Im August 2013 feierte das LVR-RömerMuseum im Archäologischen Park Xanten sein fünfjähriges Bestehen. In dieser Zeit wollten 1,5 Millionen Besucher allein das neu gebaute Museum und dessen Sammlung sehen, die nun auf 2.000 m[
Das römische Erbe in Xanten fasziniert bereits seit über 100 Jahren Archäologie- und Geschichtsinteressierte weit über den Niederrhein hinaus. Dem einzigartigen Umstand, hier eine unüberbaute römische Stadt erforschen und präsentieren zu können, wurde allerdings erst recht spät, dann aber mit umso größerem Nachdruck Rechnung getragen. Der Gefährdung durch Gewerbegebiete und Auskiesungsarbeiten konnte das Gebiet durch die Ausweisung als Archäologischer Park entzogen werden. Dies geschah in den 1970er Jahren, und damit schon deutlich vor Inkrafttreten des ersten Denkmalschutzgesetzes in Nordrhein-Westfalen von 1980. Sukzessive wurden immer weitere Teile des römischen Stadtareals unter Denkmalschutz gestellt, bis schließlich im Jahre 2008 durch die Verlegung der Bundesstraße 57 ein zusammenhängendes Parkareal geschaffen werden konnte.
Im Zuge dieser Zusammenlegung wurde 2005 mit dem Bau des neuen LVR- RömerMuseums begonnen, das nun von seinem ursprünglichen Standort, dem Dreigiebel-Haus neben dem Xantener Dom, in den Park umziehen sollte[
Bis zur Eröffnung des LVR-RömerMuseums im Jahr 2008 war es ein weiter Weg. Nicht nur das seit 1974 im sogenannten Dreigiebel-Haus am Viktor-Dom in der Xantener Innenstadt gelegene Regionalmuseum[
Dass es gerade in dieser Zeit zu einer Museumsgründung vor Ort kam, wird vor dem Hintergrund des Verlustes der privaten Sammlung des Rechtsanwalts Philipp Houben zu verstehen sein. Diese anspruchsvolle und publizierte Zusammenstellung von Funden des römischen Xanten war von den Erben nur kurz zuvor durch Verkauf auseinandergerissen und an private und öffentliche Sammlungen in ganz Europa zerstreut worden[
Einen sichtbaren qualitativen Sprung erlebte die Präsentation dann aber 1907, als im Klever Tor repräsentative Räume zur Verfügung standen, die nun -- auch mit größerem finanziellen Aufwand durch den Verein und seine Mitglieder -- regulär in Abteilungen gegliedert waren. In großzügigen Vitrinen übersichtlich angeordnet und von erläuternden Abbildungen und Texten flankiert, wurde die römische Geschichte Xantens anhand ihrer materiellen Hinterlassenschaften nun nach einem moderner, musealen Konzept präsentiert (Abb. 2)[
Auf der Postkarte, die vor 1914 entstand, ist anhand der Beschreibung in Paul Steiners Führer durch das Museum von 1911 die Ansicht genauer zu identifizieren:
"Das nächste Stockwerk enthält in 4 Schränken und auf Wandbrettern die Grabfunde, nach Grabfeldern und Gräbern geordnet: die nordwärts von der durch den Turm markierten Grenze gefundenen sind in dem Schrank neben dem Eingang und den beiden geradeaus vor den Fenstern. Von den zwei weiteren Schränken im Hintergrund enthält der linke Funde vom Fürstenberg ur d einige von weher entfernten Fundplätzen (Vynnen, Kalkererberg u.a.), der rechte Funde aus der Colonia Traiana. E:n Schränk an der Rückwand dieses Saales enthält die Sammlung der Terrasigillata-Scherben. Darüber stehen auf den Wandbrettern Tongefäße, die als Geschenke in die Sammlung des Vereins kamen, ohne dass die Herkunft genannt wurde. Sie stammen ohne Zweifel alle aus Xanten und zum großen Teil wohl aus der Sammlung Houbens. Der Saal enthält ferner alle Skulpturen und Steindenkmäler, auch die Gegenstände von Bronze urd Eisen. An den Wänden hängen Pläne und Karter."[
Die Gestaltung folgte einer inhaltlich begründeten Konzeption, die zugleich ein gewandeltes Geschichtsbild reflektiert
,,Bei dieser Ordnung war der leitende Grundsatz, die Funde topographisch geordnet aufzustellen, sodass jedem Besucher gleich ein Bilc. der Besiedelungs- verhältnisse des Mussums-Bezirks vor Aagen treten konnte. Diese Absicht zu unterstützen wurden möglichst ausführliche erklärende Beischriften zu den einzelnen Schränken und Gegenständen, nebst Hinweisen auf (auszuhängende) Fundkarten des Arbeitsgebiets des Vereins und tunlichst auch der anstoßenden Verwaltungsbezirke vorgesehen. Für diese Karten cient als Unterlage au3er der Katasterkarte das Messtischblatt (1:25.000^ und die Karte des Deutschen Reiches (1:100.000). [
