen in Moskau darauf zu setzen, dass die westliche Aufmerksamkeit und Unterstützung für die Ukraine nachlassen wird, sobald der Westen nicht mehr in der Lage sein wird, die multiplen Krisen, Konflikte und Kriege, die von der Achse der Autokratien geschürt werden, in den Griff zu bekommen. Der Beitrag widmet sich sowohl den globalen Brennpunkten, die in den zurückliegenden Monaten im Rahmen dieser Strategie angeheizt wurden, als auch jenen, die schon bald angeheizt werden könnten.
In recent years, an axis of autocracies has emerged that is doing everything in its power to gradually undermine and destroy the liberal world order. Its driving forces are Russia, China, Iran, and North Korea. The axis of autocracies is not a formal alliance, but a community of convenience of authoritarian states that have a common enemy with the global hegemonic power USA, pursue a revisionist foreign policy and want to reshape the global order in their interests. This article deals with the strategy of Russia and its allies to escalate conflicts on all continents in a coordinated and opportunistic manner in order to overstretch and strategically weaken the Western countries, in particular the USA, through multi-front pressure. Apparently, strategists in Moscow are betting that Western attention and support for Ukraine will wane once the West is no longer able to contain the multiple crises, conflicts and wars being fomented by the axis of autocracies. The article addresses both the global flashpoints that have been fueled in recent months as part of this strategy and those that could soon be fueled.
Keywords: Geopolitik; Mehrfrontendruck; Stellvertreterkriege; Konflikteskalation; Systemrivalität; Geopolitics; Multi-Front Pressure; Proxy Wars; Conflict Escalation; Systemic Rivalry
„Im Moment gibt es Veränderungen, wie wir sie seit 100 Jahren nicht mehr gesehen haben. Und wir sind es, die diesen Wandel gemeinsam vorantreiben." Mit diesen Worten verabschiedete sich der chinesische Staatspräsident Xi Jinping am 22. März 2023 von seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin nach einem dreitägigen Staatsbesuch in Moskau. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und dem eskalierenden Systemkonflikt zwischen autoritären Regimen und liberalen Demokratien, war diese Äußerung nichts anderes als eine unverhüllte Drohung an die USA und ihre globalen Verbündeten.
In den letzten Jahren hat sich eine Achse der Autokratien gebildet, die alles daransetzt, die liberale Weltordnung sukzessiv zu unterminieren, schlussendlich zu zerstören und durch eine neue, von ihnen dominierte Weltordnung zu ersetzen. Treibende Kräfte dieser Achse sind Russland und China, zwei revisionistische Großmächte mit imperialen Großreich-Plänen, die von ähnlich verfassten Staaten wie Belarus, dem Iran, Kuba, Nordkorea, Serbien, Syrien und Venezuela flankiert werden. Offiziell streben Russland und China eine multipolare Weltordnung an. Hinter dieser Formulierung, die auch in manchen westlichen Staaten verfängt, verbirgt sich nichts anderes als die Schaffung exklusiver Einflusssphären für die beiden Großmächte, in denen sie sich jede Einmischung von außen verbieten, während sie sich selbst das Recht herausnehmen, jederzeit in die inneren Angelegenheiten der betroffenen Staaten einzugreifen.
Bei der Achse der Autokratien handelt es sich nicht um ein formelles Bündnis, sondern eine Zweckgemeinschaft autoritär regierter Staaten, die mit der globalen Hegemonialmacht USA ein gemeinsames Feindbild haben, eine revisionistische Außenpolitik betreiben und die Weltordnung in ihrem Sinne umgestalten wollen. Doch es verbindet sie noch mehr: „Mit Ausnahme von China, dessen Verhalten innerhalb der Gruppe von starker Zurückhaltung geprägt ist, werden die Mitgliedstaaten des Bündnisses von Regierungen geführt, die in Kriegen feststecken, mit internationalen Sanktionen und internen Unruhen konfrontiert sind und denen es an finanziellen und militärischen Fähigkeiten mangelt." Deshalb bezeichnet Hanna Notte vom Center for Strategic and International Studies diese Zweckgemeinschaft auch plakativ als „Achse der Sanktionierten."
Bis zum Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 setzte die Achse der Autokratien primär auf hybride Kriegsführung, um ihre Ziele zu erreichen, das heißt „eine Kombination regulärer und irregulärer politischer, wirtschaftlicher, medialer, subversiver, geheimdienstlicher, cybertechnischer und militärischer Kampfformen." Ihre Angriffe richteten sich nicht nur gegen Staaten und Akteure in ihrem unmittelbaren Einflussbereich, sondern sie zielten auch direkt auf die USA, ihre globalen Verbündeten und die tragenden institutionellen Säulen der liberalen Weltordnung wie die Vereinten Nationen, die Europäische Union, den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation. Diese Angriffe unterhalb der Schwelle kinetischer Kriegshandlungen werden unvermindert fortgesetzt – teilweise verstärkt auf allen Ebenen.
In jüngster Zeit zeichnet sich eine zunehmende Koordination und Kooperation zwischen verschiedenen Autokratien ab, vor allem im sicherheitspolitischen, geostrategischen, militärischen und ökonomischen Bereich. Von zentraler Bedeutung ist die „strategische Partnerschaft" zwischen Russland und China, deren Anfänge in die 1990er-Jahre zurückreichen und die sich infolge des russischen Ukraine-Krieges, der im Frühjahr 2014 begann, kontinuierlich intensiviert und erklärtermaßen zu einer „grenzenlosen Freundschaft" entwickelt hat. Dabei wirkt die russische Invasion in der Ukraine seit Februar 2022 wie ein Katalysator, der diese Entwicklung beschleunigt. Die Kommunistische Partei Chinas scheint dabei ihrer strategemischen Vorgehensweise treu zu bleiben, die ihr außenpolitisches Handeln im Kalten Krieg geprägt hat, und die „Ausspielung der Barbaren" fortzusetzen, angepasst auf die veränderten Rahmenbedingungen des frühen 21. Jahrhunderts.
Russland hat sich von den westlichen Staaten isoliert und setzt in den bilateralen Beziehungen ausschließlich auf Konfrontation. Für Putin ist der Westen ein „Feind Russlands", wie er im Januar 2024 erklärte, den er auf den Schlachtfeldern in der Ukraine besiegen wolle. Dafür ist Russland auf die Unterstützung seiner verbliebenen Verbündeten angewiesen, allen voran China, den Iran und Nordkorea. Diese liefern unter anderem Waffen, Munition und Dual-Use-Güter für den Krieg in der Ukraine, unterstützen die Umgehung westlicher Sanktionen und leisten diplomatische Schützenhilfe auf dem internationalen Parkett.
Russland führt einen kolonialen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. Allerdings ist es den russischen Invasionstruppen nicht gelungen, wie geplant, die Ukraine innerhalb weniger Tage zu erobern und zu unterwerfen. Mittlerweile setzt Russland auf einen langfristigen Abnutzungskrieg und hat seine Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umgestellt. Offenkundig geht das Putin-Regime davon aus, den Krieg länger durchhalten zu können als die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer. Um die vermeintliche Kriegsmüdigkeit im Westen zu verstärken, greift das Putin-Regime im Zusammenspiel mit seinen Verbündeten auf bewährte Mittel der hybriden Kriegsführung zurück, vor allem Desinformationskampagnen, Propaganda, Cyberangriffe, wirtschaftlichen Druck und irreguläre Migration. In den vergangenen Monaten ist zudem ein weiteres Phänomen zu beobachten: Weltweit werden von der Achse der Autokratien, aktuell besonders Russland und Iran, durch das Anheizen von Konflikten immer neue Fronten geschaffen. Sie richten sich gezielt gegen die USA und ihre Bündnispartner. Dafür müssen sie nicht einmal alle Krisen selbst auslösen, denn vor allem „die russische Führung versteht es meisterhaft, bestehendes Chaos, bereits existierende Unsicherheit zu nutzen, um ihre Gegner – also Europa und die USA – zu schwächen." Ihre Stellvertreter, die diese Fronten eröffnen, haben bei der Konflikteskalation eine hohe, meist vollständige Autonomie. Sie handeln nicht aus altruistischen Motiven, sondern verfolgen mit der Konflikteskalation in ihrem unmittelbaren Wirkungsbereich immer klare eigene Interessen und Ziele, die für sie zweifellos im Vordergrund stehen.
Dieser Beitrag befasst sich mit der Strategie Russlands und seiner Verbündeten, auf fast allen Kontinenten Konflikte koordiniert und opportunistisch zu eskalieren, um die liberale Weltordnung weiter zu unterminieren und die westlichen Staaten, allen voran die USA, durch Mehrfrontendruck globalpolitisch zu überfordern und strategisch zu schwächen. Offenbar scheinen die Strategen in Moskau darauf zu setzen, dass die westliche Aufmerksamkeit und Unterstützung für die Ukraine nachlassen werden, sobald der Westen nicht mehr in der Lage ist, die multiplen Krisen, Konflikte und Kriege, die von der Achse der Autokratien geschürt werden, in den Griff zu bekommen. Der Beitrag widmet sich sowohl den globalen Brennpunkten, die in den zurückliegenden Monaten im Rahmen dieser Strategie angeheizt wurden, als auch jenen, die schon bald angeheizt werden könnten.
Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine sind zahlreiche Konflikte weltweit eskaliert. Einige sind national, andere transnational oder international. In vielen Konflikten spielen nicht-staatliche Akteure eine wichtige Rolle, von Drogenkartellen bis Söldnertruppen. Häufig sind Großmächte oder Regionalmächte direkt oder indirekt involviert. Das International Institute for Strategic Studies hat vor Kurzem seinen jährlichen Bericht „The Armed Conflict Survey" für das Jahr 2023 veröffentlicht. Darin werden 137 aktive Konflikte gelistet, der höchste Wert seit Ende des Kalten Krieges. Die Autoren benennen zwei wesentliche Faktoren für die stetig wachsende Zahl von Konflikten: zum einen die zunehmende Beteiligung nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen an nationalen und internationalen Auseinandersetzungen, zum anderen die Zunahme von „Proxy Wars" im Systemkonflikt zwischen Autokratien und Demokratien. Bei den Stellvertreterkriegen besteht allerdings ein wesentlicher Unterschied zu jenen des Kalten Krieges: „Proxy wars are not just for great powers anymore."
