Rap in Deutschland ist ein spannendes Buch, das das Wagnis eingeht, mit den Schulbuch-Klischees über HipHop zu brechen. Hier geht es nicht um die Verkürzungen eines Genres innerhalb der (deutschen) Popmusikgeschichte, ein Sicherheit versprechendes Einordnen in musik-soziale Kontexte oder unterrichtliche Stilkunde. Die Auseinandersetzung mit Rap ist mehr als eine kritische Analyse von Texten und Posen. Diese reflektieren vielmehr den vielschichtigen gesellschaftlichen und politischen Kontext des eigenen Landes, das diesbezüglich sehr kritisch gesehen wird, vor allem nach wie vor in seiner Migrationskultur. Die Kölner Soziologin Saied prangert das Klischee der scheinbar unzertrennlichen Symbiose von „Rap -- Migration --bestenfalls Hauptschulabschluss" an. Wie mit Rap umgegangen wird, sagt mehr über denjenigen aus, der sich dieser Vereinfachung bedient, als über den Rapper selbst oder dessen Konsumenten. Rap ist breiter, komplexer, widersprüchlicher. Und natürlich gibt es -- wie in jedem musikalischen Genre -- auch die Nische im Rap, die das Klischee erfüllt. Das Buch macht bewusst, provoziert, fordert zum Zurechtrücken heraus.
Die Kapitel sind kleinschrittig differenziert und wohltuend übersichtlich. Statt sich chronologisch durchzukämpfen, ist es möglich, an nahezu jeder Stelle einzusteigen. Angereichert mit Interviews und Kurzbiografien, die ohne unterhaltende Kolportage daherkommen, verdeutlicht das Buch die Vielschichtigkeit von Rap in Deutschland.
Was meinen wir, wenn wir Rap meinen? Wen meinen wir, wenn wir Rapper meinen? Was heißt eigentlich „Rap in Deutschland"? Welche Bedeutung hat die Verleihung eines nationalen Integrationspreises an Bushido wirklich? Hat diese wirklich etwas mit Integration und Migration zu tun? Wie sehr geben wir uns diesbezüglich mit Nebenkriegsschauplätzen zufrieden? Ayla Güler Saied interessiert vor allem Rap im Kontext des türkischen Migrationshintergrunds. Was ist ein Migrant? Wer ist ein Migrant? Ist Rap, performed von türkischen Rappern, Rap mit türkischen Wurzeln? Auch wenn der Rapper in Deutschland geboren wurde? Warum wird gerappt? Wer rappt überhaupt? Haben Frauen als MC (Master of Ceremonies) ein doppeltes gesellschafts- und genderpoliti-sches Stigma? Einige der von der Autorin interviewten Protagonisten der bundesrepublikanischen Rap-Szene sind heute Lehrer! Nicht jeder Rapper kommt automatisch aus sozial prekären Verhältnissen -- Texte lassen hier keine eindeutigen Rückkopplungen zu. Wenn „Rap" an seiner eigenen Legende strickt, steht auch dies in handfester Beziehung zu kapital-orientiertem Markt und Medien. Wird Rap in Deutschland als Rap in Deutschland gesehen, oder wird nur der Name des Staats ausgetauscht? Wie in den USA gibt es auch in Deutschland nicht „die" Rap-Szene. HipHop und Rap sind ein Dschungel voller Widersprüche und Interessen innerhalb verschiedener Szenen selbst. Zugegeben, oberflächlich überraschen Saieds Fragestellungen und Thesen nicht. Die Auseinandersetzung und die differenzierten Analysen sind jedoch nicht nur voller Sachkenntnis, Engagement und Spannung, sondern fordern den Leser zu einer eigenen Haltung heraus -- über das Phänomen Rap hinweg. Fazit: Empfehlenswert!
PHOTO (COLOR): Ayla Güler Saied
By Knut Dembowski