]" [S. 2]: " Auf diese Weise hofft rren dem Besucher, der bisher durchweg ein mehr oder weniger inhahlcses Vergnügen am Einzelnen suchte, eine plastische Vorstellung der historischen Gestaltung heimatlicher Gaue zu Anfang ihrer Entwicklung zu geben. Und man möchte wünschen, dass alle lokaler Sammlungen ihr Hauptaugenmerk auf eir.e Organisation im angedeuteten Sinne richteten"[
Diesem Zweck dient denn auch die Gestaltung des zweiten Stockwerks mit den römischen Funden, wie sie auf der Postkarte dargestellt ist, "etwas eng zwar, jedoch nicht unübersichtlich", und weiter "Das römische Straßennetz bietet den Ariadnefaden, wobei der Reisende von Süden her die große Heerstraße herabkommend, gedacht ist. Da hat er zur Rechten und Linken die Gräberfelder, deren Funde geschlossen aufgestellt sind"[
Wir erkennen also eine schlüssige Konzeption auf der wissenschaftlichen Höhe der Zeit, hier Fundkomplexe vollständig vorzuführen und Grabinventare gerade NICHT in ihre Einzelbestandteile aufzulösen[
In dieser Form hatte das Museum Bestand bis 1935, als es wiederum ins Rathaus umzog, wo es zwei ganze Stockwerke einnahm[
Die Stadt Xanten und die Archäologie am Niederrhein brauchten relativ lange, um diesen Einschnitt zu verschmerzen. Erst seit 1971 wurde -- zunächst von der Bodendenkmalpflege ausgehend -- ein Museum in Xanten neu geplant. 1974 wurde in dem als,Dreigiebel-Haus' bezeichneten Neubau in der Stiftsimmunität des Viktor-Domes das Regionalmuseum Xanten als Zweigmuseum des Rheinischen Landesmuseums Bonn eröffnet (Abb. 4)[
Die museale Präsentation flankierte hier gewissermaßen die laufenden Grabungen im Areal der Colonia Ulpia Traiana, war aber räumlich davon vollständig getrennt. Hiermit war ein Ersatz für das im Krieg zerstörte Museum geschaffen worden, das mit seiner Ausstellung in der Vorgeschichte begann und den Besucher anhand der Exponate bis in die fränkische Zeit führ:e[
Ein Spannungsverhältnis zwischen dieser eher abstrakten musealen Präsentation und der römischen Geschichte vor Ort baute sich seit der Einrichtung des Archäologischen Parks Xanten seit 1979 auf. Immer stärker wurde sichtbar, dass mit dem Ausbau des Parks und der Errichtung von rekonstruierten römischen Gebäuden die Brücke zwischen den Grabungen, den Befunden und den archäologischen Artefakten nicht geschlagen werden konnte.
Lange war nach einem geeigneten Standort für den neuen Museumsbau auf dem Gelände des LVR-Archäologischen Parks Xanten gesucht worden, ein moderner Bau wurde ebenso verworfen wie die Unterbringung des Museums in einem nach römischem Vorbild rekonstruierten Großbau[
Errichtet auf den römischen Fundamenten der Basilika erstreckt sich der Museumsneubau über 70 m Länge, 22 m Breite und 24 m Höhe und gibt damit die angenommenen antiken Ausmaße dieser Halle fast exakt wieder. Basiliken wie diese verfügten nicht über Zwischenböden, der Besucher konnte und sollte seinen Blick bis zur Kassettendecke oder zum offenen Dachstuhl schweifen lassen. Auch der moderne Museumsbau soll den Besuchern diesen Raumeindruck vermitteln, weshalb die Ausstellungsflächen auf Rampen und abgehängten Ebenen untergebracht sind, die sich niemals durch den gesamten Raum ziehen und so Blickachsen ermöglichen. Damit erfährt der Besucher nicht nur die Höhe oder im Rückblick die Tiefe des Gebäudes, sondern erhält auch einen Eindruck von noch vor ihm liegenden oder bereits besuchten Ausstellungsteilen. So lässt sich ein Objekt wörtlich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und in neue Zusammenhänge stellen. Kurze Blicke auf Leuchtschriften oder den Unterboden eines hölzernen Schiffes hingegen machen neugierig auf das, was den Besucher weiter oben in der Ausstellung erwartet.