Es ist kein Zufall, dass im Zuge der russischen Invasion in der Ukraine viele Konflikte weltweit eskalieren, die bislang eingehegt oder eingefroren waren. Einige Akteure sehen jetzt eine Chance, während die Großmächte anderweitig gebunden sind, diesen Vorteil für sich zu nutzen. Das anschaulichste Beispiel dafür ist die Eroberung Bergkarabachs durch Aserbaidschan mit türkischer Rückendeckung im September 2023. Armeniens bisherige Schutzmacht Russland, die im zweiten Karabach-Krieg 2020 einen Waffenstillstand vermittelt und Friedenstruppen in die Region entsandt hatte, konnte und wollte dieses Mal nicht eingreifen.
Zugenommen haben auch die Stellvertreterkonflikte und -kriege zwischen der westlichen Allianz und der Achse der Autokratien, denen sich dieser Beitrag widmet. Die treibenden Kräfte dahinter sind gegenwärtig vor allem Russland und der Iran, während die Brandstiftungen überwiegend von assoziierten Staaten und nicht-staatlichen Akteuren wie paramilitärischen Milizen, Separatisten, Söldnern oder Terrorgruppen ausgeführt werden. Wie umfangreich sich die Beteiligten dabei untereinander koordinieren, lässt sich anhand öffentlich zugänglicher Quellen kaum, meist gar nicht nachvollziehen. Aber dass sie es tun und ihre Kräfte bündeln, ist offenkundig. „Plausible deniability" und „implausible deniability" sind immanent für diese Art der Kriegsführung in der Grauzone. Was alle Beteiligten jenseits ihrer Partikularinteressen eint, ist ein gemeinsames Ziel. Wenige Tage nach dem grausamen Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023, das den Gaza-Krieg auslöste und den Nahost-Konflikt anheizte, titelte der Tagesspiegel prägnant: „Iran und Russland wollen den Westen zermürben: Dieser Flächenbrand hat System." Genau darum geht es. Nachfolgend findet sich eine Aufstellung und Analyse der Konflikte, die seit Februar 2022 unter diesen Prämissen eskaliert wurden.
Serbien pflegt seit Langem freundschaftliche Beziehungen zu Russland, in jüngerer Zeit auch zu China. Das Verhältnis zu Russland spielt dabei eine besondere Rolle und wird in der Propaganda gerne als jahrhundertelange Tradition der slawischen Brüdernationen dargestellt, was bei der serbischen Bevölkerung mehrheitlich verfängt, auch wenn das nicht den historischen Tatsachen entspricht. Was Russland und Serbien seit den 1990er-Jahren enger zusammengeschweißt hat, sind ähnliche Entwicklungen und Mentalitäten:
- Beide Staaten erreichten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die größte Ausdehnung ihres kontinentalen Kolonialreiches, Russland im Rahmen der Sowjetunion mit ihren osteuropäischen Satellitenstaaten und Serbien im Rahmen der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, anfangs noch mit dem Satellitenstaat Albanien (bis 1948).
- Beide Staaten verloren größere Teile ihres Kolonialreiches nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Dabei gibt es einen wichtigen Unterschied: Während sich die Auflösung der Sowjetunion weitgehend friedlich vollzog, zerfiel Jugoslawien infolge blutiger Bürgerkriege, die nur durch NATO-Interventionen beendet werden konnten.
- Die Eliten und die Bevölkerung in beiden Staaten sind großenteils anti-westlich eingestellt und von einer revisionistisch-imperialistischen Mentalität geprägt.
- Beide Staaten wollen die verlorengegangenen Gebiete zurückholen und setzen dabei sowohl auf hybride als auch kinetische Kriegsführung, die viel Leid und Zerstörung verursacht, aber gemessen an ihren Zielsetzungen bislang weitgehend erfolglos war.
Seit dem Ende der Balkankriege um die letzte Jahrhundertwende kam es immer wieder zu Spannungen und Gewaltausbrüchen in den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens, was zum einen mit der ungelösten albanischen Frage, zum anderen mit dem imperial-nationalistischen Revisionismus Serbiens und der serbischen Minderheiten in der Region zu tun hat. Dieser Zustand hält unvermindert an. Russland weiß diese Situation für seine Interessen zu nutzen, ebenso seine Einflussmöglichkeiten auf die serbischen Eliten und die serbische Bevölkerung.
Auffällig war, dass parallel zum Aufmarsch der russischen Invasionstruppen entlang der russisch-ukrainischen und belarus-ukrainischen Grenze ab Spätherbst 2021 die Spannungen auf dem Balkan erheblich zunahmen. Das war kein Zufall. Im Fokus stand dabei Bosnien-Herzegowina, das seit 1995 territorial-ethnisch in zwei Landesteile gegliedert ist: zum einen die bosnisch-kroatische Föderation von Bosnien und Herzegowina, zum anderen die serbisch dominierte Republika Srpska. Federführend für die kontinuierliche Eskalation war der bosnische Serbenführer Milorad Dodik, „[Russia's] nationalist proxy" im Föderalstaat, flankiert vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. Beide schürten massiv den serbischen Nationalismus und Separatismus, nicht nur in Bosnien-Herzegowina, sondern auch bei den serbischen Minderheiten in Kosova und Montenegro. Viele internationale Beobachter waren beunruhigt, denn Russland hatte sowohl die serbischen Streitkräfte als auch die bosnisch-serbischen Paramilitärs sukzessiv über mehrere Jahre aufgerüstet. Im Oktober 2021 rief der serbische Innenminister Aleksandar Vulin dazu auf, dass sich alle Serben unter Belgrads Führung zur „serbischen Welt" vereinigen sollten. Zwei Monate später votierte das Parlament der Republika Srpska für den Rückzug aus den wichtigsten Institutionen des Landes, einschließlich der Armee. All das erinnerte an russische Vorgehensweisen im postsowjetischen Raum und weckte Ängste vor einer neuen militärischen Eskalation auf dem Balkan, was die Aufmerksamkeit der NATO-Staaten wieder stärker auf diese Region lenkte – und sie ganz offensichtlich vom russischen Aufmarsch entlang der ukrainischen Grenze ablenken sollte.
Graph: Der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der bosnische Serbenführer Milorad Dodik
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Nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine hielten die Spannungen im Westbalkan unvermindert an. Aus unterschiedlichen Anlässen kommt es in der Region immer wieder zu politischen Eskalationen und Gewaltausbrüchen, vor allem in Bosnien-Herzegowina und im serbischen Teil der Republik Kosova. Russland hat kein Interesse an einer Lösung der Konflikte, weil dann die Westbalkan-Staaten, die noch kein Mitglied der EU oder der NATO sind, ins westliche Bündnis integriert werden könnten. In Bezug auf den Ukraine-Krieg verhält sich Serbien übrigens ambivalent: Die Regierung hält einerseits an ihrer pro-russischen Haltung fest, unterstützt die Verbreitung pro-russischer Kriegspropaganda und hat sich den Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen, andererseits stimmte Serbien in der UN-Generalversammlung für eine Verurteilung der russischen Invasion und Vučić äußerte im Januar 2023, dass für ihn der Donbas und die Krim zur Ukraine gehörten.
In jüngster Zeit nimmt die Intensität der Konflikte im Westbalkan wieder zu. Russland schürt die Auseinandersetzungen gezielt durch politische Einmischung, Desinformationskampagnen und Propaganda. Seit Herbst 2023 ist erneut die Republik Kosova in den Fokus gerückt. Ende September kam es im Norden des Landes zu Feuergefechten zwischen kosovarischen Sicherheitskräften und serbischen Paramilitärs, bei denen ein kosovarischer Polizist und drei serbische Angreifer starben. Serbiens Präsident Vučić wies jede Verantwortung für den Vorfall von sich, bezeichnete die getöteten Paramilitärs als Opfer kosovo-albanischen Terrors und verstärkte deutlich die Militärpräsenz an der Grenze zu Kosova. Von Russland und China bekam Serbien sowohl diplomatische Rückendeckung als auch propagandistische Unterstützung – und neue Waffenlieferungen für seine Streitkräfte. Damit heizten sie den Konflikt gezielt an. Zwar zog Serbien nach deutlichen amerikanischen Warnungen seine Truppen wieder aus dem kosovarisch-serbischen Grenzgebiet zurück, aber in Kosova wächst die Sorge vor einem neuen Krieg. Die NATO-Staaten sicherten Kosova ihre Unterstützung zu. Sie versuchen weiterhin, die Krise diplomatisch zu entschärfen. Als klares Signal an die Regierung in Belgrad verstärkt die NATO derzeit ihre KFOR-Truppenkontingente.
Eine militärische Eskalation des Kosova-Konflikts ist in naher Zukunft nicht wahrscheinlich, weil Serbiens Streitkräfte dann auf sich allein gestellt und einer militärischen Auseinandersetzung mit der NATO nicht gewachsen wären. Vučić hegt die Hoffnung auf eine zukünftige Eroberung Kosovas zu einem Zeitpunkt, an dem die weltpolitische Lage für Serbien ähnlich günstig sein wird wie im letzten Jahr für die militärische Annexion Bergkarabachs durch Aserbaidschan. Bis dahin besteht jedoch die Gefahr, dass von Serbien ausgerüstete Paramilitärs mit terroristischen Angriffen versuchen, die Sicherheitslage in Kosova weiter zu destabilisieren. Diese Volatilität ist ganz im Sinne des Putin-Regimes, denn so bleibt der Westen auf absehbare Zeit an dieser Front in der globalen Auseinandersetzung mit der Achse der Autokratien stärker gefordert, Russlands regionale Interessen bleiben gewahrt, und es muss dafür selbst keinen größeren Aufwand betreiben. Außerdem stehen die Ressourcen, die von der westlichen Allianz zur Einhegung des Konflikts eingesetzt werden müssen, nicht für die Unterstützung der Ukraine zur Verfügung.
Am 7. Oktober 2023 – Putins 71. Geburtstag – drangen Hunderte bewaffnete islamistische Terroristen unter Führung der Hamas aus dem Gazastreifen in den Süden Israels ein. Sie richteten ein furchtbares Massaker unter israelischen Zivilisten an. Die Terrorkommandos ermordeten annähernd 1.200 Menschen und verschleppten rund 240 weitere als Geiseln in den Gazastreifen. Welche Ziele verfolgte die Hamas mit diesem massiven Terrorangriff? Offensichtlich wollte sie Israel demütigen, die Friedensverhandlungen zwischen Israel und Saudi-Arabien torpedieren, ihren Anspruch als Führungsmacht der Palästinenser untermauern und den Nahost-Konflikt eskalieren.
Graph: Schäden an einem Kibbutz in Israel verursacht durch Hamas am 7.10.2023
Israel reagierte hart und entschlossen: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief den Kriegszustand aus und berief 300.000 Reservisten ein. Nur wenige Tage nach dem Terrorangriff riegelte Israel den Gazastreifen ab und die israelische Luftwaffe begann mit der gezielten Bombardierung der dortigen Hamas-Infrastruktur. Ende Oktober folgte die Bodenoffensive der israelischen Armee, die bis heute andauert. „Die Hamas muss zerstört werden, der Gazastreifen muss entmilitarisiert und die palästinensische Gesellschaft muss entradikalisiert werden", setzte Netanjahu als Ziel der Militäroperation. „Dies sind die drei Voraussetzungen für einen Frieden zwischen Israel und seinen palästinensischen Nachbarn im Gazastreifen."
Den Hamas-Angriff ermöglicht haben der Iran und Russland, flankiert von Nordkorea. Für das Mullah-Regime ist Israel der Erzfeind, dem es regelmäßig mit Vernichtung droht. Schon lange gilt die Islamische Republik Iran für die US-Regierung als der wichtigste Förderer von Terrorismus, der eine Vielzahl von terroristischen und anderen illegalen Aktivitäten in der ganzen Welt unterstützt. Über viele Jahre hat der Iran systematisch ein Netzwerk von anti-israelischen und anti-westlichen Terrorgruppen im arabischen Raum aufgebaut, ausgerüstet, trainiert und finanziert. Die meisten haben ein relativ hohes Maß an Autonomie bezüglich Strategie und Taktik. Dazu zählen nicht nur schiitische Organisationen wie die Hisbollah und die Huthi, sondern auch sunnitische Vereinigungen wie die Hamas und der Islamische Jihad. Sie alle verüben immer wieder Angriffe und Anschläge auf Israel und seine Verbündeten in der Region. Kurz nach dem Massaker vom 7. Oktober erklärten hochrangige Mitglieder der Hamas nach Angaben des Wall Street Journal, dass die iranischen Revolutionsgarden sie nicht nur bei dessen Planung und Vorbereitung unterstützt, sondern ihr einige Tage zuvor auch grünes Licht zur Ausführung gegeben hätten. Der Iran wies diese Darstellung umgehend zurück, ebenso wie die Hamas-Führung. US-Außenminister Anthony Blinken sagte: „We have not yet seen evidence that Iran directed or was behind this particular attack, but there is certainly a long relationship." Zwar belegen Dokumente der Hamas, die Israels Streitkräfte sichergestellt und veröffentlicht haben, wie umfangreich die Unterstützung des Iran für die Terrorgruppe war, aber bislang fehlen Beweise dafür, ob das Mullah-Regime unmittelbar in die Vorbereitung des Massakers involviert gewesen ist oder es zumindest gebilligt hat. Ein typisches Beispiel für „plausible deniability."
Graph: Besuch einer Hamas-Delegation im Kreml am 13.9.2022
Russland engagiert sich unter Putins Führung wieder stärker im Nahen Osten, der über Jahrhunderte eine wichtige Rolle in der zaristischen und sowjetischen Außenpolitik spielte. Hervorzuheben ist besonders der russische Militäreinsatz im syrischen Bürgerkrieg ab September 2015, der im Zusammenspiel mit zehntausenden Kämpfern der libanesischen Hisbollah und der iranischen Quds-Brigade die Herrschaft des Assad-Regimes in Syrien sicherte. Über viele Jahre spielte Russland im Nahen Osten ein doppeltes Spiel: Einerseits engagierte es sich im Kampf gegen islamistische Terroristen, wenngleich es unter diesem Deckmantel primär gegen die syrische Opposition zu Felde zog, und verbesserte seine Beziehungen zu Israel. Andererseits pflegte es gute Verbindungen zu ausgewählten islamistischen Terrorgruppen wie der Hamas und unterstützte israelfeindliche Regime in der Region, etwa in Syrien und im Iran.
Nach der russischen Invasion in die Ukraine haben sich die Prioritäten verschoben. Jetzt setzt der Kreml vor allem auf die Waffenbrüderschaft mit dem Iran, der ihm dringend benötigtes Kriegsgerät, besonders Kamikaze-Drohnen, liefert. Im Gegenzug unterstützt Russland das Mullah-Regime in seinem Kampf um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Dabei kommt der Hamas eine Schlüsselrolle zu. Die Beziehungen reichen weit zurück: Im März 2006, kurz nach ihrer Machtübernahme im Gazastreifen, reisten Vertreter der Hamas-Führung erstmals nach Moskau. Seitdem pflegt die russische Regierung einen regelmäßigen Austausch mit der islamistischen Bewegung, die keine Hemmungen hat, Terror als Mittel des Kampfes zur Zerstörung Israels einzusetzen. Moskau hat die Hamas nachweislich politisch, propagandistisch, finanziell und logistisch unterstützt. Direkte Waffenverkäufe sind bislang nicht belegt, aber im Arsenal der Hamas befinden sich neben Waffen aus chinesischer, iranischer und nordkoreanischer auch zahlreiche aus russischer Produktion. Es gibt aber – wie immer bei Operationen in der Grauzone – keine konkreten Beweise, dass Russland direkt in die Vorbereitung des Massakers vom 7. Oktober 2023 involviert gewesen ist. Allerdings gibt es dafür einige Indikatoren – von Finanztransaktionen über Trainings für Hamas-Kämpfer durch Wagner-Söldner bis hin zu Hinweisen auf verdeckte Waffenlieferungen. Diese hat Jonathan Winer in einer detaillierten Analyse für das Middle East Institute zusammengetragen. Auch das ist ein typisches Beispiel für „plausible deniability."
Nordkorea unterstützt palästinensische Terroristen bereits seit Mitte der 1960er-Jahre, vor allem mit Waffen, Geld und militärischer Ausbildung. Zu den Begünstigten zählt auch die Hamas. Das Kim-Regime hat der Terrorgruppe auf illegalen Wegen über viele Jahre tonnenweise Kriegsmaterial geliefert, ein umfangreiches Arsenal an Kleinwaffen, Raketen, Raketentechnologie, Sprengstoffen und Munition aller Art. Nordkoreanische Waffen sind nachweislich während des Massakers am 7. Oktober eingesetzt worden, das Gleiche gilt für den andauernden Gaza-Krieg. Für das chronisch klamme Kim-Regime sind die Waffenverkäufe ein einträgliches Geschäft, das in den vergangenen Monaten infolge des Ukraine-Krieges und der Eskalation im Nahen Osten deutlich zugelegt hat. Die wichtigsten Abnehmer sind Russland und der Iran. Es gibt keinerlei Hinweise, dass Nordkorea direkt an der Vorbereitung des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober beteiligt war. Allerdings bekundete der Vereinigte Generalstab der südkoreanischen Streitkräfte zehn Tage später, dass nach seiner Einschätzung der Anschlag sowohl direkte wie indirekte Verbindungen zwischen Hamas und Nordkorea habe erkennen lassen. Es habe Waffenlieferungen an die Hamas gegeben sowie einen Austausch über Taktiken, Doktrinen und Strategien. Nach Ansicht des Generalstabs hätte die Angriffstaktik der Hamas große Ähnlichkeiten mit asymmetrischen Angriffsverfahren gehabt, die er von Seiten Nordkoreas erwartet. Die Annahme liege daher nahe, dass Nordkorea der Hamas in verschiedener Hinsicht bei der Entwicklung von asymmetrischen Taktiken und Doktrinen geholfen habe. Außerdem hat Nordkorea – vermutlich flankiert von China – der Hamas beim Aufbau ihres umfangreichen Tunnelsystems im Gazastreifen geholfen, das als Rückgrat ihrer asymmetrischen Kriegsführung dient.
Seit Kurzem unterstützt Kim Jong-un die Kriegsführung Russlands und des Irans aktiv mit der Eröffnung einer neuen geopolitischen Front gegen die USA und ihre Verbündeten, indem er gezielt den Korea-Konflikt anheizt, worauf später noch eingegangen wird. Zweifellos steigt die Kriegsgefahr auf der koreanischen Halbinsel durch Kims erratisch-eskalierende Politik, aber es gibt gute Gründe für die Annahme, dass er selbst aktuell keinen Krieg führen will. Es könnte auch sein, dass er einfach nur seinen Freunden in Russland und im Iran helfen will, jene Kriege zu gewinnen, in die diese verwickelt sind. Aber auch das wäre eine Bedrohung für den Westen.
Unmittelbar nach dem Massaker der Hamas warnten viele Experten vor einem Flächenbrand im Nahen Osten. Tatsächlich gab es zahlreiche, auch tödliche Angriffe der Hisbollah und anderer pro-iranischer Terrorgruppen aus dem Libanon, dem Westjordanland, aus Syrien, dem Irak sowie dem Jemen auf Israel und US-Stützpunkte in der Region, die von den israelischen und amerikanischen Streitkräften mit gezielten Vergeltungsschlägen beantwortet wurden. Infolge der israelischen Militäroperation, deren Massivität die Hamas scheinbar unterschätzt hat, liegen große Teile des Gazastreifens in Trümmern, knapp zwei Millionen Palästinenser sind auf der Flucht und Tausende wurden verletzt oder getötet. Die Hamas ist militärisch stark geschwächt, will aber nicht aufgeben und hat noch immer Dutzende israelische Geiseln in ihrer Gewalt. Offenbar war die Hamas davon ausgegangen, dass die Hisbollah – die sie nach eigenen Angaben ebenso wie den Iran aus Geheimhaltungsgründen nicht in ihre Terrorpläne eingeweiht hatte – auf ihrer Seite in den Krieg eintreten und eine zweite Front im Norden Israels eröffnen würde. Bislang ist es dazu nicht gekommen, die Hisbollah beschränkt ihre Unterstützung auf Scharmützel an der Grenze und gelegentlichen Raketenbeschuss Israels. Ein Angriff der Hisbollah auf Israel konnte bislang verhindert werden dank dem robusten diplomatischen und militärischen Auftreten der Vereinigten Staaten. Letztlich liegt die Entscheidung, wie weit die Eskalation im Nahen Osten noch vorangetrieben wird, beim Mullah-Regime in Teheran. Allerdings hat auch Israel Eskalationspotenzial, falls es sich für einen Präventivkrieg gegen die Hisbollah entscheiden sollte.
Iran als der „eigentliche Regisseur" (Michael Wolffsohn) des Hamas-Angriffs, aber auch der Eskalationsdynamik in der gesamten Region, hat sich seit Jahren zielbewusst auf eine solche Lageentwicklung vorbereitet und dafür sein militantes Kämpfernetzwerk, die selbsternannte „Achse des Widerstands", strategisch in Stellung gebracht. Dieses Konglomerat, das von der Quds-Brigade der iranischen Revolutionsgarden geführt und koordiniert wird, ist letztlich eine militärische Allianz und verfügt noch über einiges Eskalationspotenzial.