Die Ausstellung ist chronologisch angelegt, und Zäsuren in der Stadtgeschichte sind mit gelben Kabinetten markiert. Damit kann die Stadtgeschichte von ihren Anfängen bis zu ihrem Ende abgelaufen werden. Die einzelnen Zeitstufen sind in mehrere kleine Unterthemen aufgeteilt, so dass für jeden Zeitabschnitt die entsprechenden Themen repräsentiert sind. Funde werden, wenn es für die Aussage sinnvoll erscheint, in ihrem Fundzusammenhang gezeigt, wie bei den Gräbern der Vorcoloniazeit. Andere Funde wiederum werden zu thematischen Gruppen zusammengefasst, wie Ziegel und Gebäudemodelle für die Architektur der Römer (Abb. 5 und Abb. 6).
Nach Betreten des Museums fallen zunächst römische Spuren auf, die in den Boden eingelassen sind. Hier konnten Abdrücke, die Menschen, Tieren und Wagen im aufgeweichten Boden hinterlassen hatten, gesichert und für das Museum abgegossen werden. Auf diese Spuren können sicn die Besucher auf ihrem Museumsrundgang begeben.
Zunächst eröffnet sich dem Besucher das Abbild einer offenen Wald- und Flusslandschaft, die einen Eindruck der Umwelt geben soll, in der die germanischen Stämme am Rhein lebten und die die Römer hier vorfanden. Bereits Caesar (100-44 v. Chr.) erreichte mit seinen Legionen im Zuge seines Gallienfeldzugs den Rhein, und unter Augustus (63 v.-14 n. Chr.) wurden die ersten Legionen auf dem Fürstenberg bei Xanten stationiert[
Die unterworfenen Stämme der Provinzen am Rhein waren den Römern Tributpflichtig und sie mussten nicht nur Geldzahlungen leisten, sondern auch Truppen stellen. Im Falle der am Niederrhein heimischen Bataver waren dies
Reitertruppen, die als Hilfstruppen, sogenannte Auxiliartruppen, zu 25 Jahren Dienst verpflichtet wurden. Das Jahr 68 n. Chr. mit dem Tode Neros zeigte, wie brüchig dieses Verhältnis war. Nero hinterließ keinen legitimen Erben und die Nachfolgestreitigkeiten führten zum Abzug von Truppen, die bei den Kämpfen des Thronprätendenten Vitellius benötigt wurden, und zu teils brutalen Rekrutierungen, um die Reihen wieder zu stärken. Die Bataver unter ihrem Anführer Iulius Civilis zettelten einen Aufstand an, in dessen Verlauf das Legionslager auf dem Fürstenberg ebenso wie die römische Siedlung völlig zerstört wurde[
Um das soldatische Leben zumindest ein Stück weit erfahrbar zu machen, kann an einer sogenannten Anziehstation unter Anleitung die nachgebildete Ausrüstung eines römischen Legionärs angefasst und auch angezogen werden. Dieses Erfahren prägt Informationen wesentlich besser ein, als es ein bloßer Vortrag könnte.
Der folgende Abschnitt ist dem Thema ,Stadt' gewidmet und wird eingeleitet mit der nächsten Zäsur, der Koloniegründung unter Trajan um 98-100 n. Chr. Nur zwei Städte in Germanien genossen diesen höchsten römischen Rechtsstatus, neben der Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln) war dies eben die Colonia Ulpia Traiana, benannt nach dem Kaiser, der ihr diesen Status verliehen hatte[
Bestens archäologisch untersucht sind die großen Thermen, auf deren Überreste ein großes Fenster einen spektakulären Blick gewährt. Die Basilika, in der sich heute das Museum befindet, diente als Eingangshalle zu den Thermen, in denen klar die einzelnen Kalt- und Heißbaderäume zu erkennen sind. Der Schutzbau deutet durch seine roten Streben die römische Architektur mit ihren Tonnen- und Kreuzgewölben an[
Es folgt der Bereich Wohnen, wobei der mit Küchengerät, Kandelabern sowie bronzenen Möbelbeschlägen vor allem den wohlhabenden Haushalt vorstellt. So schließt sich ein Raum an, in dem die wohl schönste Wandmalerei der Colonia Ulpia Traiana zu sehen ist, die nach den auf ihr dargestellten Tieren und Fabelwesen sogenannte Adler-Giganten-Wand. Eindeutig im Mittelpunkt aber steht der Lüttinger Knabe[