Neben der palästinensischen Hamas sind bislang vor allem die jemenitischen Huthi-Rebellen hervorgetreten, eine von Iran trainierte und ausgerüstete schiitische Miliz. Im Rahmen des jemenitischen Bürgerkrieges von 2004 bis 2014, der seit März 2015 mit internationaler Beteiligung weitergeführt wird, eroberte sie die bevölkerungsreichen Gebiete im Westen des Landes einschließlich der Hauptstadt Sanaa, die sie bis heute beherrscht. Seit November 2023 greifen sie – wie zuletzt vor sieben Jahren – Handelsschiffe im Roten Meer und im Golf von Aden an, die auf dem Seeweg zwischen Asien, den Golfstaaten und Europa den Suezkanal passieren wollen – eine der wichtigsten internationalen Schifffahrtsrouten, über die rund 12 Prozent des globalen Seehandelsvolumens abgewickelt wird. Nach eigenen Angaben wollen die Huthi nur Schiffe angreifen, die einen Bezug zu Israel haben, und damit die Hamas im Gaza-Krieg unterstützen – ein geschickter Propagandazug. Den Auftakt machte die Entführung des britischen Autofrachters „Galaxy Leader", der am 19. November 2023 im Roten Meer von den Huthi-Rebellen per Helikopter geentert wurde und nun als „Touristenattraktion" im Hafen von Hodeida besichtigt werden kann. Seitdem sind Dutzende internationale Frachtschiffe von den Huthi mit ballistischen Anti-Schiffs-Raketen, Marschflugkörpern, Kamikaze-Drohnen und ferngelenkten Sprengbooten angegriffen worden. Unterstützt werden sie dabei von iranischen Aufklärungsschiffen, die den Huthi nachrichtendienstliche Informationen für gezielte Angriffe liefern. Derzeit wächst die Sorge, dass die Miliz auch Angriffe auf Unterwasser-Kommunikationskabel im Roten Meer verüben könnte, über die knapp ein Fünftel des globalen Datenverkehrs läuft. Ende Februar wurden vier dieser Kabel beschädigt – ob direkt von den Huthi oder indirekt durch den Anker des von ihnen versenkten Frachters „Rubymar" ist noch unklar.
Damit eröffneten die Huthi eine zweite Front im Gaza-Krieg, die spürbare Auswirkungen auf die globalen Handelsströme hat. Viele Reedereien meiden jetzt das gefährdete Seegebiet und leiten ihre Schiffe auf den deutlich längeren, aber sicheren Seeweg rund um das Kap der Guten Hoffnung. Das führt zu längeren Lieferzeiten und höheren Transportkosten für die betroffenen Waren. Wie groß die Auswirkungen des Huthi-Terrors sind, verdeutlicht der Einbruch des Transportvolumens für Container, die durch den Suezkanal befördert werden. Im Januar 2024 lag der Wert circa 80 Prozent unter dem Durchschnitt. Jüngst hat Ägypten die Huthi sogar aufgefordert, nur noch israelische Schiffe anzugreifen, weil die Einnahmen aus dem Suezkanal stark zurückgegangen sind, was den Staatshaushalt und die Wirtschaft des Landes belastet.
Zur Sicherung des Seeverkehrs gegen die Angriffe der Huthi bildete sich im Dezember 2023 eine Marinekoalition unter Führung der Vereinigten Staaten. Inzwischen haben sich der Operation „Prosperity Guardian" über zwanzig Länder angeschlossen. Sie wird von einem kleinen EU-Einsatzverband, dem auch die deutsche Fregatte „Hessen" angehört, im Rahmen der Operation „EUNAVFOR Aspides" flankiert. Den beteiligten Kriegsschiffen der US-geführten Koalition ist es gelungen, einige Angriffe der Huthi auf Frachtschiffe und eigene Kräfte abzuwehren. Zudem bombardieren die USA und ihre Verbündeten gezielt Stellungen und Waffenarsenale der Huthi im Jemen, was zu einer Verringerung der Angriffe besonders mit ballistischen Anti-Schiffs-Raketen geführt hat. Politisch jedoch stärken die alliierten Angriffe die Huthi und festigen ihre Machtbasis im Jemen. „Die Huthi haben nach einer Gelegenheit für eine Konfrontation mit den Vereinigten Staaten gesucht, weil sie ihren Anhängern seit Jahren erzählen, dass sie sich im Krieg mit den USA wie auch mit Israel befänden", sagt Hisham Al-Omeisy vom European Institute of Peace. „Nun müssen sie diese Behauptung bestätigen. In gewisser Weise ist das jetzt eine goldene Gelegenheit für sie, die sie darum auch nutzen wollen." Mittlerweile geht die US-Regierung von einem längerfristigen Einsatz gegen die Huthi aus, den Militärexperten kritisch sehen. Schon jetzt sei die U.S. Navy nicht ausreihend ausgestattet und global überdehnt. Zweifellos sei es ganz im Sinne der schiitischen Miliz und der Achse der Autokratien, dass sich die „U.S. Navy continuing to sink into Middle East sand for an unachievable goal all while losing ground in the far-more important Pacific."
Iran und Russland unterstützen die Hamas, die Huthi und alle anderen Milizen nach besten Kräften bei ihrer asymmetrischen Kriegsführung. Unabhängig davon, ob sie die Drahtzieher des Hamas-Angriffs waren, was sich derzeit zweifelsfrei weder belegen noch widerlegen lässt, oder sie diesen nur opportunistisch zu ihrem Vorteil nutzten, haben Iran und Russland nach dem 7. Oktober eine neue geopolitische Front gegen die USA und ihre Verbündeten eröffnet, um diese globalpolitisch noch stärker herauszufordern und strategisch zu schwächen. Zudem soll die westliche Allianz vom Ukraine-Krieg abgelenkt und Russland Vorteile auf dem Schlachtfeld verschafft werden, wenn die ohnehin knappen westlichen Rüstungsgüter und andere kriegswichtige Ressourcen nicht mehr vollumfänglich der Ukraine, sondern anteilig auch Israel zur Verfügung gestellt werden. Zum Kalkül gehörten sicher auch die massiven gesellschaftlichen Konflikte, die der Gaza-Krieg in vielen westlichen Staaten auslöste. Sie prägten dort über Wochen maßgeblich die innenpolitische Lage, angeheizt von russischer, iranischer und palästinensischer Propaganda, KI-Fakes und Desinformationskampagnen. Zudem nutzt der Iran die Konflikteskalation im Nahen Osten geschickt, um weitgehend unbeachtet sein Nuklearprogramm hochzufahren und den Bau von Atomwaffen weiter voranzutreiben.
Wie stark der Iran und sein militantes Kämpfernetzwerk den Konflikt im Nahen Osten noch ausweiten wollen, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer absehbar. Eine maximale Eskalation scheint jedoch nicht beabsichtigt zu sein. Nicht ohne Grund setzen die Akteure konsequent auf asymmetrische Kriegsführung. Für einen symmetrischen Krieg gegen die USA, Israel und ihre Verbündeten sind sie nicht stark genug. Um die oben genannten Ziele zu erreichen, ist das auch gar nicht notwendig.
Graph: Demonstration in Frankfurt gegen Israel im Februar 2024
Derzeit ist nicht davon auszugehen, dass die Intensität der asymmetrischen Angriffe in nächster Zeit abnehmen wird. Keiner der beteiligten Akteure hat ein Interesse daran, jetzt vermeintlich Schwäche zu zeigen und die westliche Allianz an dieser geopolitischen Front zu entlasten, ganz im Gegenteil. Weitere Eskalationen sind möglich, etwa zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel. Für die westliche Allianz hat der Kampf gegen die militanten Milizen aktuell Priorität. Gleichwohl darf nicht aus dem Blick geraten, dass das Mullah-Regime in Teheran im Hintergrund viele Fäden zieht.
Die Bolivarische Republik Venezuela ist ein integraler Bestandteil der Achse der Autokratien. In den vergangenen Jahren hat Präsident Nicolás Maduro, der sein Volk brutal unterdrückt, die Beziehungen zu anderen autokratischen Regimen weltweit ausgebaut und vertieft, vor allem zu Russland, China, Iran, Kuba und Nordkorea. Mittlerweile ist Venezuela in Lateinamerika die Zentralbasis für anti-westliche Aktivitäten.Seit der russischen Invasion in der Ukraine haben sich die Beziehungen zwischen Russland und Venezuela weiter gefestigt. Für Maduro war Putin in den schweren Krisen, die sein Regime seit 2014 erschütterten, stets ein verlässlicher Partner und wichtiger Verbündeter, der ihn kontinuierlich unterstützte.
Jetzt hat Maduro die Gelegenheit, sich bei Putin für die langjährige Unterstützung zu revanchieren. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat er sich immer wieder demonstrativ auf Putins Seite gestellt. Nach dem gescheiterten Wagner-Aufstand im Juni 2023 schickte Maduro ihm eine Solidaritätsbekundung. Venezuela sekundiert Russland auch diplomatisch und propagandistisch. Außerdem dient es als Plattform russischer Bot-Fabriken und ist Teil eines Geldwäschesystems, mit dem Russland versucht, internationale Sanktionen zu umgehen. Möglicherweise beliefert es auch die russischen Streitkräfte mit iranischen Kamikaze-Drohnen aus heimischer Produktion für den Ukraine-Krieg. Die wichtigste Unterstützung ist jedoch die neue geopolitische Front, die Maduro Ende Oktober 2023 eröffnet hat.
Graph: Maduro und Putin im Jahr 2019
Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besteht zwischen Venezuela und seinem östlichen Nachbarn Guyana ein Territorialstreit um die Region Essequibo, die seit dem Schiedsspruch einer Schlichtungskommission von 1899 zu Guyana gehört. Zu dieser Zeit war das „Land der vielen Wasser" noch eine britische Kolonie. Essequibo macht rund zwei Drittel des guyanischen Staatsgebietes aus, besteht überwiegend aus Regenwald, verfügt aber über viele Rohstoffe und große Offshore-Öl- und Gasvorkommen, die erst vor Kurzem entdeckt wurden und von einem ExxonMobil-geführten Konsortium erschlossen werden. Venezuela hat den Schiedsspruch von 1899 nie akzeptiert und immer wieder auf internationaler Ebene angefochten, manchmal flankiert von hybriden Angriffen, aber bislang ohne Erfolg. Der Karibikstaat beruft sich dabei auf ein Abkommen, das er im Februar 1966 mit Großbritannien geschlossen hat, wenige Wochen bevor Guyana seine Unabhängigkeit erlangte. In diesem Abkommen wurde eine Verhandlungslösung für den Disput vereinbart. Seit 2018 liegt der Fall auf Antrag Guyanas beim Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag. Venezuela erkennt jedoch die Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht an, und das Urteil steht noch aus.
Am 20. Oktober 2023 begann Maduro, den Territorialstreit mit Guyana bewusst zu eskalieren, indem er ein Referendum über die Annexion der Region Essequibo ankündigte. Weder die Vorgehensweise noch der Zeitpunkt waren ein Zufall. Mit der Konflikteskalation eröffnete Maduro gezielt eine neue geopolitische Front gegen die Vereinigten Staaten, noch dazu in ihrer eigenen Hemisphäre, für deren Einhegung sie nun wertvolle Ressourcen aufwenden müssen. Die Ankündigung, das Referendum abzuhalten, machte er genau zwei Wochen nach dem Hamas-Angriff auf Israel. Auch wenn es dafür bislang keine konkreten Beweise gibt – Stichwort „plausible deniability" –, so ist der kausale Zusammenhang doch unübersehbar. Venezuela pflegt enge Beziehungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde, hat bereits im Januar 2009 die palästinensische Staatlichkeit anerkannt, die Beziehungen mit Israel abgebrochen und sich in den vergangenen fünfzehn Jahren mehrfach solidarisch mit der Hamas gezeigt.
Zudem ist neben Russland der Iran seit Langem ein enger Partner und Verbündeter des chavistischen Venezuelas. Die beiden autoritär regierten Staaten pflegen enge politische, diplomatische, wirtschaftliche und militärische Beziehungen. Am Rande eines Staatsbesuchs in Teheran im Juni 2022 sagte Maduro, dass Venezuela der „Achse des Widerstands" angehöre, die er jedoch umfangreicher definierte als das von der iranischen Quds-Brigade koordinierte Kämpfernetzwerk im Nahen Osten. Für ihn gehören alle Akteure dazu, die weltweit, besonders in Asien, Afrika, Lateinamerika und der Karibik, gegen Kolonialismus und westliche Hegemonie kämpfen. Vor dem Hintergrund seiner provokanten Eskalationspolitik in der Essequibo-Frage, die er supplementär zum Ukraine- und Gaza-Krieg vorantreibt, erscheint diese Aussage rückblickend als unverhohlene Drohung an die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten.
Zweifellos spielen für Maduro auch innenpolitische Gründe eine Rolle bei der Konflikteskalation. Das ölreiche Land befindet sich seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise und die Opposition gewinnt trotz massiver Repression immer mehr an Zulauf. Innenpolitisch beabsichtigt Maduro daher mit der Verschärfung des Territorialstreits, die chavistische Basis für den anstehenden Präsidentschaftswahlkampf zu mobilisieren. Seine weitere Vorgehensweise weckt düstere Erinnerungen an Putins Playbook bei der Annexion der Krim im Frühjahr 2014 und der vier ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja im Herbst 2022.
Am 3. Dezember 2023 ließ Maduro die Bevölkerung Venezuelas darüber abstimmen, ob sie die Gründung eines neuen venezolanischen Bundesstaates Guayana Esequiba unterstützt und der dort ansässigen Bevölkerung die venezolanische Staatsbürgerschaft gewährt werden soll. Im Vorfeld gab es internationale Bemühungen, Maduro davon abzuhalten, die Volksabstimmung tatsächlich durchzuführen. Für die guyanische Regierung war das Referendum eine „existentielle Bedrohung." Sie lud Ende November eine Delegation des US-Verteidigungsministeriums nach Georgetown ein, um über die Möglichkeit zu sprechen, dass Guyana mit Unterstützung der Vereinigten Staaten Militärstützpunkte in der rohstoffreichen, dünn besiedelten und noch wenig erschlossenen Region Essequibo errichtet. Außerdem beantragte Guyana beim Internationalen Gerichtshof die Unterbindung des Referendums. Damit hatte sie Erfolg. Die Richter wiesen Venezuela an, „jede Handlung zu unterlassen, die die gegenwärtige Lage in dem strittigen Gebiet ändern würde." Auch Brasilien war besorgt und erhöhte die Militärpräsenz an den Grenzen zu Venezuela und Guyana. Maduro ließ sich davon nicht beeindrucken. Kurz vor der Abstimmung veranlasste er größere Truppenbewegungen, die befürchten ließen, dass Venezuela einen baldigen Angriff auf Guyana vorbereitet. Das Ergebnis des konsultativen Referendums war keine Überraschung: Nach offiziellen Angaben erhielt die venezolanische Regierung mit über 96 Prozent Zustimmung das von ihr gewünschte Annexionsmandat. Allerdings war die Wahlbeteiligung gering und das Wahlergebnis wurde gefälscht.
Wenige Tage später präsentierte Maduro öffentlichkeitswirksam eine neue Karte Venezuelas einschließlich des Bundesstaates Guayana Esequiba, für dessen formelle Annexion er jetzt ein Gesetz ausarbeiten lässt. Per Präsidialdekret verfügte er die Schaffung einer „Hohen Kommission zur Verteidigung von Guayana Esequiba." Zudem wies er die nationale Erdölgesellschaft Petróleos de Venezuela S.A. (PdVSA) an, umgehend mit der Ölförderung in der Region zu beginnen.
Aus Sorge vor einer militärischen Eskalation, der Guyanas kleine Armee nicht gewachsen wäre, bemühte sich die guyanische Regierung um internationale Unterstützung. Wichtigster Sicherheitspartner sind die Vereinigten Staaten, die mit Manövern ihrer Luftwaffe demonstrativ Präsenz im guyanischen Luftraum zeigten. Auf Initiative Guyanas befasste sich der UN-Sicherheitsrat, dem das Land derzeit als nichtständiges Mitglied angehört, in einer Sondersitzung mit dem Konflikt, ohne jedoch unmittelbare Maßnahmen zu ergreifen. Mitte Dezember kam es schließlich zu einem Treffen zwischen Maduro und seinem guyanischen Amtskollegen Irfaan Ali in St. Vincent und den Grenadinen, wo beide vereinbarten, den Konflikt gewaltfrei lösen zu wollen. Welchen Wert diese Vereinbarung hat, wird sich noch zeigen müssen. Allerdings ist Maduro offenkundig nicht daran interessiert, den von ihm geschürten Konflikt ernsthaft zu deeskalieren. Jedenfalls ließ er im Februar 2024 weitere Truppen in das Grenzgebiet zu Guyana verlegen und eine Militärbasis auf der Anacoco-Insel im Grenzfluss Cuyuni ausbauen.
Tatsächlich ist keine ernsthafte Deeskalation des Konfliktes zu erwarten. Im Gegenteil: Wahrscheinlicher ist ein permanentes Wechselspiel Venezuelas von Eskalation und Mäßigung. Dafür gibt es mehrere Gründe. Innenpolitisch hat Maduro seine Ziele noch nicht erreicht. Mit der bisherigen Annexionspolitik hat er die chavistische Basis im Hinblick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen nur unzureichend mobilisieren können. Außenpolitisch hingegen hat er einige Erfolge vorzuweisen: Mit der Konflikteskalation nach russischem Vorbild hat er erfolgreich eine neue geopolitische Front gegen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten eröffnet. Schon jetzt sind die USA gezwungen, ihr militärisches und diplomatisches Engagement zur Unterstützung Guyanas zu erhöhen, allein schon um die großen Offshore-Öl- und Gasvorkommen vor der Küste Essequibos zu schützen. Auch die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien verstärkt ihr Engagement in der Region und hat vor Kurzem ein Kriegsschiff in die guyanischen Gewässer entsendet. Wie ernst die US-Regierung die venezolanische Bedrohung nimmt, zeigt sich daran, dass sie ihre dringende Militärhilfe für Guyana erhöht und dem Land ihre Unterstützung zugesagt hat. Guyana soll neue Militärflugzeuge, -hubschrauber und -drohnen sowie erstmals Radartechnologie erhalten. Maduro wird auch weiterhin dafür sorgen, dass die USA seine Annexionspläne ernst nehmen. Trotz alledem ist es derzeit unwahrscheinlich, dass Venezuela schon bald einen umfassenden Angriffskrieg zur Eroberung der Region Essequibo beginnt. Ein solcher Feldzug wäre im unwegsamen Regenwald schwer zu führen und würde ziemlich sicher in eine direkte militärische Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten münden, der das venezolanische Militär nicht gewachsen wäre. Allerdings muss sich Guyana auf weitere Provokationen, hybride und terroristische Angriffe sowie kleinere Grenzgefechte einstellen, denn Maduro hat auch unterhalb der Schwelle eines kinetischen Krieges noch einiges Eskalationspotenzial.
Die Volksrepublik China verfolgt seit Jahrzehnten eine territoriale Expansionspolitik auf Kosten seiner Nachbarn im Südchinesischen Meer. Vordergründig geht es dabei um Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen, die zweifellos eine wichtige Rolle spielen. Letztlich jedoch geht es China um eine Ausweitung seiner Macht- und Einflusssphäre. Die chinesische Regierung beansprucht ein etwa drei Millionen Quadratkilometer großes Seegebiet, das wichtige Schifffahrtsstraßen, Öl- und Gasvorkommen, reiche Fischgründe, und zahlreiche Inseln, Felsen und trockenfallende Erhebungen umfasst. Seit 1952 markiert die Volksrepublik das von ihr beanspruchte Seegebiet auf offiziellen Karten, seit 2012 auch in Reisepässen mit einer „Neun-Striche-Linie", die im August 2023 um einen zehnten „Strich" östlich von Taiwan ergänzt wurde. Damit erhebt sie Anspruch nicht nur auf Taiwan, sondern auch auf internationale Gewässer und Teile der ausschließlichen Wirtschaftszonen Bruneis, Indonesiens, Malaysias, der Philippen und Vietnams. Offiziell begründet die chinesische Regierung ihre Forderungen mit angeblich historischen Ansprüchen, die Jahrhunderte zurückliegen.
Nachdem in den 1960er-Jahren größere Ölvorkommen im Südchinesischen Meer entdeckt worden waren, begann die Volksrepublik mit der gewaltsamen Durchsetzung ihrer dortigen Ansprüche. Zwischen 1974 und 1995 eroberten chinesische Seestreitkräfte mehrere Inseln im Paracel- und Spratly-Archipel von Vietnam und den Philippinen. Nach einer kurzen Phase der Entspannung, in der China und die ASEAN-Staaten im November 2002 eine unverbindliche Erklärung zum Verhalten der Parteien im Südchinesischen Meer unterzeichneten, setzt die Volksrepublik seit 2011 wieder stärker auf ein aggressives und gewaltsames Vorgehen zur Durchsetzung ihrer territorialen Ansprüche. Dabei greift sie auf Methoden der hybriden Kriegsführung zurück. Das schließt Zwangsmaßnahmen unter Beteiligung von Schiffen der paramilitärisch organisierten Küstenwache und Fischereimiliz ein, die oft größer und besser bewaffnet sind als viele Kriegsschiffe der ASEAN-Staaten, in manchen Fällen unter Beteiligung chinesischer Marineeinheiten. Ihr taktisches Vorgehen besteht darin, die südostasiatischen Länder kontinuierlich durch militante Störmanöver an der Nutzung der natürlichen Ressourcen in den von China beanspruchten Seegebieten zu hindern. Abgesehen von gelegentlichen Warnschüssen verzichtet China dabei bislang auf den Einsatz von Waffengewalt, die es zuletzt Mitte Januar 1996 gegen ein Patrouillenboot der philippinischen Marine anwendete, und setzt konsequent auf Grauzonen-Operationen, aber das kann sich jederzeit ändern.