Handel und Handwerk waren in der Colonia außerordentlich wichtig. Handelsverbindungen in die gesamte damals bekannte Welt konnten aufgrund von Funden nachgewiesen werden. Auf dem Markt waren neben den allgegenwärtigen Münzen auch Schnellwaagen in Gebrauch. Wie diese funktionieren, können Besucher an einer Replik selbst probieren und dabei nicht nur herausfinden, wie viel Gramm ihre mitgebrachten Gegenstände wie Mobiltelefone oder Portemonnaies wiegen, sondern auch, wie viel römische Pfund und Unzen. Im Folgenden werden einzelne Handwerke der Colonia gezeigt wie Töpferei, Bronzegießerei, Beinschnitzerei, Fischerei, Schuhmacherei und Schreinerei visu- alisiert, bevor der Besucher vor dem größten Fund der Ausstellung steht: das etwa 7 m lange Stück eines antiken Lastkahns hängt in einer Bucht der Ausstellungsebene, als hätte der Prahm gerade im Hafen festgemacht (Abb. 7)[
Heute wohl am schwersten zu greifen sind die Menschen einer römischen Stadt, ihre Geschichten, Sorgen und Freuden. Nur wenig geben dazu die archäologischen Funde preis, mehr schon die Inschriften des nächsten Ausstellungsbereich, die in Grab-, Ehren- und Weihesteine gemeißelt wurden. Hinter den Steinen sind die Schattenrisse ihrer Aufsteller zu sehen, die den Teil ihrer Lebensgeschichten erzählen, der sich aus den Inschriften ableiten lässt. Die Organisation der Stadt wird hier ebenso fassbar wie die Mobilität der damaligen Menschen oder ihre Glaubensvorstellungen.
Das nächste Kabinett läutet mit einer zerschlagenen Kaiserstatue den letzten Ausstellungsabschnitt ein, der sich dem Niedergang der Stadt widmet. In der Spätantike führten verstärkte Überfälle rechtsrheinischer Germanenstämme zu einer Verkleinerung der Stadt, die mit einer starken Befestigung Tricensima genannt, umgeben war. Sie umschloss wichtige öffentliche Bereiche wie das Forum und die großen Thermen, deren Basilika heute das Museum beherbergt, wohingegen die außerhalb gelegenen Bauten langsam verfielen[
Unterdessen gibt ein Fenster den Blick auf den Dom frei, um dessen Märtyrergrab sich ein neuer Siedlungskern bildete und das Bestehen der Colonia Ulpia Traiana beendete. Sie diente in den folgenden Jahrhunderten als Steinbruch, wurde aber nie überbaut, so dass die Fläche des heutigen Archäologischen Parks nicht nur Besuchern die antike Stadt nahebringen kann, sondern Ausgrabungen und weitere Untersuchungen das Bild der Colonia immer besser sichtbar werden lassen.
Der Besucher wird auf seinem Weg Richtung Ausgang hinunter ins Erd- geschoss begleitet von einem Text Kurt Tucholskys über einen Zirkus, der Freude und Abwechslung bringt, letztendlich aber seine Zelte abbricht. Je weiter man sich vom Beginn des Textes entfernt, desto weniger Worte und Buchstaben sind zu sehen, bis sie schließlich völlig verschwunden sind. Die verblassende Erinnerung an die Emotionen, die ein Zirkus hervorruft, verweist auf das Dilemma der Archäologie: je mehr Zeit zwischen einem Ereignis und der Gegenwart liegt, desto weniger kann sie davon erfassen.
Das Besucherinteresse am LVR-RömerMuseum, das sich in über 300.000 Besuchen und mehreren tausend gebuchten Führungen pro Jahr niederschlägt, zeigt, dass die römische Geschichte ihre Faszination nicht verloren hat und die Arbeit der Bodendenkmalpflege und des Museums wertgeschätzt wird.
DIAGRAM: Abb. 5 Plan der Dauerausstellung
PHOTO (BLACK & WHITE): Abb. 1 Postkarte von Steiner an Wiegand
PHOTO (BLACK & WHITE): Abb. 2 Innenansicht des Museums am Klever Tor
PHOTO (BLACK & WHITE): Abb. 3 Erötfnung des Museums am Klever Tor
PHOTO (BLACK & WHITE): Abb. 4 Außenansicht des Dreigiebel-Hauses
PHOTO (BLACK & WHITE): Abb. 6 Blick in die Dauerausstellung
PHOTO (BLACK & WHITE): Abb. 7 Blick Dauerausstellung Lastkahn
By VonCharlotte Schreiter and Kathrin Jaschke