Graph: Das von China zu einem Militärstützpunkt ausgebaute Fiery-Cross-Riff im Bereich der Spratley Inseln
Seit September 2013 hat die Volksrepublik mehr als ein Dutzend der von ihr besetzten Inseln, Felsen und trockenfallenden Erhebungen im Paracel- und Spratly-Archipel zu soliden Militärstützpunkten ausgebaut. Auch einige ASEAN-Staaten haben ihre Militärpräsenz im Südchinesischen Meer erhöht. Allerdings hat nur China dafür großflächige Landaufschüttungen vorgenommen, insgesamt über 3.200 Hektar, und eine umfangreiche militärische Infrastruktur errichtet, die unter anderem Flugplätze, Tiefseehäfen, Raketensilos, Geschützstellungen, Radarstationen, nachrichtendienstliche Einrichtungen, ein Krankenhaus und Baracken umfasst. Inzwischen sind die chinesischen Militärstützpunkte auf den Spratly-Inseln in der Lage, militärische Operationen im Südchinesischen Meer zu unterstützen, auch unter Einsatz hochtechnologischer Waffensysteme. Im März 2015 bezeichnete der Kommandeur der US-Pazifikflotte, Admiral Harry Harris Jr., die neue Stützpunktkette treffend als Große Mauer aus Sand. Damit sichert China sein im Südchinesischen Meer bislang erobertes Territorium, baut seine Machtstellung aus und schafft weit vorgeschobene Vorposten zur Sicherung seiner Südflanke, besonders der strategisch wichtigen Atom-U-Boot-Basis auf der Insel Hainan.
Von Chinas aggressiver Interessenpolitik sind zwar alle Anrainer der Konfliktregion betroffen, aber nicht alle gleichermaßen. Neben Vietnam sind vorrangig die Philippinen beeinträchtigt. Als einziger Anrainer haben sie in den vergangenen Jahren Territorium an die Volksrepublik verloren: Im Frühjahr 2012 besetzte die chinesische Fischereimiliz das Scarborough-Riff rund 250 Kilometer westlich von Luzon. Vier Jahre später urteilte der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen, dass China keine Rechtsgrundlage für seine Hoheitsansprüche im Südchinesischen Meer hat und mit seinem Vorgehen gegen die UN-Seerechtskonvention verstößt. Allerdings ignoriert die Volksrepublik dieses Urteil. Sie hat auch keine der völkerrechtswidrig besetzten Gebiete im Südchinesischen Meer geräumt, womit sie demonstrativ gegen internationales Recht verstößt – und womöglich ein Beispiel für zukünftiges Handeln in regionalen Konflikten schafft, analog zum russischen Vorgehen im postsowjetischen Raum.
Es ist kein Zufall, dass China besonders die Philippinen ins Visier nimmt. Von allen Anrainern im Südchinesischen Meer sind sie der militärisch und wirtschaftlich schwächste Akteur. Zudem haben sie eine besonders enge Bindung an die Vereinigten Staaten, mit denen sie im August 1951 den weiterhin gültigen Vertrag über gegenseitige Verteidigung schlossen. Aus chinesischer Sicht ist damit jede erfolgreiche Territorial- und Machtausweitung auf Kosten der Philippinen auch ein kleiner Sieg im Hegemonialkonflikt mit den USA.
Während der Präsidentschaft von Rodrigo Duterte (2016–2022) näherten sich die Philippinen zeitweise an China und Russland an, was jedoch den bilateralen Konflikt im Südchinesischen Meer nicht entschärfte. Sein Amtsnachfolger Ferdinand Marcos Jr., der seit Juli 2022 regiert, setzt hingegen konsequent auf die Allianz mit den Vereinigten Staaten. Anfang Februar 2023 gewährte er den US-Streitkräften eine umfangreichere Nutzung von vier zusätzlichen Militärstützpunkten, von denen sich, wie einige Wochen später bekannt wurde, drei im Norden Luzons und einer nahe der umstrittenen Spratly-Inseln befindet. Für China ist das zweifellos ein Problem, denn das schwächt seine militärstrategische Stellung im Südchinesischen Meer, vor allem hinsichtlich einer möglichen Invasion Taiwans. Allerdings bleibt Chinas Militärpräsenz weiterhin so dominant, dass die USA im Fall eines Krieges wohl keine andere Wahl hätten als dieses Randmeer aufzugeben.
Seit Februar 2023 eskaliert China kontinuierlich den Konflikt mit den Philippinen im Südchinesischen Meer und schafft damit zugleich eine neue geopolitische Front gegen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten. Die Konfrontationen konzentrieren sich dabei auf zwei philippinische Militärstützpunkte im Spratly-Archipel sowie die Fischgründe um das chinesisch besetzte Scarborough-Riff. Unter robustem Einsatz seiner paramilitärischen Küstenwache und Fischereimiliz behindert China immer wieder den Nachschub für die philippinischen Soldaten, die auf einem rostigen Schiffswrack auf der Second-Thomas-Untiefe ausharren. Sie verhindern dort und anderswo in der Region den Ausbau philippinischer Stützpunkte, umschwärmen die philippinische Garnison auf der Tithu-Insel zur Einschüchterung mit Dutzenden Einheiten, und haben schon mehrfach große Netzsperren um das Scarborough-Riff gelegt. Bei der philippinischen Regierung wächst die Sorge, dass China schon bald die Second-Thomas-Untiefe besetzen könnte. Um die Volksrepublik von einer solchen und anderen gewaltsamen Grauzonen-Operationen abzuschrecken, vereinbarten die Philippinen und die Vereinigten Staaten im Mai 2023 neue Richtlinien zum Vertrag über gegenseitige Verteidigung. Jetzt greift dieser ausdrücklich auch bei Angriffen „anywhere in the South China Sea, on either Philippine or U.S. armed forces – which includes both nations' Coast Guards – aircraft, or public vessels." In den vergangenen Monaten haben die USA und die Philippinen, teils unter Beteiligung Australiens und Japans, auch mehrere gemeinsame Marineübungen in dem umstrittenen Seegebiet absolviert.
Zwar hat Xi Jinping bereits im Oktober 2018 seinen Streitkräften den Befehl erteilt, sich im Südchinesischen Meer „für einen Krieg vorzubereiten." Es dürfte aber unwahrscheinlich sein, dass eine Eskalierung des chinesisch-philippinischen Konflikts in naher Zukunft zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen China und den Vereinigten Staaten führen wird. Daran hat derzeit keiner der Beteiligten ein Interesse. Alle sind darauf bedacht, keine Waffengewalt einzusetzen und sind sich offenbar des Risikos einer ungewollten militärischen Eskalation bewusst. Allerdings hat China noch Eskalationspotenzial jenseits des Einsatzes militärischer Gewalt. Eine gefährliche Situation könnte entstehen, sollte das rostige Schiffswrack aus dem Zweiten Weltkrieg, das den philippinischen Soldaten auf der Second-Thomas-Untiefe als Stützpunkt dient, bald zusammenbrechen und China sich dann anschicken, das Gebiet zu übernehmen. Auf jeden Fall müssen die Vereinigten Staaten und ihre regionalen Verbündeten auch an dieser geopolitischen Front weiterhin wachsam bleiben und verstärkt Ressourcen einsetzen.
Nordkorea ist ein Meister der Eskalationsdynamik. Die sozialistische Militärdiktatur hat das Wechselspiel von Eskalation und Mäßigung über Jahrzehnte perfektioniert und setzt es konsequent zur Durchsetzung ihrer Interessen ein. Oberste Priorität hat dabei immer die Erhaltung des Machtmonopols der Kim-Dynastie. Eine Schlüsselrolle spielen die Atomsprengköpfe, über die das Land seit 2006 verfügt. Für Kim Jong-un und seine Entourage sind die Nuklearwaffen ihre Lebensversicherung. Zum einen stärken sie die innenpolitische Legitimität des Regimes und dienen der nationalen Identitätsbildung, zum anderen schützen sie Nordkorea vor militärischen Interventionen und sind ein wirksames Druckmittel zur Erpressung internationaler Zugeständnisse.
Nach dem Ende des Kalten Krieges war Nordkorea weitgehend isoliert und stark von China abhängig. Seit den 1990er-Jahren prägen schwere Wirtschaftskrisen und Hungersnöte das Leben der brutal unterdrückten Bevölkerung in dem hermetisch von der Außenwelt abgeriegelten Land. Um die Herrschaft der Kim-Dynastie zu sichern, setzt die nordkoreanische Führung seit 1994 auf eine Präferenzierung des Militärs, verbunden mit konventioneller und nuklearer Aufrüstung. Für sein Nuklearwaffenprogramm und bislang sechs Atomtests seit 2006 wurde Nordkorea von der internationalen Gemeinschaft sukzessive scharf sanktioniert, aber China und Russland unterlaufen viele dieser Sanktionen.
Seit Ende der 1990er-Jahre kam es zu einer Annäherung zwischen Nord- und Südkorea, initiiert durch die „Sonnenscheinpolitik" des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung. Von besonderer Bedeutung war das erste inter-koreanische Gipfeltreffen in Pjöngjang mit der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 2000, in der die beiden Regierungen vereinbarten, wirtschaftlich zusammenzuarbeiten und eine friedliche Wiedervereinigung selbstständig voranzutreiben. Trotz vieler Rückschläge in den wechselhaften Nord-Süd-Beziehungen hielten beide Regierungen lange Zeit an diesen übergeordneten Zielen fest. Wichtigstes Symbol der Annäherung war die Einrichtung der grenznahen Sonderwirtschaftszone Kaesong auf nordkoreanischem Territorium, wo sich zeitweise über 120 südkoreanische Unternehmen ansiedelten, die bis zu 55.000 nordkoreanische Arbeitskräfte beschäftigten. Allerdings liegen die Fabriken seit Anfang 2016 brach, nachdem Südkorea den Industriepark aus Protest gegen einen nordkoreanischen Wasserstoffbombentest geschlossen und das eigene Personal abgezogen hat.
Tatsächlich war Nordkorea an einer Aussöhnung mit Südkorea nie ernsthaft interessiert. Auch nach Beginn der „Sonnenscheinpolitik" kam es wiederholt zu militärischen Scharmützeln zwischen Nord- und Südkorea. Besonders betroffen ist die südkoreanische Inselgruppe Yeonpyeong im Gelben Meer, die nur wenige Kilometer vom nordkoreanischen Festland entfernt liegt. In deren Gewässern kam es seit 1999 zu mehreren Seegefechten, die Inseln selbst wurden im November 2010 und Januar 2024 mit Artillerie beschossen. Der bislang tödlichste Zwischenfall ereignete sich im März 2010, als die südkoreanische Korvette „Cheonan" nahe der Baengnyeong-Insel durch eine gegnerische Mine oder einen Torpedo versenkt wurde und 46 Besatzungsangehörige starben. Darüber hinaus provoziert Nordkorea seit Ende der 1990er-Jahre immer wieder mit ballistischen Raketentests, deren Intensität nach dem Machtantritt von Kim Jong-un im April 2011 erheblich zugenommen hat. Diese „Raketendiplomatie" richtet sich primär gegen Südkorea, Japan und die Vereinigten Staaten. Mittlerweile verfügt Nordkorea über ein umfangreiches Raketenarsenal, das sogar atomwaffenfähige Interkontinentalraketen umfasst.
Für das Kim-Regime erwies sich die russische Invasion in der Ukraine als unerwarteter Glücksfall. Obwohl es seine Beziehungen zu Russland bereits in den Jahren zuvor sukzessiv ausgebaut hatte, bestand ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis, ähnlich wie mit China. Das änderte sich im Spätsommer 2023. Russland hat einen enormen Bedarf an Munition und Waffen jeglicher Art, um seinen Angriffskrieg weiterführen zu können. Offenkundig ist die russische Rüstungsindustrie nicht in der Lage, diesen Bedarf allein zu decken. Auf der Suche nach Lieferanten für Kriegsmaterial wandte sich die russische Regierung daher auch an Nordkorea. Kim Jong-un willigte ein. Für ihn war das eine günstige Gelegenheit, um sein Regime aufzuwerten, die Beziehungen mit Russland neu zu justieren und wertvolle Devisen zu erhalten. Zudem bot Russland offenbar moderne Militärtechnik an für den Bau von Spionagesatelliten, Atom-U-Booten, ballistischen Langstrecken- und Hyperschallraketen.
Graph: Kim Jong-un und Putin 2024
Seit August 2023 liefert das Kim-Regime tonnenweise Artilleriemunition und ballistische Raketen an die russischen Streitkräfte. Das Geschäft belebt die schwache nordkoreanische Wirtschaft. Trotz einiger Qualitätsmängel verleihen diese Lieferungen den russischen Truppen derzeit einen Vorteil auf dem Schlachtfeld, da die westlichen Unterstützer nicht genug vergleichbares Kriegsmaterial an die Ukraine liefern können.
Doch das Kim-Regime unterstützt Russland nicht nur mit Waffen- und Munitionslieferungen. Im Januar 2024 eröffnete Nordkorea eine neue geopolitische Front gegen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, indem es gezielt den Korea-Konflikt eskalierte. Dabei geht Nordkorea weit über die üblichen Provokationen hinaus, mit denen es seit Jahrzehnten immer wieder die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel erhöhte, meist um innenpolitisch Stärke zu demonstrieren und internationale Konzessionen zu erpressen.
Kim Jong-un begann die Konflikteskalation im November 2023, indem er einen Spionagesatelliten ins All befördern ließ, das inter-koreanische Militärabkommen von 2018 aufkündigte und Truppen mit schwerem Gerät an die innerkoreanische Grenze verlegte. Ende Dezember warnte er seine Bevölkerung, dass sich diese auf einen Krieg mit den USA einstellen solle. Wenige Tage später, am 5. Januar, ließ er die südkoreanische Inselgruppe Yeonpyeong mit Artillerie beschießen. Südkorea reagierte mit Gegenbeschuss. In den darauffolgenden Wochen absolvierten die nordkoreanischen Streitkräfte mehrere Manöver und Raketentests – auch mit neuen Hyperschallraketen – nahe der südkoreanischen Grenze. All das entspricht noch der üblichen, wenn auch verschärften Vorgehensweise Nordkoreas zur Konflikteskalation. Was deutlich darüber hinaus geht, ist Kim Jong-uns formelle Aufkündigung der inter-koreanischen Aussöhnungspolitik mit dem Ziel einer friedlichen Wiedervereinigung, die sein Vater vor 25 Jahren mit Kim Dae-jung begonnen hatte. Mitte Januar gab er eine Verfassungsänderung bekannt, die Südkorea zum „Hauptfeind und unveränderlichen Hauptgegner" erklärt. Kurz darauf ließ er demonstrativ das monumentale Denkmal für die Wiedervereinigung in Pjöngjang abreißen, das er als „Schandfleck" bezeichnete. Zudem verschärfte er die anti-südkoreanische Propaganda, stellte den Grenzverlauf zwischen Nord- und Südkorea im Gelben Meer infrage und drohte mit dem Einsatz von Atomwaffen, sollte der Feind einen Krieg beginnen. Viele Analysten sind von diesen Entwicklungen tief besorgt. Nach Ansicht der renommierten Experten Robert Carlin und Siegfried Hecker ist die Situation auf der koreanischen Halbinsel gefährlicher als jemals seit Juni 1950. Sie äußerten die Sorge, dass Kim Jong-un die strategische Entscheidung für einen Krieg getroffen habe – so wie einst sein Großvater im Sommer 1950.
In den kommenden Monaten ist mit weiteren Eskalationsaktionen zu rechnen, auch unter Einsatz militärischer Gewalt unterhalb der Schwelle eines kinetischen Krieges. Allerdings ist ein nordkoreanischer Angriffskrieg gegen Südkorea in naher Zukunft unwahrscheinlich. Dagegen spricht schon, dass Nordkorea Millionen von Artilleriegeschossen an Russland liefert. Zudem würde das Kim-Regime einen Krieg gegen Südkorea und die Vereinigten Staaten vermutlich nicht überleben. Das primäre Ziel Kim Jong-uns dürfte es sein, mit der Konflikteskalation eine neue geopolitische Front zu eröffnen, um den globalen Mehrfrontendruck auf die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten zu erhöhen. Dies soll Russland und Iran dabei helfen, ihre Kriege zu gewinnen. Außerdem könnte er damit erreichen, dass Südkorea seine umfangreichen Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine drosselt, was den Munitionsmangel der ukrainischen Armee weiter verschärfen und Russlands materielle Überlegenheit auf dem Schlachtfeld erhöhen würde. Sobald Kim Jong-un seine Ziele erreicht hat, ist nicht ausgeschlossen, dass er eine Kehrtwende vollzieht und sich gegenüber Südkorea wieder kooperativer verhalten wird, aber bis dahin kann es noch eine Weile dauern.
Die Achse der Autokratien hat seit Februar 2022 mit ihrer Strategie, die Kräfte der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten durch Mehrfrontendruck global zu überdehnen, schon einige Erfolge erzielt. In den kommenden Monaten wird sie, vor allem je näher die US-Präsidentschaftswahlen rücken, nicht nur die bereits eskalierten Konflikte weiterführen und möglicherweise verschärfen, sondern voraussichtlich noch einige neue geopolitische Fronten eröffnen. Um der Frage nachzugehen, wo diese neuen Fronten entstehen oder geschaffen werden könnten, muss ein besonderes Augenmerk auf Staaten und nicht-staatliche Akteure gelegt werden, die von Russland, China, Iran und Nordkorea unterstützt werden oder mit ihnen assoziiert sind. Ob, wann und wie die Achse der Autokratien neue Fronten schaffen wird, darüber kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Hinzu kommen mögliche regionale Konflikteskalationen, die von der Achse der Autokratien nicht geplant sind, von ihr jedoch opportunistisch zur Schaffung neuer geopolitischer Fronten genutzt werden können. Jedenfalls hat sie noch viele Optionen auf fast allen Kontinenten, um geopolitisch relevante Krisen, Konflikte und Kriege auszulösen oder anzuheizen, wie die nachstehende, geografisch gegliederte Aufstellung illustriert. Nicht enthalten sind die möglichen weiteren Eskalationen im Kontext der Konflikte, die oben bereits behandelt wurden.
Auf dem afrikanischen Kontinent schwelen zahlreiche Konflikte mit Eskalationspotenzial. Viele afrikanische Länder pflegen mittlerweile enge Beziehungen zur Achse der Autokratien, einige sind ihr schon direkt zuzuordnen. In der Regel handelt es sich um autoritäre Regime oder um Militärjuntas. Die enge Anbindung vor allem an das Putin-Regime hilft ihnen bei der Absicherung ihrer Macht nach innen.
Russland hat in den zurückliegenden Jahren mithilfe der paramilitärischen Wagner-Gruppe, die neuerdings als „Afrika-Korps" firmiert, seinen Einfluss in West- und Zentralafrika sowie der Sahelzone ausgebaut. Ein besonderer Fokus lag dabei – neben Libyen – auf den ehemaligen französischen Kolonien in Westafrika. Frankreich hat dort seit 2020 viel an Einfluss verloren, die Idee der Françafrique gilt als gescheitert. Russland hat die zunehmend anti-französische Stimmung in vielen frankofonen Ländern Afrikas mit Desinformationskampagnen angeheizt. In Mali und Niger hat die Wagner-Gruppe Militärputsche unterstützt. Nach den jüngsten Umstürzen in Burkina Faso und Guinea kooperieren die dortigen Putschisten ebenfalls mit Russland und seiner Söldnertruppe. Überall, wo in diesen Ländern französische Soldaten stationiert waren, sind diese inzwischen ausgewiesen worden. Auf Ersuchen der malischen Militärjunta mussten auch die Blauhelmsoldaten der UN-Friedensmission MINUSMA zum Jahresende 2023 vollständig abziehen. Im Januar 2024 traten Burkina Faso, Mali und Niger schließlich aus der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS aus. Zurzeit deutet vieles darauf hin, dass Russland schon bald die Franzosen aus dem Tschad verdrängen könnte. Auch in Togo gewinnen russische Militärberater immer mehr an Einfluss. All diese Entwicklungen haben nicht nur Frankreich, sondern auch die Europäische Union strategisch geschwächt. Russlands geopolitisches Kalkül geht auf: „Je mehr Einfluss es in Afrika hat, desto weniger Kontrolle hat der Westen." Die Lage im frankofonen Westafrika ist volatil und birgt einiges Konfliktpotenzial. Gleiches gilt für Libyen. Sollten diese Konflikte eskalieren, möglicherweise auf russische Initiative, könnten Frankreich und andere westliche Staaten gezwungen sein, erneut zu intervenieren – und Europa sich mit neuen Flüchtlingsströmen konfrontiert sehen.
Iran unterstützt seit vielen Jahren die schiitische Al-Shabab-Miliz in Somalia, die seit rund 25 Jahren Piratenangriffe am Horn von Afrika verübt, mit besonders hoher Intensität in den Jahren 2007 bis 2011. Hier besteht ein Risiko, dass die Angriffe in den nächsten Monaten wieder zunehmen könnten. Ian Ralby vom Center for Maritime Strategy warnt davor, dass infolge der amerikanischen und britischen Militärschläge gegen Huthi-Stellungen im Jemen die Rekrutierung der Huthi erheblich zunimmt und andere Gruppierungen in der Region wie Al-Shabab zu feindseligen Aktivitäten angestachelt werden könnten. Der Iran unterstützt auch Milizen in anderen afrikanischen Ländern, unter anderem in Kamerun, Marokko, Nigeria, Niger und der Zentralafrikanischen Republik. Allerdings treten diese Milizen aktuell kaum in Erscheinung. Offenbar haben sie nur ein limitiertes Angriffs- und Eskalationspotenzial.
Im Verhältnis zu Russland, dem Iran und Nordkorea verhält sich China derzeit eher zurückhaltend, abgesehen von dem Konflikt mit den Philippinen im Südchinesischen Meer, den es seit Februar 2023 kontinuierlich eskaliert. Allerdings könnte die Volksrepublik, wenn sie es wollte, verschiedene Territorialkonflikte mit ihren Nachbarn anheizen: mit Indien und Bhutan im Himalaya, mit Vietnam im Südchinesischen Meer und mit Japan im Ostchinesischen Meer. Am gefährlichsten wäre zweifellos eine Eskalation in der Taiwan-Frage, bis hin zu einer umfassenden Blockade oder Invasion des Inselstaates – zwei Szenarien, die beide das Potenzial hätten, den Dritten Weltkrieg auszulösen. Ob China noch davon abgehalten werden kann, ist fraglich. Jedenfalls setzt die chinesische Regierung inzwischen unverkennbar auf eine militärische Annexion Taiwans.
Eskalationspotenzial hat auch der Dauerkonflikt zwischen den beiden Atommächten Pakistan und Indien um Jammu und Kaschmir, „the site of the world's largest and most militarized territorial dispute", bei dem es seit 2016 immer wieder zu Scharmützeln im Grenzgebiet kommt. Pakistan wird dabei von seinem Verbündeten China unterstützt. Ein Anheizen dieses Konfliktes würde zweifellos die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft erregen und die Vereinigten Staaten als wichtigsten Verbündeten Indiens mindestens zu politischer und diplomatischer Unterstützung veranlassen.
Für den Frieden in Europa ist Russland weiterhin die größte Bedrohung, das spiegelt sich nicht zuletzt in den aktuellen Debatten um die Kriegstüchtigkeit der europäischen NATO-Staaten. Ein kinetischer Angriff auf NATO-Territorium ist derzeit nicht zu befürchten, aber Russland wird zweifellos seinen hybriden Krieg gegen die westliche Allianz unvermindert fortführen, wahrscheinlich sogar intensivieren.
Außerdem muss damit gerechnet werden, dass Russland in den folgenden Monaten den Transnistrien-Konflikt wieder anheizen wird, um die Republik Moldau weiter zu destabilisieren. Ende Februar 2024 lieferte das Parlament der Separatistenregion dafür einen möglichen Vorwand nach bekanntem Muster, indem es Russland um „die Realisierung von Maßnahmen zum Schutz Transnistriens angesichts des zunehmenden Drucks durch Moldau" bat. Auch in Georgien könnte Russland versuchen, die Lage durch hybride Angriffe zu destabilisieren und innere Konflikte mit der russischen Minderheit zu schüren, ausgehend von den besetzten Gebieten Abchasien und Südossetien. Seit wenigen Monaten sind beide Staaten EU-Beitrittskandidaten, und die Europäische Union müsste Ressourcen für Gegenmaßnahmen bereitstellen.
In Südamerika gibt es mehrere ungelöste Territorialkonflikte, an denen unter anderem Venezuela und Nicaragua beteiligt sind. Diese beiden Länder sind neben Kuba die wichtigsten Verbündeten Russlands und des Irans auf dem Subkontinent. Der langjährige Disput Kolumbiens mit Venezuela und Nicaragua über die Seegrenzen im Karibischen Meer und im Golf von Venezuela birgt das größte Risikopotenzial für eine mögliche neue geopolitische Front, die von der Achse der Autokratien in der Region geschürt werden könnte. Obwohl derzeit keine Anzeichen dafür vorliegen, ist es dennoch möglich, dass beide Konflikte, vielleicht sogar gleichzeitig, in den kommenden Monaten eskalieren werden.
Eine weitere geopolitische Front könnten Russland und China im Nordpolarmeer eröffnen. Die Arktis gewinnt mit dem Klimawandel stetig an Bedeutung, nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch. Infolge der russischen Invasion in der Ukraine ist Russland an den multilateralen arktischen Dialogplattformen wie dem Arctic Council und Arctic Coast Guard Forum nicht mehr beteiligt. Inzwischen kooperiert Russland mit China, das sich selbst zu einer „arktisnahen Nation" erklärt und mit der „polaren Seidenstraße" ehrgeizige Pläne hat. Im Februar 2023 vereinbarten die beiden Autokratien gemeinsame Infrastrukturprojekte in der Region, ein halbes Jahr später absolvierten sie ein gemeinsames Marinemanöver in der Beringsee und schlossen ein Abkommen zur arktischen Sicherheitszusammenarbeit. Als Reaktion auf diese Entwicklungen formulierten die USA im Herbst 2022 eine neue Sicherheits- und Arktisstrategie. Zur gleichen Zeit begannen sie, ihre Militärpräsenz in der Arktis zu erhöhen. Auch die Kanadier sind alarmiert. Im Oktober 2022 sagte der Leiter des kanadischen Militärgeheimdienstes, Generalmajor Michael Wright: „I would definitely agree that if Russia and China were to co-operate in the Arctic it would pose significant threats to Canada's ability to protect its sovereignty." Dieses Szenario ist mittlerweile eingetreten.
Im Nordpolarmeer haben Russland und China einiges Eskalationspotenzial. Sie könnten ihre arktischen Ambitionen weit aggressiver vorantreiben, ihre Militärpräsenz weiter erhöhen und möglicherweise Territorialkonflikte initiieren, etwa auf Spitzbergen. Nicht ohne Grund warnte der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Admiral Robert Bauer, im Oktober 2023: „We must prepare for the fact that conflict can present itself at any moment and in any domain, including the Arctic." Unter solchen Umständen wären die anderen Arktisstaaten gezwungen, ihr diplomatisches und militärisches Engagement in der Region erheblich zu verstärken, um ihre Interessen zu wahren.
US-Präsident Joe Biden ist mit seiner geostrategischen Neuausrichtung der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik gescheitert. Im ersten Jahr seiner Amtszeit beendete er den Afghanistan-Einsatz, begann die Truppenpräsenz im Nahen Osten zu reduzieren und versuchte sich mit Russland zu verständigen. Geopolitisch wollte er fortan den Fokus auf den Indopazifik und die „strategic competition" mit dem Systemrivalen China legen. Jetzt, drei Jahre später, sind die USA an zahlreichen Fronten weltweit gefordert und müssen mit ihren Bündnispartnern Konflikte im Nahen Osten, Osteuropa, Südamerika und Südostasien einhegen, die von der Achse der Autokratien bewusst geschürt werden, um die westliche Allianz durch Mehrfrontendruck globalpolitisch zu überfordern und strategisch zu schwächen.
Der Systemrivale China ist der mächtigste und gefährlichste Akteur in der Achse der Autokratien, auch wenn er derzeit überwiegend zurückhaltend agiert. China ist „das einzige Land", wie US-Außenminister Anthony Blinken im Mai 2022 prägnant konstatierte, „das sowohl die Absicht hat, die internationale Ordnung neu zu gestalten, als auch in zunehmendem Maße über die dafür notwendige wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht verfügt". Zweifellos ist China der größte Profiteur der Strategie des Mehrfrontendrucks, denn während die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten mit immer neuen Brandherden weltweit konfrontiert sind und ihre Kräfte zu deren Einhegung aufteilen müssen, kann es sich darauf konzentrieren, seine massive Aufrüstung und seine Pläne für eine militärische Annexion Taiwans weiter voranzutreiben. Paradoxerweise wird China von vielen westlichen Staaten noch immer als Teil der Lösung in den Krisen, Konflikten und Kriegen gesehen, die von der Achse der Autokratien ausgelöst und angeheizt werden. Jedoch handelt es sich dabei um eine Illusion, die einer näheren Betrachtung nicht standhält. Tatsächlich ist die Volksrepublik kein Partner für deren Lösung, auch wenn sie sich zu gegebener Zeit an der einen oder anderen Front aus taktischen Erwägungen als solcher inszenieren sollte. China flankiert die Konflikteskalationen der anderen Autokratien geschickt mit zahlreichen Maßnahmen der hybriden Kriegsführung gegen die USA und ihre Verbündeten, basierend auf der Doktrin des „Unrestricted Warfare", die China seit Jahrzehnten große Erfolge beschert und seinen Aufstieg zur Großmacht beschleunigt hat. Zudem eskaliert die Volksrepublik selbst gegenwärtig ihren Territorialkonflikt mit den Philippinen im Südchinesischen Meer.
Genau darin liegt das geostrategische Dilemma der Vereinigten Staaten: Während die westliche Allianz immer stärker an zahlreichen geopolitischen Fronten gefordert und damit zunehmend überfordert ist, wartet China ruhig auf einen günstigen Zeitpunkt, um sich Taiwan einverleiben und die Hegemonialmacht der Amerikaner im Pazifik brechen zu können. Sollte es tatsächlich zu einem chinesisch-amerikanischen Krieg im Pazifik kommen, droht ein noch viel schlimmeres Szenario: eines, in dem die Vielzahl der miteinander verknüpften regionalen Kriege und Gewaltkonflikte in ihrer Kombination zu einer globalen Sicherheitskrise führt, wie wir sie seit 1945 nicht mehr erlebt haben.
Manuskript abgeschlossen am 5.3.2024.
By Heiko Herold
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